DGUF-Tagung 2013 "Archäologie und Paläogenetik": Keynote-Speaker

DGUF-Tagung vom 9.-12. Mai 2013, Erlangen

Dr. Ruth Bollongino (Mainz), Palaeogenetische Forschungen zur Geschichte der Haustiere

Abstract: Die Geschichte der Domestikation von Wildtieren ist eng mit der Geschichte des Menschen verbunden. Durch die Domestikation beginnt der Mensch, die (genetischen) Eigenschaften der Tiere zu seinem Nutzen zu verändern. Durch die Expansion der Landwirtschaft geht die Verbreitung der Haustiere über das Gebiet der wilden Artgenossen hinaus und bietet so die Möglichkeit, Handelswege und Migrationsrouten zu rekonstruieren. Die jeweilige Geschichte z. B. von Rind, Schwein und Pferd ist überraschend unterschiedlich und reflektiert einen differenzierten Umgang und verschiedene Rollen der jeweiligen Spezies.
Die Mehrheit der Studien basiert auf der Analyse mitochondrialer DNA und zeichnet mit Hilfe dieser maternalen Linien Ausbreitungswege und Vermischung verschiedenen Populationen nach. Große methodische Fortschritte im Labor und bei der Dateninterpretation ermöglichen jedoch völlig neue Forschungsansätze und Fragestellungen. Die Sequenzierung ganzer Genome und computergestützte Simulationen komplexer Szenarien erlauben inzwischen einen wesentlich detaillierteren bzw. anders gerichteten Blick auf die Geschichte. In diesem Vortrag werden daher ein Überblick zu den wichtigsten Forschungsergebnissen und ein Ausblick auf die noch zu erwartenden Entwicklungen gegeben.

 
Zur Person: Ruth Bollongino ist Anthropologin und Paläogenetikerin.  Ihr Forschungsgebiet  sind populationsgenetische Studien zum Neolithikum. Zu Beginn beschäftigte sie sich mit der Geschichte der Domestikation, insbesondere mit der Ausbreitung der Hausrinder aus dem Nahen Osten nach Europa.  Inzwischen arbeitet sie auch zur Populationsgenetik von Jäger-Sammlern und frühen Bauern in Europa und dem Nahen Osten.

 

Prof. Dr. Joachim Burger (Mainz), Populationsgenetik des Neolithikums

Abstract: Rekonstruktion von Bevölkerungsgeschichte erfolgt häufig über phylogenetische Bäume oder Netzwerke. Dabei werden in der Regel Äste oder Cluster von Ästen mit historischen Episoden assoziiert. Mit Hilfe der molekularen Uhr werden die Abzweigungen bzw. Cluster datiert und das deduzierte Ereignis zusätzlich noch mit einem chronologischen Datum versehen. Da menschliche Evolution und Demographie in den vergangenen 20.000 Jahren jedoch nur selten baumartig verlaufen ist, ist dieses äußerst populäre Verfahren zwar intuitiv verständlich, aber in aller Regel falsch. Dies wird im ersten, theoretischen Teil des Vortrags dargelegt. Im zweiten wird an palaeogenetischen Beispielen aus dem Neolithikum Europas dargelegt, inwiefern explizite Modellierungen von bevölkerungsbiologischen Vorgängen die Rekonstruktion komplexer Demographien in der Vorgeschichte ermöglichen. Modellierungen, vor allem solche, die mit Computersimulationen verbunden sind und auf der Koaleszenztheorie beruhen, sind zwar weniger allgemeinverständlich, sind jedoch in der Lage, Hypothesen tatsächlich statistisch präzise zu überprüfen

Zur Person: Joachim Burger ist Anthropologe und Populationsgenetiker, er forscht und lehrt an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. In der Regel benutzt Burger paläogenetische Daten aus archäologischen Skeletten, um evolutionäre demographische Ereignisse der Vergangenheit zu rekonstruieren.
Er arbeitet zur Populationsgeschichte des Übergangs Mesolithikum-Neolithikum, beschäftigt sich darüber hinaus mit den frühesten Haustieren und der Bevölkerungsdynamik von Skythen in Zentralasien. Neue evolutionsbiologische Arbeiten liegen zum Thema der rezenten Selektion beim Menschen vor.

 

Prof. Dr. Katerina Harvati (Tübingen), Evolution des Menschen: Neue Ansätze zur Untersuchung von Fossilien

Abstract: Gegenstand des Vortrags sind methodische Entwicklungen in der Erforschung menschlicher Fossilien, die unser Vorgehen bei der Prüfung von Hypothesen revolutioniert und unsere Kenntnisse über die Evolution des Menschen deutlich verbessert haben. Zu den Beispielen im Vortrag zählen virtuelle Anthropologie und 3-D-Morphometrie, Isotopenanalyse und aDNA. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Evolution des Neandertalers und die Ursprünge des modernen Menschen gelegt.
 
Zur Person: Katerina Harvati ist Professorin für Paläoanthropologie am Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters und dem "Senckenberg Center for Human Evolution and Paleoecology" in Tübingen.
Zu ihren wissenschaftlichen Schwerpunkten zählen die Evolution des Neandertalers, die Ursprünge des modernen Menschen, die Anwendung von 3-D Morphometrie, virtueller Anthropologie und Paläoanthropologie.
Zu ihren Forschungsinteressen gehören u. a. die Evolution von Primaten und Menschen, die Evolutionstheorie, Zusammenhänge zwischen morphologischen Variationen, Populationsgeschichte und Umwelt sowie die Archäologie des Paläolithikums. Sie führte Feldforschungen in Europa und Afrika durch und ist derzeit Leiterin des über fünf Jahre laufenden ERC-Forschungsprojekts "Paleoanthropology at the Gates of Europe" (PaGE). Ihre Arbeiten erschienen u. a. in Nature, Science, PLoS1, dem Journal of Human Evolution sowie weiteren internationalen peer-reviewten Zeitschriften. Außerdem ist sie Mitherausgeberin des Sammelbands "Neanderthals Revisited: New Approaches and Perspectives".


Prof. em. Dr. Jens Lüning (Köln), Einiges passt, anderes nicht: Archäologischer Wissensstand und einige Ergebnisse der DNA-Anthropologie zum Frühneolithikum

Abstract: Unsere Kenntnis der Neolithisierung Europas und im Speziellen Mitteleuropas beruhte bis vor einigen Jahren auf "klassischen" archäologischen, paläozoologischen und paläobotanischen Quellen. Diese ergeben, in Kombination mit 14C-Daten, ein im Großen und Ganzen stimmiges Bild der Ausbreitung von Ackerbau und Viehhaltung. Die archäologische Quellenlage hat sich zusehends verbessert, und mit Paläogenetik und Biochemie sind Methoden hinzugekommen, die unsere alten Fragen mit neuen Denkanstößen beliefern.
Im Vortrag soll zum einen der Frage nachgegangen werden, wie wir als Archäologen mit den sich schnell entwickelnden Methoden und in der Folge wechselnden Wissensständen der Nachbarwissenschaften umgehen. Zum anderen soll zusammenfassend dargestellt werden, wie sich das heutige Bild der Neolithisierung durch die Ergebnisse der neuen naturwissenschaftlichen Analysen gewandelt hat und wie dies mit den kulturhistorischen Quellen in Einklang zu bringen ist, denn: Einiges passt, anderes nicht!
Zur Person: Jens Lüning ist emeritierter Professor für Vor- und Frühgeschichte und forscht seit fast 50 Jahren zum Neolithikum. Neben seiner grundlegenden Arbeit zur Michelberger Kultur haben vor allem die von ihm mit initiierten Arbeiten zur Bandkeramik der Aldenhovener Platte heutige siedlungs- und landschaftsarchäologische Forschungen geprägt.
In einem großen Projekt zur Ältesten Bandkeramik legte er gemeinsam mit einer Gruppe seiner Absolventen die Grundlagen für unsere heutige Kenntnis der Neolithisierung Mitteleuropas aus archäologischer Sicht. Die neueren populationsgenetischen Untersuchungen lassen ihn dieses Thema in einem neuen Licht betrachten.

 

PD Dr. Frank Siegmund (Düsseldorf), Kulturen, Völker und Identitätsgruppen - Eine Übersicht über die archäologische Diskussion.

Abstract: Paläogenetische Studien zur Vergangenheit zielen unter dem Schlagwort "Populationsgenetik" heute meist auf Aussagen über Gruppen und Entwicklungen, seltener über Individuen ab. Bei der Diskussion der paläogenetischen Ergebnisse werden von Genetikern oft Bezüge zur Archäologie hergestellt und archäologische Gruppenbegriffe als Vergleichs- oder Bezugsgröße herangezogen, wie etwa "die Langobarden", "die Bandkeramiker", "die Mesolithiker". Die archäologischen Gruppenbegriffe haben jedoch einen anderen Hintergrund, sie umreißen keine biologischen (Verwandtschafts-) Gruppen und spiegeln nicht zwingend lang währende Deszendenzlinien wider, sondern sind kulturell - soziale Phänomene. Zudem fassen die archäologischen Gruppenbegriffe Individuen auf sehr unterschiedlichen Ebenen zusammen, z. B. als Lebensweise und Technokomplex ("die Mesolithiker"), als Kultur ("die Bandkeramiker", "die Kelten"), als Ethnos ("die Langobarden") oder als frühstaatlich-politischer Verband ("die Helvetier"). Manche dieser Zusammenfassungen sind in ihrer Deutung in der archäologischen Forschung umstritten, z. B. "die Franken" oder "die Alemannen".
Der Vortrag wird die archäologische Begrifflichkeit ordnen, die inhaltliche Bedeutung der Gruppenbegriffe klären und dabei auch den Konsens und Dissens innerhalb der archäologischen Diskussion aufzeigen. Ziel ist es, für den interdisziplinären Dialog und die angestrebten historischen Synthesen die archäologischen Gruppenbegriffe in einer auch für Nicht-Archäologen verständlichen Weise aufzubereiten und zu ordnen, sowie auf die Fallstricke, Probleme und Besonderheiten aufmerksam zu machen.
Siegmund, F. (2009). Ethnische und kulturelle Gruppen im frühen Mittelalter aus archäologischer Sicht. In: D. Krauße / O. Nakoinz (Hrsg.), Kulturraum und Territorialität: Archäologische Theorien, Methoden und Fallbeispiele. Kolloquium des DFG-SPP 1171, Esslingen 17.-18. Jan. 2007. Internationale Archäologie - Arbeitsgemeinschaft, Symposium, Tagung, Kongress 13. Rahden: Marie Leidorf. S. 143-157. Artikel online verfügbar: http://frank-siegmund.de/images/pdfs/siegmund_2009_ethnien_und_kulturen.pdf
 
Zur Person: Frank Siegmund hat sich 1996 an der Universität Göttingen mit einer Arbeit zur ethnischen Fragestellung im frühen Mittelalter habilitiert. 1999-2011 war er Professor für Ur- und Frühgeschichte und Provinzialrömische Archäologie an der Universität Basel, seitdem arbeitet er in diversen Projekten und als Lehrbeauftragter an der Universität Münster. Seine Forschungsschwerpunkte sind: frühgeschichtliche Archäologie, Sozialstrukturen (Gender, Status, Ethnizität), Archäologie des Lebensstandards (u.a. Körperhöhe, BMI) und Mensch-Umwelt-Beziehungen. Er gilt als Experte für die statistische Analyse archäologischer Daten.

 

Prof. Dr. Gerd-Christian Weniger (Mettmann), Paläogenetik - molekulare Aktivierung der Humanevolution

Abstract: Fast 150 Jahre lang waren prähistorische Archäologie und Paläoanthropologie der Schlüssel zur Erforschung der Humanevolution. Beide Disziplinen sind als Reaktion auf die sensationellen Entdeckungen erster Humanfossilien und eiszeitlicher Artefakte entstanden. Nach mühsamen Gehversuchen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand im 20. Jahrhundert allmählich ein fachspezifischer Methodenkanon zur Dokumentation und Interpretation prähistorischer Realien. Beide Disziplinen stellen morpho-typologische Vergleiche in das Zentrum ihres methodischen Vorgehens, nehmen dabei aber jeweils andere Blickwinkel auf den Forschungsgegenstand ein. Die kulturhistorische Perspektive und die biologische Perspektive führen zur unterschiedlichen Gewichtung der empirischen Daten. Während in den Artefakten des Paläolithikums menschliches Verhalten direkt codiert worden ist, sind Humanfossilien nur mittelbare Quellen für die Rekonstruktion menschlichen Verhaltens. Daher hat sich die Übersetzung morpho-biologischer Variablen in definierte Kategorien menschlichen Handelns in den vergangenen 150 Jahren als überaus schwierig erwiesen.
Seit Mitte der 1980er Jahre zeigt die Paläogenetik als neue Disziplin die Erforschung der Humanevolution eine beachtliche Dynamik. Zunächst beschränkte sie sich auf die Rekonstruktion menschlicher Stammbäume anhand statistischer Untersuchungen des rezenten, menschlichen Genpools. Im Jahr 1997 konnte erstmals mtDNA eines Humanfossils isoliert werden, und seit 2006 ist es auch möglich, nDNA zu isolieren und das Genom pleistozäner Menschen zu rekonstruieren. Damit hat das biologische Erbe der frühen Menschen innerhalb kürzester Zeit eine neue historische Dimension gewonnen, deren Konkretheit weit über die bisherigen Möglichkeiten der Paläoanthropologie hinausgeht. Unterstützt durch eine aufwändige Laboranalytik, die forschungspolitisch höchste Reputation erfährt, rückt die Paläogenetik, obwohl sie von extrem kleinen Stichproben ausgeht, in das Zentrum zur Interpretation historischer Prozesse der Humanevolution.

 

Zur Person: Gerd-Christian Weniger ist Direktor des Neanderthal Museums und Prof. apl. am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Köln. Sein Forschungsinteresse konzentriert sich auf die pleistozäne Besiedlungsgeschichte Europas, des Vorderen Orients und Nordafrikas. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Schriften zur Pleistozänarchäologie.

Stand: Mai 2013

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