Frank Siegmund zur Debatte um Predatory Journals im Sommer 2018

Predatory Journals: Warum jetzt diese Debatte?

Ein Kommentar von DGUF-Herausgeber PD Dr. Frank Siegmund
 
Sommerloch 2018: Schulferien, Trump wieder abgereist, das Parlament im Sommerurlaub. Also wabern seit Mitte Juli "Räuberische Zeitschriften" / "Predatory Journals" durch die Medien. Die Grundlage liefert ein internationales Recherchenetzwerk von Premium-Medien: Angeblich publizieren tausende deutscher Wissenschaftler ihren Quatsch in unseriösen Fachzeitschriften und geben dafür auch noch öffentliche Gelder aus. Skandal. In Wirklichkeit ein medialer Klassiker: Eine sozial sehr angesehene Berufsgruppe wird angeblich kollektiv bei dummem Fehlverhalten erwischt; so eine Geschichte geht immer und gewinnt Aufmerksamkeit. Heute mehr denn je, weil sich die gedruckten Zeitungsartikel in ihrer Online-Fassung genauso wie die Videos in ihren Mediatheken so schön schnell teilen lassen, ein Hype gezündet werden kann.
 
Was ist dran an der Story? 
Fast nix! – wie jenseits der hölzernen offiziellen Stellungnahmen des Wissenschaftssystems vor allem ein einzelner Blogger, der Physiker Dr. Markus Pössel, schon wenige Tage danach sachlich und nachvollziehbar nachweist: Der Anteil der in Räuberischen Zeitschriften publizierenden deutschen Wissenschaftler ist ausnehmend gering, die wenigen, dort wiederholt veröffentlichenden Autoren gehören nicht zum Kern der deutschen Wissenschaftslandschaft und die betreffenden Aufsätze sind inhaltlich nicht auffallend unseriös.
 
Denn selbstverständlich wissen Wissenschaftler mehrheitlich genau, was sie tun. Die Frucht monate- oder jahrelanger Arbeit will möglichst seriös und hochrangig publiziert werden, nur so ist Aufstieg möglich, oder wenigstens das nächste Projekt, der nächste befristete Arbeitsvertrag. Nur so findet Forschung nachhaltig Verbreitung und bringt ein Fachgebiet voran. Faktisch hat man als Wissenschaftler eine gefühlte oder in Impact-Faktoren gemessene Prestigeskala im Kopf und reicht oft erst einmal etwas höher ein, als man seinen Aufsatz selbstkritisch taxiert. Bevorzugt an eine Zeitschrift, mit deren Aufsätzen man zuvor viel gearbeitet hat, denn dort erreicht man die meisten Fachkollegen, hat höhere Chancen auf Resonanz (i. e. zitiert werden). Wenn’s klappt: prima, gewonnen! Wenn nicht, d. h. der Aufsatz abgelehnt wird, kann man die meist ärgerlichen, aber eventuell nützlichen Hinweise der Reviewer aufgreifen, seinen Text überarbeiten und im nächsten, in der Prestigeskala minim tiefer angesiedelten Journal anbieten. Stets ist man versucht, durch kluges Kalkül diesen Abstieg so kurz wie möglich zu halten. 
 
Predatory Journals sind keine Option für die archäologische Publikationspraxis
Soweit die wissenschaftliche Routine, in der ein absichtliches Publizieren in unseriösen Zeitschriften als unbedingt zu vermeiden gilt. Dass es dann auch ein tiefes unteres Ende dieser Prestigeskala gibt, ist selbstverständlich und Teil des Systems. So wie ein Raucher, dem im exotisch fernen Urlaubsland überraschend der Zugang zu seinen Lieblingsmarken fehlt, am Ende irgendetwas nimmt, Hauptsache Nikotin. Doch in der Archäologie wird dieser Ausweg selten eine mit Kosten verbundenes Räuberische Zeitschrift sein, sondern eher eine regionale, an ein breiteres Publikum gerichtete Zeitschrift – ein Ausweg, den man wiederum nicht als per se unseriös einordnen kann. Kurz: Räuberische Zeitschriften sind nicht das Problem der archäologischen Publikationspraxis, sondern eher die Langsamkeit des archäologischen Publikationswesens, die dem Bürger das Ergrabene und Erforschte allzu lange vorenthält, teilweise zu schwach ausgeprägte Qualitätskontrollen (wenig Betreuung von Autoren, fehlendes Review-Verfahren), Bezahlschranken oder lange Sperrfristen, die viele Leser ausschließen, und für viele Autoren der ihnen auferlegte Zwang, in bestimmten Zeitschriften oder Reihen zu veröffentlichen. 
 
Was also geht uns diese Debatte an, was lernen wir aus ihr?
Selbst wenn sich Wissenschaftler als nicht persönlich betroffen fühlen ‒ und für die überwiegende Mehrheit ist das sowohl als Autoren wie als Leser berechtigterweise so ‒, zeigt die öffentliche Aufregung im Juli 2018 erneut, dass Wissenschaft in den europäischen Gesellschaften ein hohes Prestige genießt und folglich sehr hohe Erwartungen an sie gerichtet sind. Fehler und Irrtümer gehören zur Wissenschaft dazu (und das sollte man auch offen(er) vertreten), aber alle Wissenschaftler müssen gemeinsam zeigen, dass sie um Vermeidung bemüht sind und dafür transparente Verfahren der Qualitätssicherung praktizieren. Denn auf dem Erhalten des hohen Prestiges von Wissenschaft in der ganzen Gesellschaft und deren Wissen um den Wert und Nutzen von Wissenschaft beruhen die Akzeptanz und die Finanzierung des Wissenschaftssystems, insbesondere der freien Grundlagenforschung. So zeigt die Debatte, was die Öffentlichkeit wie auch die Wissenschaft selbst heute vom Publikationswesen erwarten: gewissenhafte Qualitätssicherung u. a. durch Peer Review, Open Access, Geschwindigkeit und eine solide Autorenberatung und -betreuung. Die gesellschaftliche Erwartung von Verlässlichkeit an die Wissenschaft ist eine Tatsache, der sich auch Geisteswissenschaftler, auch Archäologen stellen müssen. 
 
Publikationsgebühren als Sündenbock für das unseriöse Verhalten mancher Verlage
Nicht übersehen werden darf, in welch ungutes Licht die Debatte um Räuberische Zeitschriften die Publikationsgebühren rückt. Es entsteht der Eindruck, dass es grundsätzlich unseriös sei, wenn Autoren für das Publizieren bezahlen müssen. Dass dies längst der Fall ist, gerade auch bei vielen prestigereichen und hochseriösen internationalen Journalen in bekannten Wissenschaftsverlagen, z. B. Plos One, ist der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt und wird auch in den Archäologien noch immer von zahlreichen Fachkollegen ignoriert. Die Online‐Verfügbarkeit von Artikeln und Monografien ist heute zentral, und der umfassende Wandel zu Open Access ist im deutschen und europäischen Wissenschaftssystem längst beschlossene Sache. Derzeit findet der Umbau statt vom bisherigen Finanzierungsmodell "die Leser / Bibliotheken zahlen für das Lesen‐Können" (Abonnement, Kauf) hin zu "die Autoren zahlen für das Publiziert‐Werden" (Golden Open Access). Dieser Wandel ist unvermeidbar, weil sich das Nutzer- bzw. Käuferverhalten geändert hat. Gerade die aktuelle Debatte um Schwarze Schafe unter den Verlagen und Herausgebern verweist jedoch auf den notwendigen Aufwand, der mit einem seriösen Publikationswesen und seiner Qualitätssicherung einhergeht und der von der Gesellschaft auch erwartet wird. Stets und komplett pro bono, aber bitte alles in höchster herausgeberischer Leistung? Das ist naiv, und wir Herausgeber sowie die Verlage müssen die Kostenseite weitaus ehrlicher als bisher öffentlich vertreten. Vermischt und verwechselt wird in der aktuellen Debatte der Wandel der Finanzierung von Fachpublikationen hin zu Publikationsgebühren mit der Tatsache, dass betrügerisch handelnde oder auch einfach maximalen Gewinn anstrebende Verlage dieses Prinzip missbrauchen können. Das ist, als fände man das Internet grundsätzlich ablehnenswert, weil es möglich ist, darin unseriöse Informationen zu verbreiten und betrügerische Websites aufzusetzen. Anders gefragt: Wieso wundert sich überhaupt jemand darüber, dass es halbseidene "Wissenschaftsverlage" gibt? Wer glaubt denn ernsthaft, Schummelei und Betrug gebe es überall, aber niemals werde jemand versuchen, dafür die Wissenschaften zu instrumentalisieren? 
 
Warum denn diese öffentliche Debatte, und warum jetzt?
Das Wissen um Mängel bei einzelnen Elementen des wissenschaftlichen Publikationswesens und kluge Überlegungen zu deren Behebung sind nicht sonderlich neu (z. B. H. Kohle, 2015; Canny, 2015) und für eine breite Öffentlichkeit eher unspannend, was umso mehr die Frage aufwirft, warum dieses Thema im deutschen Sommerloch 2018 so hochgekocht wird. Antwort gibt ein Blick auf den Status des aktuell wieder einmal festgefahrenen Ringens zwischen dem Wissenschaftsverlag Elsevier (2017 weltweiter Jahresumsatz 2,7 Mrd. Euro, Umsatzrendite 37 %) und dem DEAL genannten Konsortium von nunmehr circa 200 deutschen Forschungseinrichtungen und Bibliotheken um eine Nationallizenz, welche die bisherigen individuellen Abonnements der Bibliotheken ablösen und einen deutschlandweiten Open Access ermöglichen soll. Derzeit sitzt man einander unbeweglich und muskelspielend gegenüber; beide Kontrahenten betonen, dass es ohne sie nicht gehe. Wie auch ein gut recherchierter und informativer Artikel in der ZEIT von Anna-Lena Scholz aufzeigt, zeichnet sich eine Lösung derzeit nicht ab. Per Konsumentenstreik will DEAL den Druck erhöhen, um das Gegenüber zu erweichen. Eine naheliegende, jedoch von DEAL irritierenderweise nicht erwünschte Lösung wäre es (vgl. DGUF-Newsletter vom 24.11.2017 Punkt 1.6.), wenn die Wissenschaft das Publikationswesen unter Loslösung von Verlagen wie Elsevier gänzlich selbst in die Hand nähme: Renommierte Fachgesellschaften gründen Open-Access-Zeitschriften, die via Publikationsgebühren finanziert werden. Doch: Da kann ja jeder kommen, wo ist denn da die Qualitätsprüfung? Genau! Der aktuelle Hype um Predatory Journals ist nach meiner Überzeugung bei den großen Wissenschaftsverlagen wie z. B. Elsevier ebenso hoch willkommen wie bei jenen traditionsreichen und ehedem renommierten Fachzeitschriften, die dem Wandel zum Open Access weiterhin ferne stehen. Die Aufregung könnte die anhaltende Monopolbildung bei den wenigen großen Verlagen und deren außerordentlich hohe Profiten aus den Abonnements fördern, indem sie die naheliegende und überfällige Umstellung des wissenschaftlichen Publikationswesens auf Open Access und Publikationsgebühren diskreditiert. Unterschwellig lautet die Botschaft der Debatte ja auch: Ohne die renommierten großen Verlage, deren ausgereifte Qualitätssicherung und das Abonnement-Modell der Finanzierung geht es nicht.

Kommentar vom 9.8.2018

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