Eine Begriffsklärung
Warum steckt in der DGUF das Wort "Urgeschichte", warum nennen sich viele DGUF-Mitglieder "Archäologin" oder "Archäologe"?
Das Fach, um das es der DGUF geht, wird mit unterschiedlichen Begriffen bezeichnet, die teils etwas Anderes, teils annähernd das Gleiche meinen. Hinter dem bekannteren, scheinbar einfachen Begriff Archäologie verbergen sich viele unterschiedliche Archäologien. Wir sichten und entwirren die Vielfalt.
Archäologie
Oberbegriff für Wissenschaften, die Denkmäler und Bodenfunde als Geschichtsquellen nutzen.
Archäologie erforscht die Geschichte des Menschen von den Anfängen bis heute anhand seiner materiellen Hinterlassenschaften. Dies sind Überreste von Menschen und von menschlichen Aktivitäten, die sich im Boden erhalten haben: Mauern und Spuren von Siedlungen, Gräber, Reste von Geräten, Waffen, Kleidung und Schmuck ebenso wie Nahrungsreste. Dazu gehören auch Spuren, die sich in der Landschaft erhalten haben, wie z. B. die durch menschlichen Einfluss entstandenen Moore, Heiden und Geländeveränderungen bis hin zu Pflanzengesellschaften und Tieren, die durch menschliche Eingriffe beeinflusst oder gar erst importiert wurden.
Bisweilen wird der Begriff Archäologie auch allgemeiner benutzt im altgriechischen Wortsinn: "Lehre von den Anfängen".
Urgeschichte
Der Begriff benennt jenen Teil der Geschichte, aus dem keine schriftliche Überlieferung existiert, so dass Geschichte allein anhand der dinglichen Hinterlassenschaften der Menschen (Denkmäler, Funde, menschliche Umwelteingriffe) erfasst werden kann. Die Urgeschichte endet mit dem Aufkommen von schriftlicher Überlieferung, was in unterschiedlichen Regionen der Welt zu unterschiedlicher Zeit geschah.
Vorgeschichte
Begriff sehr ähnlicher Bedeutung wie "Urgeschichte". Unterschied: wer Urgeschichte sagt, betrachtet auch die schriftlose Zeit der Menschheitsgeschichte als Teil der Geschichte, wer Vorgeschichte sagt, grenzt die "Geschichte" auf jene Zeiten ein, in denen es eine schriftliche Überlieferung gab. Hinter dem Wortpaar Urgeschichte / Vorgeschichte steckt also ein unterschiedliches Verständnis von dem, was Geschichte ist.
Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde in Deutschland der Begriff "Vorgeschichte" bevorzugt. Neben dem geschilderten unterschiedlichen Verständnis von "Geschichte" ist auch diese Tatsache ein Grund, weshalb Fachleute seit 1945 meist den Begriff "Urgeschichte" bevorzugen.
Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde in Deutschland der Begriff "Vorgeschichte" bevorzugt. Neben dem geschilderten unterschiedlichen Verständnis von "Geschichte" ist auch diese Tatsache ein Grund, weshalb Fachleute seit 1945 meist den Begriff "Urgeschichte" bevorzugen.
Prähistorie / Prähistorische Archäologie
Der Begriff "Prähistorie" ist im 19. Jahrhundert als Übertragung aus dem englischen Begriff "prehistory" bzw. dem französischen "préhistoire" entstanden und versucht, die Differenz zwischen Urgeschichte und Vorgeschichte zu umgehen. Im Wortsinne bedeutet es eher Vorgeschichte als Urgeschichte.
Frühgeschichte
Der Begriff "Frühgeschichte" benennt jenen Teil der Geschichte, aus dem eine spärliche schriftliche Überlieferung existiert, Bodenfunde aber eine wesentliche Ergänzung darstellen, um ein umfassenderes Bild der Geschichte zu gewinnen. In Mitteleuropa beginnt die Frühgeschichte mit der spätkeltischen Zeit und endet mit Beginn der Karolingerzeit, also um 750 n. Chr.
Mit den in Deutschland nicht verwendeten englischen und französischen Begriffen "protohistory" / "protohistoire" geht eine feinsinnige Unterscheidung zwischen Zeiten einher, in denen es nur eine Fremdberichterstattung gab (z.B. Polybios, Caesar, Tacitus, Strabon), und einem späteren Abschnitt "Frühgeschichte", in denen die Menschen selbst erste Aufzeichnungen hinterließen (z.B. Gregor von Tours, sog. Fredegar).
Mittelalterarchäologie – Archäologie der Neuzeit – Archäologie der Gegenwart
Diese Begriffe bezeichnen Archäologien, die in Zeiten einer voll entwickelten schriftlichen Überlieferung neben der Geschichtswissenschaft tätig sind, weil auch in diesen Epochen die Bodenfunde wertvolle Ergänzungen zu den Schriftquellen bieten.
Klassische Archäologie
Archäologie der antiken Kulturen des Mittelmeerraumes ("Römer" und "Griechen"). Manchmal wird auch die Bronzezeit dieses Raumes ab ca. 3000 v. Chr., d.h. die minoische und mykenische Epoche, als Teil der Klassischen Archäologie verstanden. Oft bezeichnet der Begriff Klassische Archäologie erst die Zeiten mit umfassenderer schriftlicher Überlieferung, d. h. seit Homer im 8. Jahrhundert v. Chr. Der Untergang des weströmischen Reiches um 450 n. Chr. bestimmt das Ende des Tätigkeitsfeldes der Klassischen Archäologie.
In ihren Anfängen war die Klassische Archäologie mehr eine Kunstgeschichte der antiken Kulturen des Mittelmeerraumes. Heute entwickelt sich das Fach - vor allem in den Mittelmeerländern – sachlich wie methodisch mehr und mehr zu einer Ur- und Frühgeschichte dieser Regionen.
Provinzialrömische Archäologie
Eine Archäologie zwischen Klassischer Archäologie, Ur- und Frühgeschichte und Alter Geschichte, die mit archäologischen Methoden zur Erforschung der Geschichte der nordwestlichen römischen Provinzen beiträgt, also auf das spezifische Zeitfenster ca. 50 v. Chr. bis 450 n. Chr. fokussiert.
Noch mehr Archäologien ...
Es gibt zahlreiche weitere Spezialdisziplinen, die den Begriff "Archäologie" explizit im Namen führen oder für die archäologische Methoden wesentliches Instrument ihres Forschens sind. Meist erklärt der Name, worum es geht. Beispiele: Ägyptologie, Alt-Amerikanistik, Biblische Archäologie, Christliche Archäologie, Vorderorientalische Archäologie. Während diese Archäologien auf spezifische Raum- und Zeitfenster orientiert sind, stehen bei anderen Archäologien spezifische Techniken und Methoden im Vordergrund, z. B. Archäometrie, Bauforschung, Geoarchäologie oder Landschaftsarchäologie.
Im Unterschied zu anderen, oft raum- und zeitspezifisch definierten Archäologien versteht sich die Ur- und Frühgeschichte als weltweit tätige Disziplin. Wegen der Fülle an Aufgaben und Themen arbeiten jedoch die meisten Ur- und Frühgeschichtler in der Praxis meist regionalbezogen, z. B. in Mitteleuropa. Aber spezifische Fragen und Erkenntnisinteressen führen auch mitteleuropäische Ur- und Frühgeschichtler immer wieder in die weite Welt: Beispielsweise ist die Menschwerdung in Afrika von Interesse, die Entstehung von Ackerbau und Viehzucht im Nahen Osten, oder die weite Welt der Wikinger zwischen Grönland, Russland und Byzanz.
Vorzeit, Altertum ...
Es gibt weitere, heute kaum mehr verwendete Begriffe für das Fach Ur- und Frühgeschichte. Der Titel eines berühmten Werks über die westeuropäische Ur- und Frühgeschichte zeigt den Sprachgebrauch des 19. Jahrhunderts: Ludwig Lindenschmit, Die Alterthümer unserer heidnischen Vorzeit. 3 Bde. (Mainz 1864-1881).
Der Begriff Altertum in diesem Sinne lebt heute vor allem noch in den um 1900 gegründeten "Altertumsverbänden" fort. Heute wird der Begriff "Altertumswissenschaften" in der Regel im Sinne des englischen "classics" verstanden und dient als Oberbegriff für die Fächer Alte Geschichte, Klassische Philologie und Klassische Archäologie.
DGUF
… und daher enthält unser Vereinsname das Wort "Urgeschichte", weil es uns um Geschichte geht und nicht um Altertümer, und weil "Geschichte" aus unserer Sicht mit der Menschwerdung beginnt und nicht mit dem Aufkommen von Schriftquellen.
… und daher nennen sich viele unserer Mitglieder "Archäologin" oder "Archäologe", weil eine breite Öffentlichkeit uns gemeinsam mit einem Bündel benachbarter Fächer unter dem Oberbegriff "Archäologie" subsummiert.
Zur Vertiefung und mit weiterführenden Literaturhinweisen:
Jürgen Hoika, Archäologie, Vorgeschichte, Urgeschichte, Frühgeschichte, Geschichte: Ein Beitrag zu Begriffsgeschichte und Zeitgeist. Archäologische Informationen 21, 1998, 51-86 [PDF].
Bruce Graham Trigger, A history of archaeological thought. Cambridge 1989 (2nd ed. 2006).
Jürgen Hoika, Archäologie, Vorgeschichte, Urgeschichte, Frühgeschichte, Geschichte: Ein Beitrag zu Begriffsgeschichte und Zeitgeist. Archäologische Informationen 21, 1998, 51-86 [PDF].
Bruce Graham Trigger, A history of archaeological thought. Cambridge 1989 (2nd ed. 2006).
Stand: Nov. 2020.