AB 35 Christina-Maria Wiesner: Das Siedlungsmuster des Mittelpaläolithikums in Süddeutschland – Eine GIS-gestützte Archäoprognose für Fundstellen in Bayern und Baden-Württemberg

Archäologische Berichte 35

Die vorliegende Studie untersucht das Siedlungsverhalten und die Raumnutzung des Neandertalers anhand der Lageparameter von mittelpaläolithischen Höhlen- und Freilandstationen in Süddeutschland. Methodisch arbeitet die Autorin mit dem "Weighted Layer Approach" (WLA), einer Variante der multiplen linearen Regression. In das Modell gehen unterschiedliche, für das Siedlungsmuster prähistorischer Menschen relevante Lageparameter ein, die in einem zweiten Schritt mit geologischen Faktoren der Fundstellenerhaltung und Auffindungswahrscheinlichkeit in Beziehung gesetzt werden. Aus den transparent gewichteten Daten errechnet Wiesner ein Archäoprognose-Modell, das in detaillierte Prognosekarten für die Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins bislang noch unentdeckter mittelpaläolithischer Fundstellen im untersuchten Raum mündet.

 

Arbeitsgebiet mit Lage der bekannten Fundstellen.

Die Studie ist einer Fragestellung gewidmet, die gleich zwei Kernbereiche ur- und frühgeschichtlichen Forschens betrifft: der Analyse von Siedlungsmustern prähistorischer Jäger und Sammler des Mittelpaläolithikums und der Vorhersage der Wahrscheinlichkeit, mit der in einem definierten Gebiet bisher unentdeckte Fundstellen angetroffen werden können. Hierbei wurden erstmals mittelpaläolithische Datensätze aus Bayern und aus Baden-Württemberg zusammengeführt und durch die Anwendung eines eigens konzipierten Bewertungssystems zu Samples für das Arbeitsgebiet zusammengefasst. 

Umgesetzt wurde die Siedlungsmusteranalyse und Archäoprognose mithilfe computergestützter Analysen von Lagedaten und deren statistischer Auswertung. Hierbei kam die Methode des "Weighted Layer Approach" zum Einsatz, eine Variante der multiplen linearen Regression, die mithilfe des Geoinformationssystems QGIS umgesetzt wurde. In die Analyse einbezogen wurden verschiedene Lageparameter der Fundstellen, wie etwa die Höhe über Normalnull, die Hangneigung, die Ausrichtung, die Distanz zum nächsten Fließgewässer sowie das vom Fundplatz ausgehende Sichtfeld. Aus diesen klassifizierten und nach statistischer Relevanz transparent gewichteten Daten hat die Autorin anschließend Prognosekarten abgeleitet, die Auskunft über das Fundstellenpotenzial für mittelpaläolithische Lagerstätten im Raum Süddeutschland geben. Diese wurden zusätzlich mit Faktoren, die die Erhaltungs- und Auffindungswahrscheinlichkeit pleistozäner Fundstellen beeinflussen können, in Beziehung gesetzt. Hierzu zählen etwa die Verbreitung pleistozäner Böden, das Vorkommen von Kalksteingebirgen mit Potenzial zur Höhlenbildung, die Ausdehnung der pleistozänen Eisvorstöße ebenso wie die heutige landwirtschaftliche Nutzung der analysierten Gebiete. 

Mit den Ergebnissen lässt sich die Raumnutzung des Neandertalers detaillierter beschreiben. So nutzte dieser pragmatisch etwa auch Höhlen und Abris mit nicht-optimalen Lageparametern und bevorzugte – im Gegensatz zu den jungpaläolithischen Jägergruppen – beispielsweise nicht zwingend sonnenexponierte Südhanglagen. Zudem zeigt sich, dass die süddeutschen Karstgebiete mit ihrem gleichzeitig hohen Potenzial für Höhlen- und Freilandfundstellen eine ideale Infrastruktur für eine schnelle und ökonomische Besiedlung des süddeutschen Raumes boten und damit wahrscheinlich eine Schlüsselrolle für die schnelle Ausbreitung des Neandertalers in Richtung Osteuropa und darüber hinaus spielten. Die gewonnenen Einsichten über das Siedlungsmuster und das Fundstellenpotenzial unterschiedlicher Regionen innerhalb des Arbeitsgebietes dienen nicht nur dem besseren Verständnis der Vergangenheit, sondern sollen auch konkrete Anwendung in der Denkmalpflege und der archäologischen Feldforschung finden.

Die Arbeit wurde 2021 von der DGUF mit dem Deutschen Studienpreis für Archäologie ausgezeichnet (dort), und im gleichen Jahr von der Univ. Erlangen mit dem Luise Prell-Preis.

Das Buch basiert auf einer Masterarbeit im Fach "Archäologische Wissenschaften" am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

 

Christina-Maria Wiesner (2020)

Die Autorin

Christina-Maria Wiesner aus Pegnitz in Oberfranken studierte – nach einem Bachelorstudiengang in Sozialer Arbeit – in Erlangen-Nürnberg Ur- und Frühgeschichte. 2018 schloss sie diesen Studiengang mit einer Bachelorarbeit erfolgreich ab: "Die jungpaläolithischen Steinartefakte aus dem Abri Blanchard (Dordogne) aus der Sammlung der Naturhistorischen Gesellschaft Nürnberg". Ihr Masterstudium führte sie in Erlangen-Nürnberg fort, dort entstand bis Ende 2020 die vorliegende Studie. Anschließend forschte sie als Doktorandin bei Prof. Dr. Thorsten Uthmeier (Erlangen) zu den Siedlungsmustern der östlichsten Keilmessergruppen und damit zur Verbreitung der späten Neandertaler von Mitteleuropa bis zum russischen Altai.

 

Der Band

Kerpen-Loogh 2023. 113 Seiten, mit 29 Tabellen und 26 meist farbigen Abb. Verlag Deutsche Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte (DGUF).

E-Book im kostenlosen Open Access: ISBN 978-3-96929-262-4. DOI: https://doi.org/10.11588/propylaeum.1287, dort.

Gedruckte Ausgabe: ISBN 978-3-945663-22-6. Softcover. 29,50 Euro, für DGUF-Mitglieder 19,50 Euro. Preise zzgl. Porto und Verpackung.

CC BY 4.0

 

 

 

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Stand: Jan. 2024