Frank Siegmund und Diane Scherzler zur Initiative "Open-Access 2020"

"Die Archäologie muss sich einmischen" – Die Initiative "Open Access 2020" und der Open-Access-Rummel im Frühling 2016

Ein Kommentar von PD Dr. Frank Siegmund und Diane Scherzler M. A.

Am 21.3.2016 traten 30 international bedeutende Wissenschaftsorganisationen unter starker deutscher Beteiligung mit ihrer Initiative "OA 2020" an die Öffentlichkeit, genauer mit der "Open Access 2020 - initiative for the large-scale transition to open access". Ihr Ziel ist es, das Publikationswesen wissenschaftlicher Zeitschriften weltweit bis zum Jahr 2020 vollständig auf Open Access umzustellen, also auf den für alle Leser kostenlosen und freien Lesezugriff zu wissenschaftlichen Publikationen. Finanzierungsgrundlage soll die Ablösung der bisherigen staatlichen Mittel für die Abonnements von Subskriptionszeitschriften durch die staatliche Finanzierung der Publikationsgebühren in Open-Access-Zeitschriften sein.
 
Letztlich geht es also darum, dass die Bibliotheken das gleiche Geld wie bisher nach anderen Grundlagen ausgeben. Am Ende würde der Wissenschaftsbetrieb das Publizieren bezahlen und nicht mehr das Lesen-Dürfen. Die Initiative OA 2020, bei der die Max-Planck-Gesellschaft eine der treibenden Kräfte ist, geht auf die 12. Berliner Open Access Conference im Dezember 2015 zurück, die nun zu einem konkreten Papier geführt hat. In ihrer Pressemitteilung lädt die MPG dazu ein, die Initiative zu unterstützen und zu zeichnen – was die DGUF am 23. März auch getan hat.
 
Viel Rummel um das Thema Open Access
Gewiss, man kann über das aktuelle große Trara spötteln. "Es wurde schon alles gesagt, aber eben noch nicht von jedem" - ein geläufiger Spruch mit viel Wahrheit darinnen, wenn Gremiensitzungen sich mal wieder endlos hindehnen. So auch hier: Im Kern lässt sich alles Wesentliche, was OA 2020 nun laut verkündet, in der Budapester Erklärung aus dem Jahr 2002 und vor allem in der Berliner Erklärung vom Oktober 2003 nachlesen, und in vielerlei darauf aufbauenden Dokumenten. So hatte erst am 4.2.2016 ein starkes Bündnis europäischer Universitäten (EUA) recht Ähnliches mit Verve vorgetragen und die "EUA Roadmap on Open Access to Research Publications" veröffentlicht, nachdem im Oktober 2015 die "League of European Research Universities" (LERU) Vergleichbares tat. Nur wenige Tage vor der Lancierung von OA 2020 veröffentlichte am 4.3.2016 die "Ad-hoc-AG Open-Access-Gold im Rahmen der Schwerpunktinitiative 'Digitale Information' der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen" ihre Empfehlungen zum Thema Open Access. Offenbar besteht aktuell ein Wettrennen im Vorlegen von Deklarationen pro Open Access.
 
Was ist das Neue?
Die Texte zeugen von hohen Ansprüchen ("global") und wirken zupackend und handfest ("transformation roadmap"), doch das sind erst einmal nur gute Vorsätze. Neu gegenüber den Erklärungen von 2002/2003 an OA 2020 ist, dass man inzwischen sorgfältiger nachgerechnet hat und anhand von handfesten Studien aufzeigen kann (z. B. Lawson, 2015; Schimmer, Geschuhn & Vogler, 2015), dass ein konsequenter Wandel zum Open Access unter kollektiviert staatlicher Zahlung der dann autorenseitig anfallenden Publikationsgebühren (APCs, article processing charges) in Summe nicht teurer kommt als das bisherige Subskriptionsmodell, bei dem das wissenschaftliche Publikationswesen über Abonnements bezahlt wird, die Kosten also auf Seiten der Leser anfallen. Wobei auch das eine Erkenntnis ist, die eigentlich keiner aufwendigen Studien bedürfte, sondern lediglich des Nachdenkens über vergleichsweise simple wirtschaftliche Zusammenhänge.
 
Eine Einordnung der Initiativen(n) aus Sicht der DGUF
Also spotten und sich lächelnd Wichtigerem zuwenden? Das wäre aus Sicht des DGUF-Vorstands zu kurz gedacht. Weil das Gewicht der nunmehrigen Protagonisten groß ist, die Initiative den einschlägigen Tendenzen der EU-Forschungsförderung ("horizon 2020") und einem offensichtlich zum Mainstream gewordenen Konzept entspricht und damit Erfolgsaussichten hat. Aber auch, weil OA 2020 an vier wesentlichen Momenten krankt, die unseres Erachtens wichtig sind und gerade in den Geisteswissenschaften debattiert werden sollten, bevor es - wieder einmal - zu spät ist:
  • Auch OA 2020 spricht ausschließlich von wissenschaftlichen Zeitschriften. Monografien, die in den Geisteswissenschaften weiterhin eine zentrale Rolle im Publikationswesen spielen, werden nicht bedacht. Eine Open-Access-Debatte ohne Berücksichtigung der Monografien sollten Geisteswissenschaftler nicht zulassen.
  • Auch OA 2020 fokussiert auf die teuren Subskriptionszeitschriften der großen renommierten Wissenschaftsverlage und will deren Finanzierungsmodell verändern. Dabei werden all die Pioniere übersehen, die - wie beispielsweise die DGUF und ihre "Archäologischen Informationen" - bereits jetzt im Platinum Open Access publizieren, d. h. ohne APCs. Auch für diese Zeitschriften braucht es nachhaltige und faire Finanzierungsmodelle. Oder sollen vom Wandel nur diejenigen profitieren, die sich ihm am längsten und konsequentesten widersetzt haben?
  • Sehr bedenklich ist das von der "Ad-hoc-AG Open-Access-Gold" empfohlene Hinnehmen von Offsetting-Verträgen an Stelle der konventionellen Abonnements und des Goldenen Open Access. Denn es übersieht, dass solche Verträge mit den großen Wissenschaftsverlagen stets nur für die Mitarbeiter der vertragschließenden Partner-Institutionen gelten, und damit die Bürger ("Citizen Science") und die – gerade in den Geisteswissenschaften nicht wenigen – freischaffenden Wissenschaftler ohne institutionelle Anbindung vom Zugriff auf zahlreiche Publikationen ausschließen.
  • OA 2020 wie die übrigen der genannten Initiativen klammern weiterhin das Thema Bildrechte aus, ein Thema, dass für Open-Access-Publikationen in der Archäologie von zentraler Bedeutung ist (Canny, 2015; Siegmund & Scherzler, 2015).

Die Archäologie muss sich einmischen
Kurz: Nahezu alle dieser weitgehend inhaltsgleichen und oft auch von den gleichen Protagonisten unterzeichneten Erklärungen und Initiativen vertreten (noch) nicht die Kerninteressen von Geisteswissenschaftlern. Wir – auch die Archäologie – müssen uns in diese Debatten einmischen und Einfluss nehmen, damit am Ende auch die Archäologie mit ihren spezifischen Bedürfnissen und Bedingungen von diesen positiven Entwicklungen profitiert.

Kommentar vom 24.3.2016
 

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