DGUF Newsletter
vom 14. Oktober 2020
Inhalt
1.2 Aufgabe und Ziele der DGUF im Konsortium NFDI4Objects
1.3 Neue Website von DGUF und CIfA Deutschland: "Beruf Archäologie"
1.4 Die neue Geschäftsführerin der DGUF: Annika Britta Müller M.A.
1.5 Neu: "Archäologische Informationen" bei Propylaeum mit Kommentarfunktion
1.7 Archäologische Berichte 31 nun auch in Kathmandu (Nepal)
1.8 Unter den DGUF-Rezensionsangeboten: "Der Dolmen von Oberbipp"
2 Tagungen und Veranstaltungen
2.1 "Widening Horizons" – EAA Annual Conference (Kiel, 8.-11.9.; CfS bis 12.11.)
2.2 DEGUWA-Tagung "In Poseidons Reich XXVI" (Xanten, 3.-10.5.; CfP bis 31.10.)
2.4 "CitSci Helvetia 2021 - Citizen Science in der Schweiz vernetzen" (Online, 14.-15.1.)
3.1 Neu im Early View der "Archäologischen Informationen"
3.2 Aktuelle Ausgrabungen und Forschung in den Medien
3.4 IntCal20: Überlappung Neandertaler und Homo sapiens neu 4.000 statt 5.000 Jahre
3.5 Die weitverbreitete Milchverträglichkeit ist ein sehr junges Merkmal
3.6 Wikinger: Nicht immer blond und skandinavischer Abstammung
3.8 Kalkriese: Römischer Schienenpanzer entdeckt
3.9 Klimaforschung: Die Wahrheit kommt aus dem Labor? Nö.
3.10 Mesolithische Bergkristallgewinnung auf 2800 m ü. NN
3.11 Neandertaler-Genvariante erhöht das Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19
3.12 Ein weiteres Hallstatt-Grab bei Herbertingen / Heuneburg
3.13 Pontarlier: ein frühmittelalterliches Dorf komplett ergraben
3.14 ROAD Summary Data Sheet: Informationen zum frühesten kulturellen Erbe der Menschheit
4.1 iDAI.chronontology: durchdacht und unvollkommen
4.2 RStudio 1.4 als Preview veröffentlicht
4.3 Von Excel zu R Shiny: eine Schritt-für-Schritt-Anleitung
5 Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI)
5.1 NFDI4Objects ist beantragt
5.2 Wie der Start der NFDI die Organisationsfähigkeit der Fachgemeinschaften herausfordert
6.1 Aktuelles rund um Kulturgutschutz in den Medien
6.2 In der ZDF-Mediathek: "Geraubte Kunst - Millionen für den Terror"
7 Studium, Job-Themen und Personalia
7.1 Harm Tjalling Waterbolk verstorben
7.2 "Zoom-Fatigue": Wenn Onlinekonferenzen zur Erschöpfung führen
7.3 Rechtlich geregelte und gemessene Arbeitszeiten auch im Wissenschaftsbetrieb?!
7.4 Urheberrecht an Forschungsdaten
8.2 Schweiz: Interdepartementale Strategie Baukultur jetzt umsetzbar
9.1 Die "Zeiteninsel": eine neue archäologische Kulturlandschaft für Hessen entsteht
9.2 Wie können auch archäologische Museen unsere moderne Gesellschaft erklären helfen?
10.1 Datendokumentation leicht gemacht!
10.2 Aufruf: "Berlin sucht den Torso in Winckelmanns Hand!"
10.3 Library of Congress öffnet Zeitungsarchiv, online
10.4 Blogparade zum Thema #femaleheritage (11.11.-9.12.)
10.5 Die "titanische Leistung der Kelten": Wandern am Altkönig (Hochtaunuskreis, Hessen)
10.6 Änderungen bei Verursachergrabungen in Großbritannien
10.7 Ratgeber: Wie können Sie zum Fossil werden und Jahrmillionen überdauern?
1 DGUF-Nachrichten
1.1 Intensive Diskussionen, Abbau von Vorurteilen: Bericht von der DGUF-Tagung 2020 "Wollen und brauchen wir mehr Archäologie der Moderne?" (Online, 20.9.)
Die Jahrestagung der DGUF fand am 20.9. mit 67 Teilnehmenden als Online-Tagung statt. Die 14 Vorträge waren bereits in den Tagen zuvor als ausgearbeitete Texte in einem Vortragsheft zusammengefasst und an die angemeldeten Teilnehmer gesandt worden, was Allen eine eingehende Vorbereitung der Debatten ermöglichte. In Summe entstand ein sehr facettenreiches Bild, das vor allem in den Diskussionen weite Konsensfelder ebenso identifizieren half wie Themen, die weiterer Klärung bedürfen. U. Müller wie auch C. Theune betonten, dass die Archäologie der Moderne (AdM) ein nunmehr gut etablierter Zweig der Archäologie / Ur- und Frühgeschichte sei: Es bedürfe keiner eigenen Lehrstühle und auch keines besonderen Ausbaus. Ähnlich die Sicht einiger Vertreter von Landesarchäologien (Th. Kersting, H. Meller): die AdM sei ein Feld, das im Regelbetrieb der Bodendenkmalpflege angekommen sei und dort routinemäßig berücksichtigt werde. Da sich die AdM gemäß den Eindrücken der sachsen-anhaltinischen Landesarchäologie besonderer öffentlicher Aufmerksamkeit erfreue, ließe sie sich lt. H. Meller eher als Einbringer zusätzlicher Ressourcen für die Archäologie nutzen als dass sie an bestehenden Ressourcen zehre. So wies Meller auf einen aktuell erfolgenden, nennenswerten Ausbau der diesbezüglichen Ressourcen in Sachsen-Anhalt hin. N. Mehler hingegen wies zahlenuntermauert auf das Missverhältnis Ur- und Frühgeschichte vs. Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit (AMANZ) hin: Im Grabungsalltag spiele AMANZ eine quantitativ große Rolle, in der universitären Ausbildung hingegen gebe es nur wenig (zu wenig) Lehre und Lehrstühle: ein Ausbau von AMANZ sei nötig. Sie vermied zu spezifizieren, zu wessen Lasten an den Universitäten ein AMANZ-Ausbau stattfinden solle. Die Vertreter des Studierendenverbandes DASV, V. Laahe und I. Finkeldey, hatten genau dazu eine Umfrage unter den Archäologie-Fachschaften durchgeführt und meldeten von dort zurück: Ja, AdM wird als interessant und wichtig erachtet, doch der Fokus der Studierenden liege auf dem Erhalt der bestehenden Fächer und auf einer besseren, praxisnahen und in den Beruf führenden Ausbildung. Ein Mehr an AdM sei als Spezialangebot an einigen Instituten gewiss eine gute, Profil bildende Ergänzung, aber in größerem Umfang als Regelangebot an allen Instituten wohl weder machbar noch sinnvoll. Das Berliner Duo Bernbeck & Pollock wehrte sich gegen allzu viel Regelwerk und plädierte für mehr akademische Freiheit, in der über viel zu enge disziplinäre Grenzen hinweg das Lehren und Forschen von relevanten Themen möglich sein müsse, eben auch zur AdM. Eine deutsche Archäologie, welche die AdM vernachlässige, hänge sich vom internationalen Diskurs ab (so auch S. Hüglin). Den Studierenden trat der schleswig-holsteinische Landesarchäologe U. Ickerodt an die Seite: Es gebe eine zunehmende Divergenz zwischen der universitären Qualifikation und den Bedarfen des Arbeitsmarktes. Es sei wichtig, die Curricula wieder zuverlässig auf Kernkompetenzen auszurichten - eine Forderung, die der Firmenarchäologe S. Piffko deutlich unterstrich. Ein Mehr an AdM - so Ickerodt - sei in der Landesarchäologie rechtlich wie auch praktisch dann möglich, wenn die theoretische Fundierung und die Frage- und Aufgabenstellungen seitens der AdM so tauglich erarbeitet seien und zugeliefert würden, dass auf Basis breit anerkannter und transparenter Kriterien in den Landesarchäologien rechtsfeste (d. h. ggf. auch gerichtlich überprüfbare) Beauflagungen möglich seien. Die AdM selbst müsse die gesellschaftliche Akzeptanz schaffen, dann würde die Politik dafür auch die nötigen Mittel in den Budgets einstellen. Beim Thema Forschungsförderung berichtete S. Hansen, langjähriger Fachkollegiat bei der DFG, dass Anträge aus dem Bereich AdM so offen und wohlwollend betrachtet würden wie alle anderen Anträge ebenfalls; es habe keine Benachteiligung der AdM gegeben. Es gehe bei der DFG ohne fixe Quoten allein um Qualität, besondere Schutzzonen seien nicht möglich. Genau dies forderte jedoch N. Mehler, weil das Stellen guter, konkurrenzfähiger Anträge ja erst einmal das Vorhandensein guter Forschung und guter Antragsteller erfordere - was ohne eine Startfinanzierung via AMANZ-"Schutzzone" schwer zu erreichen sei. Auch der DVA hatte Ende 2017 in seinen Thesen zu den von einer DVA-Arbeitsgruppe formulierten "Leitlinien einer Archäologie der Moderne" eine "Schwerpunktsetzung" in der Forschungsförderung vorgeschlagen. Doreen Mölders berichtete über die in ihrem Museum (Herne) angelaufene Debatte um die Ausstellbarkeit einer AdM: Für die geplante AdM-Landesausstellung 2023 müssten Wege gefunden werden, mit der Tatsache vieler persönlicher Betroffenheiten sorgsam umzugehen, da diese auch gegenläufig sein könnten (Täter, Opfer). Die intensiven Diskussionen während der Tagung ließen manche im Vorfeld spürbaren Vorurteile schwinden und förderten das gemeinsame Umgrenzen und Konkretisieren von Handlungsfeldern und fortbestehender Divergenzen, wo weiterer Klärungsbedarf besteht. Die Vorträge werden im Jg. 2020 der Archäologischen Informationen veröffentlicht werden. Im Anschluss an die Tagung wurde der Deutsche Studienpreis für Archäologie an David N. Matzig übergeben, wozu R. Krauß eine fachlich einordnende, aber auch persönliche Laudatio hielt.
Tagungs-Website: https://www.dguf.de/496.html
Deutscher Studienpreis für Archäologie 2020: https://www.dguf.de/511.html
1.2 Aufgabe und Ziele der DGUF im Konsortium NFDI4Objects
Die DGUF ist offizieller Mitwirkender ("Participant") im Konsortium NFDI4Objects. Als kommunikationsstarke Fachgesellschaft wird sie - so, wie Sie es hier gerade lesen - in ihrem kostenlosen, werbefreien und weit verbreiteten Newsletter mit z. Zt. mehr als 1.700 Abonnenten aus ihrer Sicht und redaktionell unabhängig über wichtige Themen und Ereignisse im Konsortium NFDI4Objects berichten. Dazu gibt es weiter unten die eigens eingerichtete Rubrik "Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI)", die - wie alle anderen Rubriken auch – immer dann auftauchen wird, wenn es etwas zu berichten gibt. Darüber hinaus hat die DGUF angeboten, ggf. auch Aufsätze und Monografien, die aus NFDI4Objects heraus entstehen, im Open Access zu publizieren. Sie will damit dazu beitragen, dass das Wissen und der Diskurs um dieses für das Fach so wichtige Vorhaben nicht allein in den Insider-Zirkeln - die es immer geben wird und auch geben muss - hängen bleibt, sondern im Fach breit bekannt werden kann. Ganz in diesem Sinne wird die DGUF auch eine Plattform für Interessierte und Betroffene bieten, sich im Sinne eines Bottom-Up-Prozesses und "Community Building" in NFDI4Objects einzubringen. Eine Möglichkeit dazu könnten spezielle Tagungen sein, auf denen man sich austauscht, Meinungen und Bedarfe formuliert und diese an die Leitung des Konsortiums übermittelt. In Absprache mit der NFDI-Leitung hat die DGUF dabei im Besonderen die Aufgabe übernommen, der breiten Landschaft der Grabungsfirmen, die kraft ihrer Alltagsarbeit massiv zu den Datenerzeugern und -lieferanten in der Archäologie gehören, eine Stimme zu geben resp. ihnen eine aktive Mitwirkung zu ermöglichen, da die Firmen (ohne die DGUF) institutionell noch nicht bei NFDI4Objects abgebildet waren. Als viertes Tätigkeitsfeld engagiert sich die DGUF, die ja neben der Fachwelt immer auch die an der Archäologie interessierten Bürger und die Ehrenamtlichen im Blickfeld hat, dafür, innerhalb von NFDI4Objects auch eine dem niederländischen PAN (Portable Antiquities of the Netherlands) ähnliches Meldesystem für archäologische Funde zu entwickeln und nachhaltig zu integrieren - eine App zum Melden von Funden und dem Sich-darüber-Austauschen.
Die Partner der DGUF: https://dguf.de/partner.html
1.3 Neue Website von DGUF und CIfA Deutschland: "Beruf Archäologie"
Als Fachgesellschaft hat die DGUF nicht nur Wissenschaft & Forschung im Blick, sondern auch die Selbstorganisation des Faches und den Beruf Archäologie. Das Berufsleben der aktiven wie künftigen Archäologinnen und Archäologen zu verbessern, ist seit Jahrzehnten eines der Kernelemente der DGUF-Arbeit. Der 2018 gegründete Berufsverband CIfA Deutschland fokussiert gänzlich auf dieses Thema: den Beruf Archäologie zu stärken, Beschäftigten wie Auftraggebern eine verlässliche berufliche Ethik und eine Qualitätssicherung zu bieten sowie den Berufstätigen bessere Fort- und Weiterbildungen. DGUF und CIfA Deutschland erstellen immer wieder Publikationen, Arbeitspapiere etc., die von unmittelbarem Nutzen für den Beruf Archäologie sind: sie befinden sich auf den Websites der DGUF, von CIfA Deutschland oder als publizierte Texte bei der UB Heidelberg. Speziell für Studierende wie auch im Beruf Tätige (Arbeitnehmer und Arbeitgeber) haben sich der DGUF-Arbeitskreis "Beruf Archäologie" und CIfA Deutschland zusammengetan und eine knappe Bündelseite eingerichtet, auf der aktuelle Ergebnisse zum Thema "Beruf Archäologie" bequem zusammengestellt sind. Ein neues "Muss" in jeder Archäo-Linkliste.
1.4 Die neue Geschäftsführerin der DGUF: Annika Britta Müller M.A.
Auf den infolge starker beruflicher Belastung zum 30.9. zurückgetretenen DGUF-Geschäftsführer Dr. Philip Lüth folgt die aus Reinbek bei Hamburg stammende Annika Britta Müller M.A. Sie studierte von 2009-2018 an der Universität Kiel Ur- und Frühgeschichte und war anschließend für das Archäologische Landesamt Schleswig-Holstein im Projekt "Megalithic Routes in Schleswig-Holstein" tätig. Neben dem Studium ermöglichte es ihr eine Ausbildung zur zertifizierten Forschungstaucherin, Erfahrungen auf dem Gebiet der Unterwasserarchäologie zu sammeln. Die Ausbildung mündete in Fortbildungen zur Nitrox-Taucherin und Taucheinsatzleiterin, in hilfswissenschaftliche Anstellungen für das Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, sowie in das ehrenamtliche Engagement in einer Taucheinsatzgruppe des Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e. V. Da die Mitgliederversammlung 2019 aufgrund der Pandemie entfallen musste, ist die DGUF-Beirätin mit Ernennung des Vorstands kommissarisch als Geschäftsführerin tätig und stellt sich auf der Mitgliederversammlung 2021 der Wahl.
Mehr zu Annika B. Müller: https://www.dguf.de/373.html
1.5 Neu: "Archäologische Informationen" bei Propylaeum mit Kommentarfunktion
Die 2018 für die DGUF Monografien "Archäologische Berichte" und "Archäologische Quellen" eingerichtete Kommentarfunktion wurde nun auch für alle bei "Propylaeum" publizierten Beiträge in den "Archäologische Informationen" eingerichtet. Kommentare sollen dazu dienen, die publizierten Inhalte um die Perspektiven von Rezipientinnen und Rezipienten zu ergänzen. Die Kommentare sollen inhaltlich fundiert sein und wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Argumente sollen durch nachprüfbare und belegbare Fakten nachvollziehbar sein. Äußerungen dürfen nicht werblich sein. Handelt es sich um besonders ausführliche Kommentare mit Miszellencharakter, z. B. im Sinne einer Rezension, werden diese mit dem Namen ihres Autors auch im Verbundkatalog K10Plus katalogisiert und erhalten einen DOI, so dass sie in den üblichen nationalen und internationalen Katalogen nachgewiesen und eigenständig zitierfähig sind. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die einen Beitrag kommentieren möchten, registrieren sich in einem aufwandsarmen und schnellen Verfahren bei der UB Heidelberg und beantragen dort ein Kommentarrecht. Dies dient zum Schutz vor unsachgemäßer Nutzung. Eine inhaltliche Moderation der Kommentare seitens der UB Heidelberg erfolgt nicht. Die Kommentierung erfolgt über eine eigene Nutzeroberfläche und bezieht sich derzeit jeweils auf den ganzen Aufsatz in der Zeitschrift, Präzisierungen werden im Kommentartext vorgenommen. Kommentare können von ihrem Autor auch mit Schlagworten und Verlinkungen versehen werden. Die Autoren eines Kommentars können diesen – so nötig – später auch korrigieren oder aktualisieren. Kommentare können ihrerseits auch von Dritten kommentiert werden, so dass im Idealfall direkt an der Veröffentlichung ein wissenschaftlicher Diskurs entsteht. Mit dem Klicken auf die Schaltfläche "Kommentieren" auf der Einzelseite zu einem Aufsatz der "Archäologischen Informationen" bei der UB Heidelberg wird zugleich die erwähnte Anmeldung als Autor eingeleitet bzw. so findet bei später erneutem Kommentieren die Anmeldung statt.
"Anleitung zum Annotieren und Kommentieren" (UB Heidelberg, 28.5.2018). https://anno.ub.uni-heidelberg.de/anno/dist/help/digi/de/manual.pdf
Die "Archäologischen Informationen" bei der UB Heidelberg https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/arch-inf
1.6 Archäologische Informationen: Aus "Tagungen und Arbeitsgemeinschaften" wird "Projekte, Arbeitsgemeinschaften und Tagungen"
Die Archäologischen Informationen haben die bisherige Rubrik "Tagungen und Arbeitsgemeinschaften", die der aktuellen Berichterstattung über laufende - mehr in Arbeit befindliche denn abgeschlossene - Forschungen dient, der Klarheit halber um den Begriff "Projekte" erweitert. Wir wollen damit stärker als bisher auch Forschungsprojekte dazu einladen, über wichtige Stadien eines "Work in Progress" zu berichten - d. h. Texte einzureichen, die inhaltlich deutlich über reine Ankündigungen ("Projekt xyz beantragt / gestartet") hinausgehen, aber eben keine abschließenden Endpublikationen sind. So entstehen beispielsweise bei über einen längeren Zeitraum hinweg finanzierten Projekten anlässlich von Zwischenevaluationen nicht selten wertvolle, gründlich verfasste und ergebnisreiche Texte, die als Zwischenberichte über den kleinen Kreis der Gutachter hinaus auch für die wiss. Öffentlichkeit von hohem Interesse sind - auch wenn sie noch nicht bis ins Letzte ausgereift sind. Projektleiterinnen und Projektleitern bietet dies eine gute Möglichkeit, über den Kreis des bereits etablierten Partnerfeldes hinaus Resonanz für vorläufige Forschungsergebnisse zu finden, die dann in die abschließenden Auswertungen einfließen kann. Im Hinblick auf die notwendigerweise geringere Halbwertszeit solcher Texte bleibt die Rubrik weiterhin im Online-Only-Teil der Arch. Informationen angesiedelt, der zitierfähig ist, dauerhaft langfrist-archiviert und bibliographisch voll erschlossen wird.
Website der Archäologischen Informationen: http://www.archaeologische-informationen.de
Handreichung für Organisatoren von Tagungen und Sektionen: Publizieren von Tagungsberichten und Vorträgen einer Tagung bei der DGUF: https://www.dguf.de/fileadmin/user_upload/publikationen/DGUF-Dok_Handreichung_Tagungspublikationen.pdf
1.7 Archäologische Berichte 31 nun auch in Kathmandu (Nepal)
Mit dem umfangreichen Band 31 der Archäologischen Berichte wurde ein Grabungsprojekt im Dzong-Tal, Himalaya (Nepal), abschließend wissenschaftlich publiziert. Obwohl der Band im Open Access publiziert wurde und somit auch in Nepal per Internet verfügbar ist, war es der DGUF wichtig, auch ein gedrucktes Exemplar an geeigneter Stelle im Lande zu wissen und zur Verfügung zu stellen. Mit Corona-bedingten Verzögerungen und Komplikationen konnte der Band samt einem Begleitschreiben im Sept. 2020 dem Department of Archaeology in Kathmandu durch einen Vertreter der DGUF persönlich als Geschenk übergeben werden. Damit sind nunmehr auch zwei gedruckte Exemplare dieser Publikation in Nepal verfügbar - das andere Exemplar ging an das Lumbini International Research Institute.
Angela Simons (Hrsg.): Hirten im Himalaya – Prähistorische Mumien im Höhlengrab Mebrak 63 / Pastoralists in the Himalayas – prehistoric mummies in the burial cave Mebrak 63 (Mustang/Nepal). Archäologische Berichte 31, 2019. https://www.dguf.de/503.html
1.8 Unter den DGUF-Rezensionsangeboten: "Der Dolmen von Oberbipp"
Unter den zahlreichen Bänden und Schriften, welche die Herausgeber der "Archäologischen Informationen" zur Rezension ausschreiben, sei diesmal die im August im Jahrbuch Archäologie Bern erschienene Publikation zum Dolmen von Oberbipp hervorgehoben. Das 2012 in Oberbipp entdeckte und anschließend vollständig ergrabene Steinkistengrab bestand aus vier plattenförmigen Findlingsblöcken, die eine innen 1,4 x 2,0 m große Kammer bildeten, und einer 7,5 Tonnen schweren Deckplatte. Es diente zur Bestattung von rund 30 Personen. Die Anlage war durch eine spätere Überdeckung ausnehmend gut erhalten. Beigaben und 14C-Daten datieren den Dolmen in das ausgehende 4. Jahrtausend v.Chr. Dank der ungewöhnlich guten Knochenerhaltung waren umfang- und ergebnisreiche anthropologische Untersuchungen möglich. Die Ausgrabung wurde zwar im Jahrbuch der Berner Kantonsarchäologie formal in zwei Aufsätzen publiziert, die Veröffentlichung hat jedoch monographischen Charakter und soll entsprechend rezensiert werden. - Wenn Sie Interesse an einer Rezension haben, richten Sie bitte Ihre Anfrage mit Ihrer vollständige Postanschrift sowie einer kurzen Begründung, weshalb Sie dieses Werk besprechen wollen, an:
Alle Rezensionsangebote der "Archäologischen Informationen" mit weiteren Informationen zu Modalitäten und Ablauf: http://www.dguf.de/fileadmin/user_upload/publikationen/AI/DGUF-Dok_Arch-Inf_Rezensionsangebote.pdf
Mehr zur Publikation: M. Ramstein, M. Cornelissen, D. Schimmelpfennig & Ph. Rentzel (2020). Der Dolmen von Oberbipp, Steingasse. /und/ S. Lösch, I. Siebke, A. Furtwängler, N. Steuri, A. Hafner, S. Szidat u. J. Kause: Bioarchäologische Untersuchungen der Knochen aus dem Dolmen von Oberbipp, Steingass. In: Jahrbuch Archäologie Bern 2020, p. 94-230. - Open Access: https://boris.unibe.ch/view/divisions/a4f6049f-e733-47ca-8b36-2763caa623de.html
2 Tagungen und Veranstaltungen
2.1 "Widening Horizons" – EAA Annual Conference (Kiel, 8.-11.9.; CfS bis 12.11.)
Die 27. Jahrestagung der EAA findet in Deutschland statt, in Kiel. Bis 12.11. ist der "call for sessions" offen. Für das Einreichen einer Session ist eine Mitgliedschaft in der EAA notwendig, zudem müssen die Session-Organisatoren aus mehr als einem Land stammen/beruflich verbunden sein. Die übergeordneten Themen, auf welche sich Sessions beziehen sollen, lauten: 1. Widening horizons through human-environment interconnections; 2. Pandemics and climate change: responses to global challenges; 3. The new normality of heritage management and museums in post-Covid times; 4. Globalisation and archaeology; 5. Assembling archaeological theory and the archaeological sciences; 6. Material culture studies and societies; 7. From global to local: Baltic-Pontic studies. Sie können Ihre Session bei der Einreichung ggf. mit einer der EAA-Partnerorganisationen labeln und damit stärken: Für alle DGUF-Mitglieder und Einreichungen mit "deguffigen" Themenvorschlägen kann das gerne die langjährige EAA-Partnerin DGUF sein. – Die Anmeldung zur Teilnahme an der Tagung ist seit 14.10. möglich.
2.2 DEGUWA-Tagung "In Poseidons Reich XXVI" (Xanten, 3.-10.5.; CfP bis 31.10.)
"Safety and Waterways" ist das Thema der kommenden DEGUWA-Tagung zur Unterwasserarchäologie. Die Seefahrt war im Hinblick auf die Sicherheit von Besatzung, Schiff und Fracht sowie die finanziellen Risiken für Reeder und Händler riskant. Neben der Sicherheit an Bord, der Bewachung von Seewegen, maritimen und limnischen Anlagen sowie der wirtschaftlichen Sicherheit soll der moderne Schutz des kulturellen Erbes unter Wasser erörtert werden. Die Konferenz soll einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand geben. Vorträge zur Thematik und Berichte über neuere Forschungen in anderen Bereichen der Nautik-, Unterwasser- und Feuchtgebietsarchäologie werden ebenfalls geschätzt.
2.3 "Expressions artistiques des sociétés des âges du Fer" - 46e colloque de l’AFEAF (Aix-en-Provence, 26-28.5.2022; CfP bis 31.5.2021)
"The question of artistic expressions among the Celts is a delicate theme, because it is linked to rules or concepts, even prejudices that for some go back to the sources of historiography, particularly in relation to other ancient contemporary societies", writes the Association française pour l’étude de l’âge du Fer (AFEAF) on this conference. It will be divided into four themes: 1 The notion of art: historiography and epistemology, 2 The making of art: tangible and intangible forms, 3 The meaning of productions: representations, styles, interpretations, and 4 Art in society: status, identities, functions. Proposals are welcome until 31 May 2021.
https://f.hypotheses.org/wp-content/blogs.dir/347/files/2020/09/AFEAF_AIX_2022_EN.pdf
2.4 "CitSci Helvetia 2021 - Citizen Science in der Schweiz vernetzen" (Online, 14.-15.1.)
Mit der ersten Schweizer Citizen-Science-Konferenz wollen die Veranstalter die verschiedenen Citizen Science-Akteure zusammenbringen, um die Traditionen der Bürgerwissenschaft in der Schweiz zu entdecken und zu vernetzen. So möchte man "gemeinsam die Vielfalt in der Koproduktion von Wissen kennenlernen und diskutieren". Die Anmeldung soll baldmöglichst freigeschaltet werden, versichern die Veranstalter der Newsletter-Redaktion, die Kosten betragen 50 CHF regulär; die Tagung ist gratis für Studierende/Auszubildende sowie Personen ohne Möglichkeit der Kostenübernahme durch eine Institution.
3 Forschung
3.1 Neu im Early View der "Archäologischen Informationen"
Maier, A. (2020). Rezension zu: Tafelmaier, Y., Bataille, G., Schmid, V., Taller, A. & Will, M. (2020). Methoden zur Analyse von Steinartefakten. Eine Übersicht. Wiesbaden: Springer. Archäologische Informationen 43, Early View, online publiziert 6. Okt. 2020.
Bolus, M. et al. (2020). Durch die Menschheitsgeschichte mit dem neuen ROAD Summary Data Sheet. Archäologische Informationen 43, Early View, online publiziert 7. Okt. 2020.
Bolus, M. et al. (2020). Explore the history of humanity with the new ROAD Summary Data Sheet. Archäologische Informationen 43, Early View, published online 7 Oct. 2020.
O’Meara, D. P. (2020). Review of: Valdez-Tullett, J. (2019). Design and Connectivity: The Case of Atlantic Rock Art. (BAR Internat. Series, 2932). Oxford: BAR. Archäologische Informationen 43, Early View, published online 22. Sept. 2020.
Klammt, A. (2020). Software-Rezension zu: Bruhn, K.-Chr. et al. (2018). iDAI.chronontology V 1.0. Berlin: Deutsches Archäologisches Institut & i3mainz. Archäologische Informationen 43, Early View, online publiziert 8. Sept. 2020.
Basílio, A. C. (2020). Review of: Crellin, R. J. (2020). Change and Archaeology. (Themes in Archaeology). London: Routledge. Archäologische Informationen 43, Early View, published online 3 Sept. 2020.
http://www.dguf.de/earlyview.html
3.2 Aktuelle Ausgrabungen und Forschung in den Medien
"Der moderne Mensch kam auf Umwegen nach Europa. Klimatische Bedingungen leiteten die geographische Ausbreitung von Homo sapiens in der Levante vor 43.000 Jahren" (Universität Köln, 14.10.): https://portal.uni-koeln.de/universitaet/aktuell/presseinformationen/detail/der-moderne-mensch-kam-auf-umwegen-nach-europa
Brandenburg an der Havel: "Seltene neolithische Rinderbestattungen bei Neuschmerzke entdeckt" (Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, 13.10.): https://bldam-brandenburg.de/pressemeldungen/seltene-neolithische-rinderbestattungen-bei-neuschmerzke-entdeckt/
"If the glove fits. Modern tools and US Army-edition gloves may have uncovered the original dimensions of the tefach, a biblical unit of measurement used by ancient Israelites" (The Hebrew University of Jerusalem, 13.10.): https://www.eurekalert.org/pub_releases/2020-10/thuo-itg101320.php
"Reiter wetteiferten vor 3000 Jahren um die ältesten Lederbälle Eurasiens" (Universität Zürich, 12.10.): https://www.media.uzh.ch/de/medienmitteilungen/2020/Baelle.html
Sands National Park, New Mexico: "Fossil footprints: the fascinating story behind the longest known prehistoric journey" (The Conversation, 9.10.): https://theconversation.com/fossil-footprints-the-fascinating-story-behind-the-longest-known-prehistoric-journey-147520
"Nördlingen: Kinderskelett aus der Keltenzeit entdeckt" (Süddeutsche, 9.10.): https://www.sueddeutsche.de/bayern/noerdlingen-kinderskelett-kelten-archaeologie-1.5059052
Lendbreen-Gletscher: "Viking treasures uncovered in lost mountain pass" (Norway Today, 8.10.): https://norwaytoday.info/culture/photos-viking-treasures-unraveled-in-lost-mountain-pass/ und: "The Hunt for the Lost Mountain Pass" (Secrets of the Ice, 16.4.2020): https://secretsoftheice.com/news/2020/04/16/mountain-pass/
"Les fouilles archéologiques du temple et du cimetière huguenots de Charenton" (INRAP, 8.10.): https://www.inrap.fr/les-fouilles-archeologiques-du-temple-et-du-cimetiere-huguenots-de-charenton-15233
"Neandertal babies had stocky chests like their parents. Our evolutionary relatives may have inherited short, deep rib cages from their ancestors" (ScienceNews, 7.10.): https://www.sciencenews.org/article/neandertal-babies-chest-shape-ribcage-skeleton-anthropology
"Diet of pre-Columbian societies in the Brazilian Amazon reconstructed" (Universitat Autonoma de Barcelona, 6.10.): https://www.eurekalert.org/pub_releases/2020-10/uadb-dop100620.php
"Archäologie mal anders - Austauscharchäologinnen im Bergwerk von Hallstatt" (Stiegen-Blog, 6.10.): http://hallstatt-forschung.blogspot.com/2020/10/archaologie-mal-anders.html
"Scientists find intact brain cells in skull of man killed in Vesuvius eruption nearly 2,000 years ago" (CNN, 5.10.): https://edition.cnn.com/2020/10/05/europe/brain-cells-vesuvius-victim-herculaneum-scn-scli-intl/index.html?
"6,500-year-old copper workshop uncovered in the Negev Desert's Beer Sheva" (Phys.org, 5.10.): https://phys.org/news/2020-10-year-old-copper-workshop-uncovered-negev.html
England: "Sixth century warrior set to shed new light on Dark Ages" (Independent, 5.10.): https://www.independent.co.uk/news/science/archaeology/sixth-century-warrior-set-dark-age-military-king-arthur-b780303.html
"A tale of two cesspits: DNA reveals intestinal health in Medieval Europe and Middle East" (University of Cambridge, 4.10.): https://www.eurekalert.org/pub_releases/2020-10/uoc-ato100120.php und "Eine Geschichte von zwei Senkgruben: Alte DNA beleuchtet Darmgesundheit im mittelalterlichen Europa und Nahen Osten. Eine neue Studie zeigt, dass die Gewinnung alter bakterieller DNA aus archäologischen Latrinen möglich ist" (Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, 5.10.): https://www.shh.mpg.de/1871476/microbiomes-of-mediveval-latrines
"Sunken glass treasure found near Bourgas on Bulgaria’s Black Sea coast" (The Sofia Globe, 3.10.): https://sofiaglobe.com/2020/10/01/archaeology-sunken-glass-treasure-found-near-bourgas-on-bulgarias-black-sea-coast/
"A collection of 59 intact 26th Dynasty coffins unearthed in Egypt's Saqqara Necropolis" (Ahram Online, 3.10.): http://english.ahram.org.eg/NewsContent/9/40/386483/Heritage/Ancient-Egypt/In-Photos-A-collection-of--intact-th-Dynasty-coffi.aspx
China: "3000 Jahre alte Bälle in Turfan gefunden" (DAI, 3.10.): https://www.dainst.blog/bridging-eurasia/zeit-ball-zu-spielen-3000-jahre-alte-baelle-in-turfan-gefunden/
"Ancient Siberian grave holds 'warrior woman' and huge weapons stash" (LiveScience, 1.10.): https://www.livescience.com/iron-age-burial-with-weapons-siberia.html
"Stunning Bronze Age statuette with a tattooed face and a bone mask found in Siberia" (The Siberian Times, 1.10.): https://siberiantimes.com/other/others/features/stunning-bronze-age-statuette-with-a-tattooed-face-and-a-bone-mask-found-in-siberia/
"Schädelfund aus England belegt grausame Bestrafungsmethode. Wer um 800 herum eine Straftat beging, musste mit schlimmen Gesichtsverstümmelungen als Strafe rechnen. Das zeigt eindrücklich der Schädel einer Frau, deren Überreste Forscher im englischen Oakridge fanden" (Spektrum, 1.10.): https://www.spektrum.de/news/schaedelfund-aus-england-belegt-grausame-bestrafungsmethode/1777347
"Decapitated and dismembered skeletons reveal lost Iron Age massacre" (LiveScience, 30.9.): https://www.livescience.com/iron-age-village-massacre.html
Sala de las Pinturas (Burgos, Spanien): "12,000 years of parietal art in the Ojo Guareña karst complex" (CENIEH, 30.9.): https://www.alphagalileo.org/en-gb/Item-Display/ItemId/197941
- Jh. n. Chr.: "Un sarcophage multiséculaire exhumé à Arras" (GEO, 30.9.): https://www.geo.fr/histoire/archeologie-un-sarcophage-multiseculaire-exhume-a-arras-202297
"Sensational Find of Pagan Temple Remains in Norway" (Life in Norway, 29.9.): https://www.lifeinnorway.net/sensational-find-of-pagan-temple-remains-in-norway/
"Gegenwartsarchäologie – Wenn Müll zum Kulturerbe wird" (SWR2, 29.9.; Audio, 27:53 Min.): https://www.swr.de/swr2/wissen/gegenwartsarchaeologie-wenn-muell-zum-kulturerbe-wird-swr2-wissen-2020-09-29-100.html
"Modern humans reached westernmost Europe 5,000 years earlier than previously known. Discovery may indicate modern humans and Neanderthals lived in the area concurrently" (University of Louisville, 28.9.): https://www.eurekalert.org/pub_releases/2020-09/uol-mhr092320.php
Kahin Tepe: "Oldest worship place in Black Sea region unearthed" (Hürriyet, 28.9.): https://www.hurriyetdailynews.com/oldest-worship-place-in-black-sea-region-unearthed-158641
"Gut, dass es früher keine Zahnreinigung gab: Archäologen können mithilfe von Zahnstein viel über die Lebensbedingungen früherer Menschen herausfinden. Geschlechtsbestimmung, Ernährungsweise, Krankheiten: Der mineralisierte Belag im Mund verrät es. Allerdings ist die Methode so neu, dass sie noch ein paar Schwachstellen hat" (NZZ, 27.9.): https://www.nzz.ch/wissenschaft/zahnstein-neue-methode-erschliesst-ihn-als-archaeologische-quelle-ld.1571056
"New funerary and ritual behaviors of the Neolithic Iberian populations discovered. Researchers from the University of Seville analyse two human skulls and the remains of a goat found in the Cueva de la Dehesilla (Cádiz, Spain)" (Universität Sevilla, 25.9.): https://www.eurekalert.org/pub_releases/2020-09/uos-nfa092520.php
"Y-Chromosomen von Neandertalern und Denisovanern entziffert. Neandertaler haben männliches Geschlechtschromosom vom modernen Menschen übernommen" (Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, 24.9.): https://www.mpg.de/15425970/neandertaler-y-chromosom
"#MeToo-potamia (or systemic gender inequality in Mesopotamia)" (ASOR, 24.9.): http://www.asor.org/anetoday/2020/09/metoo-potamia
"Chromium steel was first made in ancient Persia" (University College London, 22.9.): https://www.eurekalert.org/pub_releases/2020-09/ucl-csw092120.php
Archäologische Forschung Hallstatt: "Einblicke in die Ausgrabung im Salzbergwerk 2020" (Stiegen-Blog, 22.9.): http://hallstatt-forschung.blogspot.com/2020/09/einblicke-in-die-ausgrabung-im.html
"New clues to the origin of domestic horses. Ancient DNA suggests it didn’t happen in Anatolia" (Cosmos, 18.9.): https://cosmosmagazine.com/nature/evolution/new-clues-to-the-origin-of-domestic-horses/
"Facial reconstruction reveals Egyptian 'mummy portrait' was accurate except for one detail" (Live Science, 18.9.): https://www.livescience.com/mummy-portraits-egypt-accuracy.html
"Alte menschliche Fußabdrücke in Saudi-Arabien ermöglichen Momentaufnahme der arabischen Ökologie vor 120.000 Jahren. Neues archäologisches Forschungsprojekt präsentiert die ältesten sicher datierten Nachweise von Menschen auf der arabischen Halbinsel" (Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, 18.9.): https://www.shh.mpg.de/1863837/ancient-human-footprints-in-saudi-arabia
Brücken-Hackpfüffel (Lkr. Mansfeld-Südharz): "Einzigartige Schätze aus 1500 Jahre altem Gräberfeld" (Süddeutsche, 18.9.): https://www.sueddeutsche.de/wissen/archaeologie-halle-saale-einzigartige-schaetze-aus-1500-jahre-altem-graeberfeld-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200918-99-610844
"Gewalt und blutige Rituale der Reiterkrieger. Spuren von Gewalt an 1700 Jahre alten Skeletten aus Sibirien erlauben Kampfpraktiken der Steppennomaden zu identifizieren" (Universität Bern, 17.9.): https://www.unibe.ch/aktuell/medien/media_relations/medienmitteilungen/2020/medienmitteilungen_2020/gewalt_und_blutige_rituale_der_reiterkrieger/index_ger.html
"These 120,000-year-old footprints offer early evidence for humans in Arabia" (Science Magazine, 17.9.): https://www.sciencemag.org/news/2020/09/these-120000-year-old-footprints-offer-early-evidence-humans-arabia
"A 48,000 years old tooth that belonged to one of the last Neanderthals in Northern Italy" (Universität Bologna, 17.9.): https://www.eurekalert.org/pub_releases/2020-09/udb-a4y091720.php
"Neolithic paintings in Spain reveal art was social activity for both sexes. Study of fingerprints left at Los Machos site thousands of years ago reveal age and sex of artists" (The Guardian, 16.9.): https://www.theguardian.com/science/2020/sep/16/neolithic-paintings-in-spain-reveal-art-was-social-activity-for-both-sexes
"New god, goddess figurines found in Kültepe" (Hürriyet, 16.9.): https://www.hurriyetdailynews.com/new-god-goddess-figurines-found-in-kultepe-158284
"Did our early ancestors boil their food in hot springs? Scientists have found evidence of hot springs near sites where ancient hominids settled, long before the control of fire" (MIT News, 15.9.): https://news.mit.edu/2020/early-human-hot-springs-food-0915
"Découverte de tombes monumentales du début de la Protohistoire aux abords de Capendu (Aude)" (INRAP, 11.9.): https://www.inrap.fr/des-tombes-monumentales-du-debut-de-la-protohistoire-aux-abords-de-capendu-aude-15165
"Die älteste Neandertaler-DNA Mittelosteuropas. 80.000 Jahre alter Neandertaler offenbart kulturelle und genetische Verbindungen zwischen Polen und dem Nordkaukasus" (Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, 8.9.): https://www.mpg.de/15346319/0908-evan-019609-die-aelteste-neandertaler-dna-mittelosteuropas
Archäologie der Moderne: "Pourquoi fouiller un site fortifié allemand sur le mur de l’Atlantique?" (INRAP, 5.9.): https://www.inrap.fr/pourquoi-fouiller-un-site-fortifie-allemand-sur-le-mur-de-l-atlantique-15173
3.3 Weltweites Interesse an den "Kritischen Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra"
Der am 3.9. in den "Archäologischen Informationen" veröffentlichte Aufsatz von Rupert Gebhard und Rüdiger Krause, "Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra" ist weltweit auf Interesse gestoßen, vor allem bei den Leitmedien. Beispielsweise berichteten in Deutschland die ZEIT, die ARD, 3sat, Deutsche Welle, BILD und zahlreiche Printmedien, international folgten u. a. The Times, Dagens Nyheter, The New York Times, Wiener Zeitung, Le Figaro, CNN und die Washington Post. Auch in Ländern wie z. B. Brasilien, Venezuela, Dänemark, Vietnam, Indonesien oder Serbien wurde das Thema aufgegriffen. Erfreulich oft veröffentlichten die Redaktionen eigens geschriebene Beiträge (und nicht nur die Agenturmeldungen). Zu Wort kamen neben den Autoren vielfach auch das Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Harald Meller) und Ernst Pernicka, außerdem Dritte wie z. B. Emilia Pásztor. In den Online-Fassungen der Fernseh- und Hörfunkbeiträge sowie der Print-Artikel wurde meist der in deutscher und englischer Sprache (und wie immer im Open Access) publizierte Artikel von Gebhard und Krause verlinkt, womit jede(r) Interessierte die wissenschaftliche Untersuchung selbst lesen kann. Das Landesmuseum für Vorgeschichte Halle reagierte auf die Publikation mit einer als "Richtigstellung" betitelten kurzen Erwiderung; Harald Meller und Ernst Pernicka kündigten in den Interviews an, eine wissenschaftliche Veröffentlichung zum Aufsatz von Gebhard und Krause noch im laufenden Jahr bzw. in Bälde folgen zu lassen.
Zusammenfassung des Aufsatzes und Medienspiegel mit einer Auswahl der Berichterstattung: https://dguf.de/himmelsscheibe.html
Summary of the research article and clipping report with a selection of media articles: https://dguf.de/nebraskydisk.html
Gebhard, R. & Krause, R. (2020). Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra. Archäologische Informationen 43, Early View, online publiziert 3. Sept. 2020: https://www.dguf.de/fileadmin/AI/ArchInf-EV_Gebhard_Krause_d.pdf
Gebhard, R. & Krause, R. (2020). Critical comments on the find complex of the so-called Nebra Sky Disk. Archäologische Informationen 43, Early View, published online 3 Sept. 2020: https://www.dguf.de/fileadmin/AI/ArchInf-EV_Gebhard_Krause_e.pdf
3.4 IntCal20: Überlappung Neandertaler und Homo sapiens neu 4.000 statt 5.000 Jahre
Die neue 14C-Kalibrationskurve ändert für die jüngeren Epochen wenig. Recht kräftige Änderungen ergeben sich hingegen für den Anfang jenes Zeitraums, an dem man mit 14C datieren kann. Dies betrifft ganz besonders jenen Zeitabschnitt, für den man eine parallele Existenz von Neandertalern und Homo sapiens in Europa annimmt. Nach IntCal13 datierte der älteste Homo sapiens (Bacho-Kiro-Höhle) auf 45780 vor heute, der jüngste Neandertaler (Saint-Césaire) auf 40780 vor heute, macht 5.000 Jahre an Überlappung. Nun, mit InCal20, liegen diese Daten bei bei 45120 und 41160 vor heute, macht 3.960 Jahre: die Überlappungszeit ist um ein Jahrtausend geschrumpft. Als Auslöser dieser anderen Geschwindigkeit der 14C-Uhr gilt das sog. Laschamp-Ereignis um 41000 vor heute, in dem sich das Magnetfeld der Erde kurzzeitig umkehrte und stark abschwächte, so dass mehr kosmische Strahlung die Erde erreichte.
Karin Schlott: "Korrigierte C-14-Daten: Neandertaler und Mensch: Eine kurze Zweisamkeit" (Spektrum.de, 31.8.): https://www.spektrum.de/news/neandertaler-und-mensch-eine-kurze-zweisamkeit/1763439
Bard, E., Heaton, T. J., Talamo, S., Kromer, B., Reimer, R. W. & Reimer, P. (2020). Extended dilation of the radiocarbon time scale between 40,000 and 48,000 y BP and the overlap between Neanderthals and Homo sapiens. PNAS 117(35), 21005-21007 (1.9.2020): https://www.pnas.org/content/117/35/21005
3.5 Die weitverbreitete Milchverträglichkeit ist ein sehr junges Merkmal
Die Fähigkeit, Milch zu verdauen, geht bei vielen Menschen nach dem Säuglingsalter verloren, als Erwachsene haben sie eine Laktose-Intoleranz, eine Milchzucker-Unverträglichkeit. Die Milchverträglichkeit Erwachsener ist populationsspezifisch sehr verschieden häufig ausgeprägt, in Asien liegt sie heute bei 10 bis 35 % der Erwachsenen, in Europa hingegen bei 20 bis 90 %, bei wiederum starken regionalen Unterschieden: Mitteleuropa eher 90 %, Südeuropa eher 20 %. Daher war es seinerzeit überraschend festzustellen, dass die ersten Neolithiker in Europa vorwiegend laktose-intolerant waren, d. h. die Milch ihrer domestizierten Kühe als Erwachsene mehrheitlich nicht verdauen konnten. Ein Umstand, der sich jedoch auf rohe Milch bezieht, während vergleichsweise einfach zu erzeugende Milchprodukte verträglich sind. Wie Jens Lüning (2014) aufzeigte, sind entsprechende zur Milchaufbereitung dienende Gefäße seit der Bandkeramik geläufig. Doch wann kam denn die Fähigkeit Erwachsener, auch Rohmilch zu verdauen, in Europa in stärkerem Maße auf? Das Team um Joachim Burger (Uni Mainz) hat im Sept. eine Studie zu den Kriegern der "Schlacht an der Tollense" um 1200 v. Chr. publiziert, die neben anderem feststellt, dass dort nur circa jeder achte Mann Milchzucker verdauen konnte, also nur ca. 12,5 %; der heute in dieser Region beobachtete Wert beträgt 90 %. Der Sprung von 12,5 auf 90 % innerhalb von 3.200 Jahren ist groß und ungewöhnlich schnell, betont der Aufsatz von Burger, "das entsprechende Gen ist das am stärksten positiv selektierte im ganzen menschlichen Genom".
Burger, J., Link, V., Blöcher, J., Thomas, M. G., Veeramah, K. R. & Wegmann, D. (2020). Low prevalence of lactase persistence in Bronze Age Europe indicates ongoing strong selection over the last 3.000 years. Current Biology (3.9.2020). DOI: 10.1016/j.cub.2020.08.033 https://www.cell.com/current-biology/fulltext/S0960-9822(20)31187-8
"Milchverträglichkeit hat sich in wenigen tausend Jahren in Mitteleuropa verbreitet: Paläogenetiker der JGU finden nur in wenigen Knochen vom bronzezeitlichen Schlachtfeld an der Tollense Hinweise auf Laktasepersistenz" (Pressemitteilung JGU Mainz, 3.9.): https://www.uni-mainz.de/presse/aktuell/12031_DEU_HTML.php
Hintergrund: "Ursprung der Milchverträglichkeit bei Erwachsenen liegt in Südosteuropa" (Pressemitteilung JGU, 28.8.2009): https://www.uni-mainz.de/presse/31628.php
Burger, J., Kirchner, M., Bramanti, B., Haak, W. & Thomas, M. G. (2007). Absence of the lactase-persistence-associated allele in early Neolithic Europeans. PNAS 104 (10), 6. März 2007, S. 3736–3741. https://www.pnas.org/content/104/10/3736
Lüning, J. (2014). Einiges passt, anderes nicht: Archäologischer Wissensstand und Ergebnisse der DNA-Anthropologie zum Frühneolithikum. Archäologische Informationen 37, 43-51. https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/arch-inf/article/view/18190/11991
3.6 Wikinger: Nicht immer blond und skandinavischer Abstammung
Eine in "Nature" veröffentlichte, umfangreiche Genomsequenz-Studie rüttelt am Stereotyp der Wikinger: Diese waren keineswegs immer blond und skandinavischer Abstammung. Das Forscherteam um die Evolutionsgenetikerin Eske Willerslev hat 442 Skelette von mehr als 80 Fundorten aus der Zeit von etwa 2400 v. Chr. bis 1600 n. Chr. untersucht. Nicht nur aus Skandinavien, sondern z. B. auch aus dem Baltikum, Russland, Italien und Grönland wurden Proben aus Gräbern zusammengetragen, die von ihrem Kontext oder von ihren Beigaben her mit den Wikingern in Verbindung gebracht werden können. Der Studie zufolge waren die Wikinger genetisch keine homogene Gruppe, sondern schon rein äußerlich ein "bunter Haufen": viele hatten braune Haare. Die Vorfahren vieler Individuen stammten aus Skandinavien und Südeuropa; bei anderen seien zentraleuropäische oder sogar samische Einflüsse nachzuweisen. Wenig Anzeichen genetischer Vermischung fanden die Forscher im skandinavischen Binnenland; dafür habe es drei Hotspots der genetischen Diversität gegeben – Dänemark und die schwedischen Inseln Gotland und Öland; diese ließen sich mit wikingerzeitlichen Seehandelszentren in Verbindung bringen. "Wikinger" scheint also eher eine Berufsbezeichnung und kein angeborener oder ererbter Titel gewesen zu sein. Bei der Sequenzierung der Genome von 34 Individuen einer Wikingerbestattung in Salme, Estland, gab es eine Überraschung: Dem Team gelang es, vier Brüder zu identifizieren, die nebeneinander bestattet worden waren. Aber es bleiben auch Rätsel: In den Wikingersiedlungen in Amerika konnten bisher keine sequenzierbaren menschlichen Skelettreste gefunden werden. Die Debatte hingegen um die Rolle der Wikinger bei der Staatengründung in Russland – ein politisch heißes Eisen – kann nun auf einer neuen Datenbasis geführt werden.
"Population genomics of the Viking world" (Nature 585, Issue 7825, S. 390–396, 17.9.): https://doi.org/10.1038/s41586-020-2688-8
"Viking voyagers" (Nature 585 Issue 7825, 17.9.): https://www.nature.com/nature/volumes/585/issues/7825
"'Viking' was a job description, not a matter of heredity, massive ancient DNA study shows" (Science 16.9.): https://www.sciencemag.org/news/2020/09/viking-was-job-description-not-matter-heredity-massive-ancient-dna-study-shows
"DNA-Studie zu den Wurzeln der Wikinger: Weder blond noch skandinavisch" (National Geographic, 17.9.): https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2020/09/dna-studie-zu-den-wurzeln-der-wikinger-weder-blond-noch-skandinavisch
3.7 Historiker im "Materiality Turn" - Yi-Neumann rezensiert einen Sammelband aus dem Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit
So, wie die Archäologie mehr und mehr die Neuzeit und Moderne als ihren Forschungsgegenstand entdeckt, entdeckt die Geschichtswissenschaft unter dem Schlagwort "material turn" resp. "materiality turn" die materiellen Hinterlassenschaften, wenn sie die Neuzeit und die Gegenwartsgeschichte erforscht. Ein gutes Zeugnis für den Stand dieser von Historikern ausgehenden Debatte ist der 2019 bei Böhlau in einer neu eröffneten Reihe erschienene Band "Object Links. Dinge in Beziehung", der jetzt bei H-Soz-Kult von Friedemann Yi-Neumann rezensiert wurde: "Das Verdienst des Bandes besteht, zusammenfassend betrachtet, in einer innovativen Adaption und stringenten Anwendung des 'Materiality Turns' für die Geschichtswissenschaften. Der Blick auf die Verknüpfung von Gegenständen erlaubt es, historische Zusammenhänge neu zu denken und diese auch methodisch auf ungekannte Weise zu fassen."
Yi-Neumann, Fr. (2020). Rezension zu: Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit (Hrsg.): Object Links. Dinge in Beziehung. (Forschungen zur Materiellen Kultur, 1). Wien: Böhlau (H-Soz-Kult, 9.9.): https://www.hsozkult.de/review/id/reb-50282?title=institut-fuer-realienkunde-des-mittelalters-und-der-fruehen-neuzeit-hrsg-object-links&recno=46&page=3&q=&sort=&fq=&total=17329
3.8 Kalkriese: Römischer Schienenpanzer entdeckt
Auf einer Pressekonferenz am 25.9. wurde in Kalkriese der Fund eines römischen Schienenpanzers aus augusteischer Zeit vorgestellt. Man wisse zwar von solchen Panzern, aber der Neufund sei weltweit das einzige erhaltene Stück aus dieser Zeit. Ein Fund aus England stamme aus dem 2. Jh. n. Chr. Zusammen mit dem Panzer wurde eine sog. Halsgeige entdeckt, ein Fesselungsinstrument. Somit lasse der Fund möglicherweise auf einen römischen Legionär schließen, der nach verlorener Schlacht gefesselt und hergezeigt wurde.
"Römischer Schienenpanzer in Kalkriese entdeckt" (NDR, 25.9.): https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Roemischer-Schienenpanzer-in-Kalkriese-entdeckt,kalkriese446.html#kalkriese448
"Historische Varusschlacht: Archäologen finden römischen Schienenpanzer in Niedersachsen" (dpa, 25.9.): https://www.swp.de/wissenschaft/historische-varusschlacht-archaeologen-finden-roemischen-schienenpanzer-in-niedersachsen-51788252.html
3.9 Klimaforschung: Die Wahrheit kommt aus dem Labor? Nö.
Das zurückliegende Jahrtausend und die Baumringe bildeten in den beiden vergangenen Jahrzehnten wichtige Fokuszonen der Klimaforschung: Die Baumringe, weil ihre Wachstumsbreiten jahrgenaue Archive sind und Bäume, anders als etwa Eisbohrkerne, in hoher räumlicher Auflösung zur Verfügung stehen und somit auch Rekonstruktionen in der Fläche ermöglichen. Das zurückliegende Jahrtausend, weil hier die einmalige Gelegenheit besteht, moderne Instrumentendaten, historische Überlieferungen (Getreidepreise, Erntedaten etc.) und die üblichen, viel weiter zurückreichenden Schätzer zum Paläoklima (wie - am bekanntesten - die O18-Isotopen) miteinander zu vergleichen und damit die weiter in die Vergangenheit zurückzielenden Schätzer zu eichen. Genau das hat eine Gruppe um Josef Ludescher (Potsdam) nun mit den Jahrringbreiten für die zurückliegenden 1.000 Jahre getan: das Archiv der Jahrringe mit in Schriftquellen überlieferten historischen Daten über die Trauben- und Roggenernte abgeglichen. Ergebnis: die Baumringdaten korrelieren sehr exakt mit den historischen Schätzern, doch ihre Amplitude ist zu hoch, d. h. die Bäume deuten in wärmeren Jahren zu hohe und in kalten Jahren zu niedrige Mitteltemperaturen an. Dementsprechend schlägt die Forschergruppe eine Korrektur der bisherigen Baumring-Klimakurven in Richtung auf geringere Ausschläge vor. Die solchermaßen korrigierten Daten ergeben im Zeitraum 1753 bis 2000 eine nahezu perfekte Übereinstimmung mit den historischen Daten. Die Untersuchungen unterstreichen, wie wertvoll die Überlieferung in Schriftquellen und archäologischen Archiven sein kann, wenn es gilt, Messwerte aus den Labors richtig zu interpretieren.
Ludescher, J., Bunde, A., Büntgen, U. & Schellnhuber, H. J. (2020). Setting the tree-ring record straight. Climate Dynamics 2020 (4.9.2020): https://link.springer.com/article/10.1007/s00382-020-05433-w
3.10 Mesolithische Bergkristallgewinnung auf 2800 m ü. NN
Im Schweizer Kanton Uri wurde eine infolge Gletscherschmelze freigelegte Kristallkluft näher untersucht, die im Bereich des Brunnifirn-Gletschers zwischen dem Vorderrheintal bei Disentis/Sedrun und dem Urner Maderanertal liegt. Neben dem Rohmaterial fanden sich auch Holzreste und Geweihstangen, die vom Abbau zeugen. Nach 14C-Datierungen stammen die organischen Artefakte aus dem Zeitraum 7500-5800 v.Chr., zeugen also von einer Begehung solch hoher Lagen in den Alpen in einer Zeit weit vor dem berühmten "Ötzi". In einer nur wenige Tagen währenden Expedition wurde der Fundplatz nun näher untersucht, wobei vor allem größere Sedimentproben gewonnen wurden, die nun im Labor geschlämmt und ausgewertet werden. Die Untersuchungen sind auch fachpolitisch interessant, da der Kanton Uri über keine Kantonsarchäologie verfügt und solche denkmalpflegerischen Maßnahmen bislang stets ad hoc beauftragen musste. Neu wird seit Ende 2019 in Kooperation mit der Universität Luzern in Urn das Institut "Kulturen der Alpen" aufgebaut, das u. a. diese Fundstellenbetreuung durchführt.
"Archäologen bergen hochalpinen Steinzeitfund" (Pressemitteilung Kanton Uri, 11.9.): https://www.ur.ch/mmdirektionen/70340
3.11 Neandertaler-Genvariante erhöht das Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19
Menschen, die eine bestimmte Genvariante von den Neandertalern geerbt haben, erleiden nach einer Infektion mit dem Coronavirus dreimal wahrscheinlicher einen schweren Krankheitsverlauf. Das zeigt eine groß angelegte internationale Studie. Rainer Schreg hat auf seinem Blog Archaeologik die Diskussion zusammengefasst und weist darauf hin, dass die Gründe für das erhöhte Covid-19-Risiko bisher unklar sind und dass derzeit ausschließlich eine statistische Korrelation festgestellt werden konnte. https://archaeologik.blogspot.com/2020/10/covid19-die-keule-des-neandertalers.html
"Covid19 - die Keule des Neandertalers?" (Archaeologik, 4.10.): https://archaeologik.blogspot.com/2020/10/covid19-die-keule-des-neandertalers.html
3.12 Ein weiteres Hallstatt-Grab bei Herbertingen / Heuneburg
Am 6.10. gab die baden-württembergische Landesarchäologie erneut eine erfolgreiche Blockbergung eines hallstattzeitlichen Fürstengrabes bei Herbertingen bekannt. Der circa 8 x 6 Meter große Block wurde mit zwei Kränen geborgen und ins Labor des Landesdenkmalamtes gebracht. Zuvor hatten Sondagen ergeben, dass Hölzer der Grabkammer und weitere organische Materialien erhalten sind. Unter den ersten Funden wurden u. a. Wagenreste identifiziert. Das neue Grab lag nur etwa 100 m entfernt von der 2010 geborgenen "Fürstin von Bettenbühl".
"Spektakuläre Blockbergung eines frühkeltischen Prunkgrabes nahe der Heuneburg bei Herbertingen" (Pressemeldung LAD B.-W., 6.10.): https://www.denkmalpflege-bw.de/service/presseoeffentlichkeitsarbeit/pressemitteilungen/pressemitteilungen/news/spektakulaere-blockbergung-eines-fruehkeltischen-prunkgrabes-nahe-der-heuneburg-bei-herbertingen
Bilder: "Blockbergung eines frühkeltischen Prunkgrabes nahe der Heuneburg bei Herbertingen" (Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg, 6.10.): https://wm.baden-wuerttemberg.de/de/service/media/mid/blockbergung-eines-fruehkeltischen-prunkgrabes-nahe-der-heuneburg-bei-herbertingen/
3.13 Pontarlier: ein frühmittelalterliches Dorf komplett ergraben
Am 6.10. stellte die französische Archäologiebehörde INRAP erstmals ihre ein Jahr währenden Ausgrabungen bei Pontarlier (Doubs) der Öffentlichkeit vor. Dort - circa 20 km westlich des Neuenburger Sees - wurde auf knapp 9 Hektar ein ganzes Dorf des 6.-7. Jh. n. Chr. untersucht. Es umfasst circa 10 Gehöfte "germanischer Bauweise" und eine Kirche (!) - auch das zugehörige Gräberfeld mit etwa 70 Bestattungen wurde untersucht. Viel mehr gibt die Pressemeldung von INRAP nicht her, denn nun gilt es, das Ergrabene auch wissenschaftlich auszuwerten.
"Un village témoin des stratégies de conquête des Francs à Pontarlier (Doubs)" (INRAP, 6.10.): https://www.inrap.fr/un-village-temoin-des-strategies-de-conquete-des-francs-pontarlier-doubs-15223
"Archéologie: ce que l’on sait de la découverte inédite d’un village mérovingien dans le Haut-Doubs" (france 3, 7.10.): https://france3-regions.francetvinfo.fr/bourgogne-franche-comte/archeologie-ce-que-l-on-sait-de-la-decouverte-inedite-d-un-village-merovingien-dans-le-haut-doubs-1881674.html
"Pontarlier: les archéologues ont découvert un village mérovingien dans son entier" (France 3, 7.10.; Video, 1:32 Min.): https://www.youtube.com/watch?v=UActVz151lg
3.14 ROAD Summary Data Sheet: Informationen zum frühesten kulturellen Erbe der Menschheit
Systematisch gesammelte Daten von Fundplätzen in Afrika und Eurasien zwischen 3 Millionen und 20.000 Jahren vor heute werden in der "ROCEEH Out of Africa Database" (ROAD) archiviert. Sie enthält eine Vielzahl archäologischer, paläoanthropologischer, paläobiologischer, geografischer und bibliografischer Informationen. Um diese Daten der Wissenschaft und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, bietet ROAD nun ein Werkzeug für die Generierung eines Datenblatts, in dem Informationen zu jedem Fundplatz zusammengefasst sind. Jedes ROAD Summary Data Sheet ist eine eigenständige, zitierfähige Veröffentlichung. Mit der Publikation der Fundstellen-Datenblätter möchte die Forschungsstelle ROCEEH (The Role of Culture in Early Expansions of Humans) nicht nur ein öffentliches Werkzeug für die Erforschung der frühen Menschheitsgeschichte zur Verfügung stellen, sondern hofft auch auf Input von externen Benutzern, um so die ROAD-Datenbank auf dem neuesten Stand und so korrekt wie möglich zu halten.
Bolus, M. et al. (2020). Durch die Menschheitsgeschichte mit dem neuen ROAD Summary Data Sheet. Archäologische Informationen 43, Early View, online publiziert 7. Okt. 2020. https://www.dguf.de/fileadmin/AI/ArchInf-EV_Bolus-etal_d.pdf
Bolus, M. et al. (2020). Explore the history of humanity with the new ROAD Summary Data Sheet. Archäologische Informationen 43, Early View, published online 7 Oct. 2020.
https://www.dguf.de/fileadmin/AI/ArchInf-EV_Bolus-etal_e.pdf
4 Archäoinformatik
4.1 iDAI.chronontology: durchdacht und unvollkommen
Die zweite Software-Rezension in dieser neuen Rubrik in den "Archäologischen Informationen" gilt "iDAI.chronontology" - "eine Web-Anwendung, welche die Anzeige und Suche von archäologischen Zeitbegriffen aus verschiedenen Thesauri über eine grafische Oberfläche auf der Website des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) und per REST-Schnittstellen ermöglicht." ?? Open Access und Open Data sind große Gewinne für Wissenschaftler wie auch Bürger, aber man muss die Sachen auch finden können. So wären - beispielsweise - "Weizen", "Pils, "Alt", "Kölsch" und "Bock" sehr spezifische Suchbegriffe. Besser wird's mit dem Finden, wenn man (auch bei den mehrdeutigen Wörtern) weiß, dass es dem Suchenden um "Bier" geht (oder gehen kann), und die fraglichen Aufsätze ggf. auch per Schlagwort "Bier" gefunden würden. Das Beispiel zeigt, dass Thesauri, d. h. vereinbarte genormte Wortschätze, für die Deskribierung von Aufsätzen, Bildern etc. sehr wichtig sind, und dass gute Thesauri nicht einfach Wortlisten sind, sondern ggf. auch Beziehungen zwischen den Begriffen adäquat verwalten. So ist "Urnenfelderkultur" als Zeitbegriff zeitgleich "Weser-Ems-Kultur" und beide wiederum Teil der Bronzezeit. Gut trainierte Archäologen wissen das. Aber das Suchen ohne weitere Hilfen erfordert, dann entlang seines Wissens die richtige Vielzahl an Begriffen zu adressieren. Richtig: hier wären automatische Helferlein ganz praktisch - und darum geht es bei iDAI.chronontology. In ihrer Rezension beschreibt Anne Klammt die Durchdachtheit und das hohe technische Potenzial dieses Tools, aber auch seine noch bestehenden Unvollkommenheiten. Irgendwie hinkt die facharchäologische Hinterfütterung der technischen Entwicklung hinterher. Trotz der von ihr aufgezeigten Mängel schreibt sie: "Einen großen Wert möchte die Rezensentin iDAI.chronontology aber als Demonstrator zumessen. iDAI.chronontology veranschaulicht und erprobt die Potenziale der Verknüpfung von kontrollierten Vokabularen in der Archäologie. Die konzeptionelle Idee, die Zeitbegriffe in ihrer Mehrdimensionalität durchsuchbar zu machen, ist überzeugend."
Klammt, A. (2020). Software-Rezension zu: Bruhn, K.-Chr. et al. (2018). iDAI.chronontology V 1.0. Berlin: Deutsches Archäologisches Institut & i3mainz. Archäologische Informationen 43, Early View, online publiziert 8. Sept. 2020. http://www.dguf.de/fileadmin/AI/ArchInf-EV_Klammt2.pdf
4.2 RStudio 1.4 als Preview veröffentlicht
RStudio ist die wohl am weitesten verbreitete Benutzeroberfläche zu "R", sie erleichtert das Arbeiten mit dem kostenlosen, mächtigen Statistikpaket "R" erheblich. Am 24.9. wurde das Preview auf die Version 1.4 veröffentlicht, die als "major release" gilt, also als ein sehr umfassendes Update gegenüber den Vorgängerversionen 1.3. Das Sichten der Release Notes macht deutlich, dass neben den üblichen, kleinschrittigen Verbesserungen und Fehlerbeseitigungen die wesentliche Neuerung von 1.4 der neue Editor für R Markdown ist, d. h. die RStudio-Variante der Auszeichnungssprache Markdown. Der Editor - man könnte auch sagen: die neue Textverarbeitung von RStudio - ist auf optionales WYSIWYG ausgelegt, d. h. man sieht den Text auf Wunsch beim Schreiben so, wie er später erscheint. Wichtiger: der Editor unterstützt besser als bisher das Schreiben langer Texte, von Listen und insbes. Tabellen, und er ist eng verknüpft mit Referenz-Managern wie z. B. Zotero. In Summe: der Editor und damit RStudio 1.4 wurde gezielt für das Schreiben wissenschaftlicher Aufsätze optimiert.
"RStudio v1.4.869-4 Preview" (RStudio, 24.9.): https://rstudio.com/products/rstudio/download/preview/
- J. Allaire: "RStudio v1.4 Preview: Visual Markdown Editing" (30.9.): https://blog.rstudio.com/2020/09/30/rstudio-v1-4-preview-visual-markdown-editing/
Xie, Y., Dervieux, Chr. & Riederer, E. (21.9.2020). R Markdown Cookbook: https://bookdown.org/yihui/rmarkdown-cookbook/
4.3 Von Excel zu R Shiny: eine Schritt-für-Schritt-Anleitung
Vertraute Wege zu verlassen und zu besseren Lösungen zu migrieren, unterbleibt oft, weil das Know How über das Neue fehlt und der Alltag mal wieder fünf andere Prios setzt, die allemal dringender sind. So gerät das Lernen oft in die Kategorie "wichtig, aber nicht dringend". Excel-Tabellen und Google Docs, irgendwo in der Cloud deponiert, um im Team arbeiten zu können, sind nicht die optimale Lösung, sagt "Appsilon" und belegt dies mit Beispielen; R Shiny, die interaktive Oberflächen-Variante von R Studio, ist besser, leistungsfähiger. So weit, so gut als Meinungsäußerung. Doch der Blog-Beitrag geht weiter, will Lust machen auf R Shiny und führt Interessierte in einer Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Lösung mit R Shiny - wie ein Kochrezept zum Nachmachen. Für Interessierte eine nützliche Anleitung mit copy-&-paste-bereitem Code.
Appsilon: "How to switch from Excel to R Shiny: first steps" (Blog Appsilon, 30.9.): https://appsilon.com/switch-from-excel-to-r-shiny/
4.4 Vorschau auf RStudio 1.4
Erst im Mai 2020 wurde Version 1.3 von RStudio als "major release" veröffentlicht. RStudio ist die von vielen benutzte Oberfläche, die das Arbeiten mit dem Statistikpaket "R" wesentlich erleichtert. Anfang Oktober wurde die Preview-Version von RStudio 1.4 nun öffentlich gestellt. Neben den üblichen Fehlerberichtigungen ("Bugfixes") geht es vor allem um zwei Innovationen: die (noch) bessere Integration der weit verbreiteten Programmiersprache Python und das neue "Visual RMarkdown". Python ist eine sehr weit verbreitete Programmiersprache (Open Access), die vor allem für den Themenbereich Data Science und Machine Learning als führend gilt, d. h. viele Module aufweist und eine große Nutzergemeinde hat. Zu Python gibt es bislang nur wenige und wiederum kaum breiter etablierte Benutzeroberflächen. RStudio versucht mit den Releases 1.3 und nun 1.4 offenbar, *die* Benutzeroberfläche zu werden, die Python und R - führend im Bereich Statistik - vereint. Die zweite Neuerung, "Visual RMarkdown", dürfte in der Archäologie von weitaus höherem Interesse sein. Visual RMarkdown erlaubt es, innerhalb von RStudio weitaus geschmeidiger als bislang RMarkdown zu schreiben, d. h. Beiträge, die sowohl ausführbaren R-Code als auch in Markdown geschriebenen Text enthalten. Wechselt man vom gewöhnlichen Schreiben per Schaltknopf (ggf. auch zurück) in den "Visual mode", erhält man das z. B. in Textverarbeitungsprogrammen weit verbreitete WYSIWYG: die Darstellung so, wie sie später auch im Ausdruck ausgegeben würde, also z.B. statt "#Überschrift" (die Code-Darstellung) eben eine fett und groß gesetzte Überschrift. Mit dem neuen Visual RMarkdown kann man: Texte leichter als bisher formatieren und vorab gestaltet sehen; leichter als bisher Links einbetten, Bilder einbetten, Listen und Tabellen schreiben, Fußnoten einbetten. Die Zusammenarbeit mit Literaturreferenz-Systemen wie z. B. Zotero (und PubMed, Crossref, DataCite) wurde erheblich verbessert. Unscheinbar, aber sehr praktisch: neu gibt es im RMarkdown-Fenster rechts eine Spalte, welche die Überschriften anzeigt; klickt man auf eine Überschrift, springt man im eigentlichen Text/Code an eben die Stelle dieser Überschrift - eine sehr wichtige Neuerung, die endlich ein komfortables Schreiben längerer Dokumente mit RMarkdown ermöglicht und den Weg Richtung Bookdown ebnet: dem Schreiben ganzer Bücher mit RMarkdown. Bei produktivem Arbeiten mit einer Preview-Version ist stets Vorsicht geboten, doch Version 1.4.921 scheint recht stabil, der Newsletter-Autor konnte sie problemfrei im produktiven Betrieb einsetzen.
Keevin Ushey: "RStudio v1.4 Preview: Python Support" (RStudio Blog, 7.10.): https://blog.rstudio.com/2020/10/07/rstudio-v1-4-preview-python-support/
- J. Allaire: "RStudio v1.4 Preview: Visual Markdown Editing" (RStudio Blog, 30.9.): https://blog.rstudio.com/2020/09/30/rstudio-v1-4-preview-visual-markdown-editing/
RStudio v1.4.904-1 Preview (5.10.): https://rstudio.com/products/rstudio/download/preview/ bzw. v1.4.921 via https://rstudio.github.io/visual-markdown-editing/#/
5 Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI)
5.1 NFDI4Objects ist beantragt
Ende September hat das von DAI (Ph. von Rummel), RGZM (A. Busch) und der Hochschule Mainz (K.-Chr. Bruhn) angeführte Konsortium "NFDI4Objects" sein Vorhaben für die zweite von drei Antragsstaffeln bei der DFG eingereicht. Insgesamt werden bei der DFG für die 2020er-Staffel 18 Anträge erwartet, es wird mit einer Bewilligung von ca. zehn Konsortien gerechnet. Nach der Begutachtungsphase sollen im Febr. 2021 die vorläufigen Ergebnisse an die Konsortien übermittelt werden, die dann Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Im Juni 2021 will die DFG die abschließenden Bescheide publizieren. NFDI4Objects ist es gelungen, in den vergangenen Monaten praktisch die gesamte deutsche Archäologie - darunter auch die DGUF - als "Participant" verbindlich in das Vorhaben zu integrieren. Das komplexe und facettenreiche Projekt ist in sieben Aufgabengebiete strukturiert: (1) NFDI4Objects for Documentation; (2) NFDI4Objects for Collecting; (3) NFDI4Objects for Analytics and Experiments; (4) NFDI4Objects for Protecting; (5) NFDI4Objects for Storage, Access and Dissemination; (6) NFDI4Objects for Commons and Qualification; (7) NFDI4Objects for Support and Coordination.
Website NFDI4Objects: https://www.nfdi4objects.net/
DFG-Sammelseite zum Thema NFDI: https://www.dfg.de/foerderung/programme/nfdi/
Absichtserklärungen NFDI-Konsortien 2020: https://www.dfg.de/foerderung/programme/nfdi/absichtserklaerungen_2020/index.html
5.2 Wie der Start der NFDI die Organisationsfähigkeit der Fachgemeinschaften herausfordert
Petra Gehring, Vorsitzende des vom Bund einberufenen Beratungsgremiums "Rat für Informationsinfrastrukturen", und Stefan Lange, stellv. Leiter dessen Geschäftsstelle, kommentieren den Start des Gesamtprojekts NFDI. Denn am 1.10. haben die neun in der ersten Staffel bewilligten Vorhaben ihre nunmehr finanzierte Arbeit aufgenommen (u. a. NFDI4Culture), während tags zuvor die Bewerbungen für die zweite Staffel einzureichen waren (u. a. NFDI4Objects). Ist nun also der Zeitpunkt für alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gekommen, sich zurückzulehnen und zu glauben, das Thema "Dateninfrastrukturen" sei jetzt ja in guten Händen? Abzuwarten, bis "die" NFDI bzw. das für das eigene Fach zuständige Konsortium irgendwann Lösungen liefern? Gehring und Lange wollen da aufrütteln: "Jeder Verdacht, es handele sich hier um ein weiteres Exzellenzprojekt, mit dem sich eine wissenschaftspolitisch aktive 'akademische Elite' selbst versorgt, würde den anspruchsvollen Prozess gefährden." Gerade weil die NDFIs entsprechend ihrer Grundgedanken nicht von oben herab fertige Lösungen anbieten sollen und ein zentraler Gedanke des Vorhabens ist, die Prozesse stark "Bottom-Up" anzulegen, müssten alle Wissenschaftler und Institutionen nun ihre Bedarfe analysieren, reflektieren und in geordneten, transparenten und demokratischen Prozessen an ihre jeweiligen NFDIs übermitteln. "Der NFDI-Prozess mag nun Communities entgegenkommen, die über Fachverbände verfügen, in welchen die Mitglieder tatsächlich aktiv und präsent sind und in denen sich die disziplinären Forschungsdynamiken widerspiegeln. Solche Communities können (und sollten) ihren lebendigen Verband als Brücke zu den vielen, in der Fläche verteilt arbeitenden Forschenden nutzen. Wo jedoch Fachgesellschaften eher ein verkrusteter Überbau sind oder im Grunde abseits einer Mehrheit der Forschenden stehen, muss sich ein NFDI-Konsortium andere Brücken suchen." Hohe Datenqualität und das Umsetzen der FAIR-Prinzipien (Daten sollen "findable, accessible, interoperable & re-usable" sein) seien nur als gemeinsame Anstrengung der Wissenschafts-Basis möglich, dazu bedürfe es Kommunikation und Partizipation, wie sie idealerweise über die Fachgesellschaften organsiert würden. – Ein wichtiger und sehr lesenswerter Beitrag, gerade auch für all jene Archäologinnen und Archäologen, die bisher gedacht (oder gehofft) haben, der Kelch "NFDI" könne doch gerne an ihnen vorübergehen.
Petra Gehring & Stefan Lange: "Bitte nicht auf Autopilot schalten!" (Gastbeitrag im Blog JMWiarda, 2.10.): https://www.jmwiarda.de/2020/10/02/bitte-nicht-auf-autopilot-schalten/
6 Kulturgutschutz
6.1 Aktuelles rund um Kulturgutschutz in den Medien
"Historischen Schatz bei Ebay angeboten. Wozu Raubgräber aus Querfurt verurteilt wird" (Mitteldeutsche Zeitung, 22.9.): https://www.mz-web.de/saalekreis/historischen-schatz-bei-ebay-angeboten-wozu-raubgraeber-aus-querfurt-verurteilt-wird-37381586
"Immer mehr Raubgräber in Sachsen-Anhalt unterwegs" (MDR, 22.9.): https://www.mdr.de/nachrichten/panorama/mehr-raubgraeber-sachsen-anhalt-schaden-archaeologie-100.html
6.2 In der ZDF-Mediathek: "Geraubte Kunst - Millionen für den Terror"
Der Schwarzmarkt mit illegalen Antiken boomt. Selbst in Museen und auf großen Kunstmessen sind sie zu finden, begleitende Papiere sind leicht zu fälschen. Kuratoren und Händler "akzeptieren stillschweigend", so das ZDF, "dass ihr Handel eine der größten Terrororganisationen der Welt finanziert: den IS." Ein Team von Journalisten begleitet für die ZDF-Doku ein Spezialteam des französischen Zoll, filmt mit versteckter Kamera und reist von Paris über Spanien bis nach Libyen, um auf die schwerwiegenden Konsequenzen des Kunst-Schmuggels aufmerksam zu machen. Das 45-minütige Video ist in der Mediathek bis 25.10. verfügbar.
https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/geraubte-kunst-millionen-fuer-den-terror-100.html
6.3 Deutschland hilft beim Wiederaufbau des Nationalmuseums in Rio de Janeiro, landesweit sind Brasiliens Museen unzureichend vor Bränden geschützt
Das 200 Jahre alte Museu Nacional in Rio de Janeiro, das am 2.9.2018 in Folge eines Großbrandes zerstört worden war (DGUF-Newsletter vom 17.9.2019 Punkt 9.1. und vom 10.6.2019 Punkt 7.3.), wird bis 2025 wieder aufgebaut, und Deutschland hilft dabei: Bis zu eine Mio. Euro stellt das Auswärtige Amt für die Bergung der Artefakte aus den Ruinen und für den Wiederaufbau des größten Natur- und Völkerkundemuseums Lateinamerikas zur Verfügung. Derzeit wird die vierte Tranche der Soforthilfe ausbezahlt, insgesamt rund 800.000 Euro sind nach Mitteilung des Auswärtigen Amts damit geflossen. Das Auswärtige Amt vermittelte zudem Experten, die die Mitarbeiter des Nationalmuseums mit ihrem Fachwissen unterstützen. Ein Kurzschluss in der Klimaanlage hatte das Feuer verursacht, und weil zwei Hydranten beim Museum außer Funktion waren, verzögerten sich die Löscharbeiten. Geschätzt 90% der 20 Mio. Exponate wurden zerstört - darunter archäologische Funde aus Südamerika (dabei sind Objekte von Stämmen, die heute nur noch wenige Mitglieder zählen), ägyptische Mumien und griechisch-römische Kunst. Der Verlust entspricht quantitativ ungefähr der doppelten Menge aller Objekte im Besitz des British Museum. Bereits über ein Jahr vor dem Brand hatte sich das Museum um Brandschutz-Maßnahmen bemüht, doch wurde das von der brasilianischen Verwaltung nicht bearbeitet. Das Museum war nicht versichert, und die verlorenen Objekte waren teilweise archivarisch nicht ausreichend erfasst. Die Institution hatte generell mit starken Sparmaßnahmen der brasilianischen Politik zu kämpfen. Laut unterschiedlichen Medienberichten brachen in sechs resp. mehr als zwölf brasilianischen Museen seit 2010 Brände aus – sie alle (und zahlreichen Museen des Landes mehr) verfügen aus Kostengründen nicht über ausreichende Feuerbekämpfungsmaßnahmen. Zuletzt brannte das Naturkundemuseum & Botanischer Garten in Belo Horizonte, auch dieses wohl alles andere als auf dem neuesten Stand der Technik und ohne Sicherheitsprotokolle sowie Brandschutz-Inspektionen. Laut einem Bericht in "The Scientist" versuchen nun Paläontologen die Wissenschaftler anderer Museen über Maßnahmen nach Ausbruch von Feuern (z. B. Bergung) zu unterrichten, wissend, dass sie dafür keine Experten sind und ausschließlich ihre eigenen Erfahrungen einbringen können.
"Einsatz für den Kulturerhalt: Unsere Unterstützung für das Nationalmuseum in Rio de Janeiro" (Auswärtiges Amt, 11.10.): https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/themen/kulturdialog/09-kulturerhalt/nationalmuseum-rio/2399328
"Rescue and assessment efforts underway for gutted Brazilian museum. Maintenance was under par at Museum of Natural History and Botanical Gardens of the University of Minas Gerais" (The Art Newspaper, 30.7.): https://www.theartnewspaper.com/news/rescue-efforts-underway-brazilian-museum-belo-horizonte-umfg
"Second Brazilian museum fire in two years reignites calls for reform. A recent fire at a natural history museum in Minas Gerais is forcing some researchers to relive the pain of losing priceless specimens and artefacts" (Nature News, 1.7.): https://www.nature.com/articles/d41586-020-01990-6
"Yet Another Brazilian Museum Suffers Fire, Loss Of Specimens. The Natural History Museum and Botanical Garden is still assessing the damage from a June 15 fire" (The Scientist, 3.7.): https://www.the-scientist.com/news-opinion/yet-another-brazilian-museum-suffers-fire-loss-of-specimens-67694
7 Studium, Job-Themen und Personalia
7.1 Harm Tjalling Waterbolk verstorben
Am 27.9. verstarb im Alter von 96 Jahren der berühmte niederländische Archäologe Harm Tjalling Waterbolk. Als Schüler von Albert Egges van Giffen arbeitete der studierte Biologe Waterbolk lange Jahre als Landesarchäologe der Provinz Drenthe und war Leiter des Drents Museum Wijnand. Vor allem wirkte er 1954-1987 als Leiter des biologisch-archäologischen Instituts an der Universität Groningen. Er ergrub u. a. die kaiserzeitliche Siedlung Wijster und die mittelalterlichen Siedlungen Odoorn und Gasselte. In den Niederlanden war er ein früher und konsequenter Vertreter einer ganzheitlichen Landschaftsarchäologie, in die er insbes. seine Kenntnisse um die Rekonstruktion der Landschaften u. a. via Pollenanalyse einbrachte.
"Oud-hoogleraar archeologie Harm Tjalling Waterbolk overleden" (Dagblad Noorden, 3.10.): https://www.dvhn.nl/groningen/Oud-hoogleraar-archeologie-Harm-Tjalling-Waterbolk-overleden-26069726.html
"Tjalling Waterbolk" (Wikipedia): https://nl.wikipedia.org/wiki/Tjalling_Waterbolk
7.2 "Zoom-Fatigue": Wenn Onlinekonferenzen zur Erschöpfung führen
Fast alle Tagungen und Besprechungen finden in diesem Jahr virtuell statt. Dass das "Dauer-Zoomen" müde macht und erschöpft, bilden Sie sich nicht ein: das Phänomen ist weit verbreitet, "Zoom-Fatigue" wird es genannt. Ein Meeting folgt dem anderen, längst nicht alle wären wirklich nötig, man sitzt viel zu lange mit verspanntem Rücken vor dem Bildschirm, niemand schaut in die Kamera (also das Gegenüber wirklich an), und man kann oftmals die Körpersprache von Kollegen nicht einschätzen. Die Sorgen infolge der Corona-Pandemie verstärken die Zoom-Fatigue noch, ein Kommentar spricht von "postzoomatic stress disorder". Eine Ende August/Anfang September durchgeführte Umfrage des Instituts für Beschäftigung und Employability an der Hochschule Ludwigshafen untersucht die Onlinemüdigkeit im deutschsprachigen Raum. Denn nach Corona werde man nicht vollständig zu alten Gewohnheiten zurückkehren, sind sich die Arbeitswissenschaftler sicher. Manch teure Dienstreise werde auch künftig durch virtuelle Gespräche ersetzt – und so braucht es einen klugen Umgang mit ihnen. Mit der Studie sollen jetzt drei wesentliche Fragen geklärt werden: Wie macht sich Zoom-Fatigue bemerkbar, was belastet und was hilft, die Belastung zu reduzieren? Auf die letzte Frage sei das wesentliche Argument ein bekanntes aus der alten Welt", sagt Projektleiterin Prof. Jutta Rump: "Zeitbegrenzung und Pausen." Digitale Meetings sollten nicht länger als 45 Minuten dauern, zwischen den Veranstaltungen müssten 10-15 Minuten Pause sein.
"Zoom-Fatigue: Virtuelle Meetings machen müde" (heise.de, 16.9.): https://www.heise.de/news/Zoom-Fatigue-Virtuelle-Meetings-machen-muede-4892703.html
"'Langsam bemerkt man eine gewisse Zoom Fatigue'. Am Institut für Beschäftigung und Employability ist mobiles Arbeiten seit Jahren der Standard. Was sagt Direktorin Jutta Rump zur Coronazeit?" (Forschung und Lehre, 11.8.): https://www.forschung-und-lehre.de/management/langsam-bemerkt-man-eine-gewisse-zoom-fatigue-3011/
"Die Zoom-Müdigkeit: Warum uns Videokonferenzen auslaugen" (Tagesspiegel, 16.7.): https://plus.tagesspiegel.de/wirtschaft/die-zoom-muedigkeit-warum-uns-videokonferenzen-auslaugen-23739.html
"Zoom-Fatigue: Warum uns Videokonferenzen auslaugen" (Handelsblatt, 15.7.): https://www.handelsblatt.com/technik/digitale-revolution/digitale-revolution-zoom-fatigue-warum-uns-videokonferenzen-auslaugen/26002264.html
7.3 Rechtlich geregelte und gemessene Arbeitszeiten auch im Wissenschaftsbetrieb?!
Mit Urteil C-55/18 vom 14.5.2019 verpflichtet der EuGH die EU-Mitgliedstaaten, Regelungen zu treffen, die Arbeitgeber zur systematischen Aufzeichnung und Überprüfung der gesamten Arbeitszeit veranlassen. Insbesondere geht es um die Einrichtung eines zweckdienlichen "objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems". Dieses gegen die Deutsche Bank gerichtete Urteil gilt universell, d. h. auch für den Bereich von Wissenschaft und Forschung - wo es in Konkurrenz zu vielerlei gegenläufigen Prinzipien und Praktiken steht. Thomas Skowronek, langjähriger Forschungskoordinator am Exzellenzcluster TOPOI, beleuchtet die diversen rechtlichen und wissenschaftspraktisch-sozialen Konflikte, die mit diesem Urteil einhergehen und kommt zu dem Schluss, dass das Urteil auch an den Universitäten und Forschungseinrichtungen möglichst bald und gründlich umgesetzt werden sollte. Es böte dem Wissenschaftsbetrieb eine Chance zur Selbstreflektion und Selbstehrlichkeit, zu einem Übergang in würdigere Arbeitsverhältnisse.
Thomas Skowronek: "Arbeitszeit im deutschen Wissenschaftssystem im Lichte des EuGH-Urteils zur Arbeitszeiterfassung". Ordnung der Wissenschaft 2020/4, 245-252: https://ordnungderwissenschaft.de/wp-content/uploads/2020/09/0304_Skowronek.pdf
7.4 Urheberrecht an Forschungsdaten
Die Juristin Linda Kuschel bringt es auf den Punkt: "Die Frage nach den Urheberrechten an Forschungsdaten ist nicht leicht zu beantworten. Da der urheberrechtliche Schutz von der schöpferischen Leistung und die Leistungsschutzrechte von der konkreten Darstellung des Materials abhängen, ist die Schutzfähigkeit von Forschungsdaten grundsätzlich für jeden Informationsträger gesondert zu prüfen." Sprich: es kommt aufs Kleingedruckte an. Zuvor aber erklärt Linda Kuschel aber für viele Fälle und Konstellationen in einem allgemein verständlichen Artikel eben dies: die Details und die aktuelle Rechtsprechung. Für Betroffene eine lesenswerte Fundgrube!
Linda Kuschel: „Urheberrecht und Forschungsdaten“. Ordnung der Wissenschaften 1/2020, 43-52: https://ordnungderwissenschaft.de/wp-content/uploads/2020/03/05_2020_Kuschel.pdf
8 Nachrichten aus der Schweiz
8.1 Schweizer Kulturbotschaft 2021–2024: 20 Millionen Franken mehr für Archäologie und Denkmalpflege!
In der sog. Botschaft zur Förderung der Kultur ("Kulturbotschaft"), einem Programmpapier von Richtlinien und Prioritäten, legt der Bundesrat - die oberste Exekutive der Schweiz - periodisch die strategische Ausrichtung der Kulturpolitik des Bundes für die kommende Legislaturperiode fest. Er definiert dabei Handlungsachsen und spricht Gelder für die Bundesaufgaben in den verschiedenen Bereichen der Kulturförderung und Kulturpflege. Zu letzterer gehört auch der Aufgabenbereich "Baukultur", unter welchen auch die Belange der archäologischen Bodendenkmalpflege und der Baudenkmalpflege fallen. Das heißt, in der Kulturbotschaft wird die Höhe des Betrags festgelegt, welche dem Bundesamt für Kultur für Direktbeiträge an archäologische Untersuchungen oder die Erhaltung archäologischer Stätten und von Baudenkmälern sowie als Beiträge im Rahmen von Programmvereinbarungen mit den kantonalen Fachstellen zur Verfügung steht. In den vergangenen Jahren waren die für die genannten Bereiche zur Verfügung stehenden Beträge sukzessive gekürzt worden. Die Kulturbotschaft für die Jahre 2021–2024 sah ursprünglich vor, den für den Sachbereich "Baukultur" zur Verfügung stehenden Rahmenkredit auf 80 Mio. Franken (20 Mio. Franken bzw. 18,5 Mio. Euro pro Jahr) festzusetzen und damit auf demselben Niveau fortzuschreiben, wie in der vorangegangenen Vierjahresperiode. Nicht zuletzt dank intensivem politischen Lobbying von Alliance Patrimoine konnte Mitte September im Parlament eine Erhöhung dieses Betrags auf 100 Mio. Franken (jährlich 25 Mio. Franken bzw. gut 23 Mio. Euro) erreicht werden. Damit entspricht der dem Bund für Aufgaben im Bereich der Archäologie und Denkmalpflege zur Verfügung stehende Betrag der Summe, die vom Bundesamt für Kultur als tatsächlicher Realbedarf alleine zur Substanzerhaltung betrachtet wird.
Kulturbotschaft des Bundesrats 2012–2024: https://www.bak.admin.ch/bak/de/home/themen/kulturbotschaft/dokumente.html
"Parlament stärkt Baukultur" (Medienmitteilung von Alliance Patrimoine zur Verabschiedung der Kulturbotschaft in den eidgenössischen Räten, 16.9.): https://www.alliance-patrimoine.ch/download/pictures/5e/tkjnfeb3rsnw2nuq7ak2szrc8bdkwp/ap_mm_kulturbotschaft_16.09.2020_de.pdf
8.2 Schweiz: Interdepartementale Strategie Baukultur jetzt umsetzbar
In enger Verbindung mit der Kulturbotschaft (vgl. dieser Newsletter Punkt 9.1.) bzw. Teil dieser ist die "Interdepartementale Strategie Baukultur", welche auch die Archäologie beinhaltet und die strategischen Ziele des Bundes im weiten Bereich zeitgenössische Baukultur, Baudenkmalpflege und Archäologie umfasst. Die "Strategie Baukultur" wurde 2019 in einer öffentlichen sog. Vernehmlassung (d.h. einem öffentlichen Anhörungsverfahren) diskutiert. Dabei äußerten sich insbesondere archäologische Fachverbände kritisch zur Begrifflichkeit der "Baukultur" und zur Subsummierung der Archäologie unter einen Begriff, der doch nicht alle Aspekte des archäologischen Erbes und der archäologischen Bodendenkmalpflege abbildet. Inzwischen wurde die "Strategie Baukultur" von Bundesrat und Parlament verabschiedet. Die im Frühling verabschiedete Version nimmt verschiedene Einwände und Anregungen auch seitens der Archäologie auf. "Die Strategie Baukultur bekommt mit der Verabschiedung der Kulturbotschaft nun Verbindlichkeit", sagte Andrea Schaer von "Archäologie Schweiz" der Newsletter-Redaktion. "Sie wird umsetzbar, da jetzt auch die nötigen Mittel zur Implementierung der Strategie gesichert sind."
"Informelle Anhörung zur Strategie 'Baukultur'; Stellungnahme von Archäologie Schweiz" (Archäologie Schweiz, 18.9.2019): http://www.archaeologie-schweiz.ch/fileadmin/user_upload/customers/archaeologie_schweiz/AS/Dokumente_dt/Politik_dt/20190917_Strategie_Baukultur_Stellungnahme_AS.pdf
Finales Dokument "Strategie Baukultur" (Schweizerische Eidgenossenschaft): https://www.bak.admin.ch/bak/de/home/kulturerbe/zeitgenoessische-baukultur/strategie-baukultur.html
8.3 Derzeit kaum machbar: Studie zu den volkswirtschaftlichen Aspekte des gebauten Kulturerbes in der Schweiz
Die Kultur- und Tourismuswirtschaft profitiert davon, dass Baudenkmäler das Erscheinungsbild eines Ortes prägen und als dessen Wahrzeichen nicht mehr wegzudenken sind. Diese sog. Spillover-Effekte sind naheliegend und auch international ein Argument dafür, dass Baudenkmale nicht nur Geld kosten, z. B. für Restaurierung und Erhalt, sondern auch Geld einbringen. Aber: wie viel ist das? Wie hoch ist der "return of investment"? Das zu wissen, ist ein fundamentales Argument im Bemühen um Geldmittel und politische Unterstützung – übrigens nicht nur für Bau-, sondern genauso auch für Bodendenkmäler, also die Archäologie. Eine Studie zur Thematik wurde vor dem Hintergrund der (in diesem Newsletter unter den Punkten 9.1. und 9.2. geschilderten) politischen Diskussionen - eben: Kulturbotschaft und Baukultur, Angriffe auf Schutzinventare - sowie als Argumentarium im Rahmen der schweizerischen "Wirtschaftsstützungsmassnahmen Covid19" in Auftrag gegeben und Ende September veröffentlicht. Ziel der Studie: aufzeigen, dass Baudenkmale neben dem kulturellen und edukativen Wert auch wirtschaftlich relevant sind. In der Schweiz sind ca. 270.000 Baudenkmäler als Einzelobjekte mit besonderen denkmalpflegerischen Qualitäten erfasst. Die rund 75.000 gesetzlich geschützten Einzelobjekte machen etwa 3,5 % des Gebäudebestandes aus – knapp jedes 30. Gebäude der Schweiz zählt dazu. Festgestellt werden konnte ein substanzielles privates Engagement von Denkmaleigentümerinnen und -eigentümern: "Auch wenn jedes zweite Objekt subventioniert wird, stammt für die Gesamtrenovationskosten nur jeder elfte Franken von der öffentlichen Hand." Die Autoren der Studie schränken alle anderen Erwartungen gleich in der Einleitung ein: "Aufgrund einer nicht ausreichenden Datenlage musste im Rahmen einer Machbarkeitsprüfung das Bestreben aufgegeben werden, die volkswirtschaftliche Bedeutung auf nationaler Ebene möglichst umfassend zu schätzen", vielmehr sei das Bestreben, auf die Mängel bei der Datengrundlage hinzuweisen und Verbesserungsvorschläge zu liefern. So seien beispielsweise die zentralen Charakteristika der Baudenkmäler weitestgehend unbekannt bzw. nicht erfasst. Auch bei der systematischen Erhebung der Kantonsbeiträge bestehe Handlungsbedarf. Eine bessere Datenlage würde ein umfassenderes Bild zur volkswirtschaftlichen Bedeutung des gebauten Kulturerbes ermöglichen, auch eine bessere Abschätzung des Finanzierungsbedarfes wäre so möglich. – Eine vergleichbare Studie speziell für die Archäologie gibt es in der Schweiz – und auch in Deutschland und Österreich –zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht. In Großbritannien liefert "Heritage Counts" von "Historic England" Daten für das kulturelle Erbe insgesamt. Zu erwähnen ist auch das 2015 abgeschlossene und von Europa Nostra koordinierte Projekt "Cultural Heritage Counts for Europe" (CHCFE), welches die positiven Effekte des kulturellen Erbes für Europas Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Umwelt untersucht hat.
BAK Economics AG (Hrsg.): "Bestandesaufnahme zur volkswirtschaftlichen Bedeutung des gebauten Kulturerbes in der Schweiz" (24.9.): https://www.nike-kulturerbe.ch/fileadmin/user_upload/PDF/Grundlagen/BAK_Economics_-_Bestandesaufnahme_zur_volkswirtschaftlichen__Bedeutung_des_gebauten_Kulturerbes_in_der_Schweiz.pdf
Heritage Counts (Historic England): https://historicengland.org.uk/research/heritage-counts/
"Cultural Heritage Counts for Europe" (CHCFE): https://www.europanostra.org/our-work/policy/cultural-heritage-counts-europe/
9 Ausstellungen und Museen
9.1 Die "Zeiteninsel": eine neue archäologische Kulturlandschaft für Hessen entsteht
Zwischen Marburg und Gießen realisiert die hessische Landesarchäologie in Kooperation mit dem Kreis Marburg-Biedenkopf, der Stadt Marburg und einer Genossenschaft derzeit ein archäologisches Freilichtmuseum, die "Zeiteninsel". Nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen werden dort Hofstellen, Gehöfte und Weiler aus verschiedenen Epochen rekonstruiert. Hauptgeldgeber für das ambitionierte Unterfangen, das nach Fertigstellung neben der Keltenwelt am Glauberg und der Saalburg im Taunus zu den Topadressen der hessischen Archäologie zählen soll, ist das Land: es übernimmt fast 90 % der 6 Mio. Euro Investitionskosten. Jetzt wurde ein weiterer Teilbetrag der Summe freigegeben. Während derzeit u. a. die Rekonstruktion einer bronzezeitlichen Hofanlage entsteht, ist die offizielle Eröffnung der "Zeiteninsel" für den Internationalen Museumstag 2022 geplant, d. h. den 18.5. Wolfram Ahlers stellt stellt das Unterfangen in der FAZ vor.
Wolfram Ahlers: "Neues Freilichtmuseum: Bauen und backen wie die Vorfahren" (FAZ, 9.10.): https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/region-und-hessen/archaeologisches-freilichtmuseum-wird-in-weimar-gebaut-16987727.html
Website der "Zeiteninsel": https://www.zeiteninsel.de/
9.2 Wie können auch archäologische Museen unsere moderne Gesellschaft erklären helfen?
"Neolithikum macht Gegenwart. Warum auch archäologische Museen unsere moderne Gesellschaft erklären sollten" ist der Essay von Simon Matzerath, Joachim Pechtl, Christian Peitz, Daniel Schyle und Jürgen Weiner überschrieben, der im Blog "Archaeologik" erschienen ist. Sie schreiben von der Herausforderung einer dialektischen Auseinandersetzung "Archäologie und Gegenwart", vom Potenzial der "Neolithischen Revolution" für relevante Querbezüge in die Gegenwart, von zwei Ansätzen (im LVR-Landesmuseum Bonn und dem Museum für Steinzeit und Gegenwart) und der zukünftigen Positionierung im Museum. Interessant!
Simon Matzerath et al.: "Neolithikum macht Gegenwart. Warum auch archäologische Museen unsere moderne Gesellschaft erklären sollten" (Archaeologik, 1.10.): https://archaeologik.blogspot.com/2020/09/neolithikum-macht-gegenwart-warum-auch.html
10 Und sonst …
10.1 Datendokumentation leicht gemacht!
Das mit dem Daten-Publizieren ist im Grunde nicht kompliziert und bedarf weniger einer komplexen technischen Infrastruktur, sondern vor allem dem Willen, es zu tun, und dem Befolgen einiger recht einfacher Regeln. Ein im September veröffentlichter Workshop-Inhalt dient zwar eigentlich dem "train the trainer", bietet aber in sieben Files auch dem interessierten oder auch nur neugierigen Anwender = Forschenden alle nötigen Hinweise, wie man Daten dokumentiert und publiziert. Der Workshop ist auf 90 Minuten angelegt, die individuelle Lektüre ohne Trainer braucht weniger Zeit.
Biernacka, K., Helbig, K., Senft, M. & Trautwein-Bruns, U. (2020). Datendokumentation leicht gemacht! Ein interaktiver Online-Workshop (Vers. 1.0) (Zenodo, 21.9.): https://zenodo.org/record/4037151
10.2 Aufruf: "Berlin sucht den Torso in Winckelmanns Hand!"
Restauratoren und Mitarbeiter der Staatlichen Museen Berlin stehen vor einer ungewöhnlichen Herausforderung: Von einer Skulptur, die gerade restauriert wird, werden historische Schwarzweißfotos gesucht. Es handelt sich um das Standbild des Archäologen Johann Joachim Winckelmann, das von 1840 bis1935 in der Vorhalle des Alten Museums aufgestellt war. Genauer geht es um Detailaufnahmen, in welchen der Gegenstand in der linken Hand des Dargestellten zu erkennen ist: ein Torso, d. h. der Rumpf einer antiken Figur, welche als Symbol für Winckelmanns Studium der Antike gilt. Der Torso in der Hand Winckelmanns ist im Hüftbereich mitsamt den ihn umschließenden Fingern abgeschlagen. Die Restauratorin versucht nun in Zusammenarbeit mit einem Bildhauer und Kopisten, diese Beschädigung auszugleichen und den antiken Torso nachzubilden. Dies gelingt aber nicht ohne authentische Nahaufnahmen des Originalzustandes aus den Jahren zwischen 1840 und 1935. Daher ist das Projekt jetzt auf die Hilfe der Öffentlichkeit angewiesen: Verfügt jemand von Ihnen über Fotos des Marmorstandbildes im Alten Museum aus den Jahren 1840 bis 1935, auf denen der vollständige antike Torso in der linken Hand Winckelmanns genau zu erkennen ist? Bis Redaktionsschluss dieses Newsletters waren noch nicht die so dringend benötigten historischen Detailaufnahmen eingereicht worden. Die Restauratoren freuen sich auf Ihre Zusendungen oder auch über weiterführende Hinweise möglichst bis zum 30.10. an
"Berlin sucht den Torso in Winckelmanns Hand!" – Aufruf der Ernst von Siemens-Kunststiftung: https://www.ernst-von-siemens-kunststiftung.de/objekt/berlin-sucht-den-torso-in-winckelmanns-hand.html
10.3 Library of Congress öffnet Zeitungsarchiv, online
Die Library of Congress - die öffentlich zugängliche Forschungsbibliothek des Kongresses der USA - hat einen Fundus von 1,5 Mio. Bildern aus ihrem Zeitungsarchiv erschlossen und online such- und findbar gemacht. Der Bildbestand stammt aus US-amerikanische Zeitungen der Jahre 1789-1963. Und ja, da sind auch Schätze für Archäologen drin, wenn man z. B. nach "Neanderthal", "archaeology" o. ä. blättert.
"Library of Congress Launches New Tool to Search Historical Newspaper Images" (Library of Congress, 15.9.): https://www.loc.gov/item/prn-20-060/library-of-congress-launches-new-tool-to-search-historical-newspaper-images/2020-09-15/
LOC-Bildsuche: https://news-navigator.labs.loc.gov/search
10.4 Blogparade zum Thema #femaleheritage (11.11.-9.12.)
Die Monacensia - das Literaturarchiv der Stadt München sowie eine Forschungsbibliothek zur Geschichte und dem kulturellen Leben Münchens - lädt Sie herzlich ein zur Blogparade "Frauen und Erinnerungskultur", die vom 11.11.-9.12. laufen wird. Eine Blogparade ist eine zeitlich befristete Blog-Aktion. Sie verlinken ihren Beitrag mit der Einladung der Initiatoren. Diese sammeln, verlinken und bewerben die Eingänge im Social Web. Die Organisatoren möchten Frauen im kulturellen Gedächtnis präsenter machen, ihre Leistungen und ihre Bedeutung für die Gesellschaft in den Fokus rücken und das Bewusstsein für ihr Werk und ihr Wirken stärken, ganz ohne die gängigen und polarisierenden Weiblichkeits- und Männlichkeitsklischees. Das Thema ist auch für die Archäologie relevant, eine Fachwissenschaft, die auch heute noch viele männliche Klischees vorweist (populärstes Stichwort "Indiana Jones"). Mögliche Blog-Themen wären beispielsweise: Welche Klischees werden einfach vorausgesetzt und immer weiter tradiert? Welche Forscherinnen und welche Forscher räumen gerade mit den Klischees auf? Wie kommt das im "Fach" an? Wie verändert es das Narrativ der Jäger und Sammlerinnen? – Für ein Kurzkonzept der Aktion und zur Meldung Ihrer Blogposts wenden Sie sich an
https://blog.muenchner-stadtbibliothek.de
10.5 Die "titanische Leistung der Kelten": Wandern am Altkönig (Hochtaunuskreis, Hessen)
Er ist mit fast 800 M. ü. NHN der dritthöchste Gipfel des Taunus: der Altkönig. Auf der Anhöhe befinden sich der latènezeitliche "Ringwall Altkönig" und auf Spornen der frühmittelalterliche "Ringwall Hünerberg" sowie die "Weiße Mauer", ein durch Frostsprengung entstandenes Quarzitfeld. Zum Ringwall Altkönig – der sich in Wirklichkeit aus einem inneren und äußeren Ring in annähernd ovaler Form zusammensetzt – führt ein Wanderweg, den FAZ-Autor Thomas Klein voller Begeisterung begangen hat. Für ihn wächst mit jedem Schritt die "Ehrfurcht vor der titanischen Leistung der Kelten, wie sie den 800 Meter hohen Altkönig durch zwei mächtige Ringwälle umgürtet haben". Bewundernswert findet er die Mauerung aus dem harten Taunusquarzit. Die Anlage umfasst eine Fläche von 26 ha, die Wälle haben eine Länge von 950 m bzw. 1.390 m. Die genaue Funktion der Anlage ist unsicher. Klein liefert eine klar Wegbeschreibung für die 13 km lange Strecke, die ca. 500 m Höhendifferenz aufweist – ein guter Wandertipp für den Herbst!
Thomas Klein: "Der Altkönig ist Herausforderung statt Hindernis" (FAZ, 4.10.): https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/region-und-hessen/wandertipps/wandertipp-der-altkoenig-ist-herausforderung-statt-hindernis-16992276.html
Stefan Jung: "Hinauf zum Altkönig" (Outdooractive, 19.9.2014): https://www.outdooractive.com/de/route/wanderung/taunus/hinauf-zum-altkoenig/11087322/
10.6 Änderungen bei Verursachergrabungen in Großbritannien
Schon in Deutschland (wie auch in der Schweiz) ist es bisweilen sogar für Insider nicht leicht, die Praxis des Bodendenkmalschutzes zu überblicken, weil allzu vieles ob der Kulturhoheit der Länder resp. Kantone leicht unterschiedlich geregelt ist. Umso mehr gilt dies, wenn man vom Kontinent auf die "Insel" blickt, deren Archäologie in so vielem so wichtig und attraktiv ist für die europäische Archäologie: Die Denkweise rund um die Malta-Konvention und die Umsetzung des Verursacherprinzips folgen in Großbritannien eigenen Regeln, schlimmer: zwischen England, Schottland, Wales und Nordirland gibt es wiederum beträchtliche Unterschiede. Im August 2020 schlug das zuständige Ministerium gravierende Neuerungen am bestehenden System vor, die eine Vereinfachung der Bauplanung für Investoren anstreben, sprich: einen Abbau von Denkmalschutz - auf den ersten Blick ein tiefer Einschnitt in das System der britischen "kommerziellen" Archäologie. In einem aktuellen und sehr lesenswerten Aufsatz beschreibt der Experte Paul Belford die bestehenden Systeme, die neu vorgeschlagenen Änderungen und gibt Anregungen, wie die Gemeinschaft der Archäologen s. E. darauf reagieren sollte. Der Text ist mit britischen Augen für britische Leser geschrieben! - doch er eignet sich gut als Erklär- und Einführungstext für interessierte kontinentale Leser: Wie funktioniert es derzeit, und was kommt auf die britische Archäologie mit den Änderungen zu? Nach Belford könnten vor allem die bauvorgreifenden Prospektionen und das Mehr an baubegleitenden Maßnahmen (statt Vorab-Ausgrabungen) das Qualitätsniveau reduzieren, wie auch der gesamte Bereich der Nachbearbeitung (Berichte schreiben) eingeschränkt werden. Belford betont, dass die Gemeinschaft der Archäologen hier Verantwortung trägt und gemeinsam reagieren kann: Standards vereinbaren und kontrollieren; die gerne gepflegte Dichotomie von "Forschung" und "Rettungs-Archäologie" aufbrechen ; den hohen Wert von Archäologie gemeinsam besser an die interessierte Öffentlichkeit übermitteln, schließlich seien mehr als 10 % der britischen Bevölkerung Mitglied im National Trust, bei English Heritage, Cadw oder Historic Environment Scotland, d.h. die Archäologie habe ein gewaltiges Reservoir an interessierten Bürgern. Kurz: die neuen Vorschläge der britischen Regierung seien gravierend, die Archäologie verletzlich, aber mit einem gemeinschaftlichen und wirklich professionellen Vorgehen bewältigbar.
Belford, P. (2020). Ensuring Archaeology in the Planning System Delivers Public Benefit. Public Archaeology (13.10.): https://doi.org/10.1080/14655187.2020.1833525 (Open Access)
10.7 Ratgeber: Wie können Sie zum Fossil werden und Jahrmillionen überdauern?
Beerdigungen – ob als Körpergrab oder mittels Verbrennung, ob ganz ohne oder mit kleinen Beigaben – sind ja schön und recht. Aber wir wissen ja, wie viel davon dann doch recht bald unbeachtet weggebaggert wird und verschwindet. Wie könnte Ihnen der ganz große Wurf für Ihre sterblichen Überreste gelingen? Anders gesagt: Was müssen Sie tun, um als Fossil die Jahrmillionen zu überdauern? Rat weiß der Mineraloge Dr. Gunnar Ries. Neben einigen ernüchternden Fakten (etwa zur geringen Wahrscheinlichkeit, es bis zum Fossil zu bringen) gibt es Ihnen jede Menge Tipps auf den langen - sehr langen - Weg mit, Stichworte seien: Hilfe durch Naturkatastrophen, das passende Sediment, die gelungene Mineralisierung und der persönliche Touch mittels Färbung. Auch alternative Methoden wie Teergruben, Versinterung und (jüngstens riskant geworden) Permafrost werden diskutiert.
Gunnar Ries: "Wie kann ich zu einem Fossil werden?" (Mente et Malleo, 24.9.): https://scilogs.spektrum.de/mente-et-malleo/wie-kann-ich-zu-einem-fossil-werden/
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