Ein neuer Blick auf die bandkeramischen Siedlungsvorgänge der Aldenhovener Platte

Interview mit Guido Nockemann
Sieben Jahre, drei davon mit Hilfe eines Stipendiums, arbeitete Guido Nockemann an seiner Dissertation: einer kompletten Bearbeitung der bandkeramischen Siedlungsgruppe Weisweiler 107 / Weisweiler 108 im Schlangengrabental auf der Aldenhovener Platte. Er legt darin eine Analyse und Neubewertung der Siedlungsvorgänge vor sowie eine Netzwerkanalyse aller bekannten Siedlungen der rheinischen Bandkeramik. Die Arbeit wurde als Archäologische Berichte 28 und 29 durch die DGUF publiziert. Im Interview mit Herausgeber Frank Siegmund fasst Guido Nockemann die zentralen Ergebnisse seiner Arbeit zusammen, und er berichtet über die Rahmenbedingungen, unter denen die Arbeit entstand, sowie seinen Einstieg ins Berufsleben.

Frank Siegmund: Vor uns liegen die frisch erschienenen Bände Archäologische Berichte 28 und 29. Lieber Guido, wir kennen uns lange; Du weißt, ich bin kein Bandkeramik-Spezialist. Erkläre mir bitte in Kürze: Was ist das Besondere dieser Arbeit, worin siehst Du die zentralen Ergebnisse?

Guido Nockemann: Nun, meine Arbeit stellt die komplette Bearbeitung der zwei bandkeramischen Siedlungen Weisweiler 107 und 108 dar, d. h. alle Befunde, die Häuser, Keramik, Steine, Pläne, Chronologie, Netzwerke, statistische Analyse usw. stecken darin. Besonders macht sie aber auch die zusammenfassende chronologische Beurteilung der Siedlungsvorgänge der ganzen Siedlungskammer im Schlangengrabental, also mit allen sieben dort bisher entdeckten Siedlungen, und die Netzwerkanalyse aller bekannten Siedlungen der rheinischen Bandkeramik. Fundiert wird das Ganze mit einer doch recht starken Materialvorlage und den darin steckenden Primärdaten. Es sind dann ca. 1.200 bandkeramische Befunde, 21 Hausgrundrisse, fast 2.000 Gefäßeinheiten, mehr als 11.500 Keramikstücke und ca. 3.500 Steinartefakte sowie Tafeln zu ausgewählten Keramikstücken und Steinartefakten.

Neben der Neubewertung der Siedlungsgeschichte des Schlangengrabentals, die das Bild der rheinischen Bandkeramik präzisiert, gab es auch einige überraschende Ergebnisse. So z. B. die Feststellung, dass es in der rheinischen Bandkeramik offenbar Einzelhöfe gibt, die ein sehr spannendes „Verhalten“ an den Tag legen. So liegt der Einzelhof Weisweiler 108 nur 100 m von der Großsiedlung Weisweiler 107 entfernt. Aber was z. B. seine Silexverarbeitung angeht, weist er Parallelen zu zwei anderen Einzelhöfen auf der Aldenhovener Platte auf. Diese autonomen Einzelhöfe scheinen eine Sonderstellung im Weitergabe-Netzwerk einzunehmen, also dem Kommunikationssystem, in dem Feuersteinrohmaterial und Halbfertigprodukte von der Rohstoffquelle zu Siedlung zu Siedlung weitergegeben wurden. Diese drei besonderen Einzelhöfe verfügen über eine so ausgeprägte Produktion an Grundformen der Herstellung von Feuersteingeräten, dass sie wohl in der Lage waren, auch andere Siedlungen damit zu versorgen. Das ist eigentlich etwas, was man bisher nur bei einer Großsiedlung erwartet hatte.
 
Spannend ist auch der neue Blick auf den starken Besiedlungsrückgang im Merzbachtal und im Schlangengrabental mit Hausgeneration VIII, also der achten Phase des auf 15 Hausgenerationen angesetzten Standard-Chronologiemodells. Dieser Vorgang wurde früher als soziale Krise inmitten der Siedlungszeit gedeutet. Heute, mit mehr Daten für andere Siedlungskammern wie dem Indetal oder auch für die Siedlungen bei Erkelenz-Kückhoven, erkennt man vielmehr mit Blick auf die gesamte Region sogar eine ansteigende Siedlungsaktivität. Betrachtet man die gesamte rheinische Bandkeramik, gibt es keinen Besiedlungseinbruch. Offenbar expandierten in Hausgeneration VIII die Bewohner des Merzbach- und Schlangengrabentals in andere Siedlungskammern, wie z. B. in das Indetal.
 
Die Intrasite-Analyse der Funde konnte für den Einzelhof Weisweiler 108 das traditionelle Modell der Aktivitätszonen eines Hofplatzes bestätigen. Außerdem ließ sich feststellen, dass in der Großsiedlung Weisweiler 107 für die handwerklichen Tätigkeiten keine räumlichen Schwerpunkte festzustellen sind. Die handwerklichen Tätigkeiten sind vielmehr homogen über die Siedlung verteilt. Jede Hofgemeinschaft hat also die anfallenden Arbeiten selbst bewerkstelligt.

Guido, wir alle sind knapp an Zeit, und hier liegen zwei Bände mit zusammengenommen fast tausend Seiten: Für meine nächste längere Zugfahrt: wo anfangen, welche Kapitel sollte ich unbedingt lesen?
Ganz einfach: direkt das erste Kapitel von Arch. Ber. 28. Anders als sonst üblich ist das erste Kapitel der Arbeit nämlich die Zusammenfassung meiner Dissertation. Das hat ganz praktische Gründe: Da man in der wissenschaftlichen Praxis selten eine Arbeit komplett von vorne bis hinten durcharbeitet, sondern meist nur bestimmte Teile lesen wird, die für die eigenen Fragestellung gerade relevant sind, kann man sich so direkt vorne im Buch ein Bild der Arbeit machen und von da aus die entsprechenden Kapitel ansteuern. Wenn man dann noch das zweite Kapitel von Arch. Ber. 28 mit der Einleitung, den topographischen Angaben und der Grabungsgeschichte anschließt, hat man einen sehr guten Überblick über den gesamten Fundplatz.

Solch ein Buch schreibt man nicht mal schnell nebenbei. Wie lange hast Du an der Diss. gearbeitet, und wie hast Du Dich derweil finanziert?
Insgesamt waren es wohl sieben Jahre. Die ersten drei Jahre hatte ich glücklicherweise ein Stipendium der Stiftung Archäologie im Rheinischen Braunkohlenrevier bekommen. Dadurch war ich in der Lage, in Vollzeit an der Diss. zu arbeiten. Durch meine Recherchen zum Fundplatz stellte ich allerdings gleich zu Beginn fest, dass der Fundplatz viel größer war als zunächst gedacht, und so wurden aus etwas über 20 Fundkisten so ca. 60 prall gefüllte Fundkisten, zuzüglich der dazugehörigen Dokumentation. Also habe ich drei Jahre des Stipendiums damit verbracht, nur die Funde aufzunehmen, Tabellen zu füllen, statistische Auswertungen zu produzieren und die Grabungspläne zu digitalisieren, für den digitalen Gesamtplan. 
 
Ein Nebenprodukt dieser Zeit war eine Arbeitsgruppe zum Merkmalskatalog zur Aufnahme verzierter Keramik. Während der Aufnahme der Keramik stellte ich nämlich fest, dass wir zwar einen solchen Katalog hatten, dieser aber durch sein jahrzehntelanges Wachstum in Händen verschiedener Bearbeiter weder vollständig noch in sich widerspruchsfrei in einer brauchbar publizierten Form vorlag. Ich hatte dann für mich als Arbeitserleichterung eine Arbeitsversion zur Aufnahme der Keramik erstellt. Daraus entstand besagte Arbeitsgruppe und letztendlich eine überarbeitete und korrigierte Version des Katalogs, der über die Website der Braunkohlenstiftung auch im Open Access zugänglich ist.*
 
Wie gesagt: nach drei Jahren hatte ich gerade die Datenaufnahme und -erhebung fertig und noch keine einzige Zeile geschrieben ‒ naja, vielleicht das Inhaltsverzeichnis. Nun war das Stipendium ausgelaufen, und ich musste sehen, wie die Brötchen auf den Tisch kommen. Ich habe dann ein halbes Jahr bei einer Grabungsfirma in Aachen gejobbt, nebenbei unzählige Bewerbungen geschrieben und an der Diss. gearbeitet. Ich hatte dann das Glück, ein Volontariat antreten zu können, und habe dann immer nach der Arbeit abends an der Diss. gearbeitet. Absolut nicht zu empfehlen, aber bei mir nicht anders machbar. Nach dem Volontariat folgten noch ein paar Projekte in der Museumsarbeit und Archäologie, die mich finanzierten und mir ermöglichten, weiter parallel an der Diss. zu arbeiten. Nach rund sieben Jahren konnte ich sie dann endlich einreichen und meine Verteidigung bestehen.

Was ist gleich nach der Diss. passiert, wie verlief Dein Einstieg ins Berufsleben als Archäologe?

Wie gesagt, der Einstieg ins Berufsleben erfolgte parallel zur Dissertation. Zuerst das Volontariat bei der Kreisarchäologie am Lippischen Landesmuseum in Detmold. Der Kreis Lippe hat in NRW eine Sonderstellung und ist in der Kreisarchäologie selbstständig, wenn auch eng mit der LWL-Archäologie verbunden. Danach folgten einige Projekte: Wissenschaftlicher Leiter eines Projekts zur Digitalisierung der archäologischen Sammlung des Lippischen Landesmuseums; wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Projekt zur 3D-Visualisierung der Grabungsbefunde des Langenbrücker Tors in Lemgo; Inventarisation von Sammlungsbeständen im Hetjens-Museum bzw. dem Deutschen Keramikmuseum in Düsseldorf; wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt "Geschichte der Stadt Lemgo" und dazu die Erstellung eines archäologischen Stadtkatasters, der übrigens jetzt als Kurzversion online steht. Danach ein Werkvertrag der Vereinigung Westfälischer Museen zur Einführung und Betreuung verschiedener Museen in das Objektportal "museum-digital" und wissenschaftliche Hilfskraft im SFB 806 "Our Way to Europe"-Projekt am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Uni Köln. Jetzt arbeite ich seit vier Jahren auf einer befristeten halben Stelle als wissenschaftlicher Sammlungsleiter der Informatik-Sammlung Erlangen (ISER) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Wie genau kann ich mir Deinen Beruf vorstellen, und gibt es da noch einen Zusammenhang zwischen Beruf und Doktorarbeit?
Als Sammlungsleiter der Informatik Sammlung Erlangen ISER betreue ich eine computer- und informatikgeschichtliche Sammlung. Keine Archäologie, aber Museumsarbeit … obwohl … die Arbeit im Sammlungsarchiv erinnert doch ab und zu an Ausgrabungen. ;-)
 
Jetzt fragt man sich natürlich, wie man als Archäologe zu so einem Job kommt. Nun, durch meine Arbeit am Lippischen Landesmuseum hatte ich neben der Arbeit in der Bodendenkmalpflege die Möglichkeit, mich dort auch in die Sammlungs- und Museumsarbeit einzuarbeiten, gleich welcher Thematik. Dadurch, sowie durch meine Computeraffinität, nach diversen Projekten an verschiedenen Museen und dem Umstand, dass ich bereits Sammlungsbestände digitalisiert und mit Sammlungsdatenbanken gearbeitet hatte, war ich wohl der geeignete Mann für diese Stelle. Neben dem Tagesgeschäft mache ich Ausstellungen, Publikationen, Pflege der Dauerausstellung und Datenbank, Führungen, Veranstaltungen usw. Einen direkten Bezug zur Archäologie gibt es leider nicht mehr. Allerdings bin ich noch Mitautor bei einem Buchprojekt zur Medienwissenschaft und kann dort mein archäologisches Fachwissen einbringen, bzw. ich schreibe Artikel und Aufsätze fürs Fach. Mal sehen, was die Zukunft noch bringt.

Lieber Guido, herzlichen Dank für dieses Interview! Wir wünschen Dir und uns, dass Du trotz Deiner spannenden und fordernden Arbeit bei ISER auch in Zukunft den Kontakt zur Archäologie aufrechterhalten kannst.
(Das Interview wurde als schriftliches Interview im Januar 2018 geführt.)
 
* Kerig. T., Krahn, Chr., Münch, U., Nockemann, G. & Strien, H.-Chr. (2010/17). Bandkeramik online: Merkmalskatalog zur Aufnahme verzierter Keramik: http://www.archaeologie-stiftung.de/de/wissenschaft/bandkeramik_online/bandkeramik_online_1.html [13.2.2018].
 
Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.