DGUF Newsletter Nr. 111 vom 04.07.2022
DGUF Newsletter Nr. 111
vom 4. Juli 2022
Inhalt
1.2 Rückblick auf die DGUF- & NFDI-Tagung Juni 2022 (Frankfurt, 16.6.)
1.4 Rückblick auf die Archäologie-Messe von CIfA Deutschland & DGUF (Frankfurt, 18.6.)
1.5 Deutscher Studienpreis für Archäologie 2022 verliehen an Geesche Wilts M.A.
2 DGUF-Tagung "Ein Berufsverband für die Archäologie?" (Mainz, 4.7.2017) – fünf Jahre danach
2.2 Fünf Jahre Berufsverband. Von Jan Schneider
2.3 Ein Perspektivwechsel. Von Sarah Wolff
2.4 A Quinquennial Retrospection. By Gerry Wait
2.5 Relationship guidance in archaeology. By Peter Hinton
3 Tagungen und Veranstaltungen
3.1 "Archäologie im Ehrenamt" (Onlinevortrag, 12.7.)
3.3 14. Tage bzw. 1. Rainer-Hannig-Tage der Ägyptologie (Brenkhausen, 19.-21.8.)
4.1 Neu im Early View der "Archäologischen Informationen"
4.2 Aktuelle Ausgrabungen und Forschung in den Medien
4.3 Fast vollständig erhaltene römische Tempelanlage im Osten der Niederlande freigelegt
4.4 Neue Erkenntnisse zum frühesten Acheuléen in Großbritannien
5.1 Gutes englischsprachiges R-Lehrbuch von Fr. E. Harrell
6 Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI)
6.1 Expertengremium "Nationale Forschungsdateninfrastruktur" empfiehlt Förderung von NFI4Objects
7.1 Aktuelles rund um Kulturgutschutz in den Medien
7.2 Benin-Bronzen gehen in das Eigentum der Bundesrepublik Nigeria über
8.1 Vorankündigung: Marktanalyse für archäologische Dienstleistungen im SuedLink (TransnetBW)
8.3 Raimund Karl: Norm statt Grabungsrichtlinien
8.4 BAföG-Sätze werden erhöht und mehrere Freibeträge angehoben
8.5 "Prix européen d'archéologie Joseph Déchelette" für Thibaud Poigt
9.1 "Unterbezahlt und ungeschützt?" - Rückblick auf die CIfA-Jahrestagung (Frankfurt, 17.6.)
10.1 "Linked Open Data" in der Archäologie: wozu, wie?
13.1 Neue Landesregierungen in SH und NRW - sehr unterschiedliche Aussichten für den Denkmalschutz
13.3 Brainstorming ist keine effektive Methode, um Ideen zu entwickeln
1 DGUF-Nachrichten
1.1 DGUF beteiligt sich an Konsultation zum Aktionsplan der EU betr. illegalen Handels mit Kulturgütern
Die Europäische Kommission führt zwischen 2022 und 2025 einen Aktionsplan zur Bekämpfung des illegalen Handels mit Kulturgütern durch, mit dem kriminelle Handlungen unterbunden und das kulturelle Erbe besser geschützt werden sollen. Neben einer für alle Organisationen und Einzelpersonen geöffneten Feedback-Möglichkeit lud die EU-Kommission ausgewählte Interessenträger – darunter auch die DGUF als die NGO der deutschen Archäologie – ein, sich zur Einschätzung des Sachverhalts "illegaler Handel mit Kulturgütern" durch die Kommission zu äußern, mögliche Lösungen vorzuschlagen und der Kommission weitere sachdienliche Informationen vorzulegen. Die DGUF beteiligte sich mit einer Stellungnahme an der Konsultation. Darin betonte sie das sehr hohe Risiko durch den illegalen Handel mit Kulturgütern für das kulturelle Erbe der EU und außerhalb der EU. Risiken bestehen, so die DGUF, auch hinsichtlich der Menschen: "Der illegale Handel mit Kulturgut vernichtet die kulturelle Identität der Menschen, die heute in einer Region, in welcher das Kulturgut geplündert wird, leben", schrieb die DGUF. "Egal, ob kulturelle Stätten des Profits wegen geplündert oder aus machtpolitischem Kalkül zerstört werden: Die Vergangenheit der Region (oder des Landes) verschwindet, und das destabilisiert den kulturellen und gesellschaftlichen Zusammenhalt der heutigen Bevölkerung." Die DGUF bewertet generell EU-Maßnahmen gegen den illegalen Handel mit Kulturgütern zum Schutz des kulturellen Erbes in und außerhalb der EU als sehr wichtig. Nötige und sehr wichtige neue Maßnahmen der Europäischen Union sind nach Überzeugung der DGUF: 1. die Verbesserung des Informationsaustauschs zwischen den Strafverfolgungsbehörden (z. B. der Polizei) und anderen relevanten Akteuren im öffentlichen und privaten Sektor; 2. die Stärkung der Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungs- und Zollbehörden; 3. die Unterstützung spezialisierter Polizeieinheiten im Bereich des illegalen Handels mit Kulturgütern; 4. die Verbesserung des Verständnisses aller Interessenträger (z. B. Akteure des Kunstmarkts, Finanzsektor, Zivilgesellschaft) hinsichtlich der Risiken in Bezug auf Geldwäsche, organisierte Kriminalität und Terrorismusfinanzierung sowie der Methoden des illegalen Handels mit Kulturgütern; 5. die Sensibilisierung von Akteuren des Privatsektors (z. B. Kunst- und Antiquitätenhändler, Auktionshäuser, Sammler usw.) und Behörden, die mit Kulturgütern zu tun haben (z. B. Museen), für die bestehenden Berichts- und Sorgfaltspflichten und ihre Rolle bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, Terrorismusfinanzierung und Geldwäsche; 6. die Verstärkung der Zusammenarbeit mit Drittländern; 7. die weitere Einbeziehung des Themas "illegaler Handel mit Kulturgütern" in die Lehrpläne von Polizei-, Zoll- und Richterakademien sowie in einschlägige Hochschullehrgänge; 8. die Verbesserung der Online- und Offline-Rückverfolgbarkeit von Kulturgütern im Binnenmarkt; 9. die Verstärkung der Sorgfaltspflicht für professionelle Kunsthändler und 10. die Sensibilisierung – auf globaler, europäischer, nationaler und lokaler Ebene – für die vom illegalen Handel mit Kulturgütern ausgehende Bedrohung, mit besonderem Schwerpunkt auf folgenden Zielgruppen: Journalisten, junge Menschen, Fachleute für Kulturerbe (auch im Hochschulbereich und in Museen), politische Entscheidungsträger, Beamte (einschließlich Diplomaten), Kunst- und Antiquitätensammler. Die DGUF fordert in ihrer Stellungnahme, dass wirtschaftlich arme EU-Staaten bei ihrer Verfolgung von illegalem Antikenhandel stärker unterstützt werden sollten, z. B. wirtschaftlich und hinsichtlich Know-How. Wie schon 2016 nannte die DGUF die Bestimmungen zum Münzhandel im deutschen Kulturgutschutzgesetz problematisch, da die Ausfuhrgenehmigungs- und die Sorgfaltspflicht beim Handel mit Einzelmünzen an deren archäologischen Erkenntniswert geknüpft werden; die Relevanz des Erkenntniswertes ist jedoch ein weiter, unbestimmter Rechtsbegriff. Der verminderte Schutz für das viel geplünderte und viel gehandelte Kulturgut "Münzen" sollte via EU-Gesetzgebung verbessert werden. Die DGUF regte an, zusätzliche Förderung und Finanzierung für die außerfachliche Kommunikation der Thematik vorzusehen: "Die Kommunikation mit der breiten Öffentlichkeit sollte deutlich gestärkt werden. Und zwar dort, wo die breite Öffentlichkeit auch ist! Das könnten zum Beispiel gut verständlich und nachvollziehbar getextete Informationen in Bordmagazinen großer Fluglinien sein oder am 'Baggage Claim' von Touristenzielen uvm." Die DGUF bot sich hierfür der EU-Kommission ausdrücklich zur Unterstützung bzw. als Kooperationspartnerin an. Das stärkere Vorgehen der EU gegen den illegalen Handel mit Kulturgütern und der Aktionsplan 2022 sind Teile der EU-Strategie für eine Sicherheitsunion (Juli 2020) und der EU-Strategie zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität für den Zeitraum 2021-2025. Beide Strategien enthalten Ansätze zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, einschließlich des illegalen Handels mit Kulturgütern. Ziel des Aktionsplans ist laut EU-Kommission "die Verbesserung und Stärkung der Kontrolle, des Informationsaustauschs und der Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungs- und Zollbehörden sowie anderen maßgeblichen Akteuren in diesem Bereich." Weitere Ziele sind u. a., das Bewusstsein für diese Thematik zu stärken und das Fachwissen zur Thematik auszubauen.
"Illegaler Handel mit Kulturgütern – Aktionsplan der EU" (Europäische Kommission, Mai 2022): https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/13352-Illegaler-Handel-mit-Kulturgutern-Aktionsplan-der-EU_de
1.2 Rückblick auf die DGUF- & NFDI-Tagung Juni 2022 (Frankfurt, 16.6.)
Die von DGUF und NFDI4Objects gemeinsam veranstaltete Tagung "FAIRe Daten und digitale Infrastrukturen für die Archäologie. Handlungsräume gemeinsam gestalten, Potenziale identifizieren" war hinsichtlich Programm und Auditorium durch mehrere Absagen leicht von der Pandemie betroffen. Im ersten Block stellten Chr. Keller, Ph. von Rummel und M. Schrickel das Projekt NFDI unter verschiedenen Aspekten vor. Auffallend war, wie selbstverständlich, praxisnah und fair Marco Schrickel vom Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg die privatwirtschaftliche Archäologie als Mitwirkende und erfahrungsstarken Stakeholder mit einbezog. Im zweiten Block brachten als Vertreter der Fachschaftenvertretung DASV e. V. M.-M. Mancini und G. M. Pichler die studentische Perspektive ein. Sie betonten die Wichtigkeit und Attraktivität des Themas gerade für die junge Generation, die von der Entwicklung hin zu Digital Humanities vollumfänglich betroffen sei. Im Vorfeld hatte der DASV eine Umfrage unter Studierenden ausgerichtet, um diesbezügliche (Ausbildungs-) Angebote und Bedarfe zu erforschen - worüber im Vortrag berichtet wurde. Nach der Mittagspause plädierte L. Linde dafür, auch Quellcode als Daten zu betrachten und entsprechend zu archivieren; s. E. sollten alle Forschenden sich auch einmal ins Coden einarbeiten, z. B. anhand von Python, um ein grundsätzliches Verständnis dafür zu entwickeln, auch wenn sie dann später nicht in eine intensive Praxis des Codens einträten. Im dritten Block stellten Chr. Sommer, E. Fäder und T. Malatschek je eine Fallstudie zu bestehenden Datenarchiven vor. Mit unterschiedlichen Hintergründen, Erfahrungen und Zielausrichtungen illustrierten sie: Es lohnt, Forschungsdaten auch nachträglich offen und FAIR zu machen - doch der Aufwand eines "Im Nachhinein" ist höher, ein entsprechendes Vorgehen von Anbeginn an wäre besser. Im vierten Block stellte Th. Rose das Projekt NFDI4Earth vor, das im Wesentlichen von der Geographie getragen ist und ein spannendes Angebot auch für Archäologen sein werde. Im Vergleich ist das Vorhaben sehr schlank und klar strukturiert aufgestellt und wird mehr als Datendrehscheibe denn als Datenhalter fungieren. Der ehrenamtliche Denkmalpfleger und Sondengänger Matthias Wenzel brachte seine Perspektive auf NFDI4Objects ein: Er wie viele seiner Kollegen wollen seriös und gesetzeskonform an der Archäologie mitwirken, sich einbringen. Dazu sei eine bequem zu bedienende App - deren Mindestfunktionalitäten er anschaulich umriss - ein großer Fortschritt, denn der klassische Weg über Papierformulare etc. sei doch sehr mühsam und halte manchmal auch davon ab, trotz bestem Willen das Gebotene auch wirklich zu tun. Nicht zuletzt legte Wenzel dar, dass in Sondengänger-Kreisen bisweilen eine hohe Expertise z. B. zu neuzeitlichen Metallfunden oder Münzen vorhanden sei, von der auch die Amtsarchäologie profitieren könne. Niederschwellige, offene Plattformen mit Bildarchiven und Austauschmöglichkeiten wären hierzu sehr förderlich. – Nach zwei Corona-geprägten Jahren mit ihren vielen Video-Konferenzen war es für die Teilnehmer der Tagung eine kollektive Freude, sich wieder in Person zu treffen und austauschen zu können. Die u.a. mit DGUF-Keksen und "Degufanten" gecaterten Pausen und die einladende Terrasse des Gebäudes boten viel Gelegenheit, Themen zu vertiefen und Kontakte zu vertiefen oder neu zu knüpfen.
Tagungswebsite: https://dguf.de/tagungen/aktuelle-tagung
Bildergalerie auf Facebook: https://www.facebook.com/DGUF1969/posts/pfbid036eATLrgh63cPJ67E7HY4ZqxYVip7X1HhYgRRv7WeVgUmrF6t8Ea5wqiJu4KwrFzCl
1.3 Eine positive Atmosphäre des lebendigen Austauschs: zu den Tagungen von DGUF, NFDI4Objects, CIfA Deutschland und DArV. Von Karl-F. Rittershofer
Von 15. bis 19.6.2022 fanden am verlängerten Fronleichnams-Wochenende in Frankfurt am Main drei mehr oder weniger aufeinander abgestimmte Präsenztagungen (das erste persönliche postpandemische Treffen seit Beginn von Corona) sowie eine Messe statt. Beteiligt waren mit ihren Jahrestagungen die Deutsche Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte (DGUF) und CIfA Deutschland (die German Group des Chartered Institute for Archaeologists, des mittlerweile international aufgestellten Britischen Archäologen-Berufsverbands), die auch gemeinsam mit NFDI4Objects die Archäologie-Messe ausrichteten, und der Deutsche Archäologenverband (DArV).
Diskutiert wurden nicht die üblichen Fachvorträge über aktuelle archäologische Forschungen, sondern weitgehend ungelöste Fragen der Fachpolitik wie Arbeitssicherheit und Lohnuntergrenzen bei privatwirtschaftlichen Unternehmen in der Archäologie, mögliche Wege zur Verbesserung eines Berufsverbands, Langzeit-Sicherung von Daten im digitalen Zeitalter und Entwicklung gemeinsamer Standards (DGUF und CIfA).
Der DArV ging den brennenden Fragen des Umgangs mit dem kulturellen Erbe im postkolonialen Zeitalter nach und bot mit einem Science Slam ein neues Format der Vermittlung archäologischer Forschung an die interessierte Öffentlichkeit.
Wiewohl die Veranstalter an verschiedenen Orten in der Stadt tagten, gab es nur wenige zeitliche Überschneidungen und somit die Möglichkeit, in viele Themen reinzuhören.
Gut besucht waren die Veranstaltungen nach meinem Empfinden besonders von jüngeren Kolleginnen und Kollegen und von Studierenden. Es ist bedauerlich, dass diese Gelegenheit, viele wesentliche aktuelle Themen zu Denkmalpflege und Archäologie gemeinsam zu erörtern, von relativ wenigen "etablierten" Kolleginnen und Kollegen aus Denkmalämtern, Museen und Universitätsinstituten wahrgenommen wurde. Dazu trägt dann hoffentlich eine baldige Veröffentlichung der Beiträge in den "Archäologischen Informationen" bei, auch wenn nachträglich die positive Atmosphäre des lebendigen Austauschs nicht so wirkungsvoll zum Ausdruck kommt. Vielleicht regt dies aber dazu an, die nächste Archäologiemesse im Mai/Juni 2023 zu besuchen.
Dr. Karl-F. Rittershofer, Präsident der Archäologischen Gesellschaft in Hessen
1.4 Rückblick auf die Archäologie-Messe von CIfA Deutschland & DGUF (Frankfurt, 18.6.)
Einlass für Aussteller 8:30 Uhr, für Besucher 9:30 Uhr, bei etwas unklarem Anlieferweg- und Auto-Park-Optionen: der Anfang der von CIfA Deutschland und DGUF gemeinsam organisierten Archäologie-Messe an einem sonnig-heißen Samstag in der Uni Frankfurt war sportlich mit Schleppen, Rücken, Standaufbauen. Doch nach Hektik am frühen Morgen und einem kollektiven "Ich bin platt" zum Messe-Start entwickelte sich ein zunehmend lebendiger Messetag. Zuerst mehr ein Sich-gegenseitig-Bekanntmachen, Kennenlernen und Austausch der Standbetreiber ("Fachmesse"), doch zum Mittag kam auch viel Publikum hinzu. Der Lärmpegel, verursacht durch viele sich intensiv unterhaltende Menschen, wuchs beträchtlich. Inhaltlich herausragend und eine Art Paukenschlag war die Präsentation der Jacobs GmbH, die als Berater betreffs Archäologie das Projekt "SuedLink" vertritt - jene beiden in der Erde verlegten Gleichstromtrassen, die in ca. 45 m Breite von Schleswig-Holstein nach Baden-Württemberg bzw. Bayern gezogen werden. Derzeit im Planfeststellungsverfahren, Anfang 2028 soll der Strom fließen. Dahinter zwei Investoren, Tennet TSO und Transnet BW, die die Archäologie nicht als Altlastentsorgung betrachten, sondern als eine wichtige Aufgabe und Teil ihrer sozialen Verantwortung. Sehr groß war die Fachmesse nicht, doch sehr bunt: Grabungsfirmen, Berater, Dienstleister und eben auch Vertreter eines großen Investors. Am Ende waren viele Flyer und Visitenkarten ausgetauscht, Zusammenarbeitsprojekte umrissen etc., und nach dem Abbau versicherten sich viele Standbetreiber gegenseitig: Das müssen wir wiederholen!
Messe-Website: https://cifa-deutschland.de/veranstaltungen/archaeologie-messe
Bildergalerie auf Facebook: https://www.facebook.com/DGUF1969/posts/pfbid0282DVqsSkrYcjpG3nVqe4TdbuggyG6f83MdHFRDTFkhZwerFsz52bUYU4nJB61Txol
1.5 Deutscher Studienpreis für Archäologie 2022 verliehen an Geesche Wilts M.A.
Für Ihre Masterarbeit "Abgekratzt und angenagt – Kannibalismus in der archäologischen Forschungsgeschichte in Hinblick auf gesellschaftliche Diskurse" wurde Geesche Wilts (Universität Hamburg) am 15.6. in Frankfurt/Main mit dem diesjährigen Deutschen Studienpreis für Archäologie ausgezeichnet. Im Anschluss stellte Wilts ihre Arbeit in einem kurzen Vortrag vor: Nicht der (erwartbare) Versuch, kannibalistisches Verhalten in der Ur- und Frühgeschichte endlich eindeutig nachzuweisen oder ebenso eindeutig auszuschließen, ist Ziel der mit dem nunmehr achten DGUF-Studienpreis ausgezeichneten Arbeit – ob es Kannibalismus nun gegeben hat oder nicht, ist hier sekundär und wird nur am Rande diskutiert. Vielmehr geht es im Kern um die Frage, wie gesellschaftliche Vorstellungen und politische Gegebenheiten die archäologische Interpretation beeinflussen und wie archäologische Interpretationsmuster wiederum in Gesellschaft und Politik rezipiert werden – im vorliegenden Fall eben am Beispiel der (nur zu häufig emotional statt sachlich geführten) Diskussion um die ur- und frühgeschichtliche Anthropophagie. Wilts spannt in Ihrer Arbeit den Bogen über die verschiedenen politischen Systeme Deutschlands im 19. und frühen 20. Jahrhundert und zieht nicht nur archäologische und ethnologische wissenschaftliche, sondern auch zahlreiche populäre Quellen heran, um herauszuarbeiten, wie Gesellschaft, Politik und Forschung im Kannibalismus-Diskurs miteinander wechselwirken – bislang ein Desiderat der deutschsprachigen Forschung. Dieser spannende interdisziplinäre, innovative und vor allem sehr kreative Forschungsansatz, der auch auf eine (in der deutschsprachigen Forschung häufig fehlende) Selbstreflexion der archäologischen Forschung hinarbeitet, war für die Jury ausschlaggebend für die Prämierung der Arbeit mit dem diesjährigen Studienpreis. Eine Veröffentlichung der Arbeit in der DGUF-Publikationsreihe "Archäologische Berichte" ist in Planung.
Website von Geesche Wilts alias Miss Jones: https://www.miss-jones.de/
Geesche Wilts bei Academia.edu: https://independent.academia.edu/MissJones3
1.6 Unter den DGUF-Rezensionsangeboten: Kristian Kristiansen: Archaeology and the Genetic Revolution in European Prehistory
Unter den zahlreichen Publikationen, welche die Herausgeber der "Archäologischen Informationen" zur Rezension ausschreiben, sei diesmal ein im September bei Cambridge University erscheinendes Buch den Dänen Kristian Kristiansen (Universität Göteborg) hervorgehoben. Das Buch sei geschrieben worden, so der Klappentext, "to meet the theoretical and methodological challenge raised by the third science revolution and its implications for how to study and interpret European prehistory. The first section is therefore devoted to a historical and theoretical discussion of how to practice interdisciplinarity in this new age, and following from that, how to define some crucial, but undertheorized categories, such as culture, ethnicity and various forms of migration. The author thus integrates the new results from archaeogenetics into an archaeological frame of reference, to produce a new and theoretically informed historical narrative, one that also invites debate, but also one that identifies areas of uncertainty, where more research is needed." Wenn Sie Interesse an einer Rezension haben, richten Sie bitte Ihre Anfrage mit Ihrer vollständigen Postanschrift sowie einer kurzen Begründung, weshalb Sie dieses Werk besprechen wollen, an:
Alle Rezensionsangebote der "Archäologischen Informationen" mit weiteren Informationen zu Modalitäten und Ablauf: https://www.dguf.de/fileadmin/user_upload/publikationen/AI/dguf-dok_arch-inf_rezensionsangebote.pdf
Kristian Kristiansen: Archaeology and the Genetic Revolution in European Prehistory (Elements in the Archaeology of Europe 5). 75 pages. September 2022. On the book: https://www.cambridge.org/de/academic/subjects/archaeology/archaeology-europe-and-near-and-middle-east/archaeology-and-genetic-revolution-european-prehistory
2 DGUF-Tagung "Ein Berufsverband für die Archäologie?" (Mainz, 4.7.2017) – fünf Jahre danach
Genau heute vor fünf Jahren fand im Rahmen des 9. Deutschen Archäologiekongresses die DGUF-Jahrestagung "Ein Berufsverband für die Archäologie?" statt. Nach DGUF-Umfrage im Herbst 2016 und einer webbasierten Vortagung vom 6.3.-9.6.2017, in der alle Interessierten sich frei zu Aspekten wie prekären Beschäftigungsverhältnissen, problematischen Zeitverträgen, unverhältnismäßiger Entlohnung und De-facto-Berufsverboten in der Archäologie hatten äußern können und immer wieder einen Berufsverband gewünscht hatten, war jene Tagung vor fünf Jahren der Kulminationspunkt, die Nagelprobe: Ist im Fach ein Berufsverband gewollt? Gibt es bessere Lösungen? Jeder Ansatz war entweder schon während der Vortagung ausführlich diskutiert und auf Herz und Nieren geprüft worden, oder er konnte in Mainz erneut, neu oder bekräftigend artikuliert werden. Vertreterinnen und Vertreter von bestehenden Organisationen waren frühzeitig eingeladen worden und beteiligten sich vielfach. Am Schluss des Tages macht einer der beiden ältesten und größten Archäologie-Berufsverbände weltweit, das Chartered Institute for Archaeologists, das Angebot, den Aufbau einer Regionalgruppe zu begleiten und eine halbe Stelle zu finanzieren. Diese DGUF-Tagung war also der Startpunkt für eine tiefgreifende Veränderung in der bundesdeutschen Archäologie, deren weitere Entwicklung vor allem von der Gemeinschaft der berufstätigen Archäologinnen und Archäologen abhängt. Die Geschehnisse sind Anlass, in diesem Newsletter heute auf die zurückliegenden fünf Jahre zurückzublicken. Dazu haben wir Wegbegleiter und Zeitzeugen eingeladen, sich in Gastkommentaren zu äußern.
"Ein Berufsverband für die Archäologie?" (Mainz, 4.7.2017) - Tagungswebsite: https://dguf.de/tagungen/vergangene-tagungen/tagungen-seit-2010/2017-6-maerz-bis-9-juni-vortagung-und-4-juli-in-mainz-ein-berufsverband-fuer-die-archaeologie
Die Aufsätze zur Tagung in den Archäologischen Informationen 41 (2018): https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/arch-inf/issue/view/4066
2.1 "Die deutsche Archäologie hat keine Probleme!" – oder: Fünf Jahre CIfA Deutschland. Von Michaela Schauer
Ja, wir brauchen einen Berufsverband - wir wollen einen Berufsverband für die deutsche Archäologie! Das war die einhellige Meinung der Teilnehmer der DGUF-Tagung 2017, die genau diese Frage stellte. Nur einzelne Stimmen behaupteten damals: "Die deutsche Archäologie hat keine Probleme!". Und es wurde nicht nur geredet, es passierte auch was: Das Angebot, dass das CIfA (Chartered Institute for Archaeologists) – der zweitgrößte international agierenden Berufsverband der Archäologie mit 4.500 Mitgliedern – deutsche Archäologen dabei unterstützen würde, einen Berufsverband nach seinem Vorbild aufzubauen, fiel auf fruchtbaren Boden. Seit 2017 stehen die Brennpunkte der deutschen Archäologie – fehlende Qualitätssicherung, schlechte Löhne, unterirdische Arbeitsbedingungen, zu wenige berufsnahe Themen im Studium etc. – im Zentrum der Verbandsarbeit von CIfA Deutschland. Das Konzept der persönlichen Akkreditierung – d. h. ein Peer-Review-Verfahren, das eine Prüfung des eigenen Könnens basierend auf einer klaren Kompetenzmatrix durch Fachkolleginnen und -kollegen ermöglicht – sowie die Verpflichtung der CIfA-Deutschland-Mitglieder zu einem ethischen Kodex bieten eine neutrale Alternative zum gängigen Vorgehen, das Können von Kolleginnen und Kollegen allein basierend auf akademischen Abschlüssen oder persönlichen Empfehlungen einzuschätzen. Doch hier ist noch nicht das "Ende der Fahnenstange" erreicht: Die erstmals 2021 durch die zwei unter dem Dach von CIfA Deutschland organsierten Arbeitskreise Archäologiefirmen und Arbeitnehmer:innen entwickelten und durch CIfA Deutschland unterstützten Lohnuntergrenzen sollen nun für 2022 erstmals mit der CIfA-Kompetenzmatrix verknüpft werden. Das heißt: Träger einer CIfA-Akkreditierung können nachweisen, was sie können, und wissen zusätzlich, was sie mindestens verdienen sollten – und sie können das ganz klar einfordern! Außerdem bietet CIfA zusätzlich die Möglichkeit, dass sich archäologische Organisationen zertifizieren lassen und mit dem CIfA-Deutschland-Gütesiegel ausgezeichnet werden können. Auch hier liegen klare Regeln zu Grunde: Es werden Aspekte von Arbeitssicherheit, Firmenorganisation, Weiterbildungsmaßnahmen, Publikationskonzepten, Mitarbeiterführung etc. abgefragt – also Aspekte, die nicht nur für die Mitarbeiter, sondern auch gerade für öffentliche Auftraggeber von großem Interesse sind. Denn dort zählt oftmals nicht (nur) der Preis, sondern vor allem Qualität und Zuverlässigkeit.
Und sonst? Zusätzlich zu diesen Punkten treibt CIfA Deutschland auch das Thema Weiterbildung in beruflichen Aspekten voran. So wurden z. B. diverse Handreichungen zu den Themen Verträge, Lohnkalkulation, Projektkalkulation etc. veröffentlicht. CIfA Deutschland stellt auf seiner Website berufsrelevante Informationen zur Verfügung. Zudem bietet CIfA Deutschland gemeinsam mit der DGUF eine Online-Vortragsreihe für junge Archäolog:innen an, welche konkret Themen aufgreift, die für den Beruf(-seinstieg) relevant sind – oder schlicht interessant und relevant sind, aber im Studienalltag keinen Platz finden. Außerdem rückt CIfA Deutschland mit seinen Tagungen kritische Aspekte des Berufs – in diesem Jahr Arbeitssicherheit und Löhne – konkret in den Fokus. Neben diesen Möglichkeiten zur Diskussion und Austausch werden durch die Arbeitskreise Archäologiefirmen und Arbeitnehmer:innen regelmäßige Online-Treffen organisiert, um Kontakte innerhalb der Archäologie auch über die archäologischen Branchen hinweg zu knüpfen. Denn z. B. Arbeitssicherheit ist für Studierende an Universitäten ein genauso brennendes und relevantes Thema wie für den Grabungsleiter in einer archäologischen Fachfirma. Also warum nicht miteinander reden und voneinander lernen?
Außerdem: Archäologie und Öffentlichkeit müssen besser zusammengebracht werden – das Fach und der Beruf brauchen eine bessere Lobby und mehr Kontakt nach außen. Zudem müssen die archäologischen Fachfirmen aus der "Schmuddelecke", in die sie zumindest gedanklich abwertend gesteckt werden, herausgeholt werden. Denn hier sind die größten Arbeitsmärkte und innovativen Potenziale zu finden, wie die DGUF-Umfragen klar zeigen! DGUF und CIfA Deutschland haben deshalb gemeinsam neue Formate entwickelt, um diese Themen anzupacken: Die Online-Tagung "Das Archäologische Jahr" bietet allen herausragenden archäologischen Projekten des jeweiligen Vorjahres eine Plattform – Mitarbeiter von archäologischen Fachfirmen oder auch Ehrenamtliche stellen ihre Projekte ebenso vor wie Vertreter der Amtsarchäologie – endlich wird eine Begegnung auf Augenhöhe möglich! Und die Öffentlichkeit kann zusehen und hat direkten Zugang zur Archäologie – sie wird mit einbezogen. Ein weiteres Projekt ist die Archäologie-Messe, die ebenfalls als Plattform zum Austausch zwischen den verschiedenen Branchen der Archäologie und der Öffentlichkeit dienen soll – und der erste Versuch war bereits ein voller Erfolg!
Zusammengefasst: in den nur fünf Jahren, in denen CIfA Deutschland nun als Berufsverband aktiv ist, wurden die 2017 genannten, wichtigsten Themen nicht nur angesprochen, sondern auch angepackt. Es werden Lösungswege gesucht und aktiv Schritte unternommen, die Situation zu verbessern und den Beruf lebenswert(er) zu machen. CIfA Deutschland treibt Veränderungen voran – es bewegt sich bereits vieles in der deutschen Archäologie: offene Gespräch über Löhne, Arbeitsbedingungen, die Gründung von Betriebsräten, der Austausch über Missstände, die ersten zarten Entwicklungen hin zu einem erstarkenden Selbstwertgefühl des Berufs Archäologie – all das wäre vor 2017 noch undenkbar gewesen. Es stellt sich also unweigerlich die Frage: Was könnte alles geschafft und bewegt werden, wenn CIfA Deutschland mehr Mitglieder und damit mehr "Man(oder Woman)power" hätte und so noch mehr für den Beruf tun könnte? Klar ist: die Veränderungen werden dann spürbar und nachhaltig, wenn die große Masse der in der Archäologie Tätigen mitzieht – Abwarten und Tee trinken wird hingegen all das ersticken, was jetzt in Bewegung ist … Liebe deutsche Archäologinnen und Archäologen: Veränderung oder Stillstand – es ist eure Wahl!
Mehr Informationen unter https://cifa-deutschland.de
Michaela Schauer M.A. ACIfA ist die Präsidentin von CIfA Deutschland.
2.2 Fünf Jahre Berufsverband. Von Jan Schneider
Im Jahr 2015 kam ich zum ersten Mal beruflich mit der privatwirtschaftlichen Archäologie in Berührung. Bis dahin lagen meine Erfahrungen mit Anstellungsverhältnissen zum einen außerhalb der Archäologie (Bank, IT, Vertrieb), zum anderen insbesondere im Umfeld von Universität und Museum. Mir war zwar bereits zu Beginn meines Studiums bewusst, dass eine unbefristete und tarifliche Anstellung im Bereich Archäologie schwierig zu erreichen ist, doch war ich bis zu diesem Zeitpunkt gewohnt, dass Anstellungsverhältnisse in der Regel gewissen belastbaren Grundlagen, im besten Falle Tarifverträgen, unterliegen und entsprechende Arbeitsbedingungen und Gehälter damit einhergehen.
Die ersten Einblicke in archäologische Arbeitsverhältnisse zeigten mir aber, dass hier in sämtlichen Bereichen durchaus prekäre Situationen herrschten. Als 2017 die "DGUF-Vortagung – Ein Berufsverband für die Archäologie?" startete, erhielt ich durch die dort geposteten Berichte und Diskussionen sowie zusätzliche Gespräche mit Kollegen und meinem Arbeitgeber noch tieferen Einblick in die Probleme, die in unserem Berufsfeld schon seit geraumer Zeit vorherrschen.
Als auf der folgenden Präsenztagung in Mainz ein Vortrag des Chartered Institute for Archaeologists (CIfA) gehalten wurde, der mit dem Angebot einherging, einen deutschen Berufsverband unter dem Dach des international tätigen Instituts zu gründen, war ich froh, dass ein Versuch startete, um etwas an der Situation zu verbessern.
Durch meine Mitarbeit bei CIfA Deutschland im Gründungskomitee und Vorstand zwischen 2017 und 2021 habe ich auf direktem Wege Einblicke in die Entwicklungen seither. Mein Fazit dazu: Es hat sich etwas bewegt. Ein erster wichtiger Schritt ist getan, wir reden (bspw. in diversen Umfragen, Arbeitskreisen, auf Tagungen usw.) offen über Gehälter und Anstellungsverhältnisse und wie sie sich entwickeln sollten. Es sind außerdem wichtige Grundlagen geschaffen worden, die eine Umsetzung dieser Vorstellungen ermöglichen können und sollen. Dennoch ist natürlich der Prozess langwierig und für mich persönlich oft auch frustrierend, weil sich nur langsam etwas bewegt. Vermutlich ist dieser Eindruck "von Außen" noch sehr viel stärker. Aber dazu sollte man sich immer vor Augen halten, dass es kaum möglich ist, etwas in wenigen Jahren vollständig zu verändern, das sich über Jahrzehnte aufgebaut hat. Umso wichtiger ist es, jetzt nicht frustriert aufzugeben, sondern auf dem guten Weg weiterzugehen. Ich erhoffe mir, dass noch mehr Beteiligung von Archäologen an diesen Prozessen zustande kommt, egal ob sie sich als Mitarbeit im Berufsverband oder der Bereitschaft zur offenen Diskussion und konstruktiven Kritik äußert.
Dr. Jan Schneider MCIfA, ist Mitarbeiter der Fachfirma SPAU GmbH in Münzenberg (Hessen).
2.3 Ein Perspektivwechsel. Von Sarah Wolff
"Before you can walk a mile in someone else's shoes, you first have to put them on ..." (Timothy W. Tron)
Es ist eine seltsame Sache mit der Perspektive: Man nimmt Informationen auf, wägt sie ab, bewertet sie, entwickelt daraus ein Weltbild – und im nächsten Augenblick hat sich die Welt weitergedreht, und wir müssen alles neu bewerten. Sind wir mal ehrlich: Fortschritt entsteht nur, wenn wir nicht stillstehen. Wenn wir uns mit der Welt verändern, vor allem aber unsere eigene Position wieder und wieder hinterfragen. Das ist unangenehm, anstrengend, und geliebte Grundsätze über Bord zu werfen, tut manchmal weh.
Dennoch kann Fortschritt nur so funktionieren. Wer stillsteht, schafft keine Innovation, geschweige denn Veränderung. Wer stillsteht, stimmt dem Ist-Zustand zu.
Nicht stillzustehen bedeutet, sich auf einen Perspektivwechsel einzulassen, in die Schuhe eines Anderen zu schlüpfen und die Welt mit seinen Augen zu sehen. Ob Chef oder Angestellter, Grabungsleiter oder Schaufler, Professor oder Praktikant: wir profitieren davon, die Welt mal aus den Augen des jeweils Anderen zu sehen. Das bringt uns voran.
Im Zuge des Hinterfragens meiner Standpunkte habe ich mir irgendwann die Frage gestellt: Wieso halte ich CIfA Deutschland eigentlich für eine Schnapsidee? Sind meine Argumente als CIfA-Kritiker valide?
Mit meiner Kritik an die damals noch ganz junge CIfA-Deutschland Gruppe herangetreten, wurde auf sehr merkwürdige Art reagiert: keine feindselige Haltung, keine Gegenwehr. Sondern die Einladung, mitzumachen, mitzugestalten und die Dinge zu ändern, die ich blöd finde.
Mist. Nur motzen funktioniert hier also nicht. Wenn man mit Dingen nicht einverstanden ist, darf und soll und kann man sie ändern. Das nahm all meiner Kritik den Wind aus den Segeln.
Der Perspektivwechsel hin zu den Leuten, die sich Veränderung wünschen, aber selbst die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen haben und noch nicht genau wissen, wie man das macht – das war kein leichter Schritt, aber er hat Spaß gemacht.
Wenn einem die Marschrichtung nicht gefällt, muss man sie ändern. Dann kann man vom Schaufler zum Grabungsleiter werden, vom Praktikanten zum Professor und vom CIfA-Gegner zum CIfA-Aktiven. Keiner sagt, dass das ein leichter Weg ist, aber es lohnt sich. Kategorisch neue Wege abzulehnen, bringt einen nicht weiter, nicht im Leben und nicht im Job. Die Welt verändert sich, die Archäologie verändert sich, CIfA verändert sich. Hat sich dein Standpunkt auch verändert, oder stehst du noch an dem Punkt von vor fünf Jahren? Wäre es nicht mal Zeit für einen Perspektivwechsel? Sich die Sache nochmal anzusehen und neu zu bewerten?
Wir laden dich ein, dir ein Bild zu machen. Schau dir an, wer wir sind, was wir tun – und gestalte mit, wohin wir gehen. Probier doch mal, ob dir die Schuhe passen. Vielleicht willst du ja doch ein paar Meilen mit uns gehen.
Sarah Wolff, M.A. MCIfA ist Inhaberin der Fachfirma ADW im tauberfränkischen Lauda (Baden-Württemberg) und Vorstandsmitglied beim Berufsverband CIfA Deutschland.
2.4 A Quinquennial Retrospection. By Gerry Wait
A "quinquennial" is a system of managing historic buildings and properties based on a five-year cycle of review and planning – identifying what needs to be done and setting out plans for the work.
The 4th of July 2022 will be exactly five years after the 2017 DGUF conference "Ein Berufsverband für die Archäologie?" held in Mainz. This anniversary comes only a few days after the DGUF Jahrestagung on FAIR data and digital infrastructures for archaeology. Creating scope for action together, identifying potential for 2022 held in Frankfurt - I was pleased to attend and speak at both events.
In the spirit of a quinquennial, we can look back and ask "what has changed in the last five years?". The answer is a great deal – the first conference posed an almost hypothetical question about a role for an entirely new organisation – by the 2022 conference the question had been answered with an emphatic "yes", a new organisation founded and legally-established as a Berufsverband and was holding its own Jahrestagung on the following day. The agenda for the successive 2022 conferences is also illustrative – the first about digital data structures and the second on issues of health and safety and pay and conditions for archaeologists – all issues of importance in an increasingly self-organised professional sphere. A remarkable progress in just five years.
The second aspect of a quinquennial is to set a plan for work in the future. Here my lack of predictive abilities limits what I can offer. I am sure that digital data management, health and safety, and pay and conditions will all still be on the agenda – or at least they have all recurred on UK conferences agenda throughout my career. One matter that is well served by the continuing cooperation between DGUF and the new CIfA Deutschland is the ability to balance concerns over the more business-professional issues about how archaeologists do archaeology, and the wider why we do archaeology and why we need to define what we think of as our end results, and who should benefit from all our labours.
Gerry Wait BA MA DPhil RPA MCIfA FSA. GWHeritage and former Chair, Chartered Institute for Archaeologists
2.5 Relationship guidance in archaeology. By Peter Hinton
I have been asked to provide some thoughts on the fifth anniversary of the DGUF conference "Ein Berufsverband für die Archäologie?" in Mainz – "no grave words, no major resumée" are my instructions.
That’s good. There are many important corporate statements that could be made about CIfA and DGUF, but I keep thinking about a conversation we had in a DGUF/CIfA liaison meeting earlier this year, which I found very upsetting.
Remember, DGUF and CIfA got to know each other seriously in the 2000s, and we knew we really liked each other by 2013. We spent a lot of time talking, notably our shared interest in providing a professional body for any German archaeologists that wanted one. By the 2017 conference we were definitely going out together. The very positive feedback from the conference (about some very negative problems in German archaeology) allowed us to hold hands in public. In 2018 DGUF and CIfA signed a formal Memorandum of Understanding, and saw the founding of CIfA Deutschland. Maybe the marriage and the child didn’t come in quite the right order, but who worries about that these days? We celebrated both.
We’ve been working together supporting an increasingly independent and confident CIfA Deutschland, and we’re very proud of it. It has changed so fast, and CIfA at least has had trouble keeping up. Practical arrangements we thought would work, didn’t. Statements that we thought were clear were misunderstood. Everything gets resolved, but I was taken aback when told, "We’ve been wondering if CIfA still believes in CIfA-Deutschland as much as it did". I was upset to be asked this; but I shouldn’t have been. When had we last confirmed CIfA’s long-term commitment to the relationship? In 2017-18 it was all hopes and dreams, and it was lovely. Now we’re in the phase of a relationship where we have responsibilities and chores, practical grit gets into the gearbox, and CIfA forgot to say, "I love you." I’m glad I got upset because I needed to have my mistake pointed out, and I’ve started to address it. I’ll say it here again: the bond between CIfA and DGUF that became public after the Mainz conference is strong, caring and respectful – and we’re so proud of the kid! Just because you insist in putting the toothpaste away in the wrong place, and I don’t know how many times I’ve asked you not to, doesn’t mean I’m moving out.
I shouldn’t trivialise. CIfA is invested in German archaeology. Tell us what more we should do. We are astounded by the energy and effectiveness of DGUF and full of hopes for CIfA Deutschland and its amazing committee and helpers. It’s been a great but busy four years since our relationship became obvious. Personally, I’ve enjoyed (almost) every moment of it, and in addition to my admiration for DGUF I’ve realised that Diane and Frank are friends that I want to treasure forever. Said it now.
Peter Hinton MCIfA, Chief Executive Chartered Institute of Archaeologists (CIfA)
2.6 Fünf Jahre seit der "Mainzer Tagung" zum Thema Berufsverband: Über einen Kulturwandel. Von Diane Scherzler und Frank Siegmund
Die Mainzer DGUF-Tagung 2017 und die aus ihr resultierende Gründung von CIfA Deutschland weniger als ein Jahr später waren der Kulminationspunkt einer vorangehenden, kurzen und intensiven Debatte um den Themenkreis Berufsverband, Gewerkschaft, Arbeitgeberverband usw. Auslöser hierfür waren wiederum schwierige, belastende Verhältnisse rund um den Beruf Archäologie, gravierende Dysfunktionalitäten. Inzwischen fällt es schwer, sich an die Zeit "davor" zu erinnern, so wirksam und nachhaltig hat CIfA-Deutschland die Folgezeit geprägt. Die empirischen Untersuchungen der DGUF (EvaBA, Monitoring privatwirtschaftliche Archäologie, Studierendenzahlen) haben diese Zeit mitgeprägt und den Boden bereitet: Dass aktuell ca. die Hälfte aller berufstätigen Archäologen und Archäologinnen in der unternehmerischen Archäologie beschäftigt sind, dass dort (anders als in der Verwaltungsarchäologie) unbefristete Anstellungen dominieren, dass der privatwirtschaftliche Arbeitsmarkt stetig wächst und Hände ringend Nachwuchs sucht - das ist heute Allgemeinwissen. Vor allem auch bei den Studierenden, die in Konsequenz nunmehr von ihren Universitäten fordern, besser "für die Praxis" ausgebildet zu werden, und ganz konkret, dass Praktika bei Firmen gleichwertig anzuerkennen seien wie universitäre Lehrgrabungen. CIfA Deutschland prägt die aktuellen Debatten: man spricht wie selbstverständlich über Arbeitssicherheit, man spricht - erstmals öffentlich - über Geld und handelt Branchenlöhne miteinander aus. Mehr noch: die britischen Kollegen beäugen staunend den Prozess der Lohndebatte in Deutschland, der bei ihnen selbst einstweilen gescheitert ist: Kann man von den deutschen Kollegen lernen? Qualitätssicherung und Zertifizierung - vor kurzem noch Fremdwörter in der Archäologie - sind dabei, nicht nur selbstverständlich zu werden, sondern Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg. Große Investoren, die derzeit unter hohem Zeitdruck gewaltige Stromtrassen durch Deutschland planen und verlegen, erklären, dass ihnen die Archäologie, deren Qualität und Verlässlichkeit wichtig seien und daher akkreditierte Firmen besonders begehrte Konsortialführer seien. Obwohl das Häuflein der wild Entschlossenen, sprich: der handfesten Mitglieder von CIfA Deutschland, weiterhin (zu) klein geblieben ist (ca. 60 Mitglieder), bündeln sich die Debatten um notwendige Verbesserungen in der Grabungsarchäologie rund um CIfA. Blicken wir noch einmal zurück auf die Debatten 2016/17: Andere Aktive wollten einen kraftvollen Unternehmerverband gründen; eine Kammer gründen; eine Gewerkschaft für alle Archäologen finden; einen bestehenden "Berufsverband" zu einem auch in der Grabungsarchäologie relevanten Berufsverband machen. Wo haben diese - interessanten und durchaus nachvollziehbaren - Überlegungen fünf Jahre später Gestalt angenommen und Wirkung entfaltet? Auf der Mitte 2022 von DGUF und CIfA Deutschland gemeinsam veranstalteten Berufsmesse (auch das verdient ein Ausrufezeichen) in Frankfurt war von all diesen alternativen oder ergänzenden Ansätzen keine Rede mehr, vielmehr bestimmen CIfA Deutschland und der Gedanke eines gemeinsamen Berufsverbandes an Stelle der im 19. Jahrhundert entstandenen Dualität Arbeitgeber - Arbeitnehmer die Gespräche. Nennen wir das beim Namen: wir erleben einen Kulturwandel. Das neue Prestigeprojekt der deutschen Archäologie, NFDI4Objects, präsentiert sich bei CIfA Deutschland und den Archäologieunternehmern mit einem eigenen Stand plus Debattenforum auf der Berufsmesse . Dies ist nur richtig!, denn die Masse der Daten der Archäologie wird hier, in der unternehmerischen Archäologie geschürft. Fünf Jahre nach dem Startup auf der Mainzer DGUF-Tagung darf man bilanzieren: CIfA Deutschland und die Idee eines Berufsverbandes waren kein folgenloses "man müsste mal", sondern ein handfester Plan, der in kurzer Zeit vieles erreicht hat und sukzessive weitere Wirkung entfaltet. Der DGUF-Vorstand gratuliert: ad multos annos!
Diane Scherzler M.A. und PD Dr. Frank Siegmund MCIfA sind Vorstandsmitglieder der DGUF und haben die DGUF-Tagung 2017 "Ein Berufsverband für die Archäologie?" veranstaltet.
3 Tagungen und Veranstaltungen
3.1 "Archäologie im Ehrenamt" (Onlinevortrag, 12.7.)
Ehrenamtliche Mitarbeit hat in der Archäologie eine lange Tradition, auch in Deutschland. Im Vergleich zu anderen Ländern, wie Großbritannien etwa, ist diese Bürgerbeteiligung hierzulande zum einen jedoch weit weniger sichtbar und zum anderen in der archäologischen Forschung auch oft kein Thema. Katharina Möller (CIfA), die sich mit der Thematik im Rahmen einer Dissertation beschäftigt, spricht in diesem Vortrag sowohl über Bürgerbeteiligung an sich, als auch über die gesammelte Erfahrung mit einem nicht ganz alltäglichen Dissertationsthema. Der Abendvortrag wendet sich an junge FachkollegInnen, an ehrenamtliche tätige ArchäologInnen und an alle, die mit Ehrenamtlichen arbeiten. Er ist Teil der gemeinsamen Veranstaltungsreihe von DGUF und CIfA Deutschland. Die Teilnahme ist kostenlos und unabhängig von einer Mitgliedschaft.
Zur Anmeldung: https://dguf.de/service/events/16-archaeologie-im-ehrenamt
3.2 "Die Trichterbecherkultur und das Neolithikum in Niedersachsen" (Meppen, Juni 2023; CfP bis 15.11.)
Die Archäologische Kommission Niedersachsen hat auf ihrer Mitgliederversammlung 2022 in Bad Bederkesa beschlossen, die künftigen Tagungen früher als bisher anzukündigen und um Beiträge in Form von Vorträgen und Posterpräsentationen zu bitten. Sie setzt dies sogleich um: Die nächste Tagung der AK Niedersachsen findet zwischen dem 15. und 17.6.2023 in Meppen /Emsland statt, Thema ist: "Die Trichterbecherkultur und das Neolithikum in Niedersachsen". Vorschläge für einen Vortrag oder eine Posterpräsentation mit Titel, einer aussagekräftigen Zusammenfassung von max. 200 Wörtern, einer Kurzbiografie (max. 5 Zeilen) und Kontaktdaten sind mit dem Betreff "AK-Tagung 2023-Meppen" bis zum 15.11.2022 herzlich willkommen:
3.3 14. Tage bzw. 1. Rainer-Hannig-Tage der Ägyptologie (Brenkhausen, 19.-21.8.)
Die 100-jährige Entdeckung von Tutanchamuns Grab und die Entzifferung der Hieroglyphen vor 200 Jahren sind Jubiläen, die bei den kommenden Tagen der Ägyptologie thematisiert werden. U. a. wird Henning Franzmeier (Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim) über die aktuellen Ausgrabungen in der Ramses-Stadt berichten, Dietrich Raue (Universität Leipzig) referiert über seine Arbeit in Heliopolis, und der Ägyptologe und Lehrer Frederic Laudenklos spricht über Chancen und Grenzen des Themas Altägyptische Geschichte im Schulunterricht.
Tagungswebsite: http://egyptainment.de/TdAe/
"Die 14. Tag der Ägyptologie = die 1. Rainer-Hannig-Tage der Ägyptologie" (Selket's Blog, 3.7.): https://blog.selket.de/aegyptomanie/die-14-tag-der-aegyptologie-die-1-rainer-hannig-tage-der-aegyptologie
4 Forschung
4.1 Neu im Early View der "Archäologischen Informationen"
Karl, R. (2022). Amtliche Grabungsrichtlinien versus Norm – Ein Vergleich der Genese und Rechtskraft am Beispiel der Richtlinien des österreichischen Bundesdenkmalamtes. Archäologische Informationen 45, Early View, online publiziert 2. Juli 2022.
https://www.dguf.de/early-views
4.2 Aktuelle Ausgrabungen und Forschung in den Medien
"Archäologen erforschen alte Stadtmitte Altonas" (NDR, 30.6.): https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Ausgrabungen-Archaeologen-erforschen-alte-Stadtmitte-Altonas,altona818.html
"Humans dated back to the Arctic for over 40,000 years. Human traces on reindeer antlers suggest that humans have been in the Arctic for over 40,000 years" (The Barents Observer, 30.6.): https://thebarentsobserver.com/en/arctic/2022/06/humans-dated-back-arctic-over-40000-years
Sterkfontein: "Fossils in the 'Cradle of Humankind' may be more than a million years older than previously thought" (Purdue University, 30.6.): https://www.purdue.edu/newsroom/releases/2022/Q2/fossils-in-the-cradle-of-humankind-may-be-more-than-a-million-years-older-than-previously-thought.html
"Une occupation antique aux pieds des cols de Manse et Bayard (Hautes-Alpes). À Saint-Laurent-du-Cros, les recherches archéologiques en cours ont permis de mettre au jour une occupation romaine, datée entre le IIe et le IVe siècle de notre ère" (INRAP, 29.6.): https://www.inrap.fr/une-occupation-antique-aux-pieds-des-cols-de-manse-et-bayard-hautes-alpes-16551
"Divers recovered giant head of Hercules from Antikythera shipwreck in Greece. Over several expeditions, divers have recovered statues, jewelry, and human remains" (Ars Technica, 23.6.): https://arstechnica.com/science/2022/06/the-antikythera-shipwreck-in-greece-continues-to-yield-priceless-treasures/
"Olive Trees Were First Domesticated 7,000 Years Ago. Earliest evidence for cultivation of a fruit tree, according to researchers" (Tel Aviv University, 21.6.): https://english.tau.ac.il/olive-trees-domesticated
Bronzezeit/Irland: "Fortress dating back to between 800 and 1200BC an 'incredible find'" (RTÉ, 20.6.): https://www.rte.ie/news/regional/2022/0619/1305770-bronze-age-monument-discovered/
"Funde belegen reges königliches Investment. Neue Zeugnisse aus der Tempelstadt Heliopolis entdeckt" (Universität Leipzig, 17.6.): https://www.uni-leipzig.de/newsdetail/artikel/neue-zeugnisse-aus-der-tempelstadt-heliopolis-entdeckt-2022-06-17
4.3 Fast vollständig erhaltene römische Tempelanlage im Osten der Niederlande freigelegt
Bei Nimwegen, direkt an der deutschen Grenze nahe Emmerich und ganz nah am Limes, wurde eine römische Tempelanlage vollständig ausgegraben. Entdeckt wurden Opferstätten, zahlreiche kleine Altäre, Götterstatuen und bemalte Wände. In der Gegend waren vom 1. bis 4. Jh. römische Soldaten stationiert. Ehrenamtliche hatten die Behörden auf den Befund aufmerksam gemacht. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/tempelanlage-niederlande-101.html
4.4 Neue Erkenntnisse zum frühesten Acheuléen in Großbritannien
Bereits vor etwa 560.000 bis 620.000 Jahren haben sich Menschen im Süden Großbritanniens aufgehalten. Einhundert Jahre, nachdem in einem alten Flussbett nahe Canterbury (England) erstmals Steinwerkzeuge entdeckt wurden, führten nun weitere Ausgrabungsarbeiten eines internationalen Forschungsteams unter der Leitung der University of Cambridge und moderne Datierungsmethoden zum Beleg, dass Homo heidelbergensis damals das südliche Britannien (das noch mit Europa verbunden war) bewohnte und schon zu diesem frühen Zeitpunkt Tierhäute be- und verarbeitete. Die Steinartefakte wurde mit der Infrarot-Radiofluoreszenz-Datierung (IR-RF) altersbestimmt. "Das ist das Wunderbare an dieser Fundstätte in Kent", sagt Tobias Lauer (Universität Tübingen), der die Datierung der Fundstelle leitete. "Die Artefakte befinden sich genau dort, wohin der alte Fluss sie getrieben hat. Somit können wir sicher sagen, dass sie hergestellt wurden, bevor sich der Fluss in einen anderen Bereich des Tals verlagerte." Der Fundort am Standrand von Canterbury ist nun eine der frühesten bekannten paläolithischen Stätten in Nordeuropa. Die am 22.6. in "Royal Society Open Science" veröffentlichte Studie weist darauf hin, dass frühe Menschen bekanntermaßen bereits vor 840.000 und möglicherweise vor 950.000 Jahren in Großbritannien lebten, dass diese frühen Besuche jedoch nur flüchtig waren. Kaltzeiten vertrieben menschliche Populationen wiederholt aus Nordeuropa. Auf eine Wiederbesiedlung Großbritanniens während der Warmzeit vor 560.000 bis 620.000 Jahren deutete bisher nur wenig hin.
Alastair Key, Tobias Lauer, Matthew M. Skinner, Matthew Pope, David R. Bridgland, Laurie Noble and Tomos Proffitt: On the earliest Acheulean in Britain: first dates and in-situ artefacts from the MIS 15 site of Fordwich (Kent, UK). Royal Society Open Science, 22.6. https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rsos.211904
"Canterbury suburbs were home to some of Britain’s earliest humans, 600,000-year-old finds reveal" (University of Cambridge, 22.6.): https://www.cam.ac.uk/stories/canterbury-suburbs-home-to-early-humans
"Britanniens früheste Menschen. Homo heidelbergensis könnte vor 560.000 bis 620.000 Jahren im Süden Großbritanniens gelebt haben" (MPG, 22.6.): https://www.mpg.de/18833127/0621-evan-britanniens-frueheste-menschen-150495-x
5 Archäoinformatik
5.1 Gutes englischsprachiges R-Lehrbuch von Fr. E. Harrell
Der bekannte Biostatistiker Frank E. Harrell (Univ. Nashville) hat ein anspruchsvolles R-Lehrbuch im Open Access veröffentlicht. Es vermittelt saubere, reproduzierbare statistische Analysen mit R. Das Buch versucht, einen kompletten Forschungsprozess abzubilden, mit Daten einlesen, Daten aufbereiten, Umgang mit fehlenden Daten usw. Es geht stets um R & angewandte Statistik, aber das Buch ist kein Statistik-Lehrbuch (dazu: Harrell, 27.6.2022), sondern ein R-Lehrbuch, organisiert entlang eines typischen Forschungsprozesses. Es eignet sich sehr gut zum Selbststudium. Doch so freundlich, logisch und anregend das Buch auf den ersten Blick daherkommt: es ist keine locker-flockige erste Einführung in R für Neugierige. Vielmehr verlangt es von Anbeginn an volle Konzentration und engagiertes Mitmachen. Das Durch- und Nacharbeiten der 19 Kapitel dürfte pro Kapitel länger dauern als die üblichen 90 Minuten eines Face-to-Face-Kurses. Wer konzentriert nach und nach in Summe ca. zehn Arbeitstage in diesen Weg investiert, kann am Ende sehr viel R und ist selbständig - soweit man das bei R je sein kann. Harrell hat sein Buch im derzeit gehypten "Quarto" geschrieben, das als Schreibtool RMarkdown ablösen möchte. Über einen Schalter "<Code>" kann man jederzeit statt des Textes den Quarto-Code einsehen, d. h. Harrells Buch auch dazu nutzen, sich einen Eindruck von Quarto zu verschaffen.
Harrell, Fr. E. jr. (1.7.2022). R Workflow: R Workflow for Reproducible Data Analysis and Reporting: https://hbiostat.org/rflow/
Harrell, Fr. E. jr. (27.6.2022). Biostatistics for Biomedical Research. https://hbiostat.org/bbr/
Blog von Fr. E. Harrell: https://www.fharrell.com/
6 Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI)
6.1 Expertengremium "Nationale Forschungsdateninfrastruktur" empfiehlt Förderung von NFI4Objects
Das Expertengremium "Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI)" hat über alle Konsortien-Anträge der dritten Ausschreibungsrunde beraten und am 28.6. das Ergebnis mitgeteilt. Hiernach empfiehlt das Gremium der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) sieben Anträge zur Förderung, darunter ist auch NFDI4Objects, also die Forschungsdateninfrastruktur für die materiellen Hinterlassenschaften der Menschheitsgeschichte. Die abschließende Entscheidung über die Förderung trifft die GWK, eine Rückmeldung hierzu ist voraussichtlich Ende November 2022 zu erwarten. Die beim DAI angesiedelte Koordinationsgruppe für NFDI4Objects beginnt nun mit der Vorbereitung der operativen Phase, um im Fall einer Förderung einen reibungslosen Projektstart am 1.1.2023 sicherzustellen. "Wir freuen uns sehr über das Erreichen dieses wichtigen Teilziels!", kommentiert der DGUF den jetzigen Erfolg. "Es besteht nun berechtigte Hoffnung, dass ab 2023 auch die DGUF-Anliegen in NFDI4Objects umgesetzt werden können: Eine auf die Community zugeschnittene Melde-App für Ehrenamtliche und eine frühzeitige Integration der Bedarfe der privatwirtschaftlichen Archäologie in das Gesamtvorhaben. Schließlich bietet NFDI4Objects die Chance einer Vereinheitlichung der Regelwerke und Datenformate - was seit langem ein wichtiges Anliegen all jener Unternehmen ist, die über Bundeslandgrenzen hinweg tätig sind."
7 Kulturgutschutz
7.1 Aktuelles rund um Kulturgutschutz in den Medien
Australien: "Älteste Bestattungen des Homo sapiens - aus gutem Willen (?) eingegraben und vernichtet" (Archaeologik, 30.6.): https://archaeologik.blogspot.com/2022/06/alteste-bestattungen-des-homo-sapiens.html
"Monitoring zu Schäden an Kulturgütern in der Ukraine" (VdA-Blog, 28.6.): https://www.vda-blog.de/blog/2022/06/28/monitoring-zu-schaeden-an-kulturguetern-in-der-ukraine/
"Antiquities trafficking case escalates as Louvre Abu Dhabi joins civil action and Swiss collector files criminal complaint. In wake of scandal involving former Louvre director, France's culture minister forms taskforce to assess acquisitions procedures at museums" (The Art Newspaper, 10.6.): https://www.theartnewspaper.com/2022/06/10/antiquities-trafficking-case-escalates-as-louvre-abu-dhabi-joins-civil-action-and-swiss-collector-files-criminal-complaint
"Climate Change Threatens Archaeology. Researchers’ number-one fear from Syria to Afghanistan is not war or terrorism but the coming shifts in nature itself" (New Lines Magazine, 8.6.): https://newlinesmag.com/reportage/climate-change-threatens-archaeology/
"Trafic d’antiquités au Louvre Abou Dhabi: l’Agence France Muséums au cœur du scandale" (Libération, 8.6.): https://www.liberation.fr/societe/police-justice/trafic-dantiquites-au-louvre-abou-dhabi-lagence-france-museums-au-coeur-du-scandale-20220608_GQQG3NEFVFBX3IXVEQEZVWI4J4/
"Egyptian antiquities connected to international trafficking ring seized from Metropolitan Museum in New York. Five objects worth more than €3m have been confiscated by authorities as part of a wide-ranging global investigation involving former Louvre director Jean-Luc Martinez" (The Art Newspaper, 1.6.): https://www.theartnewspaper.com/2022/06/01/egyptian-antiquities-connected-to-international-trafficking-ring-seized-at-metropolitan-museum-in-new-york
7.2 Benin-Bronzen gehen in das Eigentum der Bundesrepublik Nigeria über
Am 1.7. unterzeichneten die Bundesrepubliken Nigeria und Deutschland eine Absichtserklärung, der zufolge das Eigentumsrecht an den sog. Benin-Bronzen an Nigeria übergeht. Zwei der Bronzen aus dem Ethnologischen Museum in Berlin nahmen die Abgesandten der nigerianischen Regierung bei der Rückreise mit. Die übrigen ca. 1.100 Bronzen bleiben vorerst in Deutschland, jedoch fortan als Leihgaben Nigerias. "Das ist nicht nur ein Tag der Freude, sondern wir heilen damit auch eine Wunde", so Außenministerin Annalena Baerbock, die zusammen mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth und ihren nigerianischen Kollegen die Erklärung unterzeichnete. "Wir stellen uns - endlich, muss man sagen - unserer Kolonialgeschichte." Das sei keine Geste, sondern das sei ein Stück Gerechtigkeit. Nigerias Kulturminister Lai Mohammed bezeichnete diesen Tag als Beginn einer neuen Ära in der Zusammenarbeit beider Länder. Die wertvollen, bis zu 600 Jahre alten Bronzen standen einmal als Schmuck oder zum Gedenken im Palast des damaligen Königreichs Benin, bevor Briten die Objekte Ende des 19. Jahrhunderts raubten und teilweise an deutsche Sammler und Museen verkauften.
"Wir heilen damit eine Wunde" (Tagesschau, 1.7.): https://www.tagesschau.de/inland/rueckgabe-benin-bronzen-105.html
"Kunst aus Kolonialgebieten: Erklärung zur Rückgabe der Benin-Bronzen" (Tagesschau, 1.7.; Video, 2:02 Min.): https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-1053779.html
"Historische Rückgabe von Bronzen an Nigeria" (Auswärtiges Amt, 1.7.): https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/themen/kultur-und-gesellschaft/-/2540200
"Einigung mit Nigeria über Rückgaben von Benin-Bronzen" (Westdeutsche Zeitung, 28.6.): https://www.wz.de/kultur/einigung-mit-nigeria-ueber-rueckgaben-von-benin-bronzen_aid-72072125
7.3 165 Paletten mit Verpackungs- und Hilfsmaterialien für Museen, Archive, Bibliotheken und Denkmäler in die Ukraine versandt
Über das von DAI und dem Projekt KulturGutRetter etablieren Logistiknetz für Hilfslieferungen zum Schutz von ukrainischem Kulturgut (DGUF-Newsletter vom 13.5.2022 Punkt 4.3.) sind im Juni in einer ersten Lieferung 165 Paletten nach Kiew verschickt worden. Sie enthalten Verpackungs- und Hilfsmaterialien wie Luftpolsterfolie, Seidenpapier, Archivkartons, Feuerlöscher und Sandsäcke. In deutschlandweiten Spendenaktionen kamen bereits umfangreiche Geld- und Sachspenden zusammen. Auch weiterhin werden Material- und Geldspenden entgegengenommen: "Blue Shield" ist dankbar für Geldspenden und kann diese als e. V. auch entgegennehmen. Materialspenden können bundesweit an Sammelstellen der Notfallverbünde abgegeben werden; konkrete Bedarfe finden Sie in unten stehendem Artikel verlinkt. Mehr als 400 Museen, 3.000 Kulturstätten und sieben Welterbestätten sind durch den Krieg gegen die Ukraine massiv bedroht.
"Große Hilfslieferung zum Schutz von Kulturgut an Ukraine versendet" (KulturGutRetter, 22.6.): https://www.kulturgutretter.org/grosse-hilfslieferung-zum-schutz-von-kulturgut-an-ukraine-versendet/
8 Beruf Archäologie
8.1 Vorankündigung: Marktanalyse für archäologische Dienstleistungen im SuedLink (TransnetBW)
Die folgende Information des SuedLink-Archäologie-Teams ist von besonders hohem Interesse für viele unserer Leserinnen und Leser; wir geben sie daher im Wortlaut wieder: "SuedLink verbindet künftig Windparks im Norden, Wasserkraftwerke in Skandinavien und Solarparks in Süddeutschland. Das Netzausbauvorhaben erstreckt sich über knapp 700 Kilometer und besteht aus zwei Gleichstrom-Übertragungsleitungen, die durchgehend als Erdkabel geplant und gebaut werden. Mit einer Kapazität von vier Gigawatt können so zukünftig zehn Millionen Haushalte mit Strom versorgt werden. SuedLink wird von den beiden Übertragungsnetzbetreibern TenneT und TransnetBW umgesetzt. Die Planung und der Bau werden durch ein archäologisches Fachmanagement begleitet. – Eine Prior Indicative Notice (PIN) für eine vorläufige Marktanalyse für archäologische Dienstleistungen im TransnetBW Asset steht jetzt auf der Tender-Daily-Europe-Website zur Verfügung und kann dort abgerufen werden. Die PIN ist der erste Schritt einer europaweiten Ausschreibung und wird durch einen Information Pack begleitet, der ebenso über den Link abrufbar ist. TransnetBW, der Vorhabenträger im südlichen Asset des Projekts, in dem diese archäologischen Arbeiten geplant sind, bietet zusätzlich einen 'Information Day' im Online Format an. Dieser findet voraussichtlich im August 2022 statt. Informationen zu dem Event und der Anmeldung können ebenfalls über diese Links abgerufen werden. – SuedLink has published a PIN for preliminary market consultation for archaeological services on the southern section of the SuedLink project between Niedersachsen (Lower Saxony) and Bayern (Bavaria). The PIN can be found at https://ted.europa.eu/udl?uri=TED:NOTICE:315592-2022:TEXT:EN:HTML"
8.2 Privatwirtschaftliche Archäologie in Großbritannien wächst stark, Unternehmer signalisieren weiteres Wachstum für 2022
Das Beratungsunternehmen Landward Research (Kenneth Aitchison, Doug Rocks-Macqueen) hat im Auftrag des Unternehmerverbandes FAME, des Berufsverbands CIfA und von Historic Environment Scotland den archäologiebezogenen Arbeitsmarkt in Großbritannien untersucht. Landward Research führt solche Untersuchungen seit 2008 durch, die aktuelle Studie betrifft den Zeitraum April 2020 bis März 2021, sie deckt also das erste Jahr der Coronapandemie samt deren ökonomischer Auswirkungen ab. Die Zahlen beruhen auf 41 Antworten der 107 angeschriebenen Unternehmen (38 %). Wie auch in Deutschland war diese Zeit in Großbritannien mit einem starken Wachstum der Branche verbunden, in Anzahl der Angestellten, des Umsatzes und der Rendite. Im Berichtszeitraum arbeiteten 4.700 Menschen in der privatwirtschaftlichen Archäologie Großbritanniens, ein Plus von 7,4 % gegenüber dem Vorjahr. Seit 2014 wachsen die Mitarbeiterzahlen stetig. 85 % der Mitarbeiter haben unbefristete Verträge inne - eine weitgehend konstante Quote gegenüber dem Vorjahr. 86 % der Mitarbeiter stammen aus Großbritannien, 11 % aus EU-Staaten. Der Jahresumsatz pro Mitarbeiter lag bei 52.528 Pfund (ca. 66.050 Euro), die Umsatzrendite bei ca. 7 %. Das Lohnniveau hat sich 2020/21 gegenüber dem vorigen Zeitraum nicht verändert. 81 % aller Firmen erwarten für das kommende Geschäftsjahr eine Verbesserung der Marktlage, 68 % planen, weitere Mitarbeiter einzustellen. Alles in allem ein den Entwicklungen in Deutschland vergleichbares Bild, wobei jedoch der Umsatz pro Mitarbeiter in Großbritannien um ca. 16.000 Euro höher ist als in Deutschland.
"State of the Archaeological Market 2021" (Landward Research, 23.6.): https://landward.eu/blog/state-of-the-archaeological-market-2021/
Aitchison, K. & Rocks-Macqueen, D. (2022). State of the Archaeological Market 2021. Sheffield: Landward Research. https://famearchaeology.co.uk/wp-content/uploads/2022/06/State-of-the-Archaeological-Market-2021-2.pdf
Siegmund, F. & Scherzler, D. (2022). Zu geringes Lohnwachstum trotz Arbeitskräftemangels und zweistelliger Wachstumsraten bei Umsatz und Mitarbeitern – DGUF-Monitoring-Report privatwirtschaftliche Archäologie 2021. Archäologische Informationen 45, Early View, online publiziert 6. Juni 2022. https://dguf.de/fileadmin/AI/archinf-ev_siegmund_scherzler2.pdf
8.3 Raimund Karl: Norm statt Grabungsrichtlinien
Der neue Aufsatz von Raimund Karl bezieht sich auf Österreich, genauer die Grabungsrichtlinien des österreichischen Bundesdenkmalamts (BDA). Karl beleuchtet deren Rechtskraft sowie fachliche und soziale Stellung. Danach gälten die Richtlinien für alle, die sich ihnen unterwerfen wollen. Wer förmlich eine Grabungsgenehmigung beim BDA beantrage, könne zugleich beantragen, dass in seinem Fall die Richtlinien nicht gelten, d. h. aus wissenschaftlichen Gründen ein abweichendes Vorgehen und Dokumentationsverfahren gewählt wird. Er könne dennoch eine Grabungsgenehmigung erhalten. Karl macht einen interessanten konstruktiven Vorschlag zur Lösung der bestehenden Probleme rund um die Richtlinien des BDA: an die Stelle von stets hinterfrag- und unterlaufbaren amtlichen Richtlinien ein Normungsverfahren zu setzen. Womit er den Vorschlag von Anonymus (2022), Richtlinien gemeinsam zu erarbeiten, "verlängert" und dem Prozess einen geordneten Rahmen bietet. Denn sowohl in Österreich (ÖNorm) als auch in Deutschland (DIN) gibt es rechtlich wie sozial gut etablierte Verfahren für Normungen. Karls auf Österreich bezogene Aufsatz ist daher auch für deutsche Leser von hohem Interesse: 1 DIN-Norm statt 18 landesherrlicher Richtlinien - das wäre für alle über Ländergrenzen hinweg agierende Grabungsfirmen eine starke (auch geldwerte) Verbesserung ihrer Dokumentationsprozesse. Doch nicht nur! Forschende müssten sich in eine Dokumentationsweise einarbeiten, statt in viele. Projekte wie NFDI4Objects fänden weitaus klarere Schnittstellen als bisher vor, um den Daten noch mehr Nachhaltigkeit und Vernetzbarkeit zu geben. Mehr noch: das Erstellen guter Grabungsrichtlinien und vor allem deren Aktuell-Haltung ist für Landesarchäologien ein Kraftakt. Warum eine wichtige Arbeit 18 Mal tun, wenn man es auch 1 Mal tun könnte? Warum die Arbeit alleine tun, wenn man dank der im Normungsverfahren verpflichtend gebotenen Hinzuziehung weiterer Experten die Arbeit auf weitaus mehr Schultern verteilen könnte? Kurz: der Vorschlag von Karl, Grabungsdokumentationen via Normungsverfahren zu regulieren, enthält viel Potenzial, fachliche Standards zu verbessern, den sozialen Frieden zu erhöhen und den Arbeitsaufwand der einzelnen Landesämter erheblich zu senken.
Karl, R. (2022). Amtliche Grabungsrichtlinien versus Norm – Ein Vergleich der Genese und Rechtskraft am Beispiel der Richtlinien des österreichischen Bundesdenkmalamtes. Archäologische Informationen 45, Early View, online publiziert 2. Juli 2022. https://dguf.de/fileadmin/AI/archinf-ev_karl.pdf
BDA (2022). Richtlinien Archäologische Maßnahmen. 6. Fassung (1. Januar 2022). Wien: Bundesdenkmalamt. https://www.bda.gv.at/service/publikationen/standards-leitfaeden-richtlinien/richtlinien-archaeologie-massnahmen.html#:~:text=Die%20Richtlinien%20Arch%C3%A4ologische%20Ma%C3%9Fnahmen%20bieten,auf%20organisatorische%20und%20denkmalrechtliche%20Notwendigkeiten
Anonymus (2021). Die Grabungsrichtlinien 2021 der LWL-Archäologie für Westfalen – wie verbindlich sind Durchführungsvorschriften? Archäologische Informationen, 44, 57-66. https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/arch-inf/article/view/89123
8.4 BAföG-Sätze werden erhöht und mehrere Freibeträge angehoben
Der Bundestag hat im Juni eine Anhebung der BAföG-Sätze und eine Erweiterung des Berechtigten-Kreises beschlossen. Der Förderungshöchstsatz des BAföG inkl. Wohnkostenzuschlag steigt zum Wintersemester von 861 Euro auf 934 Euro - eine Steigerung von mehr als acht Prozent. Außerdem erhalten alle BAföG-Geförderten, die auswärts wohnen, die Einmalzahlung für einen Heizkostenzuschuss in Höhe von 230 Euro. Auch werden verschiedene Freibeträge angehoben. Das Deutsche Studentenwerk, der Freie Zusammenschluss von Student*innenschaften (FZS) und die DGB-Jugend empfinden die Beschlüsse jedoch als unzureichend. Der Paritätische Wohlfahrtsverband verwies darauf, dass fast jeder zweite Studierende mit BAföG-Bezug unter der allgemeinen Armutsschwelle liege.
"Beschluss des Bundestags: BAföG wird erhöht und ausgeweitet" (Tagesschau, 23.6.): https://www.tagesschau.de/inland/bundestag-bafoeg-103.html
"Bundestag verabschiedet 27. BAföG-Novelle" (Deutscher Bundestag, 23.6.): https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw25-de-bundesausbildungsfoerderungsgesetz-897822
"BAföG-Reform 2022: Die wichtigsten Änderungen" (BMBF, 23.6.): https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/faq/220623-bafoeg.html
8.5 "Prix européen d'archéologie Joseph Déchelette" für Thibaud Poigt
Seit 2015 gibt es den Archäologiepreis zur Nachwuchsförderung, den das RGZM in Kooperation mit dem französischen Kulturministerium, dem Forschungszentrum von Bibracte, der Association Joseph Déchelette und weiteren Museen eingerichtet hat. Mitte Juni wurde nun Thibaud Poigt (Universität Toulouse) für seine Dissertation "Les instruments de pesée en Europe occidentale aux Âges des Métaux (XIVe-IIIe s. av. n.è.). Conception, usages et utilisateurs" ausgezeichnet. In ihr untersucht Poigt die Entwicklung einer Wertermessung in Gesellschaften ohne Schrift und institutionalisierte Geldsysteme, die also mit Waagen, Gewichten sowie Zähl- und Messkonzepten arbeiteten. Das RGZM lobte den originellen Ansatz der Arbeit, die wissenschaftliche Sorgfalt und den internationaler Blickwinkel. Neben dem Fördergeld von 10.000 Euro steht dem Preisträger die wissenschaftliche Infrastruktur, inklusive Forschungsaufenthalte, der Partnerinstitutionen zur Verfügung.
"'Europäischer Archäologiepreis Joseph Déchelette' fördert zum vierten Mal exzellenten wissenschaftlichen Nachwuchs" (RGZM, 24.6.): https://web.rgzm.de/a/article/europaeischer-archaeologiepreis-joseph-dechelette-foerdert-zum-vierten-mal-exzellenten-wissenschaftli/
9 Berufsverband
9.1 "Unterbezahlt und ungeschützt?" - Rückblick auf die CIfA-Jahrestagung (Frankfurt, 17.6.)
Der Vormittag galt dem Thema Arbeitssicherheit ("ungeschützt?"), der Nachmittag dem Thema Lohnuntergrenzen ("unterbezahlt?"). Der Vortrag des Arbeitssicherheitsexperten M. Büter gab eine Tour d'Horizon zum Thema Arbeitssicherheit auf archäologischen Ausgrabungen. Eindrücklich erinnerte er an gesetzliche Vorgaben, an Verantwortungen und auch an rechtliche Risiken. Ein Mehr an Ausbildung (auf allen Verantwortungsebenen) zu diesen Fragen sei sinnvoll. Sein Kollege A. Siemer behandelte das Thema Elektrosicherheit, vor allem am Beispiel des Einsatzes von Stromgeneratoren und des Umgangs mit Baustrom-Verteilern. Staunen und "hier muss ich wirklich noch dazulernen" machte sich auf vielen Gesichtern im Saal breit. Die Archäologin M. Zobl machte auf die gesetzlich gebotene und ihres Erachtens bislang kaum berücksichtigte "Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz" aufmerksam und regte an, durch ein gemeinsames Vorgehen mehrerer Grabungsfirmen z. B. mit einem Standardfragebogen eine gemeinsame Vergleichsgrundlage zu schaffen. Für den DASV betonten J. Köhler und N. Dührkoop, dass Arbeitssicherheit auf Lehr- und Forschungsgrabungen ein zu wenig beachtetes und unterrichtetes Thema sei; hier bestehe Nachholbedarf. Eine offene Diskussionsrunde beendete den allgemein als sehr informativ und anregend eingeordneten Vormittag. Das Nachmittags-Thema Lohnuntergrenzen / Lohnempfehlungen eröffnete G. Wait. Er erzählte die Geschichte und Erfahrungen, die CIfA in Großbritannien mit dem Thema Lohnempfehlungen gemacht hat. Hier sei der Verlauf so unrund und konfliktiv gewesen, dass CIfA das Thema wieder von seiner Agenda genommen habe. Laut Waits Bericht verfolge man das Vorgehen von CIfA Deutschland in Großbritannien derzeit sehr interessiert und wachsam, weil in Deutschland etwas zu gelingen scheine, dass sich im methodischen Ansatz auch als Modell auch für Großbritannien eigne. Die anschließenden Vorträge von S. Piffko für den CIfA-AK Archäologiefirmen und H. Hofmann für den CIfA-AK Arbeitnehmer berichteten eher grundsätzlich über das Thema und die jeweiligen Perspektiven. Zur Enttäuschung wohl vieler Teilnehmer legten beide Seiten jedoch keine konkreten Angebote resp. Forderungen vor, weshalb die anschließende Debatte farblos blieb. Nachdem der kurz zuvor publizierte Monitoring-Report der DGUF mit einem dezent provokativen Titel die Debatte hätte befeuern können, hatten sich wohl beide Parteien im Vorfeld der Tagung darauf verständigt, nicht in einen öffentlichen Schlagabtausch einzutreten. Hier wird man wohl die nächste Mitgliederversammlung von CIfA Deutschland abwarten müssen, die über die Zahlen für 2023 entscheiden will.
Tagungswebsite: https://cifa-deutschland.de/veranstaltungen/tagungen
Bildergalerie auf Facebook: https://www.facebook.com/DGUF1969/posts/pfbid034XC8sRDMuQNFmHNC3V3KhJxMJzqXMVHTu7FjoteLUdA6A1VFNRbReYbfowWdTbWBl
Siegmund, F. & Scherzler, D. (2022). Zu geringes Lohnwachstum trotz Arbeitskräftemangels und zweistelliger Wachstumsraten bei Umsatz und Mitarbeitern – DGUF-Monitoring-Report privatwirtschaftliche Archäologie 2021. Archäologische Informationen 45, Early View, online publiziert 6. Juni 2022. https://dguf.de/fileadmin/AI/archinf-ev_siegmund_scherzler2.pdf
10 Open Access & Open Data
10.1 "Linked Open Data" in der Archäologie: wozu, wie?
In einem soeben erschienenen Aufsatz erklären die Autoren nochmals das Prinzip und die Wichtigkeit von LOD - "Linked Open Data". "Open Data": schön und gut, aber wenn sie so veröffentlich sind, dass man sie nicht findet, hilft das Adjektiv "open" nur bedingt. Bei LOD geht es darum, die einzelnen Datensätze mit wenigen Metadaten so anzureichern, dass sie mit anderen Informationen vernetzt werden können. Daten, die sich gegenseitig finden und bereichern. Von der wissenschaftlichen Öffentlichkeit wenig bemerkt, hat vor allem die deutsche Wikipedia-Gemeinde hier etwas Neues geschaffen, "Wikidata" - eine Struktur und Vorgehensweise, die das Anlegen und Veröffentlichen von LOD wesentlich erleichtert. All das entlang interessanter archäologischer Fälle erläutert: lesenswert!
Schmidt, S. C., Thiery, F. & Trognitz, M. (2022). Practices of Linked Open Data in Archaeology and Their Realisation in Wikidata. Digital. 2022(2), 333-364. https://doi.org/10.3390/digital2030019
May, K., Binding, C. & Tudhope, D. (2015). Barriers and opportunities for Linked Open Data use in archaeology and cultural heritage. Archäologische Informationen, 38, 173-184. https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/arch-inf/article/view/26162
Schäfer, F., Heinrich, M., Sieverling, A. et al. (2015). Forschungsrohdaten für die Altertumswissenschaften – eine kurze Bilanz der aktuellen Situation von Open Data in Deutschland. Archäologische Informationen, 38, 125-139. https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/arch-inf/article/view/26156
11 Ausstellungen und Museen
11.1 Trier: Große Landesausstellung Rheinland-Pfalz "Der Untergang des Römischen Reiches" (25.6.-27.11.)
Wie und warum zerbrach das Imperium Romanum im vierten und fünften Jahrhundert? In drei Museen – dem Rheinische Landesmuseum , dem Stadtmuseum im Simeonstift und dem Museum am Dom sind bis Ende November drei Ausstellungen zu sehen, die gemeinsam zur "Großen Landesausstellung" werden: Das Rheinische Landesmuseum legt mit "Untergang des Römischen Reiches" den Fokus auf die politischen und militärischen Entwicklungen. Das Stadtmuseum fokussiert sich in "Das Erbe Roms" auf das Fortleben des Römischen Reiches in der Wahrnehmung der Menschen im modernen Zeitalter. Das Museum setzt sich in der Ausstellung "Im Zeichen des Kreuzes" mit der Rolle des Christentums während des "Untergangs" und dem folgenden Frühmittelalter auseinander. Die Große Landesausstellung hatte ein Budget von 5,7 Mio. Euro, die Stadt Trier rechnet mit rund 100.000 Besuchern.
Ausstellungswebsite: https://untergang-rom-ausstellung.de/
"Als die Welt Roms zerfiel" (Frankfurter Rundschau, 3.7.): https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/trier-museum-ausstellung-untergang-roemisches-reich-schau-nationalmuseum-91644159.html
"Warum ging das Römische Reich unter?" (SWR, 25.6.): https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/trier/grosse-roemer-landesausstellung-beginnt-in-trier-100.html
"Dem 'Untergang' eine Chance! Kein Hype zu spüren: Manche Hoteliers und Geschäftsleute trauen vor Ausstellungsbeginn dem Braten nicht. Touristiker hingegen sind unbesorgt" (Volksfreund, 21.6.): https://www.volksfreund.de/region/trier-trierer-land/gemischte-gefuehle-vor-beginn-der-ausstellung-untergang-des-roemischen-reiches_aid-71698817
12 Gastkommentar
12.1 Den Donner nicht gehört? Wie sich in den nächsten Jahren das Berufsfeld "Archäologie" stark verändern wird. Von Frank Siegmund und Diane Scherzler
Im nunmehr dritten Jahr in Folge zeigen die DGUF-Umfragen zu den Studierendenzahlen und der Monitoring-Report privatwirtschaftliche Archäologie: Die unternehmerische Archäologie und ihr Arbeitskräftebedarf wachsen stabil, die Absolventenzahlen im Fach UFG & AMANZ sind (zu) niedrig. Allein in diesem Jahr ist der Arbeitskräftebedarf der in Deutschland tätigen Fachfirmen doppelt so hoch wie die Gesamtzahl der Absolventen. Persönliche Gespräche z.B. mit Landesarchäologen oder die sichtliche Häufung von Verlängerungsmeldungen zu Stellenanzeigen des öff. Dienstes zeigen: Auch die staatliche Archäologie hat Schwierigkeiten, ihre offenen Stellen zu besetzen. Studienberatungen, die Anfänger abschrecken wollen, oder Veranstaltungen der Art "Ihr Weg in den Beruf", die Rat geben, wie man als Archäologin bzw. Archäologe mit Abschluss z. B. in das Wissenschaftsmanagement, das Verlagswesen, den Wissenschaftsjournalismus o. ä. einsteigen kann, die aber Fachfirmen und Denkmalpflege nicht einmal erwähnen, handeln kontrafaktisch und schaden der Archäologie. Universitätsinstitute, die weiterhin ungeniert allein für das Berufsfeld "Forschung" ausbilden, versündigen sich an ihren Absolventen. Denn eine nachhaltige Denkmalpflege ist nur möglich, wenn auch die nötigen Fachkräfte nachkommen und für alle Berufsfelder top ausgebildet sind. Auf der von CIfA Deutschland und DGUF Mitte Juni veranstalteten Archäologie-Messe (vgl. dieser Newsletter Punkt 1.4.) war u. a. die Jacobs GmbH mit einem Stand präsent - ein großes Unternehmen, das die Investoren zur Stromtrasse SuedLink archäologisch berät (2 Trassen, ca. 700 km + 500 km lang, 40 m breit). Wenige Tage später, am 21.6., hielt Johannes Gilhaus, Senior Consultant Archaeology / Heritage bei Jacobs, im Rahmen der öffentlichen DGUF-CIfA-Reihe einen Vortrag. Dabei und in vielen Gesprächen verdeutlichten sich drei Kernfakten:
(a) SuedLink setzt für die Trassenarchäologie einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag an. Nach aktueller Umsatz-Mitarbeiter-Relation verrechnet heißt das: über mehr als 3 volle Jahre hinweg ein Mehrbedarf von weiteren ca. 300 Archäologinnen und Archäologen. Das ist ein Zusatzbedarf, der die derzeitigen Absolventenzahlen um das Doppelte übertrifft und damit das Verhältnis auf "vier Arbeitsplätze auf einen Absolventen" ansteigen lässt.
(b) Qualität und Verlässlichkeit, solche Größenordnungen auch in den vereinbarten Zeitfenstern stemmen zu können, sind aus Sicht der Investoren Schlüsselkriterien für die Wahl der Ausführenden. Sie sind ihnen viel wichtiger als die Kosten. Dass Archäologie-Fachfirmen in Deutschland klein seien, dass die Sicherheitsbestimmungen in den Firmen nicht überall ausreichend seien, dass qualifiziertes Personal knapp sei – das alles war für die Archäologen der Jacobs GmbH Grund, die Verhältnisse im Rahmen einer Risikoanalyse zu untersuchen. Große und qualitätsgesicherte, d.h. zertifizierte Firmen (resp. Konsortien) haben hier erhebliche Vorteile.
(c) Die SuedLink-Bauer verstehen sich als Investoren im Gemeininteresse, schließlich zahlen "wir alle" via Stromrechnung die Trasse. Folglich will SuedLink die Trassenarchäologie wieder an die Bürger zurückspielen und plant bzw. unterstützt entsprechende Vorhaben.
Wer sich durch den spröden Bundesnetzentwicklungsplan quält und zwischen Netzverstärkungen (bestehende Trassen), "Kleinkram" und Netzausbau unterscheidet, erkennt, dass es zeitlich plusminus parallel zum SuedLink noch mind. drei weitere neue lange Trassen geben soll, von zusammen mind. 900 km Länge. Daher dürfen wir hinsichtlich des Bedarfs nach Firmen und Archäologen die SuedLink-Zahlen mit mind. 2 multiplizieren. Nicht zu vergessen: solche Grabungsmengen erzeugen Grabungsdokumentationen und Funde, die von der Verwaltungsarchäologie supervidiert, angenommen und archiviert werden wollen. Wir ersparen uns das Spekulieren zu diesbezüglichen Personalzahlen und stellen fest: Mit dem bestehenden Stab der betroffenen Landesdenkmalämter wird das wohl kaum zu bewältigen sein. Wir lernen: quantitativ geht es nicht um ein bisschen mehr, sondern um eine Größenordnung an neuem Bedarf. Qualitativ tritt hier ein neuer Investor auf, der zehn eigene Archäologen eingekauft hat, um selbst Know-How vorzuhalten, selbstständig planen zu können und die Firmenfülle zu konzertieren; der nicht nur eine Archäologie-Entsorgung und Baufeldfreimachung bestellen will, sondern an Archäologie als Prestigeobjekt und Teil seiner sozialen Verantwortung tatsächlich interessiert ist. Und ein Investor, der es gewohnt ist, mit hohen Sicherheiten, mit Garantien, DIN, TÜV ... zu arbeiten, d. h. der in der Archäologie Partner sucht, die z. B. bei der BG Bau oder CIfA Deutschland zertifiziert sind. Auf der Archäologie-Messe in Frankfurt wurde der Donnerhall gehört und verstanden: Gegen Ende der Messe konnte man mit wachen Augen beobachten, wie CIfA, CIfA-zertifizierte oder MCIfA-geführte Firmen "umschlichen" wurden, da bislang nicht-zertifizierte Firmen und Kollegen deren hohen Wert als mögliche Konsortialpartner erkannt haben. Die Bauarbeiten zu all den genannten Trassen starten bald/ca. 2023, noch vor Ende des laufenden Jahrzehnts soll der Strom auch fließen. Den Hinweis auf die Vorankündigung (auch Prior Indicative Notice oder PIN genannt) für eine vorläufige Marktanalyse für archäologische Dienstleistungen im TransnetBW Asset können Sie in diesem Newsletter finden (s. Punkt 8.1.). Was das für den Beruf Archäologie bedeutet? Dass es jetzt sehr schnell geht, weshalb statt weiterer Generaldebatten über interessante Alternativen (Archäologie an FHs?) in der Lehre und Ausbildung handfeste, sofort wirksame Lösungen der Königsweg sind: Z. B. Ausgrabungen in der Privatwirtschaft als Praktika in den Studienleistungen anerkennen, z. B. Ausbildungsbedarfe der Bodendenkmalpflege und unternehmerischen Archäologie per Lehrauftrag an die Unis holen. Für fortgeschrittene Studierende gilt: *jetzt* das Studium erfolgreich abschließen, seine Praxiskompetenzen stärken. Die Privatwirtschaft: sich selbst oder seine Firma zertifizieren, Top-Mitarbeiter gewinnen und sie weiter qualifizieren, Partner suchen, sich rasch konsortialfähig machen. Auch "Kopfarbeiter" sind nicht außen vor, denn es gilt, Aufarbeitungs-, Forschungs- und Publikationsstrategien zu entwickeln. Wer den aktuellen Donner hört und rasch sowie konsequent handelt, kann bald Teil einer nochmals erheblich professionalisierten Archäologie sein - die für große Investoren eine ernstzunehmende Partnerin darstellt.
PD Dr. Frank Siegmund MCIfA und Diane Scherzler M.A. sind Vorstandsmitglieder der DGUF und haben vielfach über das Berufsfeld Archäologie geforscht und veröffentlicht.
13 Und sonst …
13.1 Neue Landesregierungen in SH und NRW - sehr unterschiedliche Aussichten für den Denkmalschutz
Nach den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein (SH) und Nordrhein-Westfalen (NRW) haben sich nahezu zeitgleich in beiden Bundesländern neue Koalitionen aus CDU und Grünen herausgebildet. In NRW stellte Ministerpräsident Hendrik Wüst sein Kabinett vor; für die (Boden-) Denkmalpflege bleibt alles beim Alten - weiterhin ist Ina Scharrenbach Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung. Im Koalitionsvertrag ("Zukunftsvertrag") kommt die Archäologie im engeren Sinne nicht vor. Allerdings auf S. 177 die Überschrift "Denkmalschutz und Denkmalpflege" mit einem gewiss wesentlich von der CDU gestalteten Text, der vor allem das hohe Lied des neuen, noch von der alten Landesregierung (CDU, FDP) verabschiedeten Denkmalschutzgesetzes besingt. Zur Erinnerung: dieses DSchG hat die Fachämter für Baudenkmalpflege de facto ihrer Funktion enthoben und alle Entscheidungen zur Baudenkmalpflege wesentlich auf die Ebene der Kommunen verlagert. Dennoch finden sich zwei gute Nachrichten in dem ca. halbseitigen Passus: "Dieses Engagement werden wir mindestens auf dem derzeit hohen Niveau der Finanzmittel für den Schutz und die Pflege unserer Denkmäler weiter unterstützen." und: "Wir werden eine Evaluierung des Denkmalschutzgesetzes bis 2025 vornehmen und erforderlichenfalls Änderungen vornehmen." Damit hat die notwendige Lobbyarbeit gegen das derzeit geltende DSchG in NRW einen Hoffnungsstreifen am Horizont und ein klares Zeitziel. Auch in Schleswig-Holstein stellte der wiedergewählte Ministerpräsident Daniel Günther sein Kabinett vor. Hier finden sich auf S. 48-49 des Koalitionsvertrags unter der Überschrift "Denkmalschutz" ganz andere Töne: "Entsprechend der Empfehlungen des Landesdenkmalrats werden wir die personelle Ausstattung von Denkmalschutzbehörden überprüfen und ertüchtigen. Insbesondere wollen wir eine 'Servicestelle Denkmalrecht' im Landesamt für Denkmalpflege schaffen, durch deren Arbeit und Beratung eine einheitliche Anwendung des Denkmalrechts im Land gewährleistet werden soll und neue Instrumente, wie der Vertragsdenkmalschutz, in Anwendung gebracht werden können. Wir werden eine Akademie für den Denkmalschutz gründen, um für Denkmalschutzbehörden eine einheitliche Fort- und Weiterbildung anbieten zu können. Darüber hinaus wollen wir das Landesamt für Denkmalpflege und das Archäologische Landesamt so verstärken, dass auch neue Herausforderungen wie Energiewende und Digitalisierungsentwicklungen konstruktiv bewältigt werden können. Beim Archäologischen Landesamt werden wir zusätzliche Kapazitäten insbesondere für Grabungen schaffen. Wir werden die Denkmalfördermittel beim Landesamt für Denkmalpflege aufstocken."
Die Landesregierung NRW: "Das Landeskabinett von Nordrhein-Westfalen" (29.6.): https://www.land.nrw/landeskabinett
"Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen: Koalitionsvereinbarung von CDU und GRÜNEN, 2022 - 2027": https://gruene-nrw.de/dateien/Zukunftsvertrag_CDU-GRUeNE_Vorder-und-Rueckseite.pdf
"Daniel Günther ist alter und neuer Ministerpräsident von SH" (ndr2, 29.6.): https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Daniel-Guenther-ist-alter-und-neuer-Ministerpraesident-von-SH,guenther1586.html
"Ideen verbinden – Chancen nutzen: Schleswig-Holstein gestalten. Koalitionsvertrag für die 20. Wahlperiode des Schleswig-Holsteinischen Landtages (2022-2027) zwischen der Christlich Demokratischen Union Deutschlands, Landesverband Schleswig-Holstein, und Bündnis 90/Die Grünen, Landesverband Schleswig-Holstein (22.6.2022): https://sh-gruene.de/wp-content/uploads/2022/06/Koalitionsvertrag-2022-2027_.pdf
13.2 Legitime Fragen zu Entdeckungen von Särgen in Saqqara und Luxor – oder legitime Fragen zu Entdeckungen in der Archäologie allgemein
In den jüngsten Wochen und Monaten wurde über neue Entdeckungen von zahlreichen Särgen und Grabbeigaben aus Saqqara (250 Särge, 150 Statuetten) unweit von Kairo sowie in der Nähe des heutigen Luxor berichtet und als Sensationsfunde und überragender wissenschaftlicher Erfolg in den Medien verbreitet. Dazu machte nun in der archäologischen Community, besonders der Ägyptologie, ein Statement der ägyptischen Ägyptologin Monica Hanna die Runde. Sie ist in Archäologie, Kulturgüterschutz und Kulturellem Erbe profiliert und setzt sich auch öffentlich und grundsätzlich für die Rückführung von in der Kolonialzeit erworbenen oder requirierten Objekten, nicht nur aus Ägypten, ein. Monica Hanna prangert am 15.6. auf Facebook wissenschaftliche Unzulänglichkeiten bis hin zu Fehlverhalten an, außerdem kommt sie auf verschiedene Aspekte des Kulturgüterschutzes zu sprechen. Konzentrieren wir uns auf die Kritikpunkte in Bezug auf die wissenschaftliche Praxis. Zunächst fasst sie zusammen, was einen wissenschaftlichen Umgang mit archäologischen Funden (in Ägypten) ausmacht und somit eine professionelle Ausgrabung kennzeichnet: 1. Zeichnerische und fotografische Dokumentation, insbesondere der Stratigrafie, mittlerweile auch 3D-Scan-Aufnahmen. Entsprechende Geräte stünden der obersten Antikenverwaltung zur Verfügung. 2. Abgesehen von der Befundlage und Stratigrafie sollte alles, was außer archäologischen Funden gefunden wurde (wie Zeitungsreste und Zigarettendosen), untersucht werden, um zu prüfen, ob dieser Ort schon einmal entdeckt wurde. 3. Zeitnahe wissenschaftliche Veröffentlichung (innerhalb von drei Monaten nach Entdeckung). 4. Menschliche Überreste sollten respektvoll behandelt werden, gemäß dem International Museum Network Code. Monica Hanna unterstellt den ägyptischen Kollegen, dass die große Menge an den sensationellen Neufunden u. a. auf das "Recyceln" von Altfunden zurückgehe, auf bereits erfasste Grabstätten und bereits ausgegrabene Funde, die in größeren Konvoluten wieder vergraben wurden, weil die Lagerkapazitäten erschöpft waren oder weil sie aus gescheiterten Handelstätigkeiten stammen. Sie unterstellt auch, dass es Grabungsmissionen gebe, die bis heute das Image von Schatzsuche und Entdeckungen von Geheimnissen pflegten, indem sie sich beispielsweise der Suche nach dem Grab Alexanders des Großen oder Kleopatras widmen. Dieses Image werde bedient und genährt durch die neuen Entdeckungen und ihre Vermittlung in den Medien. Zahi Hawass hat diese Form von Öffentlichkeitsarbeit bekanntermaßen schon vor vielen Jahren kultiviert; es ist daher nicht verwunderlich, dass nun Andere diese Art der Berichterstattung übernehmen und ihre Entdeckungen im Fernsehen oder über die Sozialen Medien zeigen. Darin sieht M. Hanna jedoch eine Reproduktion des westlichen Kolonialismus in Bezug auf ägyptisches Kulturelles Erbe. Die neu gefundenen Objekte in Ausstellungen zu integrieren und damit den Tourismus zu beleben, betrachtet sie als eine Art des Verkaufs Kulturellen Erbes. Sie bezweifelt auch, dass diese Methode zum Erfolg führen wird, sondern geht davon aus, dass Touristen durch mehr restaurierte Fundorte angezogen werden würden. Außerdem wünscht sie sich, dass man sich vermehrt den Themen zuwendet, die das Leben in alter Zeit beschreiben: Wohnen, Nahrung, Kleidung, Krankheiten etc. All dies zu beschreiben, sei Aufgabe der Archäologie. Deshalb wünscht sie sich eine Pause, ein Innehalten. Leider bietet Hanna in ihrem Statement keine konkreten Anhaltspunkte, was genau in dieser "Pause" geschehen sollte. Ob und wie viele der neuen Entdeckungen Ägyptens tatsächlich aus Altgrabungen stammen und inwiefern sie nach heutigem Maßstab archäologisch dokumentiert sind, ob es sich sogar teilweise um Konvolute von Raubgrabungen handelt, lässt sich aus der Distanz nicht überprüfen, und somit auch ihr wissenschaftlicher Wert nicht konkret messen, bis wissenschaftliche Veröffentlichungen über die neuen Funde erschienen sind, zumindest in Form von Vorberichten. Vielleicht kann man die von M. Hanna vorgebrachten Kritikpunkte aber auch aufgreifen und als Gelegenheit begreifen zu hinterfragen, wie der Sinn der Archäologie in der Öffentlichkeit (von Wissenschaftlern) vermittelt wird, und wie Erfolg in der Archäologie definiert wird. Ist es der materiell wertvolle "Schatz", die Menge an Funden? Sind es Denkmäler historischer Persönlichkeiten bzw. ihrer Überreste? Was sollen wir mit diesen vielen Särgen anfangen, solange ihre Fundumstände nicht erkennbar sind? Ist das ein Erfolg, so viele Särge wie möglich in kurzer Zeit zu finden und zutage zu fördern? Ist es immer von Vorteil, die Objekte auszugraben? Haben wir der Öffentlichkeit vermittelt, welche Fragen die Archäologie an das Material hat? Sind das die Fragen, die die heutige Archäologie beantworten möchte?
"Statue des Architekten Imhotep. Ägypten zeigt Fundgrube an Artefakten" (n-tv, 3.6.): https://www.n-tv.de/wissen/Totenstadt-Sakkara-Neue-ueberraschende-Funde-bei-Ausgrabungen-in-Agypten-article23366545.html
"Archaeologists discover massive treasure trove of hundreds sarcophagi and ancient Egyptian Relics at Saqqara (Amaze Lab, 31.5.; Video, 1:03 Min.): https://www.msn.com/en-us/video/peopleandplaces/archeologists-discover-massive-treasure-trove-of-hundreds-sarcophagi-and-ancient-egyptian-relics-at-saqqara/vi-AAXVhnf
أسئلة مشروعة عن اكتشافات التوابيت في سقارة والأقصر ("Legitime Fragen zu Särgeentdeckungen in Saqara und Luxor"): Statement von Monika Hanna (15.6.): https://www.facebook.com/monicahanna/posts/pfbid026RVpiGxJM2hgEigviwBhX4AnrJiPyxDEDMTd3FvnxjfC4dX62FM8J69475wbHSZFl
13.3 Brainstorming ist keine effektive Methode, um Ideen zu entwickeln
Wer nach zündenden Ideen sucht und die Meinung eines Teams einbeziehen will, greift gerne zur Standardmaßnahme "Brainstorming". Doch in vielen Fällen dauern solche Sitzungen viel zu lange, manche quatschen endlos, Ideen sind oft eher so naja, das Gesamtergebnis nicht wirklich überzeugend. Kein Wunder, denn Brainstorming in seiner angelernten Form taugt nicht. Die (lesenswerte) Zeitschrift "Neue Narrative" erklärt, warum das so ist, und reißt dazuhin Vorschläge an, wie's besser geht.
"Brainstorming funktioniert nicht. Wie ihr stattdessen bessere Ideen findet" (Neue Narrative, 28.6.): https://www.neuenarrative.de/magazin/warum-brainstorming-nicht-funktioniert/
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