2015/16: DGUF zur Aussetzung des Verursacherprinzips im nds. Denkmalschutzgesetz

Niedersachsen: Neue Flüchtlings- und Asylbewerberheime ohne Verursachergrabungen
Die Landesregierung in Niedersachsen hat am 11.11. zu Gunsten des Baus von Flüchtlings- und Asylbewerberheimen u. a. das Verursacherprinzip im Denkmalschutzgesetz ausgesetzt. Die DGUF hatte sich zuvor beim Ministerpräsidenten und beim Landtag dafür engagiert, die DSchG-Regelungen aufrecht zu erhalten und vielmehr auf bestehende, erprobte Lösungswege zur schnellen Identifikation von "archäologiefreien" Bauarealen zu setzen. Die für den Denkmalschutz zuständige Dr. Gabriele Heinen-Kljajić hält die Auswirkungen der Gesetzesänderung auf den Denkmalschutz nicht für bedenklich. In einem Schreiben an die DGUF geht sie auf die Lösungsansätze der DGUF geht sie mit keinem Wort ein. mehr


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Brief der DGUF an den Ministerpräsidenten von Niedersachsen (8.11.2015) PDF

Das Landesparlament von Niedersachsen hat im November 2015 zu Gunsten des Baus von Flüchtlings- und Asylbewerberheimen das Verursacherprinzip im niedersächsischen Denkmalschutzgesetz ausgesetzt. Die DGUF hatte sich zuvor beim niedersächsischen Ministerpräsidenten und bei den Landtagsfraktionen dafür eingesetzt, die Regelungen des Denkmalschutzgesetzes beim Bau von Flüchtlingsheimen aufrecht zu erhalten und vielmehr auf bestehende, erprobte Lösungswege zur schnellen Identifikation von "archäologiefreien" Bauarealen zu setzen. Ende Januar 2016 antwortete die zuständige Ministerin für Wissenschaft und Kultur, Dr. Gabriele Heinen-Kljajić, auf die Intervention der DGUF. Sie hält die Auswirkungen der Gesetzesänderung auf den Denkmalschutz nicht für bedenklich. Auf die Lösungsansätze der DGUF geht sie mit keinem Wort ein.

Mitte Oktober 2015 brachten die beiden Regierungsfraktionen in Niedersachsen, SPD und Bündnis90/Die Grünen, gemeinsam einen Gesetzentwurf in den Landtag ein (Drucksache 17/4429), der darauf zielte, den Bau von Flüchtlingsheimen zu erleichtern, indem verschiedene Gesetze resp. Teile derselben ausgesetzt werden  – neben Teilen der Bauordnung auch das Verursacherprinzip im niedersächsischen Denkmalschutzgesetz (§ 6 Abs. 3). Ein Gegenwirken der für die Archäologie und Baudenkmalpflege zuständigen Ministerin, Dr. Gabriele Heinen-Kljajić, hat es nach Informationen der DGUF nicht gegeben.
Nach eilig einander folgenden, zustimmenden Anhörungen in verschiedenen Ausschüssen und Gremien des Landtags wurde dieser Gesetzentwurf auf Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Sport (Drucksache 17/4529) auf der Plenarsitzung des Landtags am 11.11.2015 ohne Gegenstimmen verabschiedet. Damit ist das Verursacherprinzip im nds. DSchG bis 31.12.2019 aufgehoben, wenn die geplante Baumaßnahme dem Bau von Flüchtlings- und Asylbewerber-Unterkünften dient.

DGUF sprach sich für Aufrechterhaltung des Denkmalschutzes aus
Die DGUF hatte sich am 8.11.2015 an den Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen und an alle Fraktionen im nds. Landtag gewandt. Sie schrieb zur geplanten Gesetzesinitiative: "Wir fühlen sehr mit den Flüchtlingen! Als Archäologen wissen wir, dass die Region des heutigen Deutschlands und Europas kulturell auf vielen Wanderungen – und leider auch auf Fluchten – von Menschen basiert, dass alles, was wir 'unsere Kultur' nennen, letztlich eine Kultur der Menschheit ist. Wir begrüßen außerdem ausdrücklich, dass in Niedersachsen – wie auch in anderen Bundesländern – versucht wird, die schwierige Lage durch rasches und entschlossenes Handeln zu steuern und zu mildern. Aber dies darf nicht ausgerechnet zu Lasten des Denkmalschutzes gehen."

Lösungen für den Bedarf nach Flüchtlingsheimen
Lösungen waren entlang der bestehenden Strukturen bereits vorhanden – und könnten weiterhin ohne Eingriffe in unsere kulturelle Substanz begangen werden! Denn gerade Niedersachsen ist reich an gut erschlossenen und archäologiefreien Flächen, d. h., es mangelt nicht an Gebieten ohne archäologische Befunde im Boden. In allen Kommunen können die Unteren Denkmalschutzbehörden dank ADABweb Einblick in das Verzeichnis aller bekannten archäologischen Denkmäler nehmen und geeignete Baugelände identifizieren. Zudem stünde die nds. Landesarchäologie gewiss mit all ihrer Expertise bereit, die schnelle Suche nach archäologiefreien Flächen zu unterstützen. Überstürzt verabschiedeter Maßnahmen, die bewährte Gesetze aushebeln, bedarf es dazu nicht.
Auf all das haben wir in unserem Schreiben hingewiesen, zudem auch auf die zahlreichen funktionslos gewordenen Kasernen in Niedersachsen, die für eine Umnutzung als Flüchtlingsheime bereit stünden. 

Die Vernichtung von Kultur und Kulturgütern seitens des IS nicht nach Europa tragen
Wenn wir in Deutschland den Kultur- und Denkmalschutz zu Gunsten von Flüchtlings- und Asylbewerberheimen zurückstellen, verlängern wir faktisch die dramatische Vernichtung von Kultur und Kulturgütern seitens des IS und tragen sie aktiv aus Syrien heraus nach Europa: In Syrien sprengt der IS u. a. die antike Stätte Palmyra, vernichtet absichtlich aus ideologischen Gründen einmalige Kulturdenkmäler von Weltrang. Zugleich löst der IS Flüchtlingsströme aus, und diese Flüchtlinge wiederum führen bei uns im Gastland dazu, dass auch wir Kulturgut zerstören? Das darf nicht sein.
Die DGUF schrieb an Ministerpräsident Stephan Weil: "Es geht nicht um deutsches vs. syrisches Kulturgut. Es geht um das gemeinsame Kulturgut der Menschheit, hier wie dort. Man kann die Bewahrung von Kultur niemals gegen Flüchtlinge ausspielen."

Gravierender Verstoß gegen die Konvention von La Valletta/Malta
Nachdem Artikel 5 in Drucksache 17/4429 – modifiziert durch Drucksache 17/4529 – verabschiedet ist, entfallen seit Ende 2015 beim Bau von Flüchtlings- und Asylbewerberheimen alle archäologischen Maßnahmen, wie sie im DSchG von Niedersachsen vorgesehen sind. Die DGUF hält dies für einen überstürzten Eingriff in das DSchG, auf dessen Grundlage in Niedersachsen in den vergangenen Monaten und Jahren eine ausnehmend gute und öffentlich weithin wahrgenommene erfolgreiche Arbeit getan wurde – wir nennen nach dem Goldhort von Gessel als jüngste Tat die Entdeckung eines Römerlagers südlich von Hannover. Beides waren Ausgrabungen, die ohne das Geld der Verursacher nicht hätten stattfinden können. Wenn nun bei Baumaßnahmen Funde und Befunde zerstört werden, ohne dass man sie vorher bergen und dokumentieren kann, sind sie unwiederbringlich verloren. Man kann Archäologie nicht nachholen, wenn später wieder mehr Geld in den Kassen ist.
Die verabschiedete Regelung ist ein gravierender Verstoß gegen die von der Bundesrepublik Deutschland gezeichnete Konvention von La Valletta/Malta, an die auch Niedersachsen durch seine Pflicht zur Bundestreue gebunden ist.
 
Zuständige Ministerin wiegelt ab
Ende Januar 2016 antwortete die zuständige Ministerin für Wissenschaft und Kultur, Dr. Gabriele Heinen-Kljajić, schriftlich auf die Intervention der DGUF. Sie vertritt die Gesetzesänderungen offensiv und hält deren Auswirkungen auf den Denkmalschutz nicht für bedenklich. Denn schon zuvor habe § 6 Abs. 3 des nds. DSchG ausdrücklich vorgesehen, dass das Verursacherprizip "im Rahmen des Zumutbaren anzuwenden ist" - also ggf. eben nicht. Sie schreibt der DGUF: "Es gilt weiterhin die Pflicht zur Erhaltung von Kulturdenkmälern. Ihre Zerstörung kann nur mit Genehmigung der zuständigen Denkmalschutzbehören erfolgen. Dafür hat ein gesetzeskonformes Abwägungsverfahren stattzufinden." Gegebenenfalls "muss der Veranlasser der beabsichtigten Zerstörung der zuständigen Behörde schriftlich die konkreten Tatsachen vorlegen, die eine Verzögerung zur Folge haben werden." Ein geschmeidig regelkonformer Abbau von Denkmälern also ist vorgesehen, denn nach der geforderten schriftlichen Darlegung hat die zuständige Denkmalschutzbehörde nun keine Handhabe mehr, den behaupteten Sachverhalt zu prüfen resp. ihm zu widersprechen.
Auf die von der DGUF eingebrachte These, es gebe in Niedersachsen hinreichend viele archäologiefreie Flächen, welche die Unteren Denkmalschutzbehörden rasch identifizieren könnten - nach unserer Überzeugung ein guter Lösungsansatz -, geht die für den Denkmalschutz zuständige Ministerin nicht ein. Aus dem Protokoll der Parlamentssitzung vom 11.11.2015, auf der das Gesetz verabschiedet wurde, geht hervor, dass sie sich dort auch nicht für die Aufrechterhaltung des Denkmalschutzes ausgesprochen hat.
 
"Auf ganzer Linie versagt"
Die DGUF-Vorsitzende Diane Scherzler sagt: "Die für den Denkmalschutz zuständige Ministerin hat sich weder für ihr Ressort eingesetzt, noch geht sie auch mit nur einem Wort auf konkret angebotene Lösungsansätze ein, welche die DGUF und auch der Verband der Landesarchäologen der Bundesrepublik Deutschland gemacht haben. In meinen Augen hat sie hier auf ganzer Linie versagt."
Wir hoffen, dass das schlechte Beispiel Niedersachsen nicht Schule macht. Wir hoffen auch, dass sich Fachverbände vehementer gegen solche Überlegungen und für den Denkmalschutz einsetzen.

Stand: Februar 2016
 
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