100. DGUF Newsletter
vom 12. Mai 2021
Wenn Sie diesen – in A4-Seiten ausgedrückt – mehr als 120 Seiten langen 100. Newsletter lieber als PDF ausdrucken und lesen möchten, haben wir dieses für Sie angelegt: https://dguf.de/fileadmin/user_upload/Newsletter-Archiv/dguf-dok_100_newsletter_2021-05-12.pdf
Inhalt
2.1 Frank Siegmund: Neun Jahre und 99 Newsletter später: wie alles begann
3.2 Patricia Arlt: Studentische Exkursionen während einer Pandemie – Herausforderungen und Chancen
3.3 Ilian Finkeldey: Motivation im Studium
3.4 Thomas Sickel: Darum sind Fachgesellschaften und Verbände für Studierende so wichtig!
3.5 Rebecca Hemmy: Anregungen zum Studium der Altertumswissenschaften
3.9 Oliver Nakoinz: Quantitative Archäologie in der Lehre
3.12 Frank Siegmund: Wir haben zu viele zu kleine Institute für Ur- und Frühgeschichte!
4.4 Ulf Ickerodt: Disziplinierung und Disziplinkontakte
4.5 Cornelius Holtorf: Warum ist Archäologie so vorhersehbar?
4.6 Rainer Atzbach: Erforscht die Archäologie den Alltag der Vergangenheit?
5.1 Dieter Quast: Wie gehen wir eigentlich mit menschlichen Überresten um?
5.2 Sascha Piffko: Ein moralischer Kompass für die (Firmen-) Archäologie
5.3 Raimund Karl: Dreck am Spaten? Gedanken zu archäologischem Fehlverhalten
6.2 Eileen Eckmeier, Renate Gerlach und Mechthild Klamm: Archäologie und Boden? Da geht noch was!
6.3 Peter W. van den Broeke: Turning building deposits into closing deposits
6.4 Andrea Zeeb-Lanz: Sekundärbestattung – Zur Überprüfung eines inflationär verwendeten Begriffs
6.6 Stefan Hesse: Unsichtbare Regionen
7.2 Anonymus: "Fachaufsicht" – Eine babylonische Begriffsverwirrung und gezielte Falschinformation
7.3 Raimund Karl: Bearbeitungs- und Publikationsrechte an archäologischen Feldforschungsergebnissen
7.4 Klaus Gerken: Wer rettet das Paläolithikum und das Mesolithikum in Niedersachsen?
7.6 Carola Berszin: Anthropolog*innen auf der Ausgrabung – Mehrwert für alle Beteiligten
7.8 René Bräunig: Die Zukunft der Feldarchäologie in Mitteleuropa im 21. Jahrhundert – ein Rückblick
7.9 René Bräunig: Die Zukunft der Feldarchäologie in Mitteleuropa im 21. Jahrhundert – ein Ausblick
7.10 Peter Hinton: We need to talk about robots
8 Digitalisierung, Daten und Archäoinformatik
8.1 Irmela Herzog: Digitalisierung von Archivdokumenten im Fachamt: Latène ist kein Schreibfehler
8.2 Irmela Herzog: Digital dokumentiert – alles gut?
8.3 Florian Thiery: Auf neuen Wegen: Durch die Community zum archäologischen Knowledge Graph
8.4 Oliver Nakoinz: Quantitative Archäologie und die Kultur reproduzierbarer Forschung
8.5 Oliver Nakoinz: Quantitative Archäologie im Spannungsfeld der Disziplinen
8.7 Rashida Hussein-Oglü: Lust und Leid der Digitalisierung in Museen und Sammlungen
9.2 Erwin Cziesla: Der Publikations- und Auswertungsstau bei archäologischen Untersuchungen
11.1 Anonyma: Sechs Monate: Befristet schwanger
11.2 Birthe Haak: Corona verschärft Benachteiligung von Frauen in der Wissenschaft
11.3 Anonyma: Chancengleichheit in der Archäologie? Erfahrungsbericht einer Mutter
11.6 Sarah Wolff: Die Veränderung bist du. (DU!) Ein Gedicht
11.7 Sascha Piffko: Der Traum vom glücklichen Archäologen oder: Die endlose Suche nach Utopia
11.8 Anonyma: Für 'n Appel und 'n Ei. Zu Stellenanzeigen und Anforderungsprofilen in der Archäologie
11.10 Alfred Falk: Aus dem Nähkästchen. Rückblick auf das Berufsleben in einer Denkmalbehörde
12 Privatwirtschaftliche Archäologie
12.1 Felix Fleischer: Wie viele Köche braucht der Brei? Gedanken zu Privatwirtschaft und Archäologie
12.2 Martin Nagel: Der "schönste Beruf der Welt" ist kein Traumberuf
12.3 Uwe Schoenfelder: Fragen über Fragen – Kommerzielle Archäologie in Deutschland
12.4 Diane Scherzler: Grabungsfirmen: das kaum bekannte Silicon Valley der Archäologie
13 Berufsverband und berufliche Selbstorganisation
13.1 Sascha Piffko: Über Gewerkschaften, Kammern etc. und die Wirksamkeit des Berufsverbandes CIfA
13.2 Christoph Unglaub: Warum man einem Berufsverband beitreten sollte
14 Das Verhältnis von Archäologie und Gesellschaft
14.1 Miriam N. Haidle: Urgeschichte – ein Fach ohne gesellschaftspolitische Relevanz?
14.2 Rainer Schreg: Was bieten wir der Gesellschaft? Was ist sie bereit, uns zu bieten?
14.3 Karl-F. Rittershofer: Archäologie, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft
14.5 Matthias Toplak: Mehr Öffentlichkeit wagen!
14.6 Monika Irlenbusch: Öffentliche archäologische Präsentation in "Coronazeiten"?
14.7 Thomas Richter: Social Media von Amts wegen: @kreisarchaeologielandshut auf Instagram
14.8 Karl Heinz Rieder: Zu den Defiziten bei der öffentlichen Vermittlung von Grabungsergebnissen
14.9 Gunter Schöbel: Mehr Archäologie in die Schulen!
15 Citizen Science bzw. ehrenamtliche Archäologie
15.1 Pascal Geiger: Sondengänger – Zum aktuellen Diskussions- und Handlungsbedarf
16.2 Frank Siegmund: Wer zu spät kommt – den belohnt die deutsche Wissenschaftsförderung
16.3 Ariane Ballmer: Peer Reviewing in der kompetitiven Projektförderung
16.4 Frank Siegmund: Forschungsförderung umstellen: Lotterie statt Gutachten!
16.6 Till Kemper: Das neue Baulandmobilisierungsgesetz – neue Gefahren für Bodendenkmale?
17.1 Wolfgang David: Sind Museen zu eventgetrieben?
17.2 Susanne Jülich: Was in der Dauerausstellung passiert, wenn niemand da ist
17.5 Florian Klimscha: Quo vadis? Archäologische Museen in einer spezialisierten Welt
18 Worüber man sonst noch spricht oder dringend sprechen sollte
18.1 Ulf Ickerodt: Archäologie, Ethnologie und die Kunst der Klassischen Moderne
18.2 Maria Effinger: Szenen aus der Urzeit für die Zukunft
18.3 Robin Peters: "Der Mensch hat schon immer …" – die ferne Vergangenheit als Projektionsfläche
18.4 Ulf Ickerodt: Archäologie und das Problem der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit
18.5 Ulrike Sommer und Martin Schmidt: Herzlichen Glückwunsch, Theorie-AG!
1 Vorwort der Herausgeber
1.1 Der 100. DGUF-Newsletter: Themen, über die man in der Archäologie spricht oder dringend sprechen sollte
Am 30. März 2012 erschien der erste DGUF-Newsletter. Neun Jahre später, im Mai 2021, publizieren wir hiermit die 100. Ausgabe. Darüber sind wir glücklich und auch ein wenig stolz. Mehr als 1.800 Abonnentinnen und Abonnenten werden sie erhalten, also wie immer weit mehr Personen als die DGUF an Mitgliedern hat. Dieser Jubiläums-Newsletter ist nicht primär aktuell orientiert – was ist im vergangenen Monat passiert? –, sondern er versammelt die Stimmen der DGUF-Mitglieder. Sie sind die Autorinnen und Autoren dieser Jubiläums-Ausgabe und sandten uns ihre Perspektiven ein. Unsere übergeordnete Fragestellung war: "Was sind nach Ihrer Überzeugung und Erfahrung solche Themen, über die Ihre Fachkolleginnen und -kollegen sowie interessierte Bürgerinnen und Bürger mehr wissen sollten? Entweder, weil sie das Fach bzgl. Forschung, Arbeitsrealität, Rahmenbedingungen usw. gerade voranbringen, verändern oder auch behindern. Oder, weil sie bedeutsam sind, aus unterschiedlichen Gründen aber 'niemand' darüber spricht und sich das ändern sollte."
Dies ist mit Abstand der umfangreichste DGUF-Newsletter aller Zeiten. Mitgeschrieben haben Autorinnen und Autoren, die zwischen 1939 und 1994 geboren wurden – Studierende, Menschen in stabilen ebenso wie in prekären Berufsverhältnissen, Chefinnen wie Mitarbeiter, mit oder ohne akademische Ausbildung. Sie alle haben etwas zu sagen. Schöner und "deguffiger" könnten wir nicht feiern, finden wir! Wir sind überwältigt von der Qualität und der schieren Fülle an Themen und Gedanken, die uns zugesandt wurden. Sicherlich können sie nicht alle Themen abbilden, über die mehr Debatte "im Fach" nötig wäre. Aber Sie werden unter den Themen sicherlich einige finden, die auch in Ihren Augen "ganz heiße Eisen" sind. Manche Beiträge zeichnen sich durch ihre Prägnanz aus, ihre Scharfsinnigkeit; andere sind unverblümt und nennen Dinge beim Namen, die sonst als die berühmten Elefanten im Raum beschwiegen werden. Sie werden stille Texte finden, erschütternde, leidenschaftliche, auch ein Gedicht und ein Stanley-Kubrick-Zitat sind dabei.
Für die Autoren gab es Längenbegrenzungen und einige wenige Formalia zu beachten. Wir bitten Sie – besonders, wenn Sie zu den Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe gehören – herzlich um Nachsicht und Milde gegenüber uns Herausgebern, wenn dies nicht konsistent umgesetzt werden konnte. Bei manchen Beiträgen wäre eine Kürzung nicht möglich gewesen; bei manchen hätten die Autoren die Kürzung nicht vornehmen können, und wir hätten wertvolle Inhalte verloren. Alle Beiträge wurden von uns redigiert, die Autorinnen und Autoren bestmöglich unterstützt. Die individuellen Präferenzen, die Texte nicht zu gendern oder auf unterschiedlichste Art zu gendern, haben wir belassen wie eingereicht; Sie sehen daran auch die Vielfalt der Optionen, die uns für die Arch. Inf. erreichen.
Wenn Sie zu manchen der folgenden Beiträge Zustimmung, Ergänzungen oder Widerworte äußern möchten, laden wir Sie herzlich dazu ein! Schreiben Sie als DGUF-Mitglied einen Gastkommentar für einen der kommenden Newsletter!
Der Gastkommentar im DGUF-Newsletter: https://www.dguf.de/newsletter-einen-gastkommentar-einreichen
Wenn Sie diesen – in A4-Seiten ausgedrückt – mehr als 120 Seiten langen 100. Newsletter lieber als PDF ausdrucken und lesen möchten, haben wir dieses für Sie angelegt: https://dguf.de/fileadmin/user_upload/Newsletter-Archiv/dguf-dok_100_newsletter_2021-05-12.pdf
Wir danken allen Autorinnen und Autoren für Ihre Gedanken, ihre Zeit und Mühe! Ihnen allen wünschen wir beim Lesen viel Freude und Anregung!
Diane Scherzler und Frank Siegmund
DGUF-Vorstände und Herausgeber der DGUF-Publikationen
2 DGUF-Nachrichten
2.1 Frank Siegmund: Neun Jahre und 99 Newsletter später: wie alles begann
Die Skepsis in Vorstand und Beirat der DGUF war groß, als die Archäologin und Journalistin Diane Scherzler, damals frisch im Beirat der DGUF, Anfang 2011 ihre Gedanken zu einem kostenlosen und werbefreien DGUF-Newsletter erstmals vortrug und dann im Mai 2011 dem damaligen DGUF-Vorstand und -Beirat ein schriftlich ausgearbeitetes Konzept vorlegte. Die Technik – Versand per E-Mail – war kein Thema, aber die Frage "auch für Nicht-Mitglieder?" beschäftigte uns, und noch mehr die Frage nach der Frequenz: Sollte es wirklich genug Stoff geben für vielleicht zwei bis maximal vier Newsletter pro Jahr? Und sollte er wirklich Themen jenseits der DGUF umfassen? Wer sollte nach der Startauflage dauerhaft die Redaktion übernehmen? Wer sollte, wer durfte zum Kreis der regelmäßigen Autorinnen und Autoren gehören? Irgendwann gaben die Skeptiker einfach auf und fügten sich der Logik der Scherzlerschen Argumente: Okay, dann solle sie doch einfach mal loslegen. Und so geschah es: am 29. März 2012 wurde die Nullnummer mit der Ankündigung des Projekts an all jene DGUF-Mitglieder versandt, die damals per E-Mail-Adresse erreichbar waren: 443. Zur Erinnerung: über andere Distributionskanäle (außer ihrer Website) verfügte die DGUF damals noch nicht, ihre Accounts bei Twitter und Facebook traten erst im Laufe des Jahres 2016 hinzu. Botschaft der Nullnummer: Ankündigung des Projekts. Als DGUF-Mitglied sei man am Start als Abonnent eingeschrieben, könne sich jedoch jederzeit aus dem Verteiler austragen lassen, aber auch Dritte zum Abonnement einladen. Der erste DGUF-Newsletter wurde dann am 30. März 2012 an insges. 448 Abonnenten versandt. Mit (wie auch in der Folge) oft überraschenden Reaktionen. So schrieb bereits am 5. April 2012 eine Leserin "Darf ich Euren Newsletter als Vorbild/Beispiel/Inspiration an meine Mitstreiter versenden?" Bereits nach fünf Tagen ein Vorbild und eine Inspiration? Das ging damals runter wie Öl, sodass ich es noch heute erinnere. Stetes Redaktionsthema im Hintergrund: die Technik des Versands, damals betreut von unserem geduldigen Webmaster Gerwin Abbingh. Zugegeben, der Verfasser dieser Zeilen blickte immer wieder auch auf die Zahl der Abonnenten, die recht stetig wuchs – auf die Zeit bis zum 100. Newsletter (Regressionsrechnung!) um im Mittel plus 13 Abonnenten pro Ausgabe. Wobei das Wachstum durchaus in Schüben erfolgte. So verzeichneten wir z. B. im Juli 2013 – wohl als Begleiterscheinung der damals laufenden, am Ende erfolgreichen DGUF-Petition gegen die gravierenden Mittelkürzungen im Denkmalschutz in NRW – einen "Sprung" auf nahezu 800 Abonnenten; im Januar 2017 durchbrachen wir die Marke von 1.000 Abonnenten. Aktuell sind es 1.845 Abonnenten, die die vorliegende Ausgabe erhalten. Von Anfang an etablierte sich die Erscheinungsfrequenz ohne große Diskussion bei einer Ausgabe pro Monat. Gegen ein anderes Wachstum kämpfte die Redaktion eine Zeit lang an: den Umfang. Die ersten vier Newsletter hatten einen Umfang von etwa 13 Normseiten (à 1.800 Anschlägen), doch nach einem Jahr waren es oft etwa 35 Seiten, und Ende 2013 waren auch mal 45 Seiten notwendig. So viel zur anfänglichen Skepsis, ob die Archäologie mehr Themen als für max. vier Newsletter pro Jahr bieten würde … Auch bei den Lesern war der Umfang ein Thema, weil man in den E-Mails so schwer navigieren könne. Die auf den Wunsch von Nutzern parallel zum E-Mail-Versand via DGUF.de angebotene PDF-Fassung, in der man sich technisch leichter hin- und herbewegen konnte, setzte sich bei den Nutzern kaum durch. So fand in Folge einer Leserumfrage in den Jahren 2019 und 2020 schrittweise und umgesetzt durch unseren versierten Webmaster Pascal Geiger eine umfassendere technische Renovierung statt, wonach der Newsletter ein professionelleres Versandsystem erhielt und vor allem für die Leser ein Inhaltsverzeichnis, dessen Stichpunkte zugleich als Sprungadressen direkt auf die einzelnen Themen führen. Zudem wurde der Newsletter nun bereits mit dem Versand auch auf DGUF.de in einer HTML-Fassung verfügbar. Neuerungen, die von den Lesern sehr begrüßt wurden. Doch bei aller Entwicklung in Technik, Umfang und Abonnentenzahlen ist es in der Rückschau erstaunlich, die DGUF-internen Pläne und Korrespondenzen der Planungs- und Startzeit 2012 wieder zu lesen: Diane Scherzler hatte ein klares und – wie sich zeigte – gutes und funktionsfähiges Konzept entwickelt, das sich seitdem inhaltlich kaum verändert, vielmehr sehr bewährt hat und erfolgreich war.
PD Dr. Frank Siegmund, WWU Münster
2.2 Hans-Helmut Wegner: Ein Gründungsmitglied erzählt – Zu den Anfängen der Deutschen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte
Eine spannende Zeit – Vor der Gründung der DGUF
Die zweite Hälfte der 1960er und der Anfang der 1970er waren äußerst spannende Jahre. Im Ablauf dieser Zeit vollzog sich erst der tief greifende Umbruch von der Nachkriegszeit in die neue Epoche der Bundesrepublik Deutschland. Was mit Ur- und Frühgeschichte und Archäologie zu tun hatte, lag dezentral im Aufgabenbereich der Länder. Die gesetzlichen Vorgaben und Verordnungen wurden von staatlichen Ämtern umgesetzt oder weiterhin von einigen Landesmuseen. Forschungsinstitute mit überregionalen Funktionen gehörten nicht dazu, so z. B. das Römisch-Germanische Zentralmuseum in Mainz (RGZM) und die Römisch-Germanische Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts in Frankfurt (RGK), die überregional viel Einfluss geltend machten. Dann gab es noch die Ordinarien an den Universitäten. Hinzu kamen die Verbände: der "Norddeutsche Verband für Altertumsforschung" und der "West- und Süddeutsche Verband für Altertumsforschung". Sie veranstalteten jeweils Fachtagungen und gaben zusammen mit dem RGZM die "Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern" heraus. In diesen Verbänden war eine persönliche Mitgliedschaft nicht möglich. Dann gab es noch die Fachstudierenden, die in dieser Zeit zunehmend von sich "reden machten". Sie schlossen überregionale Kontakte und arbeiteten fachinstitutsübergreifend zusammen, um so ihr wissenschaftliches und hochschulpolitisches Blickfeld zu erweitern. Sie gehörten überwiegend den Universitäten Göttingen, Frankfurt, Gießen, Köln, Freiburg, Marburg u. a. an und schlossen sich auf der Verbandstagung 1968 in Schleswig zum so genannten "Schleswiger Kreis", einem "Arbeitskreis junger Prähistoriker" zusammen. Gemeinsam gaben sie u. a. den "Grabungskalender" heraus und die "Informationen zu Nachbarwissenschaften der Ur- und Frühgeschichte" (INW).
Die Gründung der DGUF – Es musste ganz schnell gehen
In diese Gemengelage der deutschen "Archäologielandschaft" platzte die Gründung einer "Deutschen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte" (DGUF) mit einem heftigen Paukenschlag unvorbereitet herein! Das kurzfristig bekannt gewordene Vorhaben der Wiedergründung des alten Nazi-Vereins "Gesellschaft für Deutsche Vorzeit / Mannusgesellschaft" musste unbedingt verhindert werden! Daher kamen rd. 20 Studierende, Doktoranden und junge Assistenten überwiegend der o. gen. Universitäten und des "Schleswiger Kreises" am 25. Oktober 1969 nach Bonn zu einem "Go-in", um diese Gründungsversammlung der "alten Braunen" zu sprengen. Es sollte deutlich werden, dass unser Fach Ur- und Frühgeschichte eine Wiederbelebung des alten "Nazi-Vereins" nicht duldet! Damit dieses Vorhaben wirksam verhindert würde, musste man ihm zuvorkommen, so war die spontane Überlegung. Daher fand, auch um den vorgesehenen Namen zu "schützen", die "Gegengründungsversammlung" der "Deutschen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte" durch die Teilnehmer an diesem "Go-in" direkt danach gegenüber im "Café Abresch" statt. Der Antrag auf Eintragung ins Vereinsregister wurde gleich am Montag darauf mit Vorstand, Satzung und notariell beglaubigten Unterschriften beim Amtsgericht in Bonn eingereicht. So kam es zur Gründung der neuen, progressiven, überregionalen Personenvereinigung, der "Deutschen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte".
Reaktion und Widerstand
Die Nachricht von der Gründung einer neuen Vereinigung von Fachleuten und Laien in der Ur- und Frühgeschichte löste heftige Gegenreaktionen überall in der etablierten Fachwelt aus. Man versuchte auf vielfältige Weise, die "Gesellschaft" zu unterdrücken. Es ging sogar so weit, dass jungen Wissenschaftlern mit der Androhung der Verhinderung ihrer Berufslaufbahn, der Verstellung ihrer Berufsperspektiven oder gar der Beeinträchtigung ihrer schon begonnenen "Karriere" unter Druck gesetzt wurden, falls sie mit der DGUF sympathisierten oder ihr gar beiträten. Es gab aber auch namhafte Unterstützer und Befürworter einer solchen überregionalen Personenvereinigung. Dies zeigte insbesondere auch die sofort einsetzende hohe Zahl der Eintrittserklärungen.
Anfang – Rückschlag – Erfolg
Auf der ersten ordentlichen Mitgliederversammlung 1970 in Tübingen wurden ein neuer Vorstand gewählt, die überarbeitete Satzung verabschiedet, die Mitgliedsbeiträge festgelegt und der Beschluss über die Herausgabe einer eigenen Zeitschrift gefasst. Insgesamt war nach der Tagung die Gesellschaft auf einem guten Weg. Daher überraschte nach etwa zehn Jahren auf der Jahreshauptversammlung 1983 in Marburg ein Antrag, die Gesellschaft aufzulösen, der mit großer Mehrheit der anwesenden Mitglieder abgelehnt wurde. Der neu gewählte Vorstand bestand bemerkenswerterweise weitestgehend aus ehemaligen Teilnehmern an dem "Go-in 69'" in Bonn und zum Teil aus Mitgliedern des ehemaligen "Schleswiger Kreises". Seitdem nahm die Gesellschaft wieder Fahrt auf, brachte regelmäßig die "Archäologischen Informationen" heraus, veranstaltete turnusgemäß Jahreshauptversammlungen und Tagungen und führte insgesamt innerhalb der ur- und frühgeschichtlichen Archäologie in Deutschland eine überregionale, inhaltsreiche Diskussion zu Fachpolitik, Fachinhalten und allgemeinen Fachfragen. Höhepunkte waren die Tagung nach 25 Jahren DGUF in Eisenach 1994, und die zum 50-jährigen Jubiläum 2019 in Bonn. Eine ausgesprochen rege und vielfältige Fachdiskussion unter den zahlreichen Teilnehmern zwischen den verschiedenen Aspekten und Sichtweisen des Erlebens von Archäologie und Vor- und Frühgeschichte zeigte eine starke DGUF mit Zukunft.
Die im Bonner Café Abresch aufgesetzte Gründungsurkunde der DGUF: https://www.dguf.de/fileadmin/user_upload/verein/geschichte/DGUF-Dok_Gruendungsdokument.pdf
Dr. Hans-Helmut Wegner war am 25. Oktober 1969 Gründungsmitglied der DGUF und von 1983-1987 ihr Vorsitzender. Beruflich war der Prähistoriker zuletzt als Hauptkonservator langjähriger Leiter der Außenstelle Koblenz der Direktion Landesarchäologie Rheinland-Pfalz.
3 Studium und Ausbildung
3.1 Angela Simons: "Wärst du heute 30 und würdest mit dem Berufsleben in der Archäologie loslegen, würdest du etwas anders machen? Was empfiehlst du den Jüngeren?"
Das hat die Newsletter-Redaktion mich gefragt. Als erfahrene Archäologin soll ich hier aus meiner Sicht etwas dazu schreiben. Meine Antwort in Kurzform: Ich würde alles genauso machen, wie es gekommen ist – mit all den unterschiedlichen Arbeitsplätzen und den damit verbundenen Berufserfahrungen!
Ja, junge KollegInnen, zunächst ist‘s ganz wichtig, bereits während des Studiums viel zu graben und auch schon früh Netzwerke zu bilden, Kontakte aufzubauen und zu nutzen. Auch ich war viel auf den unterschiedlichsten Ausgrabungen, u. a. im Ausland. Das öffnet den Horizont. Schon früh habe ich mich der Landschaftsarchäologie verschrieben, und so entstand aus meiner Mitarbeit im Projekt des UFG-Instituts der Uni-Köln im rheinischen Braunkohlengebiet meine Dissertation, und daraus wiederum ergab sich die Leitung des Projektes Blumenberg, einer großflächigen Ausgrabung in der Kölner Bodendenkmalpflege mit anschließender Publikation.
Nicht nur Ausgrabungen sind wichtig: Zeigt euch vielseitig und stellt euch breit auf – auch Öffentlichkeitsarbeit ist essenziell und kann euch voranbringen. Ich hatte das Glück, als koordinierende Archäologin die internationale Ausstellung zur prähistorischen Induskultur, die von den Baugeschichtlern an der RWTH Aachen initiiert wurde, mitzugestalten, dabei erste Einblicke in die Archäologie in Asien zu gewinnen und Kontakte mit dort tätigen Kollegen zu knüpfen. Danach war ich zwei Jahre an einem städtischen Museum und habe die Dauerausstellung aufgebaut.
Traut euch beruflich etwas und geht nicht nur auf Sicherheit bei der Stellensuche! Bei mir war das so: Meine Arbeit in der Kölner Bodendenkmalpflege mündete tatsächlich in das Angebot einer unbefristeten Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin durch die damalige Kulturdezernentin. Dadurch kam damals eine wirklich schwere Entscheidung auf mich zu. Die ganze Zeit war ich nämlich mit dem Kölner Institut und den Kollegen dort verbunden geblieben, und so wurde ich gefragt, ob ich in einem großen DFG-Schwerpunktprojekt zu Siedlungs- und Staatenbildungen im Himalaya mitarbeiten wollte, da ich ja bereits mit der Archäologie von Asien in Berührung gekommen war. Dieses Projekt war noch in der Antragsphase, als ich das Stellenangebot aus Köln erhielt. So, was tun? Das war jetzt wirklich nicht leicht – eine feste Stelle im öffentlichen Dienst ist ja eigentlich ein Sechser im Lotto für eine Archäologin! Aber da stand nun das Angebot, das siedlungsarchäologische Projekt für das Kölner Institut in Nepal zu leiten: etwa fünf Jahre DFG-Projekt gegen eine feste Stelle … Ich habe mich für die Unsicherheit des Nepalprojekts entschieden, wohlwissend, dass ich danach vielleicht im beruflichen Nichts landen könnte. Ja, und es war eine gute Entscheidung: Die Forschungsarbeiten im Himalaya, aber auch die Erfahrungen mit den Menschen dort und mit all den Kollegen aus den unterschiedlichen Fachrichtungen im DFG-Schwerpunkt möchte ich nicht missen.
Angst vor eventuellen Phasen der Stellenlosigkeit solltet ihr nicht haben, wenn ihr gleichzeitig flexibel und vielseitig reagiert und auch die verschiedenen Möglichkeiten in der Firmenarchäologie seht, die sich ja derzeit auftun. Nach dem Ende des Schwerpunkts hatte auch ich eine Periode ohne Stelle, in der ich mit Arbeiten zur Publikation der Forschungen in Nepal beschäftigt war. Danach kam durch eine niederländische Freundin und Kollegin eine ganz neue Berufserfahrung auf mich zu: Es wurden mehr als zehn Jahre im Projektmanagement in der niederländischen Archäologie bei der Fluss-Renaturierung an der Maas – als Schnittstelle ("directievoering") zwischen den Maaswerken, den Kiesabbau-Betrieben, dem Ausgrabungsteam und dem archäologischen Fachamt. Dazu gehörte auch die Herausforderung einer weiteren Sprache. Inhaltlich ging es quasi zurück zu meinen Wurzeln in die Landschaftsarchäologie in der Rhein/Maas-Region und zu Siedlungsmustern von der Prähistorie bis in die frühe Neuzeit.
Mit meinem beruflichen Lebenslauf in der Archäologie wollte ich euch, den jungen KollegInnen, zeigen, dass sich immer wieder neue Chancen auftun, wenn ihr – nicht nur im Beruf! – mutig, aufmerksam und mit Engagement durchs Leben geht und euch auch traut, Risiken einzugehen.
Publikation des Mumiengrabs (Nepal) im Arch. Ber. 31 der DGUF: https://doi.org/10.11588/propylaeum.596
Dr. Angela Simons, Köln
3.2 Patricia Arlt: Studentische Exkursionen während einer Pandemie – Herausforderungen und Chancen
Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass Corona die Welt so ausdauernd begleitet und beeinflusst? Nur Wenige haben bereits damals das Ausmaß vorausgesehen. Während die unmittelbaren Auswirkungen auf unser tägliches Miteinander auf der Hand liegen, werden andere Bereiche eher weniger angesprochen. Wer derzeit immatrikuliert ist und auf einen Abschluss aktiv zuarbeitet, wird sicherlich Unterstützung erhalten, um die jeweilige Abschlussarbeit oder auch Seminarleistung erbringen zu können. Die Solidarität zwischen Lehrenden und Studierenden ist hoch, um sich mit der nötigen Literatur zu versorgen, Fristen anzupassen und Lösungen zu suchen, wo sich Probleme auftun.
Doch eine Flanke ist nur schwer zu schließen: Wie können (verpflichtende) Exkursionsleistungen erbracht werden, wenn Museen geschlossen sind, Ausstellungen nicht öffnen und Reisen auf ein absolutes Minimum reduziert werden müssen? Überall dort, wo Exkursionen im Curriculum als Voraussetzung für einen Abschluss eingeplant sind, hat das bevorstehende dritte Corona-Semester massiven Einfluss. Vor einem Jahr wurden die organisierten Fahrten um ein Jahr verschoben. Jetzt zeichnet sich jedoch ab, dass auch der Sommer 2021 ohne Exkursionen verstreichen wird – diesmal jedoch mit der Ungewissheit, wie lange Museen und andere Ausstellungsorte geschlossen bleiben müssen, wann Reisen wieder unternommen werden können und welche Erleichterungen für Geimpfte gefunden werden – sind Studenten doch in der Regel in der letzten Impfgruppe und somit erst spät in der Lage, die "neue-alte Normalität" zurückzugewinnen. Zudem kosten individuellen Reisen in der Regel deutlich mehr als organisierte Gruppenexkursionen und stellen damit eine weitere Hürde dar, wo klassische Studentenjobs weggefallen sind und Finanzpolster seit Monaten abschmelzen.
Ein Beispiel: Wer im Winter 2018 mit dem Bachelor-Studium startete und im 2. Semester an einer durchgeführten Exkursion nicht teilnehmen konnte/wollte/durfte, stellte im 4. Semester fest, dass die Exkursion gestrichen wurde (Sommer 2020) – und im 6. Semester ebenfalls nicht stattfinden wird (Sommer 2021). Damit ist ein Abschluss in Regelstudienzeit unwahrscheinlich und kann sich direkt auf Finanzierungsquellen wie BAföG/Stipendien etc. auswirken.
Aus dieser Problematik ergeben sich mehrere Thematiken, die gelöst werden müssen: Welche Ersatzleistungen können erbracht werden, und wie werden diese rechtlich bindend von den Universitäten anerkannt.
Im intensiven Austausch zwischen Lehrenden und Studenten, werden Ideen geboren, die zeitgleich auch an anderer Stelle weiterentwickelt werden (können): Das digitale Museum ermöglicht Rundgänge "zu Hause", und die Bandbreite ist groß! Von niedrigschwelligen Formaten via Social Media über qualitativ hochwertige Fotos von Exponaten bis hin zu 3D-Modellen, Filmen und freiem Zugang zu Dokumentationen. Die Bearbeitung von konkreten Fragestellungen im Netz und eigens für und/oder mit Studenten angebotene Formate könnten eine Alternative bieten, die durch eine zusätzliche, schriftliche Leistung der Studenten zu einer anerkennbaren Studienleistung wird.
3.3 Ilian Finkeldey: Motivation im Studium
Als Masterstudent und regelmäßiger Teilnehmer der internationalen Fachschaftentagungen (IFaTa) und ehemaliger Vorstandsvorsitzender des Dachverbands archäologischer Studierendenvertretungen (DASV e. V.) hatte ich in den vergangenen fünf Jahren meines Studiums die Chance, Eindrücke zur Situation der Studierenden verschiedenster Institute aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zu sammeln. Dabei ist mein Eindruck, dass es den einen gelobten Studienstandort, frei von jeglicher Kritik, nicht gibt. Die Probleme der Studierenden mit ihrem Studienstandort sind nicht immer dieselben, dennoch mag die Erkenntnis den einzelnen Studierenden beruhigen, dass auch an anderen Instituten das Gras nicht immer grüner ist. Insgesamt sind Parallelen in diesen Problemen vielleicht aber auch ein Grund, diese einmal mehr in Diskurs zu bringen.
Mit den Worten "Sie müssen für die Archäologie brennen" beendete der niedersächsische Landesarchäologe Henning Haßmann 2019 seinen Vortrag auf dem studentisch organisierten Infotag "Wege in die Archäologie" in Hamburg und unterstrich damit auch die Bedeutung der Eigenmotivation für ein erfolgreiches Studium. In meiner Erfahrung ein Aspekt des Studiums, über den zu wenig gesprochen wird.
Ein pessimistischer Grundton und verbreitete Zweifel an der jeweiligen Sinnhaftigkeit des eigenen Archäologiestudiums, vor allem die nach dem Hörensagen schlechte Jobaussichten, können einen schweren Einschlag auf Leistungen und Abschlüsse der Studierenden an einem Standort haben. Dabei wäre zu unterscheiden zwischen Unsicherheiten, die Studierende ohnehin aus ihrem sozialen Umfeld erfahren und mit welchen jeder zurechtkommen muss, und solchen, die aus den Erfahrungen in der Lehre entstehen.
Ein wiederkehrendes Thema an den Instituten, welches Studierende verunsichert, sind Sparmaßnahmen der Universitäten, Zusammenlegungen von Fachrichtungen sowie Personalmangel im Lehrbetrieb. Diese schränken auch die Arbeit der Dozierenden ein und können bei Studierenden die Sorge erzeugen, an ihrem Standort unzureichende wissenschaftliche Fähigkeiten zu erwerben und später möglicherweise keine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt zu haben.
Ähnliche Sorgen entstehen aus der verbreiteten Idee, am eigenen Institut würden zu wenige oder nur veraltete technische beziehungsweise praktische Fähigkeiten, besonders in der Grabungs- und Prospektionsmethodik, vermittelt. Hier fordern Studierende in der Regel keine vollwertige Berufsausbildung oder Ausbildung zum/zur Grabungstechniker*in innerhalb des Archäologiestudiums, sondern erwarten, dass an Universitäten fortschrittliche Feldforschungsmethoden entwickelt und vermittelt werden. Dies ergibt sich schon daraus, dass Feldforschungen die Grundlage jeglicher weiteren archäologischen Forschung sind. Studierenden wird vermittelt, dass die Zeit für Grabungserfahrung, welche für viele Stellen gefordert wird, im Studium bei weitem nicht ausreichen kann und diese neben oder nach dem Studium erst gesammelt werden müsste. Es sollte in dieser Überlegung wenig relevant sein, ob Studierende eine universitäre Karriere anstreben oder andere Wege innerhalb des Faches einschlagen, da nach §7 des deutschen Hochschulrahmengesetzes (ähnliche Einträge existieren für Schweiz und Österreich) das Ziel des Studiums als die Befähigung zur wissenschaftlichen Arbeit in einem bestimmten Berufsfeld vorgegeben ist.
Für genannte Punkte könnten regelmäßige berufswahlorientierte Infoveranstaltungen oder eine engere Kooperation mit potenziellen Arbeitgebern beim Praktikumsangebot Lösungsvorschläge sein. Letzten Endes kann jedoch nur an den jeweiligen Instituten entschieden werden, mit welchem Vorgehen und welchen Mitteln die allgemeine Motivation der Studierenden gefördert werden kann. Dass die Motivation der Studierenden, besonders während der laufenden Pandemie, dabei im Interesse der Institute liegen sollte, begründet sich vor allem in der eigenen Abhängigkeit der Studiengänge von Studierenden- und Absolventenzahlen. Begrüßenswert wäre hierbei die Zusammenarbeit zwischen Lehrenden und Studierenden, um gemeinsam an einer weiterhin attraktiven und relevanten Studiengestaltung zu arbeiten.
Ilian Finkeldey B. A., Hamburg
3.4 Thomas Sickel: Darum sind Fachgesellschaften und Verbände für Studierende so wichtig!
Als sich die Vorsitzende der DGUF, Diane Scherzler, bei mir meldete und mich darum bat, einen Essay für den 100. Newsletter zu verfassen, damit studentische Stimmen möglichst stark darin vertreten sind, habe ich mich sehr gefreut. Diese Freude lässt sich mit der Freude meines ersten Fundes, einer Silexklinge, während einer Bad Kösener Kampagne, das Finden meiner ersten Keramikscherbe im Rahmen einer Begehung bei Garzweiler oder aber auch mit meiner ersten Auslandskampagne in Rumänien vergleichen. Die Archäologie spendet mir seit ich ein Kind war Kraft, Mut, Freude und Leidenschaft. Da gebe ich gerne das, was ich kann, zurück.
Ich habe die DGUF zum ersten Mal richtig wahrgenommen, als ich 2019 ehrenamtlicher Tagungshelfer in Bonn war. Hier durfte ich direkte interne Einblicke dieser Gesellschaft erhalten und war positiv überrascht, wie familiär diese Runde war. Auch erfuhr ich damals zum ersten Mal von der Gruppe CIfA Deutschland. Das CIfA ist ein internationaler Berufsverband aus Großbritannien. Die Präsidentin von CIfA Deutschland, Michaela Schauer, imponierte mir sehr. Nach dieser Tagung verspürte ich den Drang, mich auch ehrenamtlich mehr in der Archäologie einzusetzen. Seit ich 14 war, engagiere ich mich häufig ehrenamtlich. Damals war es beim Köln-Brücker Weihnachtsbasar für die Bücherabteilung, heute ist es die Bücherabteilung eines sozialen Second-hand-Kaufhauses in Bonn; seit Jahren bin ich Wahlhelfer. Aber erst nachdem ich mehrere Jahre lang in der Fachschaft in Köln tätig war und 2020 den Vorsitz hatte, fasste ich den Mut, dem Drang nachzugeben, mich mehr einzubringen. Ich bedaure heute nur, dass ich mich nicht eher engagiert habe.
Warum sind Fachgesellschaften und Verbände für die Archäologie so wichtig?
Die Archäologie entstand durch Laien, die sich aus einem Heimatgefühl heraus in Gesellschaften oder Verbänden zusammenschlossen, um sich Fragen über die Hinterlassenschaften vorangegangener Kulturen zu stellen. Allein dies kann schon ein Argument dafür sein, Fachgesellschaften und Verbände zu unterstützen. Wir sollten die Wurzeln unseres Faches als Heimatkundler:innen und Kuriositätensammler:in nicht vergessen oder leugnen, ein heutiges Miteinander mit Hobbyarchäolog:innen und Sondengänger:innen führt zu einem höheren Ertrag für die Archäologie als ein Gegeneinander. Auch ist es wichtig, dass sich neue und jüngere Mitglieder:innen dafür engagieren, dass Gesellschaften und Verbände nicht veralten oder gar aussterben. Studierende bringen neue Ideen und frischen Wind in Gesellschaften und Verbände und können von den Erfahrungen und dem Wissen der älteren Generationen lernen. Dadurch können beide Parteien nur dazugewinnen und wachsen.
Von der Politik werden die Archäolog:innen nicht selten übergangen. Um eine Stimme zu haben, die auch gehört wird, ist es unumgänglich, dass sich so viele Archäolog:innen mit ihren Interessen in einer Gesellschaft oder Verband vertreten lassen. Es wird von Niemandem verlangt, sich aktiv zu beteiligen. Sich in Verbänden oder aber auch Gesellschaften vertreten zu lassen, kostet nur einen geringen Jahresbeitrag, wird aber zu einer Stärkung der Archäologie generell führen und sich sicherlich später auszahlen.
Zu CIfA Deutschland sei gesagt, dass dieser Verband ein wichtiges Instrument für die Einführung von ethischen Verhalten bei Archäolog:innen ist. Sei es für eine gerechtere Bezahlung der Grabungshelfer:innen, -techniker:innen-, -leiter:innen sowie anderer Berufe, die das nicht in Tarifverträgen regeln, oder aber gegen die Vetternwirtschaft einiger Institute. Auch soll gewährleistet werden, dass keine Diskriminierung jeglicher Art, wie Sexismus, Rassismus, Homophobie u. a., stattfindet. Ein wichtiges Instrument des CIfA ist das Gütesiegel; mit diesem lassen sich unter anderem Grabungsfirmen leichter erkennen, die das Credo ethischen Verhaltens ganz groß in ihrer Firmenpolitik drinstehen haben. Hier kann davon ausgegangen werden, dass die Ausgrabungsfirmen ihrer Arbeiter:innen sowie Angestellten fair behandeln und vergüten; das soll nicht heißen, dass Grabungsfirmen, die nicht in der CIfA vertreten sind, alle gleich schlechte Arbeitgeber:innen sind. Mithilfe der Gütesiegel können sich aber auch Einzelpersonen bewerten lassen, sodass die Personen ihren Marktwert anhand ihrer Fertigkeiten kennen. Dieses System hilft auch Studierenden zu erkennen, was sie alles schon können. Um in Zukunft erfolgreich etwas verändern zu können, was allen Studierenden zu Gute kommen wird, braucht es ein starkes CIfA.
Thomas Sickel studiert Ur- und Frühgeschichte an der Universität Köln und schreibt aktuell seine BA-Arbeit.
3.5 Rebecca Hemmy: Anregungen zum Studium der Altertumswissenschaften
Die Möglichkeit, auch als Studentin ein aktives Mitglied des Faches sein zu dürfen und dafür als DGUF-Mitglied eine Stimme im 100. DGUF-Newsletter zu erhalten, freut mich sehr. Ich habe mich dazu entschieden, diese Stimme auch an meine KommilitonInnen aus einer bunten Mischung altertumswissenschaftlicher Fachrichtungen an der Universität Göttingen weiterzuleiten, indem ich sie zu "Themen, über die man in der Archäologie spricht oder dringend sprechen sollte" befragte. In diesem kleinen Beitrag übermittle ich nun an das Fach und alle Interessierten unsere Meinungen, Wünsche und Anregungen.
Die Rückmeldungen befassten sich hauptsächlich mit den Punkten Studienaufbau und Wissensvermittlung. So wurde der Wunsch geäußert, es möge innerhalb der Studierendenschaft, aber auch unter den Dozierenden ein breiteres Interesse an und Verständnis von naturwissenschaftlichen Methoden in altertumswissenschaftlichen Fächern geben. Bspw. kommt es immer wieder vor, dass auch fortgeschrittene Studierende Diagramme und andere naturwissenschaftliche Auswertungen archäologischen Fundmaterials, aber auch Pläne, nicht lesen und dementsprechend auch nicht interpretieren können. Gerade im Hinblick auf Interdisziplinarität zwischen verschiedensten Fächern und zur Förderung von immer wieder sehr fruchtbarer Transdisziplinarität ist es eben auch für ArchäologInnen und andere AltertumswissenschaftlerInnen sehr wichtig, sich wenigstens grundlegend mit diesen Methoden auszukennen und ihren Wert für sich selbst und das Voranbringen der Wissenschaft zu erkennen. Aus diesem Grund sollte dieser Bereich in der Lehre präsenter sein und fortan keinen Randbereich mehr darstellen.
Darüber hinaus kam die Frage auf, ob es nicht sinnvoll wäre, auch im klassischen sowie christlichen Archäologiestudium bundesweit einheitlich ein Wahlpflichtpraktikum, z. B. in einer Kultureinrichtung, und ein Grabungspraktikum einzuführen, ebenso wie eine Anlaufstelle mit Informationen dazu. Da Grabungserfahrung aus unserer Sicht unverzichtbar zum Archäologiestudium gehört, sollte jeder, der sich nach erfolgreichem Abschluss "ArchäologIn" nennen möchte, auch mindestens eine Grabung miterlebt haben. Ein solches Modulangebot wäre hilfreich bei der Sicherstellung praxisorientierter Fähigkeiten seitens der Studierendenschaft und gäbe bereits zu Studienzeiten einen wertvollen Einblick in diese Berufsfelder. Für Grabungspraktika von Studierenden der Ur- und Frühgeschichte werden oft alle Kosten bzgl. Unterkunft und Verpflegung übernommen, unseres Wissens wird sogar eine Aufwandsentschädigung gezahlt. Gegenüber Studierenden anderer archäologischer Fächer ist darauf zu achten, dass ein solches Pflichtpraktikum (ggf. auch im Ausland) ebenfalls über eine entsprechende Finanzierungsmöglichkeit verfügt, damit es nicht zu einer Verzerrung der Chancengleichheit zwischen den Studierenden kommt.
Auch ist bei der Befragung ehemaliger KommilitonInnen aufgefallen, dass überraschend viele sich nach ihrem Abschluss von einer Karriere innerhalb ihres Fachbereiches abgewandt haben, da ihnen die Beschäftigungsverhältnisse besonders auch im Hinblick auf Familienplanung zu unsicher waren. Genannt wurde: "Zu wenige Stellen", "fast nur befristete Verträge im öffentlichen Dienst", "selten attraktive Vergütung im Vergleich zur Arbeitsleistung".
Trotz all dieser Verbesserungswünsche gab es aber auch Lob: So wurde z. B. sowohl aus Studierendenkreisen, als auch aus dem Laienpublikum der Wunsch geäußert, die zwanglose und freudvolle Wissensvermittlung über Angebote, wie den "Archaeoslam" u. ä. Formate zu fördern und stärker auszubauen, da auf diese Weise Fachkreise und Laienpublikum gleichermaßen in entspannter Atmosphäre und für jeden verständlich wissenswerte Neuigkeiten aus archäologischen Themengebieten erfahren und untereinander austauschen können – Wissenschaft und Spaß. Dies ist genau eine der Schnittstellen zwischen Fachwelt und Öffentlichkeit, die es uns ermöglicht, die Ergebnisse unserer Forschung einem breiteren und interessierten Publikum zu präsentieren. Schließlich forschen wir doch nicht nur für uns selbst, sondern auch für die Menschen dort draußen, die vielleicht kein altertumswissenschaftliches Studium absolviert haben, aber sich eben an anderer Stelle für die Gesellschaft einsetzen und nichtsdestotrotz unsere Liebe zum Fach mit uns teilen und uns auch nicht selten durch die öffentliche Meinung oder auch finanziell unterstützen.
Rebecca Hemmy, B. A.
3.6 Patricia Arlt: "Es werden mehr Menschen durch Übung tüchtig, als durch Naturanlage" (Demokrit) – das gilt auch im Studium für die Entwicklung von Soft Skills fürs (Arbeits-)Leben
Montag der 10.10.2016. Der Tag, den ich nicht vergessen werde. Der Tag, an dem ich nach gut 20 Jahren meine Ausbildung und Fern-Studien an den Nagel gehängt habe und mit Menschen in einem Raum zusammentraf, die das gleiche Alter wie mein Abiturzeugnis hatten. Mit meinem Rucksack an Erfahrungen war ich gespannt, wie sich die Seminare der VFG/UFG aufbauen, wie das Lernen an einer "richtigen Uni" sein wird, wie ich auf die Zukunft vorbereitet werde, bzw. mich selbst vorbereite. Der Clou: ich konnte das zum zweiten Mal miterleben und Arbeitswelt-Realität mit "dem sicheren Nest" vergleichen. Mittlerweile frage ich mich, ob das Studium an Universitäten auf den wirklichen Alltag vorbereitet? Wie erlebe ich Kommilitonen, die weniger Erfahrungen mitbringen? Wie wäre es für mich gewesen, wenn ich 20 Jahre früher in meiner jetzigen Situation gesteckt hätte?
Was habe ich erwartet, als ich mein Studium begonnen habe? Ich dachte, dass ich, zu einem Großteil selbstbestimmt, Themen/Zeitstellungen erarbeiten kann, die mich interessieren, und am Ende noch so viel zusätzliches Rüstzeug an die Hand bekomme, um als Archäologe arbeiten zu können ... wie damals, als ich nach einer Bankkauffrau-Lehre auch in meinem Beruf als Einsteiger arbeiten konnte – Spezialisierungen kamen später. Soft Skills, wie Strukturierung meines Alltags, Teamarbeit, Einhaltung von Zielen und Deadlines, wurden durch Seminare geschult und in der Praxis ausgetestet. Wie gestaltet sich das bei meinen Kommilitonen an der Universität? Wenn sie nicht bereits durch eigene Veranlagung, das Elternhaus oder in der Schule das notwendige Rüstzeug und den Antrieb mitbringen, wird es schwer. Die Angebotsfülle an außercurricularen Kursen ist so groß, dass es dem Einzelnen schwerfallen kann, sich hierbei die wirklich wichtigen Skills anzueignen, die später im Arbeitsalltag notwendig werden – woher sollen sie auch wissen, was erwartet wird? Gleichzeitig ist die Zeit für fachübergreifende Grundlagen eng gesteckt. Wer glaubt, an der Universität auf den Alltag vorbereitet zu werden, wird es schwer haben. Das "Warum" und "Wie" wird im Regelstudium aus meiner Perspektive zu wenig methodisch aufbereitet und weitergegeben. Eine funktionierende Teamarbeit durch eine Seminararbeit oder Präsentation zu erarbeiten, ist stark personenabhängig, insbesondere, weil die Reflexion und der theoretische Unterbau fehlen. Um ein gutes Ergebnis zu erzielen, bleibt die Arbeit an Denjenigen hängen, die es bereits vorher konnten, ganz nach dem Motto "Toll, ein Anderer macht's", da nicht vermittelt wird, wodurch sich erfolgreiche TEAMarbeit auszeichnet. Gleiches gilt für die eigene Organisation, das Strukturieren von Arbeitsschritten, eventuell durch Unterstützung von aktueller Software. War es zu Zeiten von gemeinsamen Lerngruppen im Uni-Café noch möglich, sich persönlich zu treffen und auf Studierenden-Ebene gegenseitig zu helfen, ist durch Lockdown und Online-Lehre die Not noch größer, sich gut strukturieren zu können – der studentische Austausch ist jedoch auf ein Minimum heruntergefahren.
Ich würde mir wünschen, dass an Universitäten daher noch stärker darauf geachtet wird, dass auf den schulischen Grundlagen der Soft Skills methodisch "aufgebaut" wird und nicht nur das vorhandene Level weitergenutzt wird oder sich – wenn überhaupt – "zufällig" multipliziert. Immerhin sind die jetzigen Studierenden die Teammitglieder von morgen. Eine Investition, die sich in kommenden Jahren spürbar auf Nerven, Kaffee und Schokoladenkonsum auswirken wird.
Die Lösung allein bei Universitäten zu suchen, wäre jedoch zu einseitig. Studentische Initiative ist ebenfalls gefordert. Liebe(r) DASV/FSRs: wer jetzt Möglichkeiten sucht, Studierende aktiv zu unterstützen, hier könnt ihr wirklichen Mehrwert schaffen!
Abschließend wünsche ich jedem Studierenden auf dem Spielfeld der Soft Skills, Erfahrungen machen zu dürfen – und nicht zu müssen.
3.7 Clara Drummer und Michaela Schauer: Auserkorene Elite oder Gefangene des Systems? Wie die Abschlussarbeit zur Zerreißprobe werden kann
Universitäre Abschlussarbeiten sind – wie in jedem Fach – in der Archäologie bis heute Teil der wichtigsten Qualifikation, die erlangt werden muss, um erfolgreich in den Beruf zu starten. Auf diesen Arbeiten und somit auch auf den Verfassern lastet also ein enormer Druck. Besonders hier wünscht und benötigt man die Unterstützung Erfahrener. Dabei ist diese häufig überraschend schwer zu finden: Man wartet lange auf die Gelegenheit für ein Betreuungsgespräch – dann ist endlich der lang ersehnte Moment eingetroffen. Man hat es zwischen Tür und Angel geschafft, ein Betreuungsgespräch über die eigene Abschlussarbeit zu ergattern. Es sind genau diese kostbaren Minuten, in denen man endlich die Chance hat, die Investitionen der vergangenen Monate und seine Erkenntnisse zu präsentieren. Man ist nervös, unruhig – hat sich die Mühe gelohnt? Ist man auf dem richtigen Weg? Dann, wenige Minuten später, ist das Gespräch vorbei. Die gut überlegten Ideen lösen sich in Luft auf, und man wird das Gefühl nicht los, doch etwas anders machen zu müssen, als man eigentlich will. Man fühlt sich nicht gehört und ist verwundert, woran das liegt. Hat man etwas falsch gemacht? Der eigene Ärger und das Unverständnis über die Situation wachsen – die Abschlussarbeit wird zur nervlichen Belastung: Der Text wird wiederholt umgeschrieben, eine Zufriedenheit mit dem Ergebnis will sich aber nicht einstellen. Da hängt dieser oder jener Halbsatz eines Betreuungsgespräches noch im Hinterkopf, der als gut gemeinte Orientierungshilfe gedacht war, aber irgendwie noch mehr Druck verursacht. Die Arbeit wird – mindestens in der eigenen Wahrnehmung – immer ungeschickter, ihre Aussagekraft verschwindet. Die Motivation nimmt immer mehr ab, und die Arbeit zieht sich gefühlt ins Unendliche. Diese oder ähnliche Erfahrungen sind weit verbreitet unter Absolvent*Innen, und nicht wenige brechen ab und/oder verlassen die Archäologie. Andere schmeißen das Handtuch, bleiben aber letztendlich stecken, ohne jemals ihren Abschluss zu beenden und werden nur noch als registrierte "Karteileiche" in der Matrikel überliefert.
Zu diesen Schwierigkeiten kommt eine zusätzliche Belastung, wenn die Betreuer*Innen der Arbeiten gleichzeitig auch die Gutachter*Innen sind. Das kann zum Hindernis für eine offene und ehrliche Kommunikation werden. Welche Studierende traut sich schon, seiner Professor*In ins Gesicht zu sagen, dass man seit Wochen nicht mehr vorwärtskommt? Und wie sagt man Nein, wenn nicht nur diese beiden Rollen, sondern auch die Rolle eines Vorgesetzten für einen Hiwi-Job oder eine Anstellung im Drittmittelprojekt hinzukommt! Man spricht dann mit der Person, die nicht nur die Macht über den beruflichen Abschluss, sondern potenziell auch über die weitere berufliche Zukunft hat. Denn da wird nicht nur über die berufliche Qualifikation, sondern möglicherweise auch über eine Verlängerung des befristeten Arbeitsvertrages entschieden. Und so ist der wahr gewordene Traum einer bezahlten Abschlussarbeit in der Wissenschaft nicht mehr so rosig. Das Gefühl, zu dem kleinen auserwählten Kreis dazuzugehören, fängt an, zum Gefängnis zu werden.
Es schwelt also ein Konflikt, der nicht als Kritik an einzelne Personen zu verstehen ist, sondern ein Schlaglicht auf das deutsche Wissenschaftssystem und seine Probleme wirft. Denn: Besagte betreuende Person ist nicht nur Hochschuldozent*In, Betreuer*In und Gutachter*In der Studienarbeiten, sondern vieles mehr: Wissenschaftler*In, Hochschulpolitiker*In, administrative Leitung und nicht zu vergessen: Archäolog*In. Allen Rollen gleichzeitig gerecht zu werden, scheint utopisch – vor allem, wenn keine Zeit zwischen den zahllosen Meetings unterschiedlichster Natur ist und der Druck, wissenschaftlichen Output zu generieren, selbst auf einem lastet. Dabei sind viele Betreuer*Innen/Gutachter*Innen selbst in einer prekären Situation: Ihre Projekte, über die Abschlussarbeiten finanziert werden, umfassen auch ihre eigenen Stellen. Betreuer*Innen stehen demnach meist unter großem Zeitdruck – Verwaltungsaufgaben, Lehre, Forschung und vieles mehr muss in viel zu knapper Zeit bewältigt werden und wirkt sich auch auf die verfügbare Zeit für die Betreuung von Abschlussarbeiten aus. Das heißt, dass die Zukunft aller Beteiligten an einer Abschlussarbeit von der möglichen nächsten Drittmittelfinanzierung abhängt. Und damit das Projekt gelingt, sollte man als Projektleitung bei der Auswahl der Projektbeteiligten auf "ein sicheres Pferd" setzen. Da fällt die Hoffnung Desjenigen, der die Finanzierung stemmt, (verständlicherweise) schnell auf die Teilnehmer des nächsten Projekts: Vielleicht ist da jemand Brauchbares dabei. Die Person könnte man als Hiwi-Projekt anstellen, und wenn sie sich reinhängt, dann kann sie ja womöglich eine Abschlussarbeit schreiben und erste Ergebnisse publizieren. Der Kreis verengt sich auf die wenigen Studierenden, die sich reinhängen, die mehr arbeiten, als sie müssten, und dafür nichts bzw. zu wenig verlangen. Und als Student*In fühlt es sich gut an, dazuzugehören, und es macht Spaß. Doch was ist mit dem Rest? Was ist mit denen, die interessiert sind aber z. B. nicht mitfahren können – aus finanziellen oder familiären Gründen? Diejenigen, die sich ihr Studium mit einer Nebentätigkeit mit Mindestlohn finanzieren müssen und keinen Urlaub genehmigt bekommen? Oder die Angehörige pflegen müssen? Was ist mit den Studierenden anderer Universitäten, die keiner kennt? Die fallen raus. Und eine kleine Gruppe schrumpft weiter, und der anfangs beschriebene Rollenkonflikt lässt den Prüfling darüber nachdenken, ob man die Person sein will, die ihre berufliche Zukunft und all das, was man schon auf sich genommen und in seine eigene Zukunft investiert hat, wegen ein paar "kleiner Bedenken" über die eigene Abschlussarbeit gefährdet.
Betrachtet man das Thema ganzheitlich, so stellt sich unweigerlich die Frage: Geht es denn nicht auch anders? Muss das denn so laufen? Denn Ziel des Studiums ist es doch, nach einem Abschluss für die eigenen Forschungsergebnisse, gute wissenschaftliche Praxis und letztendlich für sich selbst einzustehen. Fähigkeiten, die in der Archäologie, sei es auf der Ausgrabung, in einer Archäologiefirma oder im wissenschaftlichen Austausch mit Kolleg*Innen gebraucht werden. Und spätestens nach der Universität gibt es niemanden, der einem an die Hand nimmt (oder die Zügel übernimmt), um zu sagen, wo es lang geht. Das heißt, ein stilles Erdulden einer problematischen Abschlussphase stärkt in keinster Weise für den späteren Berufsweg. Es schwächt, macht müde und nimmt die Motivation.
Für uns ist es deshalb an der Zeit, diese Missstände und die Schwierigkeiten aller Beteiligter anzusprechen. Denn letztendlich ist das kein Problem einer "zart besaiteten" Absolvent*In, sondern eine schwierige Situation für alle Beteiligten. Nur wenige wagen, diese Missstände öffentlich auszusprechen. Grund dafür sind auch Bedenken, dass dies zu Lasten des Ansehens oder des Rufes der eigenen Person geht. Und so werden bisher all diese Tatsachen wie so Vieles in der Archäologie totgeschwiegen, und das Leiden aller wird stillschweigend akzeptiert. Dabei hätten sich derartige Situation häufig vermieden lassen können, wenn eine offene Beratung noch vor Beginn einer Abschlussarbeit, der Wahl der Betreuer*In oder sogar der geeigneten Universität stattgefunden hätte. Wir möchten diese Gelegenheit nutzen und darauf aufmerksam machen. Wir möchten darüber sprechen, gerade weil es so schwierig ist, darüber zu sprechen. Wie lässt sich darüber offen sprechen, ohne selbst in ein Kreuzfeuer zu geraten oder ein Fass ohne Boden zu öffnen? Wir fragen uns: Braucht es einen Dritten, der für die Betroffenen spricht? Kann es dadurch gelingen, den Teufelskreis aus Abhängigkeit, Vermischung von Funktionen und psychischer Mehrbelastung für alle Beteiligten zu durchbrechen, um eine offene Diskussion anzuregen und letztendlich neue Wege aufzuzeigen? Denn eine gesunde, wachsende Archäologie fußt unserer Meinung nach auf belastbaren und positiv gestimmten Studienabsolvent*Innen und Betreuer*Innen.
Clara Drummer, Michaela Schauer. Wir sprechen ausdrücklich weder als Promovierende noch als Universitätsmitarbeiter und verzichten deshalb auf Nennung von Zugehörigkeiten. Stattdessen sprechen wir im Namen zahlreicher Personen, die nicht genannt werden wollen.
3.8 Sophie C. Schmidt: Appell für eine allgemeine Einbindung archäoinformatischer Ansätze in das Archäologiestudium
Mit der zunehmenden Digitalisierung der Wissenschaft geht auch ein steigender Bedarf an digitaler Kompetenz innerhalb der Archäologie einher. Nicht jeder Wissenschaftler benötigt dabei tiefgreifende archäoinformatische Kenntnisse in allen Bereichen; grundlegend sind jedoch m. E. Themen der Datenkompetenz (data literacy), besonders des digitalen Datenmanagements, und der Reproduzierbarkeit. Digitales Datenmanagement betrifft uns alle – die persönliche Fotosammlung genauso wie fachliche Datenbanken von Abschlussarbeiten, die auch noch in 10, 20, 30 Jahren lesbar sein sollten. Zudem gibt die reproducibility crisis in anderen Fächern zu denken. Auch in der Archäologie führen komplexe computergestützte Verfahren in proprietären Programmen (closed source) und fehlende Datenveröffentlichungen dazu, dass Analyseergebnisse nicht nachvollziehbar, d. h. nicht verifizierbar durch externe Forschende, sind. Dies widerspricht der guten wissenschaftlichen Praxis. Forschenden fehlen jedoch sowohl Anreize für das reproduzierbare Arbeiten, als auch grundlegende Kenntnisse, dafür geeignete Arbeitsabläufe auszuwählen.
In Anlehnung an Gartland und Tanweer möchte ich deshalb für die Ausbildung von Forschenden, deren Wissen eine Art Γ (Gamma)-Form annimmt, werben. In dem Bild beschreibt die horizontale Achse die Breite des Wissens und die vertikale Achse die Tiefe des Wissens. Traditionelle Forschende haben eine tiefe fachliche Spezialisierung und eine breite allgemeine Bildung, was eine Art T-Form ergibt. Die Gamma-Form bedeutet, dass Forschende neben einer fachlichen Spezialisierung ein zweites "halbes Standbein" in digitalen Fähigkeiten aufbauen. In den Studiengängen müssen diesem Lernprozess Zeit und Ressourcen eingeräumt werden.
Bisher sind archäoinformatische Kurse nur an wenigen Standorten in Deutschland im Studienverlaufsplan verankert (z. B. Köln, Bonn, Kiel), häufig als freiwilliges Angebot. Es gibt zudem eine steigende Anzahl von Digital-Humanities-Instituten und -Studiengängen, an denen auch Archäologiestudierende Veranstaltungen besuchen können (z. B. Mainz, Göttingen). Die Sammlung archäoinformatischer Lehrveranstaltungen von IANUS zeigt weitere Städte, in denen Kurse angeboten werden (z. B. Berlin, Münster, München). Dies stellt allerdings kein flächendeckendes Angebot dar, sondern ist abhängig von der Präsenz einzelner Lehrender und thematisch sehr divers.
Während eine Vermittlung von Datenmanagementfähigkeiten durch Projekte wie IANUS und NFDI4Objects gefördert werden kann, greift eine auf Freiwilligkeit beruhende Fortbildung außerhalb des Studiums zu kurz, da der Umgang mit digitalen Daten nicht nur für die wissenschaftliche Arbeit grundlegend ist. Zudem benötigen Studierende Anreize, diese Kurse wahrzunehmen, d. h. Leistungspunkte, die dem Aufwand angemessen sind. Die vermittelten Fähigkeiten sind praktische Skills, die Training benötigen, was bedeutet, dass Übungen von Dozierenden aufgegeben und korrigiert werden. Damit kann sowohl für Studierende als auch für Dozierende ein höherer zeitlicher Aufwand einhergehen als bei traditionellen theoretischen Seminaren. Dies bedeutet auch, dass kleine Workshops, wie sie manchmal im Rahmen der AG CAA-Tagungen angeboten werden, dem Bedarf nicht genügen können.
Natürlich sollen im Studium die archäologischen Kernkompetenzen nicht vernachlässigt werden. Aus eigener Erfahrung plädiere ich jedoch dafür, Studierenden eher in eine Übung zu Datenmodellierung, Datenbanken und -publikation zu schicken, als ihnen ein Seminar zu einer vierten archäologischen Kultur zu empfehlen, in der sie wieder ihre Literaturrecherchefähigkeiten zu einem Fundplatz unter Beweis stellen – etwas, das sie in den drei Kursen vorher schon gelernt haben sollten. Die fehlenden Grundkenntnisse zu Datenbanken und Datenmodellierung werden dann spätestens in der Masterarbeit zu einem Problem, das sich in der Doktorarbeit und der darauffolgenden Nachnutzung der mühsam gesammelten Daten fortsetzen wird.
Datenkompetenz: https://de.wikipedia.org/wiki/Datenkompetenz
Reproducibility crisis: https://en.wikipedia.org/wiki/Replication_crisis
Gartland und Tanweer: https://escience.washington.edu/community-level-data-science-and-its-spheres-of-influence-beyond-novelty-squared/
Visualisierung eines "Gamma"-förmigen Forschers von Ben Marwick: https://twitter.com/benmarwick/status/1259185344781488128/photo/1
Sammlung der archäoinformatischen Lehrveranstaltungen von IANUS: https://www.ianus-fdz.de/it-empfehlungen/lehrangebote
IANUS: https://www.ianus-fdz.de/it-empfehlungen/start
NFDI4Objects: https://www.nfdi4objects.net/
AG CAA: https://ag-caa.de/
Sophie C. Schmidt M. A. war Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Archäoinformatik an den Universitäten Köln und Bonn und für das DAI beim Projekt NFDI4Objects. Sie ist Beirätin der AG CAA und promoviert an der Freien Universität Berlin und der Berlin Graduate School of Ancient Studies über das 5. Jt. v. Chr. in Brandenburg.
3.9 Oliver Nakoinz: Quantitative Archäologie in der Lehre
Als Quantitative Archäologie werden auf digitaler Basis und heute meist rechnergestützt durchgeführte Auswertungen in der Archäologie verstanden, die oft mathematische Konzepte zur Anwendung bringen. Die Quantitative Archäologie hat sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zu einer immer wichtiger werdenden Teildisziplin entwickelt, die zwar anscheinend im Kern von Nerds betrieben wird, aber heute auch für viele "normale" ArchäologInnen relevant ist. Im Wesentlichen versucht die Quantitative Archäologie, dateninhärente Strukturen aufzudecken oder zu bestätigen und damit eine fundierte Grundlage für die archäologische Interpretation zu schaffen. Hiermit ist die Quantitative Archäologie tatsächlich eine Kernkompetenz der Archäologie und sollte einen entsprechenden Stellenwert in der Lehre einnehmen.
Gelegentliche Statistikkurse dürften nicht der richtige Weg sein, um dieser Rolle gerecht zu werden. Auch die Auffassung, quantitative Ansätze mit anderen naturwissenschaftlichen Methoden zu Hilfswissenschaften zu erklären und in Forschung und Lehre nur ergänzend heranzuziehen, scheint verfehlt. Unsere Überlegungen sollten viel mehr von der Komplementarität und engen Verbindung der beiden dominanten Spielarten der Archäologie, also eines Mustererkennungsansatzes und eines Hermeneutikansatzes, ausgehen. Darüber hinaus dürfen wir auch den traditionellen, materialorientierten Ansatz nicht vergessen, der seine Stärke im Umgang mit archäologischen Beobachtungen ausspielen kann und der in den anderen, eher auswertungsorientierten Facetten nicht aufgeht. Diese drei Standbeine der Archäologie müssen einerseits in der Ausbildung zusammengeführt werden, denn das Gesamtbild der Archäologie hängt von allen dreien und ihrer Wechselbeziehung ab. Andererseits ist es angesichts der großen Bandbreite sogar jedes einzelnen Standbeines kaum möglich, sie umfassend zu lehren. Eine einseitige Spezialisierung ist demnach ebenso wenig zielführend wie der Versuch einer umfassenden Ausbildung. Vielmehr muss eine Ausbildung angestrebt werden, die über die Grenzen der Standbeine hinausgeht, ohne auszuufern. Ein solches Konzept wird gelegentlich als Pi-förmige Ausbildung bezeichnet. Die Pi-förmige Ausbildung umfasst Spezialisierungen in mehreren Standbeinen sowie grundlegende Einführungen in unterschiedliche Facetten der Archäologie und ermöglicht damit spezialisierungsübergreifende Kommunikation. Erst hiermit wird eine kompetente Verbindung von Datengrundlage, Fragestellung, Theorie und Methoden möglich. Methoden können nur richtig eingesetzt werden, wenn der fachliche Kontext der Fragestellung richtig erfasst ist.
Für die Umsetzung der Lehre der Quantitativen Archäologie bedeutet dies, dass zunächst eine grundlegende Einführung im Grundstudium stattfinden muss, zu der grundlegende Konzepte wie Reproduzierbarkeit, aber auch die grundlegenden Methoden wie Clusteranalyse oder Korrespondenzanalyse gehören. Weiterhin sollte eine Einführung in eine Skriptsprache wie R, Python oder Julia enthalten sein. Es sei bemerkt, dass der durch die Programmierung bedingte Perspektivwechsel hin zu einer formalen Sichtweise ein tieferes Verständnis der Zusammenhänge unterstützen kann, und dass die Programmierung damit nicht nur einen praktischen Nutzen für die Durchführung der Analysen hat. Auf diesen Grundlagen können nun Pi-Spezialisierungen aufbauen, die es den Studierenden erlauben sollten, individuelle wissenschaftliche Profile zu entwickeln, und die dementsprechend nicht an einem Curriculum orientiert sein sollten.
In der Praxis ist es nicht nur für kleine Institute schwierig, ein derartiges Konzept umzusetzen. Eine effektive Lösung ist eine standortübergreifende Lehre, die schon heute teilweise im Bereich der Spezialisierung mit internationalen Summer Schools und ähnlichen Lehrformaten funktioniert. Dank Digitalisierung ist heute eine standortübergreifende und gar internationale Verbundlehre problemlos auch in der regulären Lehre möglich, die jedoch Eingang in die Studienordnungen finden muss.
Schließlich müssen wir auf einen Gesichtspunkt zu sprechen kommen, der bislang in der universitären Lehre nur eine marginale Rolle spielt und der auf der immer kürzer werdenden Halbwertszeit des im Studium erworbenen Wissens beruht: der Fortbildung. In der Gesellschaft ist das Konzept des Lifelong Learning längst angekommen. In einigen Fächern wird es auch an Universitäten diskutiert und erprobt. Für die Quantitative Archäologie mit ihrer im Umbruch befindlichen Kultur und dem rasant wachsenden methodischen Werkzeugkasten ist dieser Aspekt von besonderer Bedeutung und muss unbedingt angegangen werden. Bislang wird das nur durch Öffnen von Summer Schools und spezifischen Workshops umgesetzt, eine universitäre Erschließung dieses Marktes steht aber noch aus.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Ausbildung im Bereich der Quantitativen Archäologie zupackend in die archäologische Ausbildung integriert und letztere im Zuge einer grundlegenden Reform der universitären Lehre an neuen Konzepten ausgerichtet werden muss. Das stellt uns im kommenden Jahrzehnt vor große Herausforderungen, die zeitnah angegangen werden sollten.
PD Dr. Oliver Nakoinz, Johanna Mestorf Akademie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
3.10 Valeska Becker: Zur Vermittlung von Materialkenntnis in der vor- und frühgeschichtlichen Archäologie
Auf meinen ersten Ausgrabungen als Studierende der vor- und frühgeschichtlichen Archäologie deutete ich ein hallstattzeitliches Ortband als "komisches Beil", warf um ein Haar die Kniescheibe einer mittelalterlichen Bestattung weg, weil ich sie für einen Stein hielt, und putzte umgekehrt eine halbe Stunde einen Stein, von dem ich glaubte, er sei eine Schädelkalotte. Außerdem verwechselte ich eine Dentaliumperle mit dem Stück eines Lutscherstiels und vertraute dem Grabungsleiter, der ein Stück grün glasierte Keramik in einem römischen Ofen als Beleg für eine mittelalterliche Störung ansah. Derartige Eseleien sind in den ersten Semestern des Studiums entschuldbar. Spätestens mit dem Bachelor-Abschluss jedoch sollten Absolventinnen und Absolventen über solidere Materialkenntnisse verfügen, die ihnen erlauben, ins Berufsleben einzusteigen – ist doch der BA als erster berufsqualifizierender Abschluss definiert –, und Gleiches gilt natürlich umso mehr für den Master-Abschluss, besonders, wenn man sich vor Augen führt, in welchen Arbeitsfeldern Archäologinnen und Archäologen nach dem Studium letztlich Fuß fassen können. Ausweislich der 2020 veröffentlichten Studie "Evaluation Beruf Archäologie" der DGUF sind 28 % der Befragten derzeit in der Archäologie tätigen Personen in Grabungsfirmen tätig; weitere 25 % arbeiten in der Bodendenkmalpflege, 13 % im Museumswesen und 4 % in der "Laborarchäologie", wo archäologierelevante Dienstleitungen erbracht werden; ein Drittel fasst an Universitäten und Forschungsinstitutionen Fuß (Siegmund et al. 2020, 7 Abb. 10). Mithin sind zwei Drittel der arbeitstätigen Archäologinnen und Archäologen in Bereichen tätig, in denen Materialkenntnis eine unmittelbare und große, wenn nicht sogar die Hauptrolle spielt: Sei es, dass Material in Museen präsentiert und gedeutet werden muss, sei es, dass in der Grabungsarchäologie und in der Denkmalpflege Funde und Befunde richtig angesprochen und datiert werden müssen, sei es, dass Material (z. B. Faunenreste, menschliches Skelettmaterial oder Metallobjekte) von Spezialist*innen analysiert und ausgewertet werden soll.
Umso bedrückender ist, dass in vielen Teilbereichen der Archäologie inklusive ihrer "Hilfswissenschaften" die Tendenz zu beobachten ist, dass tiefer reichende Materialkenntnis sensu strictu, also der Umgang mit und die Bestimmung von Material, im Schwinden begriffen ist. Dafür sind verschiedene Ursachen auszumachen, die teils mit aktuellen Ausrichtungen des Fachs, teils mit Einwirkungen von außen zusammenhängen.
Veränderungen durch den Bologna-Prozess
Ein Grund dürfte in der Umstellung der Studiengänge im Zuge des Bologna-Prozesses zu suchen sein. Hier wurden einstmals eigenständige Studiengänge wie die Archäozoologie und Archäobotanik oder physische Anthropologie in großen Teilen vollständig abgeschafft, und selbst die Unterbringung einzelner Lehrveranstaltungen in den Curricula ist manchmal schwierig, weil entsprechende Übungen oder Seminare entweder regelmäßig angeboten werden müssen, was aus personellen Gründen nicht immer möglich ist, oder weil sie sich der Einordnung in das rigide und dicht gepackte System aus Semesterwochenstunden, prädeterminierten Inhalten, Leistungspunkten und zu erbringenden Leistungen sperren. Dabei sind erfahrungsgemäß entsprechende Lehrveranstaltungen, wenn sie angeboten werden, stets sehr gut besucht und beliebt, wenngleich nur Bruchteile der Inhalte der ursprünglichen Studiengänge vermittelt werden können.
Methodische Neuausrichtungen
Ein weiterer Grund mag in einer neuen Ausrichtung von Forschungsrichtungen wie etwa der Anthropologie liegen, wo der Fokus sich von der "klassischen" physischen Anthropologie mit ihren Analysen von Sterbealter, Geschlecht, Erhaltungszustand, Zahn- und Gelenkstatus, Aktivitätsmustern und Pathologien zu Untersuchungen von Isotopien (Sr, O, N und andere) und aDNA verlagert hat. Ohne Zweifel liefern diese Untersuchungen wertvolle Erkenntnisse zu Ernährung, Migration und Herkunft und haben absolute Berechtigung; doch darf dies nicht dazu führen, dass dafür die Erkenntnismöglichkeiten der bioanthropologischen Analysen in den Hintergrund gedrängt werden. Als hausgemachtes Problem der Archäologie kommt ferner hinzu, dass der Beschäftigung mit Material häufig der Ruch des Positivismus anhängt und sie oft allzu leichtfertig mit Theoriefeindlichkeit in Verbindung gebracht wird.
Die Attraktivität der Arbeit mit materiellen Überresten – ein Plädoyer
Es ist beinahe banal, darauf hinzuweisen, dass neben den Befunden die Funde die Basis des Quellenmaterials der Archäologie bilden und dass ihre korrekte Ansprache und zeitliche und kulturhistorische Einordnung Brot und Butter archäologischer Tätigkeit ist. Dabei ist das Wissen, das der Bestimmung und Auswertung von Material zugrunde liegt, über Generationen von Forscher*innen angesammelt worden; selten liegt es ausführlich verschriftlicht vor, weil die Analyse von Material naturgemäß eine enorme haptische Komponente hat, die nur über das physische Be-Greifen, das Zusammenspiel von Auge, Hand und Hirn, verinnerlicht werden kann. Die Niederlegung in Schriftform ist lediglich in Ansätzen möglich, und auch die zunehmend aufkommenden digitalen Sammlungen, die teils dreidimensional betrachtbare Objekte enthalten, können den tatsächlichen Umgang mit dem Material nicht ersetzen. Es wäre fahrlässig, diesen Reichtum an gewachsenem Wissen leichtfertig zu verspielen.
Zudem ist für viele Studierende der Materialbezug der Hauptgrund, das Studium aufzunehmen, vielleicht, weil das Wissen unmittelbarer verfügbar scheint und weil Lernen, Begreifen und Anwenden einfacher sind, wenn sie mit dem Studium physischer Objekte verknüpft werden können – ein Vorteil, den die Archäologie im Gegensatz zur Geschichte hat. Führt man sich noch einmal vor Augen, in welche Berufsfelder Archäologinnen und Archäologen einsteigen, so ergeht daraus der Appell, besonders in den Bachelor-Studiengängen Studierenden Wissen um und Kompetenzen im Umgang mit den materiellen Hinterlassenschaften vor- und frühgeschichtlicher Menschen zu vermitteln.
Siegmund et al. 2020: F. Siegmund/D. Scherzler/M. Schauer, DGUF-Umfrage "Evaluation Beruf Archäologie", 10. 6. 2019 - 31. 10. 2019: Durchführung und Teilnehmer der Umfrage (EvaBA 1). DGUF-Preprint, online publiziert 23. März 2020.
http://www.dguf.de/fileadmin/user_upload/EvaBA/DGUF-Dok_Preprint_EvaBA_1_Durchfuehrung-u-Teilnehmer.pdf (Ab ca. Juni finden Sie dieses Early View als Beitrag mit den endgültigen Seitenzahlen und DOI im Open Access dort: http://journals.ub.uni-heidelberg.de/arch-inf.)
PD Dr. phil. Valeska Becker, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
3.11 Claudia Pankau: Ur- und Frühgeschichte in der universitären Lehre: berufs- oder forschungsorientiert?
Dass die Studierenden in der Ur- und Frühgeschichte ein ziemlich bunter Haufen sind, ist nichts Neues, wahrscheinlich waren sie das schon immer. Heute ist das jedenfalls auch noch so. Da sitzen das Erstsemester, frisch von der Schule, und die Mittzwanzigerin, die das Abi auf dem zweiten Bildungsweg gemacht hat, neben der 40-jährigen promovierten Soziologin, welche nebenberuflich ein Zweitstudium macht, und dem Rentner, der jetzt noch mal richtig durchstarten will – oder aber nach kulturellem Hintergrundwissen für die nächste Urlaubsreise sucht. Was wahrscheinlich früher nicht vorkam ist, dass das Erstsemester seine Eltern mit zur Studienberatung bringt, und wegen des Fach-Abis nur Englisch als Fremdsprache vorzuweisen hat.
Hinzu kommt, dass in der Regel mindestens die Hälfte der Teilnehmer an einer Lehrveranstaltung entweder Nebenfächler sind oder so genannte interdisziplinäre Studierende, d. h. Studenten anderer Fächer, die für ihre interdisziplinären Module Kenntnisse (und Creditpoints) z. B. auch in der Ur- und Frühgeschichte erwerben wollen. Als Dozent*in steht man nun u.a. vor der Frage, was wissen die Teilnehmer? Ist ihnen z. B. Ötzi oder die Himmelsscheibe von Nebra, ein Begriff? Haben sie schon mal von der C14-Methode/dem Neandertaler/Stonehenge gehört? Ist das Allgemeinbildung oder nicht? Meist erfährt man es nicht. Die Modularisierung im Rahmen des Bologna-Prozesses hat das Studium zudem verkompliziert. Sie hat v. a. dazu geführt, dass der Verwaltungsaufwand für alle Beteiligten, Studierende, Dozenten und das Prüfungsamt, immens gestiegen ist, während sich die inhaltlichen Veränderungen in engen Grenzen halten.
Was genau bedeutet nun in solch einem Umfeld Berufsorientierung? Keine Frage, die wichtigsten Methoden des Faches zu erlernen, gehört für alle dazu. Aber muss ein Student der Geschichte mit Nebenfach Ur- und Frühgeschichte lernen, wie ein Tachymeter zu bedienen ist? Eher nicht. Die Bedarfe sind so verschieden wie das Vorwissen. Das Interesse an praktischen Lehrveranstaltungen variiert deutlich nach Thema – für Zeichen-, Vermessungs- und Statistikkurse ist es oft mäßig (die Begründungen sind wie eh und je "Ich kann nicht zeichnen"/"In Mathe war ich noch nie gut"), experimentelle Archäologie und museumspraktische Übungen kommen besser an. Weit entfernte Grabungs- und Exkursionsziele natürlich sowieso. Es ist also nicht ganz leicht, das Lehrangebot in der Ur- und Frühgeschichte so auszurichten, dass alle berechtigten Interessen gleichermaßen bedient werden. Der kleinste gemeinsame Nenner, so seltsam dieser Ausdruck in diesem Zusammenhang auch klingt, bleibt in der Lehre somit m. E. die Forschungsorientierung – die damit anfängt, die Studierenden dazu zu bringen, Fragen zu stellen und in Frage zu stellen.
Dr. Claudia Pankau, Institut für Archäologische Wissenschaften. Abt. III Vor- und Frühgeschichte, Goethe-Universität Frankfurt
3.12 Frank Siegmund: Wir haben zu viele zu kleine Institute für Ur- und Frühgeschichte!
Arbeitgeber klagen mehr denn je über die aus ihrer Sicht mangelnde Qualifikation frischer Uni-Absolventen, bis hin zu Äußerungen wie: "Wir brauchen ein Staatsexamen für Archäologie" oder "Wir brauchen Archäologie als FH-Studiengang". Die üblichen Klagen vom Typus "früher war alles besser", oder berechtigt? Aus universitärer Innensicht eines ganzen Berufslebens darf ich versichern: Die Lehrenden sind heutzutage nicht weniger engagiert als ehedem, und die Studierenden nicht weniger eifrig und intelligent als früher. Vielmehr wird nun ein tatsächliches, strukturelles Problem unseres Faches sichtbar. Die in den 2000er-Jahren erfolgte Bologna-Reform (welche ich seinerzeit an der Univ. Basel für die Archäologie umsetzte) hat die Studiengänge exakt quantifiziert und dabei die Menge des zu Studierenden (nicht wenig!) und des zu Lehrenden exakt bemessen. Für einen Bologna-kompatiblen Studiengang braucht es eine Mindestmenge an Lehrkapazität, mindestens 3 Professuren mit Mittelbau für einen BA-Studiengang, plus 2 Professuren für ein MA-Programm, Doktoratsprogramme nicht mitgezählt. Diese Kapazitäten waren "vor Bologna" an fast keinem UFG-Studienstandort in Deutschland gegeben; also tat man sich in der Reform lokal mit anderen, benachbarten Fächern zu fachlich diffuseren Gefäßen zusammen, z. B. zu "Archäologische Wissenschaften", "Altertumswissenschaften" o. ä. Von diesem weitverbreiteten Muster abweichende, fachlich "erfinderische" Kombinationen wurden mit dem Schlagwort "Profilbildung" schöngeredet. All das, ohne den Arbeitsmarkt zu fragen.
Das Manöver war scheinbar erfolgreich, fast alle Standorte für ein Studium des Faches UFG & AMANZ blieben über die Bologna-Reform hinweg erhalten. Die (absehbaren) Nebenwirkungen treten erst jetzt zutage: In den heutigen, formal korrekten und inhaltlich gewiss anspruchsvollen Abschlüssen steckt zu wenig Fach drin, während zugleich das Fach selbst heutzutage immer mehr Wissen und Skills erfordert, weil es sich weiterhin professionalisiert und diversifiziert. An derzeit 25 Standorten sind Abschlüsse in UFG & AMANZ möglich, dahinter stehen in Summe 47,8 Professuren (Quelle: "Kleine Fächer"). Der quantitative Lehrbedarf hingegen, der gemäß der (nicht falschen!) Bologna-Regularien für 25 Standorte nötig wäre, liegt bei ca. 125 Professuren plus Mittelbau. Diese Lücke wird derzeit dadurch geschlossen, dass man den Studierenden reichlich viel Nachbar- und "Neben"-fächer sowie Interdisziplinäres in die knappe Studienzeit hineinpackt. Die Schere zwischen Ist 47,8 und ca. 125 Profs Lehrkapazität im Soll verdeutlicht, wie viel das ist. Keinesfalls unnützes Wissen! – aber eben kein disziplinäres Wissen. Zudem motivieren die quantitativen Eckdaten und Belastungen die Lehrenden dazu, ihr Lehrangebot im Zweifel mehr in Breite und Grundwissen zu investieren denn in fachliche Tiefe.
Problem ignorieren oder lösen? Lösungen? Ein Ausbau der Universitätspräsenz von UFG & AMANZ um das Eineinhalbfache ist illusorisch. Was aber möglich wäre: durch Zusammenlegung von Standorten an weniger Unis erheblich größere Institute für UFG & AMANZ einzurichten, die dann fachlich erheblich stärkere Studiengänge anbieten würden. Solche, die zu wirklich berufsqualifizierenden Abschlüssen führen würden. Deren umfassend gebildete Absolventen selbstsicher (weil gut gebildet) in einen Arbeitsmarkt gingen, der sich auf ihre Fähigkeiten verlassen kann.
Meine grobe Abschätzung umreißt, wie drastisch und schmerzhaft ein solcher Schritt wäre: Die vorhandene Kapazität reicht bundesweit für etwa 10 bis 12 hinreichend starke Standorte, nicht mehr. Böte dann aber Raum für ein erhebliches Mehr an fachlicher Vielfalt und Platz auch für Spezialitäten.
Denjenigen, die jetzt leise zustimmen, aber hörbar "politisch nie und nimmer durchsetzbar" brummeln, könnten dennoch – ganz aus eigener Kraft – Schritte in diese Richtung einer Aggregierung unternehmen: Die Corona-Pandemie hat uns (u. a.) gezeigt, wie viel und welche Art von Lehre auch online ganz gut funktioniert und also auch im Austausch trans-lokal möglich wäre. Es geht "nur" um Vertrauen zueinander und um (regelbare) Fragen der gegenseitigen Anerkennung von Studienleistungen. Und auch im Präsenzunterricht wäre weitaus mehr verbindliche Kooperation und Lehraustausch zwischen den vielen räumlich benachbarten Standorten möglich, die heute schon via ÖPNV-Semesterticket kostenlos gependelt werden können. Kurz: die Lösung für die Eingangs angeführten, berechtigten Klagen liegt nicht bei den Studierenden, sondern bei den Universitäten. Es fehlt vor allem an Einsicht in das Problem, am kollektiven Willen zu einer Lösungsfindung und an Initiative.
PD Dr. Frank Siegmund, WWU Münster
3.13 Silviane Scharl: Mehr Wissenschaftsorientierung oder mehr Praxisorientierung in den UFG-Studiengängen?
Mit dem Bologna-Prozess hat der Aspekt der "Employability" in der universitären Ausbildung an Bedeutung gewonnen. Mit jeder Kohorte Studierender, die das Studium beginnt, und jeder Reakkreditierung stellt sich daher die Frage: Was macht eine gute Ausbildung in der ur- und frühgeschichtlichen Archäologie aus, wie gebe ich den Studierenden bzw. Absolvent*innen das nötige Rüstzeug mit, um auf dem archäologischen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen? Dies bestimmt daher ganz wesentlich die Gestaltung der Studiengänge. Die gängigen Berufsfelder für Absolvent*innen der ur- und frühgeschichtlichen Archäologie wie Bodendenkmalpflege, Museen, Grabungsfirmen, wissenschaftliche Institutionen – Universitäten oder außeruniversitäre Forschungseinrichtungen – auf nationaler und internationaler Ebene sind in ihren Anforderungsprofilen jedoch sehr divers. Für die einen scheint mehr Praxisbezug, für die anderen mehr Wissenschaftsorientierung im Studium von Vorteil zu sein. Hinzu kommt, dass von Seiten der Studierenden oft eine stärkere Praxisorientierung eingefordert wird. Da für ein Bachelorstudium nur 6 Semester (Regelstudienzeit) und 180 Leistungspunkte und für ein Masterstudium nur 4 Semester (Regelstudienzeit) und 120 Leistungspunkte vorgesehen sind, kommt man nicht umhin, hier eine gewisse Schwerpunktsetzung vorzunehmen.
Für einen Schwerpunkt in der praktischen Ausbildung spricht, dass für die wichtigsten außeruniversitären Arbeitgeber, wie Bodendenkmalpflege und Museum, fundierte Kenntnisse in diesem Bereich grundlegend sind. Absolvent*innen, die kaum Grabungserfahrung oder Materialkenntnis mitbringen, werden sich z. B. schwertun, eine Stelle im Bereich der Bodendenkmalpflege zu finden. Sollte also bei der Gestaltung der Studiengänge die Wissenschaftsorientierung zugunsten einer praxisnäheren Ausbildung gekürzt werden? Auf den ersten Blick mag dies sinnvoll erscheinen, da Bodendenkmalpflege und Museen zu den wichtigsten Arbeitgebern im Fach gehören. Vereinzelt gelingt es mittlerweile sogar Studierenden mit einem Bachelorabschluss, in diesen Berufsfeldern Fuß zu fassen. Aus mehreren Gründen würde dies jedoch zu kurz greifen. Pragmatisch argumentiert, ist auch der Alltag von Archäolog*innen in Bodendenkmalpflege oder Museum stark geprägt von fundiertem wissenschaftlichen Arbeiten. Ebenso wie an Universitäten werden wissenschaftliche Projekte konzipiert, beantragt und durchgeführt, wissenschaftliche Berichte verfasst und wissenschaftliche Ergebnisse in Vorträgen oder Ausstellungen präsentiert. Auf einer übergeordneten Ebene befähigt eine stärkere Wissenschaftsorientierung im Studium aber zu noch viel mehr: Die Studierenden erlernen, sich systematisch mit einem Thema zu befassen, Fragen und Hypothesen zu formulieren, die geeigneten Methoden für deren Beantwortung bzw. Überprüfung auszuwählen oder gar zu entwickeln, Daten zu erheben, auszuwerten und möglichst objektiv zu interpretieren, mit dem Ziel, am Ende neue Erkenntnisse zu gewinnen. Zudem werden sie in der Teilnahme am Diskurs geschult, sowohl innerfachlich wie auch im Bereich des interdisziplinären Dialogs. Mit diesen Fähigkeiten erschließen sich Studierende zahlreiche Berufsfelder, insbesondere auch außerhalb der Archäologie. Dies machen Universitätsabsolvent*innen aus dem angloamerikanischen Raum schon lange vor. Darüber hinaus trägt dies zur Persönlichkeitsentwicklung bei und befähigt unsere Absolvent*innen dazu, sich gesellschaftlich einzubringen – eine Fähigkeit, die in Zeiten von Fake-News und zunehmenden wissenschaftskritischen Haltungen auch für unsere Gesellschaft von unschätzbarem Wert ist.
Schlussendlich muss ein Studium der ur- und frühgeschichtlichen Archäologie aber natürlich beides integrieren, Praxisbezug und Wissenschaftsorientierung. Auch wenn dies aufgrund des Bologna-Prozesses eher schwieriger als einfacher geworden ist, ist es wichtig, dass die Universitäten hier Freiräume für ein selbstgestaltetes Studium schaffen, das die Möglichkeit eigener Schwerpunktsetzungen bietet, sodass die Entscheidung zu einem gewissen Grad auch bei den Absolvent*innen selbst liegt und ihnen erlaubt, ihr eigenes Profil zu entwickeln.
Prof. Dr. Silviane Scharl, Institut für Ur- und Frühgeschichte, Universität zu Köln
3.14 Thomas Meier: Archäologie an die Fachhochschulen! Aufforderung zu einer längst überfälligen Verankerung der Praxisausbildung
Praxeologie 2.0 und GIS, ERT, new materialism, world archaeology oder doch mDNA, XRF bzw. Post-Kolonialismus, vielleicht Assemblage und SfM, Drohnenfliegen oder Asiatische Archäologie, Faro-Konvention versus … – ja was denn noch alles??? Das geballte tradierte Material- und Chronologiewissen selbstverständlich und den klassischen Methodenkanon! Zusätzlich interdisziplinär, gesellschaftlich relevant, public und mit Alleinstellungsmerkmal, kompetenzenfokussiert, arbeitsmarktorientiert wettbewerbsfähig und das alles innerhalb von sechs Semestern …
Während sich vor der Jahrtausendwende zumindest noch die konservativeren unter den Hochschullehrern einbilden konnten zu wissen, was Archäologie und was "der Kern" des Faches sei, hat sich das Fach inzwischen nicht nur bis ins Heute ausgeweitet und global vergleichende oder transkulturelle Perspektiven entwickelt, sondern sich auch in einer Explosion theoretischer Ansätze an seiner Basis multipliziert. Zu beurteilen, was davon zusammenpasst oder sich ausschließt, setzt profunde Kenntnisse in Philosophie, Soziologie und in der Fachgeschichte voraus. Hinzu treten atemberaubende Entwicklungen in der Grabungs-, Dokumentations- und analytischen Technik, die heute Antworten auf Fragen erlauben, von denen vor zwei Jahrzehnten noch nicht einmal jemand träumte. Das Bild der Archäologie ähnelt inzwischen weit eher einem Science Thriller als dem pinselschwingenden Gelehrten, der im vergangenen Jahrhundert durch Wüste und Dschungel zog.
Fraglos ist es ungemein spannend, diese inhaltliche, technische und epistemische Explosion des Faches mitzuerleben und zu gestalten. Aber dieser Spaß ist nicht kostenlos. Sein Preis sind wachsende Kompetenzlücken, Wüsten der Unkenntnis und Dickichte dorniger Ignoranz. Und zwar nicht nur bei jedem Einzelnen von uns – das wäre nicht schlimm und ließe sich durch Zusammenarbeit kompensieren –, sondern auch in den Studiengängen: Kein Hochschullehr* kann heute mehr von sich behaupten, es könnte "das Fach in seiner ganzen Breite" auch nur annähernd überblicken, und kein Institut kann mehr ernsthaft von sich behaupten, wirklich "das Fach" abzudecken. Die Archäologie entwickelt sich in allen Bereichen derart rasant, dass es unmöglich ist, überall auf dem Laufenden zu bleiben. Als verständliche Reaktion haben sich die Universitäten in ihren Studiengängen spezialisiert: Bronzezeit hier, Neolithikum dort, in A Mittelalter, in B Paläolithikum, einmal Ägäis, anderenorts Skandinavien und am Dritten das regionale Umfeld. Das war im vergangenen Jahrhundert grundsätzlich nicht anders, auch wenn mir die Verinselung der Standorte heute weiter fortgeschritten erscheint. Zudem verband das Fach eine gemeinsame, eher dürftige epistemische Basis, an deren positivistischem Charakter nicht zu rütteln war, und eine sehr handwerklich orientierte Grabungstechnik. Zur chronologischen und regionalen Ausdifferenzierung ist heute aber eine epistemische Fragmentierung hinzugetreten; Praxeologie dort, material turn hier, Modellierung woanders und dazwischen weiterhin positivistische Inseln. Was die Universitätsstandorte heute noch vereint, ist die starke Forschungsorientierung auf Kosten der Praxis – verständlich, denn Forschung ist, historisch betrachtet, die erste und vornehmste Aufgabe der Universität.
Auch wenn mir keine systematischen Erhebungen bekannt sind, wage ich nach zwei Jahrzehnten Lehre zu behaupten, dass der größere Teil der Studierenden zumindest in der Ur- und Frühgeschichte dieses Fach nicht der theoretischen Ansätze wegen gewählt hat, sondern weil er ausgraben möchte. Und genau dort, im Grabungssektor, liegt auch der größte Arbeitsmarkt für Absolvent*s unserer Fächer. Hier träfen sich die Nachfrage der Studierenden und die Angebote des Arbeitsmarkts, nur die universitären Curricula passen nicht dazu – und können es auch gar nicht, weil den Universitäten die Ressourcen und das Know-how für eine profunde Ausbildung in moderner Grabungstechnik fehlen.
Ich wäre nun der Letzte, der dafür plädierte, die universitären Studiengänge auf Grabungs-, Dokumentations- und Analysetechniken auszurichten. Die theorie-affine und forschungsorientierte Ausrichtung der universitären Lehre war und ist richtig! Hierfür wurde die Universität erfunden, und das ist ihre Aufgabe und Existenzberechtigung. Es ist aber auch ihre Aufgabe innerhalb des Faches, denn eine Archäologie, die sich allein über Grabung und SciFi-Kitzel definierte, könnte weder die Frage nach ihrem Sinn noch nach ihrer gesellschaftlichen Relevanz und Verantwortung beantworten und bliebe letztlich Privatspaß.
Für die Praxisausbildung gab und gibt es vielmehr die Lehrberufe oder die Fachhochschulen. Ihre Domäne sind die Anwendungsorientierung und die Praxis, und hier leisten sie Großartiges. Deshalb wäre es längst fällig, endlich an Fachhochschulen Studiengänge für Archäologie aufzubauen, in denen aktuellste Grabungs-, Dokumentations- und Analysetechniken unterrichtet und weiterentwickelt würden. So ließe sich der (große) Teil der Studierenden, der sich auf der Grabung und nicht in der theoriebasierten Forschung sieht, seinen Interessen entsprechend ausbilden; so ließe sich eine Praxisorientierung und Ausbildungsqualität herstellen, die dem Angebot des Arbeitsmarkts entspräche; so ließe sich die Qualität der universitären Ausbildung steigern, die sich nun zu recht allein am Forschungsanspruch orientieren und dieses Interesse auch von den Studierenden einfordern könnte.
Angesichts der aufweichenden Grenzen zwischen Universitäten und Fachhochschulen spräche nichts dagegen, die jeweiligen Studiengänge komplementär und gegenseitig durchlässig zu gestalten und so eine Umorientierung während des Studiums zu ermöglichen.
Prof. Dr. Thomas Meier, Institut für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie Universität Heidelberg, Direktor des Center for Apocalyptic and Post-Apocalyptic Studies
3.15 Frank Siegmund: Was heißt "berufsqualifizierend"? – und was geschieht, wenn "das Fach" diese Frage weiterhin nicht gemeinsam beantwortet?
Derzeitige Absolventen eines Studiums der Ur- und Frühgeschichte stehen in einem schwierigen Spannungsfeld und werden vom Fach darin allein gelassen. Per definitionem ist heute der BA-Abschluss ein "berufsqualifizierender Abschluss", der also die Grundlage ist für eine erfolgreiche Ausübung des Berufs "Archäologin/Archäologe". Der Arbeitsmarkt sieht das de facto mehrheitlich anders und erwartet heute in der Regel den MA-Abschluss, der gemäß den formalen Regeln des Studiums jedoch "der wissenschaftlichen Vertiefung des vorherigen Studiums dient oder neue Wissensgebiete erschließt". Die überwiegende Mehrheit der Studierenden der Fächer UFG & AMANZ geht diesen Weg zum MA, um dann wiederum mit dem erfolgreichen MA-Abschluss am Arbeitsmarkt zu erfahren: "In der Praxis nicht einsatzfähig". Sprich: man darf jetzt z. B. bei einer Grabungsfirma auf Ebene Facharbeiter einsteigen, sich evtl. per Bewährungsaufstieg zum Techniker hochdienen, um anschließend – eventuell und irgendwann einmal – die Ebene wiss. Grabungsleiter zu erreichen. Wer sich indes bei Firmen oder auch Landesarchäologen umhört, d. h. einen anderen Blickwinkel einnimmt, versteht schnell, dass so mancher Master tatsächlich (noch) nicht zum Beruf taugt. Im Grunde hat das auch der Nachwuchs längst verstanden und wünscht sich mehr "praxisrelevante" Elemente schon im Studium. Worauf manche Hochschullehrer – auf DGUF-Tagungen an Kaffeetischen auch schon als "Vintage-Professoren" bezeichnet – vordergründig korrekt antworten: "Wir sind doch keine Berufsausbildung! Wir führen an die Wissenschaft heran." So beharren die entscheidenden Player, Bildung hie und Arbeitsmarkt dort, auf ihren jeweils in sich berechtigten Positionen und überlassen es dem in den Beruf strebenden Nachwuchs, mit der wachsenden Kluft klarzukommen.
Was geschieht, wenn "das Fach" es bei dieser Lage belässt, die Jungen weiterhin alleine lässt? Informell kursieren bereits Lösungsvorschläge: "Wenn das so weitergeht, d. h. die Abgehobenheit der Universitäten bestehen bleibt, werden wir wohl für den Dienst im Landesdenkmalamt ein Staatsexamen entwickeln und voraussetzen müssen." Oder: "Wir brauchen einen wirklich praxisorientierten FH-Abschluss UFG." Aktuell versucht eine erste FH, zu einem der wichtigen, defizitären Themenfelder der UFG einen MA-Studiengang zu etablieren. Will sagen: Konkurrenz-Anbieter und Arbeitgeber "scharren schon mit den Hufen" und erdenken Lösungen, welche die Universitäten in ihrem aktuellen Bildungsmonopol betreffs UFG & AMANZ hart bedrängen würden.
Wollen wir das? Hie die "abgehobenen" Uni-Absolventen, allein für die Wissenschaft, und dort die unmittelbar einsatzfähigen "Praktiker"? Meine Meinung: nein. Also brauchen wir eine neue Verständigung "im Fach" über den Kanon, d. h. darüber, was ein MA-Absolvent neben allen individuellen Auslegungen und Spezialisierungen verlässlich wissen und können muss. Dies wäre m. E. keinesfalls eine Debatte, in der allein diverse Stakeholder den Universitäten von außen diktieren würden, welche Inhalte sie auszubilden hätten! Denn 180 Kreditpunkte im BA- plus 120 Kreditpunkte im MA-Studium sind eine kostbare und eng begrenzte Ressource (1 CP = 30 Stunden Arbeit), und dies auf Seiten der Arbeitgeber handfest zu begreifen und im Konsens an Abwägungen zwischen "wichtig" und "wirklich wichtig = unverzichtbar" mitwirken zu müssen, würde helfen, evtl. vorhandene überzogene Erwartungen des Arbeitsmarktes an die "Praxistauglichkeit" wieder wirklichkeitsnäher zu re-dimensionieren. So könnte diese Debatte um einen verbindlichen Kanon helfen, derzeit auseinanderstrebende Segmente des Fachs wieder in den Dialog zu bringen und "das Fach" als Kollektiv wiederherzustellen. Kurz: Wir brauchen eine breite Debatte … – nein: einen Runden Tisch Bildungskanon, der Vertreter aller wesentlichen Stakeholder versammelt und anschließend hilft, die Erkenntnisse auch sukzessive umzusetzen!
PD Dr. Frank Siegmund, WWU Münster
3.16 Karina Iwe: Das wissenschaftliche Volontariat als solide Weiterbildungsqualifikation für den Museumsjob
Als ehemalige wissenschaftliche Volontärin habe ich diese übergreifende qualifizierende Weiterbildung von zwei Jahren an einem archäologischen Museum absolviert.
Beim wissenschaftlichen Volontariat handelt es sich um zwei Jahre arbeitsreicher Erfahrung. Grundsätzlich wird zwischen dem Volontariat mit Spezialisierung (z. B. Schwerpunkt Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) und dem allgemeinen Volontariat am Museum unterschieden, bei dem möglichst alle Abteilungen des Hauses durchlaufen werden.
Im Idealfall erhält der oder die Volontärin nach dem Hochschulstudium grundlegende praktische Kenntnisse in den Tätigkeitsfeldern des Museums (Sammeln, Bewahren, Dokumentieren, Forschen, Ausstellen, Vermitteln, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit), lernt die Abläufe der jeweiligen Bereiche kennen, begegnet Eigenheiten und Stolperfallen im Museumsbetrieb und wird vertraut gemacht mit stressigen Phasen wie etwa kurz vor der Eröffnung einer Ausstellung.
Dem Ganzen liegt ein Ausbildungsplan zugrunde. Seit 2009 gibt es auch einen Leitfaden für das Volontariat des Deutschen Museumsbundes.
Als Volontär/in absolviert man damit den Museumsbereich, auf den man im besten Falle nach zwei Jahren umfassend vorbereitet und ausgebildet ist, und weiß im Anschluss, worauf man sich bei diesem beruflichen Weg eingelassen hat. Das geschieht in Abhängigkeit zum Haus, zur Größe des Museums, der aktuell für das Museum anstehenden Tätigkeiten und der jeweiligen Kolleg:innen. Die Erfahrungen können innerhalb des Volontariats abweichen. So unterscheiden sich diese für eine/n Volontär/in, wenn eine Sanierung des Museums (inkl. Depotumzug) ansteht, wohingegen der/die Volontär/in eines geöffneten Museums sehr viel stärker am aktiven Ausstellungsgeschehen mitwirkt.
Das Volontariat findet unter den Bedingungen der Eingruppierung ½ TVöD 13 (die Hälfte der tariflichen Vergütung) bei Vollzeit statt. Im weiteren Berufsleben wird dieser Abschnitt bei der Eingruppierung in die Erfahrungsstufe nicht berücksichtigt. Manche Volontariate werden zudem nur an Hochschulabsolventen mit einer abgeschlossenen Promotion vergeben. Es besteht nach einem langen Ausbildungsweg auch keine Garantie auf Übernahme.
Damit begegnet der wissenschaftliche Nachwuchs im Volontariat dem Dilemma zwischen dem Sammeln von wertvollen Erfahrungen und Bedingungen, die verbesserungswürdig sind.
Mit etwas Glück hat man ein Volontariat mit selbständigen wie auch verantwortungsvollen Aufgaben durchlaufen, das eben einen Nutzen für beide Seiten hat.
Dieser Beitrag setzt sich für ein gut strukturiertes, Gewinn bringendes und zukunftsweisendes Volontariat und die Anstellung von Mitarbeiter:innen mit dieser Kompetenz ein, die diesen Weg einer musealen Laufbahn bewusst gehen, die Entbehrungen eines weiteren Ausbildungsabschnittes auf sich nehmen und die zukünftige Museumslandschaft sowie die Vermittlung von Archäologie aktiv mitgestalten wollen.
Dr. Karina Iwe M.A.
4 Selbstverständnis des Fachs
4.1 Sabine Rieckhoff: Warum sich die Archäologie methodisch vernetzen muss, um als gesellschaftsrelevante und zukunftsfähige Wissenschaft zu überleben
Die Idee der DGUF, ihre Leser zu bitten, über die Rolle der Archäologie heute und morgen nachzudenken, hat mich zu der kritischen Frage angeregt, ob wir Ziele, Methoden und Strategien der ur- und frühgeschichtlichen Archäologie, so wie sie seit rund 50 Jahren betrieben wird, in alle Ewigkeit fortsetzen können und sollen?
In der deutschen Archäologie fand schon des Öfteren ein radikaler Paradigmenwechsel statt, der sich jedoch immer als Vorteil erwiesen hat, zuletzt in den 1970er-Jahren von den klassischen Datierungsmethoden zur 14C-Chronologie. Seit gut zehn Jahren bahnt sich nun von Seiten der Naturwissenschaften erneut ein methodischer Umschwung an, diesmal ein Paradigmenwechsel von der Archäologie zur Archäogenetik, von der Kulturgeschichte anhand materieller Hinterlassenschaften zur biologischen Geschichte anhand der DNA. Jetzt wissen wir also definitiv, dass bis heute in (fast) allen Europäern ein dreifaches Erbe steckt: die Gene der indigenen Jäger-Sammler-Kulturen, anatolischer Ackerbauern des 6. Jt. und südrussischer Nomaden des 3. Jt. Das erste ahnten wir, das zweite wussten wir, aber das dritte ist zweifellos ein neuer fundamentaler Beitrag zur Menschheitsgeschichte. Aber die kulturhistorischen Schlussfolgerungen der Archäogenetik – nämlich eine "massive und schlagartige" Einwanderung vorwiegend männlicher Steppenbewohner, die einheimische Frauen "raubten", zu Ackerbauern wurden, die indoeuropäische Ursprache verbreiteten und sich in "kaum hundert Jahren" zur Schnurkeramikkultur formierten – simplifizieren (J. Krause 2019). Sowohl von Seiten der Archäologie wie der Linguistik lassen sich Einwände erheben – an der Auswahl der Beispiele, an Datierung und Fundstatistik, an der fragwürdigen Definition von Kultur und Migration sowie an der Gleichsetzung von Genen mit Sprache. Nun steht Meinung gegen Meinung. Aber warum hat man die betroffenen Fächer nicht von Beginn an in die Synthese einbezogen? Offenkundig ist die Archäogenetik die selbstbewusstere Disziplin, überzeugt davon, dass sie auch ohne Archäologie Geschichte schreiben kann – und dafür Geld bekommt. Und ebenso deutlich ist, dass es der Archäologie an Selbstvertrauen mangelt und sie um Geld bangt (Samida, 2021).
Hier rächt sich der grundlegende Mangel an Interdisziplinarität, der die deutsche Archäologie kennzeichnet, seit sich im Prozessualismus der 1970er-Jahre im Wettstreit um Forschungsgelder der Einsatz von Naturwissenschaften – welcher Art auch immer – etabliert hat. Trotzdem wurden (und werden) diese nur selten von Beginn an in die jeweilige Fragestellung einbezogen. Jeder kennt die dicken Monografien, an deren Ende pflichtgemäß naturwissenschaftliche Listen und Tabellen stehen, aber keine Diskussion mit diesen Quellen stattfindet. Selbstverständlich gibt es erfreuliche Gegenbeispiele. Dennoch ist ein kürzlich angelaufenes Projekt, in dem Historiker, Archäologen, Biologen und Geowissenschaftler auf Augenhöhe und ohne eine Leitdisziplin die "Umwelt-und Wirtschaftsgeschichte der Stadt Bad Waldsee (BW)" untersuchen, immer noch die Ausnahme.
In der mangelnden Interdisziplinarität spiegelt sich die Blindheit des Faches gegenüber den gesellschaftlichen Umwälzungen, die schon im Gang sind und unaufhaltsam die Welt von gestern auf den Kopf stellen werden. Allen voran wird die Beschleunigung durch Globalisierung, Digitalisierung, Kapitalisierung und dadurch ausgelöste Krisen die traditionellen Wissenschaftsstrukturen zerstören. Das beginnt bereits mit der geplanten Hochschulreform in Bayern, die auch geisteswissenschaftliche Forschung künftig an ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit messen will. Die "schwerwiegenden Bedenken" des Deutschen Verbandes für Archäologie e. V. dagegen (Blickpunkt Archäologie, 2020) sind ehrenwert, aber werden wirkungslos sein. Humboldt war gestern!
Nur wenn die Archäologie den Elfenbeinturm der Altertumswissenschaften verlässt, nur wenn sie sich mit allen kulturhistorischen Disziplinen methodisch vernetzt zu einer zentralen Informationsquelle für die kulturelle und biologische Vergangenheit Europas, vom homo erectus bis vorgestern, vom Pollendiagramm bis zur Urkunde, nur wenn die großen Themen Klimawandel, Umweltzerstörung, Ressourcenvernichtung, Migration und Rassismus in ihre Ziele und Strategien einfließen, wird sie als eine gesellschaftsrelevante und zukunftsfähige Wissenschaft überleben.
- Krause, Die Reise unserer Gene (2019) 109ff.
- Samida, Molekularbiologie und Archäologie. Eine ungewöhnliche Beziehung (2021)
Blickpunkt Archäologie 4/2020, 309-311.
Prof. Dr. Sabine Rieckhoff, Universität Leipzig
4.2 Niels Bleicher: Planvoll zwischen alle Stühle – Archäologie im Spannungsfeld von Natur- und Geisteswissenschaften
Was für eine Art Wissenschaft ist die Archäologie? Wir haben uns noch immer nicht stringent positioniert. Der Anspruch, vergangene Welten erklären zu wollen, zeugt von einiger Hybris, wenn man bedenkt, wie viele Wissenschaften man benötigt, um die Jetzt-Zeit zu verstehen. Und auch das geht oft genug schief. Archäologen sollen Kulturwissenschaftler sein, aber arbeiten mit Isotopen, Knochen, Verteilungskarten oder ökologischen Modellen. Und manchmal zeichnen wir auch noch Scherben. Die Wenigsten haben sich wirklich vertieft Gedanken um den Kulturbegriff gemacht. In jedem Falle ist der Begriff der archäologischen "Kulturen" schon seit vielen Jahren und aus guten Gründen unter Druck geraten.
Viele Archäologen sehen sich auch als Historiker und versuchen, in einem Grabungsplan voller Pfostenlöcher einen Palimpsest zu sehen - aber wir denken nicht wie Historiker, die zunächst Quellenkritik betreiben. Wir arbeiten per Definition mit Resten aus dem Boden - aber kaum ein Archäologe hat sich jemals ernsthaft mit dem Boden als einem physikalisch-chemisch-biologischen Phänomen beschäftigt, das unsere Quellen filtert. Kein Historiker würde Angaben aus einem Text von Cäsar direkt und dem Buchstaben nach mit einem von Herodot vergleichen - der Feldherr mit politischen Ambitionen hatte Gründe manches zu verschweigen und anderes zu übertreiben. Aber Archäologen vergleichen Fundgut verschiedener Siedlungen, ohne die jeweiligen Erosionsgeschichten erforscht zu haben und zunächst auf Vergleichbarkeit zu prüfen. Kürzlich saß ich in einer Sitzung, zu der ich eingeladen war, weil ich begonnen hatte, über Taphonomie zu forschen. Es ging um die Phasengliederung von Pfostenlöchern und Gruben. Am Tisch saßen acht Fachleute, drei davon promoviert. Schnell stellte sich heraus, dass einige grundlegende Aspekte der Bildung und taphonomischen Umgestaltung von Pfostenlöchern entweder nie erforscht worden waren, oder niemand je von dieser Forschung gehört hatte. Und das bei Pfostenlöchern!
Ich selbst verstehe unsere Quellen letztlich als eine große Anzahl dreidimensionaler Zeitreihen (Typochronologie, Siedlungsreste, Bioarchäologie etc.), gewissermaßen einen vielfachen, vierdimensionalen Datensatz. Jeder Eintrag bedarf seiner eigenen Quellenkritik und oft genug seiner eigenen Methodik. Zur Analyse dieser Daten bräuchte man Zeitreihentheorie – und im Prinzip schreit dieser Datensatz nach Big Data. Dafür aber bin ich nicht ausgebildet, und die Daten liegen (noch) nicht in brauchbarer Form vor.
Fangen wir also vorne an: Was ist ein Fach, was ist eine Disziplin? Was macht uns aus? Es gibt viele Versuche, Wissenschaft zu strukturieren. Eine davon besagt, dass Fächer die Fragestellungen und Forschungsgegenstände liefern, Disziplinen hingegen die Theorien und Methoden. So haben die verschiedenen Archäologien als Fächer (vorderasiatische, provinzialrömische etc.) eine gemeinsame Disziplin. Wendet man diese Definition an, so sind wir von unseren Fragestellungen her Kultur- und Geschichtswissenschaftler. Aber unsere Disziplin muss diverse Anleihen aus den Naturwissenschaften machen. Die Archäologien sind Geisteswissenschaften mit naturwissenschaftlichen Methoden und sitzen somit zwischen allen Stühlen. Aber das schlägt sich in Lehre und Ausbildung oft nicht angemessen nieder. Die Archäologie könnte mit dem Trumpf wuchern, im Ansatz und tiefsten Selbstverständnis interdisziplinär zu sein. Aber um das glaubhaft zu realisieren, müssten ein paar heilige Kühe geschlachtet werden.
Ich behaupte, dass wir aufhören werden, Typologien auswendig zu lernen. Wir leben im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz und Big Data. Die typologische Bestimmung werden 3D-Scans und Algorithmen übernehmen. Wir hören bereits jetzt auf zu zeichnen. Wir werden eine europäische Datenbank mit sämtlichem Fundgut aufbauen und vollständig neue Analysen erfinden. Starre "Kulturen" und "Stufen" werden fluideren, räumlichen und zeitlichen Kontinuen mit Feldern von Beschleunigungsvektoren weichen, die die menschliche und geschichtliche Komplexität viel besser abbilden werden. Die Ausbildung wird sich entsprechend anpassen. Wir werden viel naturwissenschaftlicher werden – und genau dadurch eine solide Basis schaffen, uns unseren eigentlichen geisteswissenschaftlichen Fragen reflektiert zu widmen.
Wir brauchen einen Plan, wie man es sich zwischen den Stühlen bequem macht – sozusagen auf festem Boden.
Dr. Niels Bleicher, Archäologe, Dendrochronologe; Zürich.
4.3 Diane Scherzler: Warum es kein Sakrileg sein darf, öffentlich Kritik an einer Denkmalbehörde zu üben
Deutschlands Denkmalbehörden – Landesdenkmalämter wie auch Untere Denkmalschutzbehörden – gehören zur Exekutive staatlicher Entscheidungen: Sie setzen auf ihrer jeweiligen Hierarchieebene im Behördenzug treu um, was ihre vorgesetzte Behörde und die Gesetzgebung vorschreiben; zudem achten sie mittels ihrer Fachaufsichts- und Steuerungsaufgaben auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften durch Dritte. Dies ist ein ganz wichtiger Baustein einer funktionierenden staatlichen Organisation der Archäologie und – über die Archäologie hinaus verallgemeinert – die berechtigte Erwartung, die wir als Bürger an unsere staatlichen Vollzugsorgane haben: Dass sie getreu umsetzen, was der demokratisch legitimierte Gesetzgeber und die Regierung beschlossen haben. Solche staatliche Organisation findet in zahlreichen anderen Fachgebieten ihre Entsprechung – so gibt es auch Landesämter für Umwelt, für Geoinformation und Landentwicklung, für Bauen und Verkehr u. v. m. Bei aller Durchsetzungsmacht sind Denkmalbehörden gleichzeitig kaum in der Lage, sich zu wehren, wenn ihre Mittel und ihre gesetzlichen Rahmenbedingungen zu ihrem Nachteil verändert werden. Dass dies eine Landesarchäologie nicht öffentlich (und damit politisch wirksam) tun kann, ist klar: sie ist jenseits von sachlichen Einwänden, die sie auf dem Dienstweg "nach oben" geben kann und dies gewiss auch machen wird, irgendwann schlicht an die Loyalitätspflicht gegenüber ihrem Dienstherrn, dem Land, gebunden. Das schlägt sich nieder. Beispielsweise nahmen die Denkmalbehörden in Nordrhein-Westfalen seit Mitte der 1990er-Jahre eine sukzessive Kürzung der Landesmittel für die Archäologie und auch für die Baudenkmalpflege hin. In Bezug auf die Mittelwerte der Jahre 1990 - 1994 lag beispielsweise der Etat der Archäologie für das Jahr 2014 bei minus 55 %. Auch sind – wer wollte dem widersprechen? – nicht alle gesetzlichen oder ministeriellen Vorgaben Auswüchse höchster Weisheit; dennoch müssen die Behörden hinter ihnen stehen und sie umsetzen.
Um den antrainierten Blick des "es ist eben so" kurz zu verlassen, wenden wir unser Augenmerk als Bürgerinnen und Bürger auf ein x-beliebiges Landesamt für Umwelt. Sagen wir, der Zustand von Fließgewässern in einer Region ist nur noch in 15 % aller Fälle überhaupt "gut", ansonsten schlechter. Nun will das Landesamt einen vom zuständigen Ministerium beschlossenen Plan zur Gewässerbewirtschaftung umsetzen, welcher die Situation nicht nur nicht verbessert, sondern sie mutmaßlich verschlechtern wird. Was wünschen Sie als Bürger und evtl. auch als Fachfrau sich? Möchten Sie, dass eine Naturschutzorganisation (sei es eine wissenschaftliche Fachgesellschaft oder eine Nichtregierungsorganisation) sich einbringt und auf eine ökologisch verträglichere Bewirtschaftung der Gewässer drängt? Möchten Sie, dass Wissenschaftler von Universitäten und Forschungseinrichtungen ihre hohe Expertise einbringen und mit ihren Daten öffentlich auf die mittel- und langfristigen Folgen der Wasserbewirtschaftung hinweisen? Finden Sie es wichtig, dass Journalisten das Thema aufgreifen, damit gesamtgesellschaftlich eine fundierte, evtl. auch kontroverse Debatte stattfindet? Könnten Sie sich ganz persönlich vorstellen, für den Erhalt der Artenvielfalt eines Gewässers in Ihrer Nähe, an dem Sie manch glücklichen Familienausflug verbracht haben, auf die Straße zu gehen und gegen die geplanten behördlichen Maßnahmen zu demonstrieren? Fühlt sich bürgerschaftliche Opposition hier für Sie als gesunde Demokratie an, als eine starke und meinungsbildende Diskurskultur? Was, denken Sie, geschähe, wenn niemand es wagen würde, die Umsetzungspläne der Behörde zu kritisieren? Sind Sie der Meinung, dass das Landesamt nun mal die oberste Wissens-Instanz aller Fließgewässerfragen ist und mit all seinen Entscheidungen und Maßnahmen stets richtig liegt? Wie nähmen Sie es wahr, wenn das Landesamt für Umwelt sich mit dem Verweis auf sein angebliches höchstes Sachwissen und den Gesetzesauftrag jede abweichende Meinungsäußerung verbäte?
Sie ahnen, worauf es hinausläuft, wenn wir unseren Blick zurück zur Archäologie wenden: Die immer wieder zu vernehmende Empörung und Wut seitens Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Denkmalbehörden, wenn den Plänen ihrer Behörde Widerspruch entgegengebracht wird, ist – sagen wir – ungewöhnlich. Öffentliche, sachliche Kritik an einer Denkmalbehörde kann kein "Fehler im System" sein. Im Gegenteil zeigt sie an, dass gesellschaftlicher Diskurs funktioniert. Oft hat ziviler Protest eine Denkmalbehörde sogar geschützt, denken wir beispielsweise an die Rettung der Landesmittel für Denkmalschutz in NRW im Jahr 2013. Seinerzeit waren die Denkmalbehörden am Ende ihres politischen Spielraums angelangt; es war die DGUF, welche mit ihrer Petition von 27.000 Unterzeichnern sogar die Aufmerksamkeit der Bundeskanzlerin erregte und die mit ihrem Kampf um ein taugliches neues Denkmalschutzgesetz die Wende brachte. Unser kurzer Ausflug in das Fachgebiet "Umwelt" hat gezeigt, dass es ein schwerwiegender Systemfehler wäre, wenn gelegentliche Kritik an einer Landesbehörde als "illoyal" wahrgenommen wird, als grundlegender Vertrauensbruch unter Kollegen (postulierend, dass das Kollegenverhältnis immer wichtiger sei als die Sache). Es ist auch hohe Zeit, von Denkmalbehörden keine Unfehlbarkeit zu verlangen und ihnen diese Bürde (denn eine solche ist es!) nicht länger aufzuerlegen.
Diane Scherzler M.A., Vorsitzende der DGUF
4.4 Ulf Ickerodt: Disziplinierung und Disziplinkontakte
Da jedes "Kind" auch in der Archäologie seinen Namen erhält, warf Hermann Behrens gegen Ende der 1990er-Jahre die Frage auf, ob wir in Deutschland mehr als 100 Archäologien benötigen. Anscheinend machten es seinerzeit die Auswirkungen von Professionalisierung, Institutionalisierung und Spezialisierung nötig, dieser Frage nachzugehen. Insbesondere in den 1990er-Jahren und auch später war es der eher angelsächsische Einfluss insbesondere in akademischen Kreisen, der immer wieder Fragen nach dem eigenen fachlichen Selbstverständnis aufwarf. In diesem eher universitären Umfeld forderte ein zunehmend kulturwissenschaftlicher Blick die bis dahin eher als geisteswissenschaftlich verstandene Ausrichtung des Faches heraus.
Während die ur- und frühgeschichtliche Archäologie gegen Ende des 19. / Beginn des 20. Jahrhunderts über ihr gemeinsames mit Biologie und Geologie geteilte Quellenmaterial den Anschluss an Ernst Haeckels Naturgeschichte suchte und sich als Naturwissenschaft verstand, distanzierte sie sich mit dem Aufkommen der Archäometrie und der 14-C-Methode und begann, sich als Geisteswissenschaft zu verstehen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung hiermit ist besonders mit dem Heidelberger Archäologen Vladimir Milojčić (1918–1978) verbunden. Es ging nicht weniger als um die Bedeutung der (typologischen) Methode, der er als originär geisteswissenschaftlich den Vorzug vor der naturwissenschaftlichen Methode gab. Bei dieser möglicherweise paradigmatischen Zäsur Ende der 1950/1960er-Jahre ging es um nichts weniger als einen Führungsanspruch vor dem Hintergrund der mit der Etablierung der Radiokohlenstoff-Methode gemachten Erfahrung, dass a priori vorausgesetzte Entwicklungslinien und damit einhergehende nicht abgesicherte Datierungsansätze zu Fehldeutungen oder -schlüssen führen.
Diese Erkenntnis, die sicherlich über Revisionsstrukturen als solche auch ohne die aufkommende Archäometrie irgendwann entdeckt worden wäre, stieß in den 1960er-Jahren auf eine Fachwelt im Umbruch. Die nachwachsenden Wissenschaftlergenerationen mussten mit ihrem Neuen dem Zeitgeist entsprechend das Alte überwinden. Die New Archaeology ist sicherlich der fachlich wirksamste Angang gewesen. Dem Trend in den universitären Instituten folgend, versuchte man auch den Dualismus von Natur- und Kulturwissenschaft über die Soziologisierung der archäologischen Forschung aufzubrechen. Die Social Archaeology war geboren. Dieser Neuanfang erzeugte ein Gefühl der fortschreitenden Distanzierung zum Althergebrachten. Die zu erlangende Reputation war freilich Anreiz genug.
Das alte, sicherlich auf Grund fehlender, akkumulierender oder schlecht ausgewerteter Quellen entstandene Wissen ließ Teile der sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts entwickelnden Methodologie ebenfalls schlecht aussehen. Außerdem kam es aufgrund Spezialisierung verlangender Fragestellungen zur Abkopplung vom Gesamtsystem, dass eben die relative Chronologie als (theoretisch) weltweites Bezugsystem für Natur- und Kulturwissenschaften darstellt. Dieser Prozess führte zur Pluralisierung und dann zur Dynamisierung der Fachbezeichnungen, die jeweils die eigenen Arbeitsgebiete deutlich von anderen abgrenzen sollten. Dieser Prozess wird von der Hoffnung getragen, dass das in diesen Spezialbereichen erarbeitete Wissen einer historischen Wirklichkeit immer näherkommen und über das damit überkommene alte Wissen hinausgehen wird.
Aus einer wissenschaftstheoretischen Perspektive vollzieht die diesen Prozess tragende Etablierung von Strukturen der fachlichen Absicherung diese Entwicklung nach und erzeugt so genannte Echokammern in Form von Arbeitsgruppen und anderen Netzwerken: Eine Entwicklung wird von sich selbst bestätigenden Strukturen der fachlichen Absicherung getragen, und aus thematischer Fokussierung resultierende Spezialisierung werden bevorzugt.
Der Prozess der Disziplinierung hat Auswirkungen auf die archäologische Forschung. Sowohl Paläontologie, Paläoanthropologie, Archäozoologie und Paläobotanik teilen sich mit Bodenkunde, Geologie und der Archäologie das gleiche Bezugssystem. Sie basieren mit der zunächst relativen und dann der absoluten Chronologie auf demselben Maßsystem. Dieses wird als Disziplinkontakt verstanden. Diese Schnittstelle ist also so etwas wie eine historische Humanökologie und die mehr als hundert Archäologien eben nur Mosaik- und Baustein, Facetten, die zu ihrem Verständnis beitragen.
Dr. Ulf Ickerodt (Schleswig)
4.5 Cornelius Holtorf: Warum ist Archäologie so vorhersehbar?
Als Zukunftsarchäologe höre ich oft, die Zukunft sei unvorhersehbar und notorisch unsicher – im Gegensatz zur Vergangenheit, für die es ja Quellen gebe, dank derer nicht zuletzt Archäologen ein gewisses Maß an Gewissheit schaffen könnten. Dieser falschen Gegenüberstellung lässt sich auf verschiedene Weise entgegnen. Eine davon möchte ich hier diskutieren: Als routinierter Archäologe mit 30 Jahren Erfahrung stelle ich immer wieder fest, dass gerade meine eigene Zunft ausgesprochen vorhersehbar ist. Weshalb ist das eigentlich so?
Gerade in Hinsicht auf eine Wissenschaft überraschender Entdeckungen unter der Oberfläche, die uns oft dazu veranlassen, Teile der menschlichen Geschichte neu zu schreiben, ist es verwunderlich, dass die allermeisten überraschenden Entdeckungsgeschichten der Archäologie einander fast zum Verwechseln ähneln: Zeitnot; bekannte Überresttypen; ein "Schatz", der gerettet werden muss; ein paar Datierungen und Punkte auf einer Verbreitungskarte; eine Geschichte über verschiedene Gruppen, Macht, Prestige und Handel; eine interessierte Öffentlichkeit; immer ganz viele offene Fragen für kommende Forschung. Eine Ausgrabung ist in der Regel wie die andere.
Wirkliches Neuschreiben menschlicher Geschichte kommt ausgesprochen selten vor – und wenn dann oft gegen den Widerstand vieler Kollegen. Jüngere Fortschritte der Genetik, zum Beispiel, erlauben eine neue Sicht auf wichtige geschichtliche Prozesse, aber viel zu wenige Archäologen beschäftigen sich mit den Folgen und zugehörigen Herausforderungen. Auch neue Formen archäologischer Geschichtskultur, die über das Vermitteln immer gleicher Geschichten hinausgehen, werden oft nicht wirklich gewollt und kaum mit großem Enthusiasmus auf neue Möglichkeiten geprüft: Was kann es heißen, im Anthropozän Archäologie zu betreiben, und wie befördern wir Nachhaltigkeit in der Gegenwart? Was heißt es, eine Archäologie für und mit älteren Menschen zu betreiben, und wie trägt sie allgemein bei zu menschlichem Wohlbefinden? Welche Potenziale bieten 3D-Drucker und künstliche Intelligenz für die Archäologie und ihre Anwendungen? Wichtige Themen der Gegenwart werden in unserem Fach nur mit Zögern angefasst und am liebsten Anderen überlassen.
Der Anpassungsdrang an die Themen und Arbeitsweisen der vorigen Generation ist offenbar groß, vermutlich wegen einer gemeinhin erwarteten Disziplin innerhalb der Disziplin Archäologie. Wirkliche Überraschungen und neue Entdeckungen sind eher unerwünscht. Es wird zwar mitunter auch in der Archäologie über den Wert von Vielfalt und Innovation gesprochen – es wäre nun aber an der Zeit, beides auch umzusetzen und flächendeckend in der Praxis und nicht zuletzt im Studium willkommen zu heißen.
Die Reaktionen einiger Kollegen auf diesen Kommentar sind einigermaßen vorhersehbar: "Das ist nichts Neues", "Das stimmt alles gar nicht", "Das machen wir schon". Die Zukunft ist also auch in dieser Hinsicht alles andere als unsicher! Aber ob solche Stimmen wirklich Recht haben, sollte Jede(r) selbst prüfen. Ich finde jedenfalls, die Zukunft der Archäologie könnte gerne unvorhersehbarer werden, als sie ist.
Prof. Dr. Cornelius Holtorf, Heritage Futures I Archaeology, School of Cultural Sciences, Universität Kalmar, Schweden
4.6 Rainer Atzbach: Erforscht die Archäologie den Alltag der Vergangenheit?
Wer in die Verlegenheit gerät, die Berechtigung der Archäologie als – vorwiegend öffentlich finanzierte – Wissenschaft rechtfertigen zu müssen, greift gerne zu bewährten Waffen: "Ja, Archäologie macht das Leben nicht länger, aber breiter und schöner!" oder "Wir können aus der Vergangenheit lernen, z. B. wie nachhaltigeres Wirtschaften und das Leben im Einklang mit der Natur funktioniert" oder schließlich das stärkste Argument: "Die Archäologie erforscht den Alltag, besonders der einfachen Menschen, die keinen Niederschlag in den Schriftquellen fanden". Hier soll es nicht um den hedonistischen Genuss gehen, dass Archäologie das Leben schöner macht. Auch darf, wer ernsthaft glaubt, ein vereiterter Weisheitszahn in der Steinzeit oder ein Hungerwinter in der frühen Neuzeit sei der nachhaltigen Entwicklung der Menschheit förderlich gewesen, diesem Glauben gerne anhängen. Aber wie ist das nun eigentlich mit dem Alltag?
Dabei stellt sich erst mal die Frage, um wessen Alltag es eigentlich geht. Eine Bestattung auf einem römischen Straßenfriedhof oder einem merowingerzeitlichen Reihengräberfeld mag Alltag für den Totengräber oder Priester gewesen sein, für die Angehörigen des künftigen Grabfundes war das sicher nicht der Fall. Damit wäre schon mal klar, dass weder ein rötelbedecktes steinzeitliches Skelett noch ein Kriegsgefangener, der rituell in einem kaiserzeitlichen Moor verklappt wurde, einen Blick in den Alltag der Zeitgenossen bieten können. Leider ist auch die Aussagekraft der Betroffenen und ihrer Beigaben sehr begrenzt. Sehen wir einmal davon ab, dass die Kleidung, Ausstattung und Grabbeigaben ohnehin nur unter günstigen Bedingungen erhalten und wir nicht sicher sind, was hier eigentlich Totenbrauchtum und was Festtagskleidung ist. Die vermeintlich aussagekräftigen Bestattungen, etwa die mit reicher Fibeltracht oder Vollbewaffnung ehrenvoll beigesetzten frühmittelalterlichen Herrschaften, repräsentieren keineswegs den Durchschnitt der überwiegend bäuerlichen Landbevölkerung. Sie gehören vielmehr zu einer Elite, die schon auf ihrem eigenen Gräberfeld nur eine Minderheit darstellte: Unter den knapp 200 Bestattungen der Westnekropole von Krefeld-Gellep fanden sich weniger als 20 Bestattungen mit Fibeln. Daraus lässt sich keineswegs die "Alltagstracht der merowingischen Frau" ableiten, sondern allenfalls der Sonntagsstaat der betuchten Dame. Der weitaus größte Teil aller Bestattungen in allen Perioden der Menschheitsgeschichte springt dagegen beigabenlos unter die Schippe der Ausgrabenden. Damit kommen wir dem Durchschnittsmenschen zwar schon erheblich näher, stoßen aber leider an die Grenze der archäologischen Quelle, wenn wir uns nicht zu naturwissenschaftlichen Untersuchungen der sterblichen Überreste hinreißen lassen wollen. Die dazu eingespannten "Hilfswissenschaften" haben aber auch ohne die Archäologie ein gutes Dasein und bedürfen in diesem Zusammenhang keiner Rechtfertigung.
Nun stehen wir ja nicht immer mit einem Bein im Grabe, sondern oft auch in einer mittelalterlichen Latrine, auf der Sohle eines Grubenhauses oder in einer der immer wieder kolportierten "Abfallgruben". Woher kommt eigentlich der Irrglaube, Menschen würden seit der Steinzeit ihren Müll brav und ordentlich in extra dafür ausgehobenen Gruben entsorgen? Aber gut, egal ob wir uns nun über eine Grubenfüllung oder eine Siedlungsschicht hermachen, das Archäologenherz brennt lichterloh, wenn wir auf eine fundreiche, gern organisch bestückte Schicht stoßen. Das könnte ja eigentlich eine feine Quelle für den Alltag sein. Doch Stopp! Das Grundgesetz des Müllverhaltens ist ja, dass just die Dinge weggeworfen werden, die wir NICHT mehr im Alltag brauchen. Ein Müllhaufen ist also kein "Fenster in die Vergangenheit", sondern eher eine Art Zerrspiegel. Die Gelehrten streiten noch, ob Gegenstände, die im Müll häufig vorkommen, typisch sind (Wilson, Douglas C., Identification and Assessment of Secondary Refuse Aggregates. Journal of Archaeological Method and Theory 1, 1994, 41–68) oder ob sie Habgier und Kauflust auf Überflüssiges widerspiegeln (William L. Rathje, Cullen Murphy, William, Cullen (2001). Rubbish! The Archaeology of Garbage. University of Arizona Press, 2001). Von beiden theoretisch wohlfundierten Ausgangspositionen könnte der Alltag munter erforscht werden, wenn es der Alltag aller wäre. Das blendet aber das Problem aus, dass keineswegs die Mehrheit der Menschheit Häuser oder Güter im Übermaß besaß und hinter sich her sedimentierte, sondern viel wahrscheinlicher ein nach heutigen Maßstäben kärgliches Auskommen als Kleinbauer, Handlanger oder Häusling fristeten. Der Hausratsumfang einer "durchschnittlichen" vor-, frühgeschichtlichen oder mittelalterlichen Bauernfamilie wird sicher dem einer modernen Favela-Familie deutlich näherkommen als dem eines zeitgenössischen "Fürstenhofs": etwas Geschirr, kaum Kleidung, eine Schlafstatt, vielleicht noch nicht einmal eine eigene Kochstelle. Armut macht unsichtbar, erst recht im archäologischen Befund. Die zahlreichen osteologischen Auswertungen zur vormodernen Mangelernährung zeigen eindrucksvoll, dass die tägliche Kalorienbeschaffung für große Teile der Bevölkerung ein ungleich relevanteres Problem war als die Auswahl zwischen grobgemagerter, langsam nachgedrehter grauer Irdenware und feingemagerter, schnell gedrehter, bleiglasierter Importware, bzw. zwischen unterschiedlichen Schlaufennadel- oder Griffangelschwerttypen.
Das letzte, vermeintlich sicherste Refugium der Alltagsforschung in der Archäologie sind die oft herbeigesehnten "Pompeji-Befunde": Hier ist der Alltag buchstäblich schlagartig eingefangen – wir gewinnen etwa am eponymen Ort einen unmittelbaren Blick auf das Leben, vor allem aber wieder auf das Sterben einer römischen Stadt am 24. August 79. Doch war der Besuch der Gladiatorenunterkunft tatsächlich Alltag für die vornehm gekleidete Matrone, die hier zusammen mit mehreren durchtrainierten jungen Männern aus der Ascheschicht präpariert wurde? Ähnlich fast schon schmerzhaft scharf ist der Blick auf die sechs Frauen und Kinder im Keller der Burg Wenden/Cespis in Litauen (Ieva Ose, The Livonian War (1558-1583) and the Ruination of Castles, in Particular Kirchholm and Wenden. In: Atzbach, Rainer u. a. (Hrsg.), Castles at War, Castles of the North 1 (Bonn 2015) 76-86). Die Verteidiger beschlossen 1577, sich lieber selbst in die Luft zu sprengen als Iwan dem Schrecklichen und seinem Heer in die Hände zu fallen. Die Explosion war auch das Ende der Schutzsuchenden im Keller. Im Alltagsleben des Deutschordensstaates hielten sich aber Frauen und Kinder sicher nicht im Keller der Hochmeisterresidenz auf.
Wenn wir uns also ernsthaft auf das Feld der Archäologie des Alltags wagen wollen, müssen wir uns wohl entweder mit dürftigen Überresten und einem arg verschwommenen Bild bescheiden. Oder aber wir sollten uns ehrlich machen und offen sagen: Wir erforschen zwar den Alltag, aber vor allem den der Reichen und Mächtigen – und das ist spannend und bereichert nicht nur die Archäologie.
Assoc. Prof. Dr. Rainer Atzbach, Department of Archaeology and Heritage Studies, Aarhus University
4.7 Diane Scherzler: Ein Schemel für Dornröschen! Vier Fünftel aller Archäologinnen und Archäologen sind augenscheinlich mit dem Status Quo der Archäologie zufrieden oder stehen ihm gleichgültig gegenüber
Schwerionen-Forscher, Historiker, Journalisten, Virologen: Wir alle haben in den vergangenen Jahren davon gehört, wie sie mit Erfolg aufstehen und sich einsetzen, um mehr Gehalt zu bekommen, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern, um ihr Berufsleben klüger zu organisieren, um für mehr Fairness bei der DFG einzutreten. Wieso sind eigentlich keine Archäologen in dieser Liste? Gibt es so wenige?
Nach den Untersuchungen der DGUF sind in Deutschland derzeit etwa 5.000 Archäologinnen und Archäologen der Ausrichtung UFG & AMANZ im Fach berufstätig, etwa die Hälfte von ihnen im Staatsdienst (Denkmalpflege, Museen, Universitäten und Forschungseinrichtungen) und die andere Hälfte in der privatwirtschaftlichen Archäologie (Siegmund & Scherzler, 2019). Hinzu kommen fast 500 laufende Promotionsvorhaben und ca. 800 MA-Studierende des Fachs UFG & AMANZ, die mit dem BA einen ersten Hochschulabschluss hinter sich haben und es nun ernst meinen mit dem Fach und dem Beruf (Siegmund, 2020). Demnach gibt es insgesamt ca. 6.300 Archäologinnen und Archäologen, die direkt betroffen sind, wenn z. B. Denkmalschutzgesetze oder Landesbudgets zu Ungunsten der Archäologie verändert werden, wenn es in manchen Landesarchäologien weitaus zu viele (d. h. unnötig viele) befristete Arbeitsverträge gibt, wenn in der privatwirtschaftlichen Archäologie ein erschreckend niedriges Lohnniveau dominiert, wenn ein Segment der Archäologie gefährdet ist. Zählten wir die ca. 300 Arbeitslosen und ca. 700 Arbeitssuchenden im Bereich Archäologie hinzu, welche die Bundesanstalt für Arbeit verzeichnet, wären es sogar 7.300 Personen. 7.300 Menschen also, die ein persönliches, besonders hohes Interesse an einer starken Archäologie (als Forschungsgegenstand und als Beruf) haben.
Blicken wir nun auf die Kopfstärke der durch verbindliche persönliche Mitgliedschaften geprägten archäologischen Fachgesellschaften: Hugo-Obermaier-Gesellschaft (HOG), DGUF – Fachgesellschaft und NGO gleichermaßen – und Deutsche Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit (DGAMN) zusammen haben ca. 1.300 Mitglieder, der Berufsverband CIfA Deutschland weniger als 100. Das sind 22 % (oder 18 %) des Potenzials aller Archäologinnen und Archäologen Deutschlands, die zumindest durch eine Mitgliedschaft in einer Fachgesellschaft, einer NGO oder in einem Berufsverband selbstbewusst für ihr eigenes Schicksal einstehen. Weil es bei HOG, DGUF, DGAMN und CIfA Deutschland gewiss Doppelmitgliedschaften gibt, sind es sogar weniger. Sprich: allenfalls ein Fünftel aller Archäologinnen und Archäologen in Deutschland vertritt seine übergeordneten Berufsinteressen – seien sie fachlich oder berufspolitisch – per Mitgliedschaft aktiv. Dabei ist die Mitgliedschaft die entscheidende und grundlegende Maßnahme: erst Mitglieder machen Vereine und Verbände stark und verleihen ihnen (fach-)politisches Gewicht – wer keine Zeit für ein weitergehendes Engagement hat, bewegt allein schon durch die Mitgliedschaft viel. Ein kleiner Bruchteil dieses Fünftels engagiert sich weitergehend, beispielsweise durch ein Ehrenamt – nehmen wir überschlägig und nach langjähriger Erfahrung an, dies seien zehn Personen pro o. g. Gesellschaft, also 40 Personen, die in Deutschland verlässlich und über einen längeren Zeitraum hinweg ehrenamtlich aktiv sind. Aus all dem ergibt sich: Vier Fünftel aller Fachkolleginnen und -kollegen sind mit dem Ist-Zustand (zumindest in ihrer persönlichen Blase) hoch zufrieden, oder es ist ihnen gleichgültig, wie das Fach und seine Umstände von wem auch immer gestaltet werden.
Ist das wirklich so? Schauen wir auf persönliche Begegnungen, beispielsweise am Rand von Tagungen oder in Gruppen in den Sozialen Netzwerken. Da ist der Anteil der Unzufriedenen beträchtlich und übersteigt das oben genannte Fünftel bei weitem. Der Beruf Archäologie ist hochproblematisch, eigentlich unrettbar, klingt immer wieder an. Es kommt regelmäßig zu surrealen Momenten, wenn wir beispielsweise ein DGUF-Firmenmonitoring publizieren, das eindeutig und verlässlich klarmacht: "Es gibt Jobs!", dann aber unter dem Social-Media-Posting dazu kommentiert wird, es gebe halt leider keine Chance, bei einer Firma unterzukommen. Der Firmenchef, der hier widerspricht und sagt, er suche gerade Leute, wird als Ausnahme hingestellt. Wahrnehmung ungetrübt von der Realität. Häufig wird postuliert, dass "die da oben", "die Politik" oder irgendwelche "Anderen" bestehende Missstände endlich richten sollten und dies bestimmt auch könnten. Jedenfalls stets so, dass es des eigenen persönlichen Engagements nicht bedürfe. Oder man setzt auf Desillusioniertheit: "Es ist alles katastrophal. Aber was will man machen? Ich kann da eh nichts tun. Ich habe für sowas auch keine Zeit und/oder kein Geld für Mitgliedschaften." Eine überaus bequeme Haltung, denn wer hilflos ist, ist auch nicht mitverantwortlich für die Zustände. Zeit und Geld werden schon die Anderen haben. Und wenn nicht: tja. Diese Haltung führte kürzlich zur Situation, dass bei CIfA Deutschland Arbeitgeber (hier: Firmenchefinnen und -chefs) Lohnuntergrenzen vereinbaren wollten, dafür um die Forderungen von Arbeitnehmerseite baten – aber kaum ein Arbeitnehmer willens war, sich hier jenseits einer (sehr erfolgreichen) Umfrage persönlich einzubringen. Man stelle sich das einmal vor! Stehen die Menschen, die es nicht einmal schafften, sich für höhere Löhne zu engagieren, dann in fünf Jahren bei der DGUF und klagen über das niedrige Lohnniveau in der Firmenarchäologie?
Man führe sich die gesamte Situation vor Augen. Kollegen, Berufstätige inmitten von gesamtgesellschaftlichen Wandlungen, von enormen Sparprozessen (erinnert sich noch jemand an die schon beschlossene Streichung *aller* Landesmittel für Archäologie in NRW 2013?), von starken gegen die Archäologie gerichteten und nicht immer legalen bürgerschaftlichen Interessen, von manchmal sehr fragwürdigen politischen Entscheidungen. Vier Fünftel dieser Kolleginnen und Kollegen gönnen es sich, das unmündige Dornröschen zu geben. Kommt dann ein Prinz nach dem anderen vorbei und möchte Dornröschen auf seinem Schimmel mitnehmen, ihr Leben verbessern, geht das große Jammern los: "Also nein, sich auf das Pferd schwingen … das ist schon sehr mühsam, und ich mit meinem bösen Knie. Nicht mal ein bequemer Schemel ist da!" Die Frage ist nun: Legt sich Dornröschen wieder schlafen, weil ihr alles andere zu anstrengend ist?
Siegmund, F. & Scherzler, D. (2019). Die derzeitige Wirtschaftslage in der privatwirtschaftlichen Archäologie Deutschlands – DGUF-Monitoring-Report privatwirtschaftliche Archäologie 2019. Archäologische Informationen, 42, 79-98. https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/arch-inf/article/view/69349
Siegmund, F. (2020). Die Studierenden- und Absolventenzahlen in den Fächern Ur- und Frühgeschichte sowie Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit im Jahr 2019. Archäologische Informationen 43, Early View, online publiziert 16. April 2020. https://www.dguf.de/fileadmin/AI/ArchInf-EV_Siegmund.pdf (Ab ca. Juni finden Sie dieses Early View als Beitrag mit den endgültigen Seitenzahlen und DOI im Open Access dort: http://journals.ub.uni-heidelberg.de/arch-inf).
HOG – Mitgliedschaft: https://obermaier-gesellschaft.de/mitgliedschaft/
DGUF – Mitgliedschaft: https://www.dguf.de/mitmachen/mitglied-werden
DGAMN – Mitgliedschaft: https://dgamn.de/mitgliedschaft
CIfA Deutschland – Mitgliedschaft: https://www.archaeologists.net/mitglied-werden
Diane Scherzler M.A., Vorsitzende der DGUF
5 Archäologische Ethik
5.1 Dieter Quast: Wie gehen wir eigentlich mit menschlichen Überresten um?
Gräber gehören zu den wichtigsten Quellengattungen der Archäologie. Früher oder später wird man während des Studiums auf der Ausgrabung mit Skeletten oder mit Leichenbrand konfrontiert. Gerade weil es Überreste von Menschen sind, schaffen wir uns dabei eine gewisse Distanz zu ihnen. Viele Archäolog*innen kennen sicherlich Lehrgrabungen, bei denen Skelette mit Sonnenbrille und Mütze fotografiert werden oder auch mit einer Zigarette zwischen den Zähnen. Diesen respektlosen Umgang mit menschlichen Überresten findet man aber nicht nur auf Lehrgrabungen. Eine gewisse – vielleicht sogar erkenntnistheoretische – Entfremdung mag der Grund sein, warum aus menschlichen Überresten einfache Objekte werden, die den Artefakten gleichgestellt sind. Sei es nun aus der Bewältigung mit der Konfrontation des Todes oder der Aufrechterhaltung der Fremdheit: Archäologie als Wissenschaft des zeitlich und kulturell Fremden wird zur Wissenschaft des menschlich Fremden. Häufig kann man in Museen "rekonstruierte" Gräber sehen – Skelette mit restaurierten Beigaben –, die einen nie da gewesenen Zustand zeigen. In vielen Museen sind Mumien und Moorleichen Ausstellungs-Highlights. Entkleidet liegt der "Ötzi" in Bozen in einer Vitrine. Als Museumskurator*in kann man sich natürlich darüber freuen, dass Menschen in die Ausstellungen strömen. Aber eigentlich sollten wir doch der Frage nachgehen, was Besucher*innen an den Toten reizt, und ob wir zu diesem Interesse oder Bedürfnis nicht tiefergehende Anregungen vermitteln können als die Zurschaustellung von Leichen. Denn welches Bild will die Archäologie von sich als Wissenschaft damit eigentlich vermitteln? Es bedurfte anscheinend erst Ausstellungen wie den "Körperwelten", um ethische Fragen zu diskutieren. In der deutschsprachigen Archäologie werden Fragen im Umgang mit menschlichen Überresten bislang aber immer noch nicht diskutiert – im Gegensatz zum anglo-amerikanischen Raum. In der Lehre fehlt das Thema komplett. Ich zumindest habe während des Studiums an drei unterschiedlichen Universitäten nicht eine einzige Reflexion dazu gehört (und ich muss gestehen, dass ich selbst bislang keine Zeit auf die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen verwendet habe). Vom Deutschen Museumsbund gibt es die einzige Richtlinie (DMB 2013, §3.4.A.1.a) für den Umgang mit "menschlichen Überresten" in Museen. Im archäologischen Alltag ist das jedoch nicht verankert, geschweige denn im Umgang mit Sozialen Medien. "Bei der Archäologie geht es um die Menschen" ist sicherlich eine Aussage, die die meisten Archäolog*innen so allgemein treffen würden. Deshalb sollte auch der Umgang mit menschlichen Überresten explizit thematisiert werden, gerade weil durch die Ausweitung der archäologischen Zeiten bis hin zur Gegenwart die ausgegrabenen Menschen gar nicht mehr so fremd sind. Eine Diskussion über ethische Fragen wäre also ein interessanter Fokus für die "Archäologischen Informationen".
Prof. Dr. Dieter Quast, Römisch-Germanisches Zentralmuseum, Leibniz-Forschungsinstitut für Archäologie, Mainz
5.2 Sascha Piffko: Ein moralischer Kompass für die (Firmen-) Archäologie
Seit einigen Jahren wird in der freien Wirtschaft über den moralischen oder ethischen Kompass gesprochen und diskutiert. In der Archäologie ist dieses Thema weitgehend unbekannt. Mit der zunehmenden Privatisierung der Archäologie ist es angeraten, sich damit auseinanderzusetzen. Und vielleicht prüfen auch die Archäologen im öffentlichen Dienst, ob der moralische Kompass im eigenen Haus und bei der eigenen Person auch in die richtige Richtung weist, wobei die Fragestellung angepasst werden muss. Die folgenden Punkte beziehen sich vornehmlich auf die privatwirtschaftliche Archäologie.
Gewinnstreben
Die Privatwirtschaft ist naturgemäß gewinnorientiert. Ohne finanzielle Gewinne kann ein Unternehmen oder ein Selbstständiger nicht überleben. Im englischsprachigen Raum ist der Begriff der "kommerziellen Archäologie" wertfrei gemeint, im deutschsprachigen Raum haftet ihm nach wie vor ein Hauch von Prostitution an (Hierbei wird übersehen, dass auch die "nicht-kommerziellen" Kollegen keineswegs ehrenamtlich arbeiten, sondern im Gegenteil meist sogar mehr Geld bei deutlich besser abgesicherten Arbeitsverhältnissen verdienen). Moralisch bedenklich wird das Gewinnstreben jedoch, wenn es das Berufsethos überlagert. Sei es, dass Befunde unsauber dokumentiert, Grabungsberichte nicht verfasst oder Funde nicht sicher verwahrt werden, um Kosten zu sparen. Sei es, dass Mitarbeiter unterdurchschnittlich bezahlt, Sozialabgaben eingespart werden, bezahlter Urlaub verweigert wird oder gar Sicherheitsvorschriften nicht beachtet werden, weil eine Gewinnmaximierung angestrebt wird.
Unternehmerrisiko
Wer selbstständig arbeitet, geht ein Risiko ein. Dies gilt für die Archäologie wie überall in der freien Wirtschaft. Natürlich ist man als Unternehmer bestrebt, dieses Risiko zu verringern, und dieses Bestreben ist durchaus legitim. So wird ein kluger Grabungsfirmenchef die Frage der Kampfmittelfreiheit, der Leitungs- und Verkehrssicherheit möglichst dem Auftraggeber überlassen, die Einschätzung des Befundaufkommens der zuständigen Denkmalbehörde, und er wird Klauseln für Verschiebungen und Unmöglichkeiten in seinen AGB verankern. Nicht redlich ist es jedoch, das Risiko seinen Arbeitnehmern weiterzugeben. Gerne schließen Firmenchefs projektbezogene Verträge ab, bei denen Projektbeginn und -ende nicht festgelegt werden. Schlechtwetterzeiten, die im Bauwagen verbracht werden müssen, werden nicht vergütet, und durch Werkvertrag entzieht sich der Arbeitgeber des Risikos bei Krankheit und Ausfall des Arbeitnehmers. Wer kein Unternehmerrisiko eingehen möchte und ihm nur durch das Abwälzen auf die Arbeitnehmer begegnen kann, sollte kein Unternehmen gründen.
Arbeitgeberverantwortung
Ein moralisch einwandfreier Chef ist sich auch seiner Verantwortung als Arbeitgeber bewusst. Fortbildung, Gesundheitsvorsorge, Arbeitssicherheit sind Dinge, die ein guter Arbeitgeber regelt und garantiert. Er stellt Arbeitskleidung, Firmenwagen und Werkzeug. Er spricht mit den Mitarbeitern, gewährt einen Betriebsrat und richtet eine betriebliche Altersvorsorge ein.
Wann darf ein Arbeitgeber und Unternehmer von dem Weg abweichen, den der moralische Kompass vorgibt?
Selbst die beste Firma erlebt einmal schlechte Zeiten: Aufträge können ausfallen, Unfälle passieren, das Wetter zwingt zu langen Grabungspausen, ein Chef erkrankt über längere Zeit und fällt aus, die Grabungsdokumentation wird durch einen Serverabsturz oder Brand vernichtet. Ein moralisch einwandfrei agierender Unternehmer übernimmt auch hier die Verantwortung, sucht Lösungen, um den Schaden zu begrenzen, und zieht Lehren aus den Geschehnissen, um zukünftig Risiken zu minimieren.
Gesellschaftliche Verpflichtung
Archäologie darf nicht sich selbst dienen. Unsere Arbeit muss der Allgemeinheit nutzen, und unsere Ergebnisse müssen jedem interessierten Bürger offen zugänglich sein. Die Verwendung der investierten Gelder muss transparent, und die denkmalschützerischen Maßnahmen müssen verständlich sein. Die Arbeitssituation muss der gesellschaftlichen Entwicklung angepasst sein. Hier gibt es viele Einzelfragen und -probleme, die bewältigt werden müssen: die Überwindung der Geschlechtsunterschiede in Bezahlung und Ansehen, die Bewältigung des Konflikts zwischen Familie und Berufsausübung, Integration von behinderten Personen, die Einbindung und Förderung von Archäologen mit Migrationshintergrund, Förderung von ökonomischer und ökologischer Nachhaltigkeit und vieles mehr. Wer seinen moralischen Kompass stets aktuell halten will, muss das gesellschaftliche Geschehen im Blick behalten, eine Erfahrung, die den Firmenchefs seit der Coronakrise sicher nicht mehr fremd sein wird.
Wer kontrolliert denn den moralisch einwandfreien Kurs?
Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge? So steht es in der Bergpredigt. Tatsächlich wird niemand seine eigene Verfehlung überhaupt als solche erkennen. Aus diesem Grunde wird ein Unternehmer, der nach einem moralischen Kompass steuern will, stets externe Meinung einholen. Die Sauberkeit der Dokumentation belegt in der Regel das zuständige Landesamt, die Übernahme des Risikos und der Verantwortung gegenüber den Arbeitnehmern ein Betriebsrat. Auch die Gewährung von Ausnahmen darf nicht der Unternehmer nach eigenem Gutdünken rechtfertigen, sondern kann nur durch externe Stellen geschehen.
Was wäre die Rolle eines Berufsverbandes?
Um einen echten moralischen Kompass für Archäologen etablieren zu können, braucht es Kollegen aller Fachrichtungen und Arbeitsgebiete. Professoren und Studenten, Arbeitgeber und Angestellte, Museums- und Amtsarchäologen genauso wie die Kollegen der Privatwirtschaft. In England wurde vor über dreißig Jahren mit dem Berufsverband für Archäologen, Chartered Institute for Archaeologists (CIfA), eine Organisation gegründet, die mit inzwischen mehr als 3.500 Mitgliedern den moralischen Kompass der von ihr vertretenen Archäologen stets nachjustiert und aktuelle Themen in die Diskussion einbringt, jüngst zum Beispiel die Problematik von Analphabetismus im Berufsfeld Archäologie. Mit dem Code of Ethics and Standards of Professional Conduct wurde ein massives Fundament für den moralischen Kompass der britischen Kollegen geschaffen, der sich in den vergangenen Jahrzehnten bewährt hat. Mit der Gründung von CIfA Deutschland und CIfA Australien wird sich zeigen, inwieweit dieser Kodex sich auch international bewähren kann. Die Zusammenarbeit zwischen britischem Mutterhaus und deutscher CIfA funktioniert gut, es zeigt sich, dass auch durch die nicht-britischen Kollegen neue Ideen und Impulse gesetzt werden, und dass außerhalb Großbritanniens andere Lösungswege gesucht werden müssen.
Seit nunmehr über drei Jahren sind meine Grabungsfirma und mein unternehmerischer Kompass nach dem CIfA-Kodex ausgerichtet, und es hat weder mir noch meinen Mitarbeitern geschadet. Ganz im Gegenteil. Mit dem Arbeitskreis der Grabungsfirmen, der durch CIfA betreut wird, erhoffe ich mir, dass die Idee auch in anderen Firmen weitergegeben wird; noch mehr erhoffe ich mir natürlich, dass auch Angestellte, Studenten, Freelancer und Kollegen aus dem öffentlichen Dienst und den Universitäten an einem moralischen Kompass für Archäologen mitarbeiten.
Das Chartered Institute for Archaeologists (CIfA) bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Chartered_Institute_for_Archaeologists
Sascha Piffko, M.A. MCIfA, ist Geschäftsführer und Inhaber der Fachfirma SPAU GmbH in Münzenberg (Hessen) und Beirat beim Berufsverband CIfA Deutschland.
5.3 Raimund Karl: Dreck am Spaten? Gedanken zu archäologischem Fehlverhalten
Die archäologische Fachwelt beansprucht gerne eine gewisse moralische Überlegenheit für sich, insbesondere im Vergleich mit MetallsucherInnen, AntikenhändlerInnen und PrivatsammlerInnen: Erstere bezeichnen wir gerne als RaubgräberInnen, Zweitere verdächtigen wir gerne der Hehlerei und den Dritten unterstellen wir, aus persönlicher Gier nach Kunstschätzen die Zerstörung wichtiger Kulturgüter und die Aktivitäten von Terroristen zu finanzieren. Darüber, dass unsere eigene Weste keineswegs immer blütenweiß ist, reden wir hingegen überhaupt nicht. Dabei ist das Spektrum des professionellen und rechtlichen Fehlverhaltens von professionellen ArchäologInnen bei ihrer archäologischen Tätigkeit durchaus beachtlich und bedenklich.
Persönlichem oder nationalistischem Ehrgeiz geschuldete Befund(ver)fälschungen, ob sie nun wie z. B. jene durch Eliseo Gil oder dessen Mittäter zu einer Verurteilung führen oder wie jene von James Mellaart nur jahrzehntelang die Fachwelt narren (z. B. Zangger 2018), sind dabei nur die (noch dazu meist relativ harmlose) Spitze des Eisbergs. Diese werden allerdings noch am ehesten diskutiert: Immerhin schädigen solche Verfehlungen den Gegenstand unseres Forschungsinteresses und treffen viele von uns daher auch emotional. Dass es sich dabei allerdings oft auch um Betrugsdelikte handelt, durch die potenziell auch Dritte (darunter andere ArchäologInnen, deren Forschungsprojekte eventuell zum Vorteil der Projekte des Betrügers nicht finanziert wurden) wirtschaftlich geschädigt wurden, beschäftigt die Fachwelt schon kaum mehr.
Betrug ist auch in der deutschen archäologischen Denkmalpflege nicht ungehört, auch wenn es dabei – wenigstens soweit es Fälle betrifft, die vor Gericht gelandet sind – eher um Sozialabgabenbetrug denn um wissenschaftlichen Betrug geht. So hat z. B. das bayerische Landesamt für Denkmalpflege für längere Zeit wissenschaftliche Mitarbeiter weiter auf Werkvertragsbasis beschäftigt, obwohl bereits durch arbeitsgerichtliche Urteile festgestellt worden war, dass dies rechtswidrig war und damit Sozialabgaben hinterzogen wurden (siehe dazu z. B. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. September 2013, Az. 10 AZR 282/12). Sozialabgabenbetrug findet man aber nicht nur an Ämtern, sondern ebenso in der archäologischen Privatwirtschaft (siehe z. B. der "Archäologen-Prozess" von Ingolstadt). Man sollte sich daher die Frage stellen, inwieweit nicht illegale Scheinselbstständigkeit im Bereich der praktischen archäologischen Denkmalpflege ein erschreckend weit verbreitetes Phänomen ist.
Überhaupt scheint im Bereich des Kulturgüterschutzes rechtlich bei Weitem nicht alles so in Ordnung zu sein, wie man glauben würde (siehe z. B. Karl 2020). In Extremfällen scheinen KollegInnen sogar vor Erpressung und versuchtem Raub (unter Missbrauch der Staatsgewalt) nicht zurückzuschrecken. Dass es manchmal auch Denkmalämter mit dem (geistigen) Eigentum Dritter – selbst wenn es sich dabei um KollegInnen handelt – nicht so genau genommen und sich ihnen nicht zustehende Verwertungsrechte anzueignen versucht haben, kann als bekannt vorausgesetzt werden, wurde aber bislang auch praktisch überhaupt nicht diskutiert.
Schließlich ist auch noch die selektive Nichtverfolgung von Ordnungswidrigkeiten oder gar Straftaten gegen denkmalschutzrechtliche Bestimmungen oder Bescheidauflagen (wie z. B. Berichtspflichten über die Ergebnisse genehmigter Feldforschungen) durch "KollegInnen" bedenklich, während fachlichen Laien für die "Unterschlagung" von Münzen aus dem 20. Jahrhundert das Strafgesetzbuch an den Kopf geworfen wird.
Das alles weist darauf hin, dass bei manchen KollegInnen das Rechtsempfinden nicht ganz so entwickelt ist, wie man es sich wünschen würde. Eine vermehrte innerfachliche Diskussion und Aufarbeitung des Drecks, den unser Fach bzw. wenigstens einige seiner (teilweise auch prominenteren) VertreterInnen am Stecken haben, wäre daher durchaus angebracht.
"Eliseo Gil: Archäologe zu zwei Jahren Haft verurteilt" (Wochenblatt, 8.8.2020): https://www.wochenblatt.es/es/spanien/archaeologe-zu-zwei-jahren-haft-verurteilt/
Zangger, E. 2018. James Mellaart's Fantasies. Talanta – Proceedings of the Dutch Archaeological and Historical Society 50, 125-182 (https://www.academia.edu/40182290/James_Mellaart_s_Fantasies).
"Egon Greipl: Früherer Landeskonservator muss Bayern 730 000 Euro zahlen" (Süddeutsche, 21.1.2019): https://www.sueddeutsche.de/bayern/gerichtsurteil-frueherer-landeskonservator-muss-bayern-730-000-euro-zahlen-1.4296876
Ingolstadt: "'Nebelbomben' am Amtsgericht: Archäologen-Prozess endet mit Haftstrafen und Diskussionen um den Umgangston im Gerichtssaal" (Donaukurier, 29.5.2017): https://www.donaukurier.de/lokales/ingolstadt/Ingolstadt-wochennl222017-Nebelbomben-am-Amtsgericht;art599,3402674
Karl, R. 2020. Kulturgüterschutz und Rechtsmissbrauch. Archäologische Denkmalpflege 3, 30-85 (https://www.academia.edu/42137243/Kulturg%C3%BCterschutz_und_Rechtsmissbrauch_Arch%C3%A4ologische_Denkmalpflege_3_2020_30_85).
Prof. emer. PD Mag. Dr. Raimund Karl FSA FSAScot MCIfA ist Sekretär des Committee on the Teaching and Training of Archaeologists der European Association of Archaeologists (EAA), Professor emeritus für Archäologie und Denkmalpflege, Bangor University (UK), und Privatdozent für keltische Altertumskunde, Universität Wien.
6 Forschung
6.1 Karin Sczech und Andreas Lehnertz: Die Frage nach jüdischer Sachkultur – eine interdisziplinäre Herausforderung
Die Archäologie beschäftigt sich in den vergangenen Jahren verstärkt mit dem jüdischen Leben im Mittelalter. Anlass waren archäologische Grabungen in mehreren Städten (z. B. Köln, Regensburg, Erfurt, Berlin) und damit verbundene Neuentdeckungen nicht nur von Kultbauten und Einzelfunden, sondern größere Untersuchungen mittelalterlicher jüdischer Viertel. Allerdings fällt in Mitteleuropa die Zuordnung archäologischer Funde und Befunde aus dem Mittelalter in einen eindeutig jüdischen Kontext oft schwer. Grund ist die weitgehende Teilhabe von Juden an der christlich geprägten Kultur der Mehrheitsgesellschaft – sie trugen die gleichen Kleider und den gleichen Schmuck, nutzten das gleiche Geschirr und lebten in den gleichen Häusern mit der gleichen Einrichtung und Ausstattung. Die Forschung spricht deshalb auch von der "shared culture" beider Gruppen (Ivan Marcus). Allein wenn es sich um spezielle Objekte oder Monumente handelt, die eindeutig jüdischen Ritualen oder Funktionen innerhalb der Gemeinde zuzuordnen sind, ist eine Zuweisung möglich. Bei Gebäuden wie Synagogen oder Mikwen fällt eine Zuordnung in einen jüdischen Kontext noch vergleichsweise leicht, bei der Sachkultur wird es jedoch schwieriger: Rituelle Objekte sind im mittelalterlichen Judentum ausgesprochen selten. Mit bestimmten Ritualen verbundene Objekte, wie beispielsweise Sederteller für das Pessachfest oder speziell gekennzeichnete Schabbatbecher, kennen wir erst aus der Neuzeit. Im Mittelalter wurden dagegen zumeist profane Gegenstände von Juden zu rituellen Zwecken umgewidmet. Hierzu konnten auch von Christen hergestellte Objekte gekoschert, das heißt rituell gereinigt und damit brauchbar werden. Gegenstände dieser Art zu identifizieren, ist schlicht unmöglich. Nur ganz wenige Objekte mit typischen Formen, wie beispielsweise die achtflammigen Chanukkalampen oder Hochzeitsringe, können eindeutig einem jüdischen Kontext zugeordnet werden. Gerade hiervon aber kennen wir nur sehr wenige Exemplare aus dem Mittelalter – die meisten allerdings aus archäologischem Kontext. Hochzeitsringe weisen neben ihrer typischen Häuschen-Form ein weiteres Merkmal auf, das sie eindeutig in einen jüdischen Zusammenhang setzt: sie besitzen eine hebräische Inschrift. Diese ist natürlich in jedem Fall ein eindeutiger Marker, um Objekte ihren jüdischen Eigentümern oder Nutzern zuzuordnen.
Die Funde, die bei Grabungen in jüdischen Quartieren entdeckt werden, unterscheiden sich jedoch zum allergrößten Teil nicht von denen aus nichtjüdischem Kontext. Und da die meisten mittelalterlichen Quartiere nicht ausschließlich von Juden bewohnt wurden, ist eine Zuordnung der Objekte kaum möglich. Das momentan spannendste Beispiel sind daher die langjährigen Grabungen in Köln. Ein Teil des jüdischen Viertels blieb hier unter dem Zerstörungshorizont des Pogroms vom August 1349 quasi für Jahrhunderte versiegelt. Hinzu kommt die hervorragende Überlieferung von Schriftquellen, die in diesem Umfang für keine andere Stadt zur Verfügung stehen. Dadurch können bestimmte Häuser jüdischen Besitzern zugeordnet werden. Durch diese eindeutige Zuweisung können nun – nicht nur für Köln – neue Fragestellungen entwickelt werden. So ist es beispielsweise möglich, handwerkliche Tätigkeiten zu identifizieren, die bislang nicht mit Juden in Verbindung gebracht wurden. Das gängige stereotype Bild von den Juden in Aschkenas, die nur in Handel, Geldverleih und Pfandwesen tätig gewesen sein sollen, wird so infrage gestellt.
Damit können archäologische Untersuchungen in ehemaligen jüdischen Quartieren einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Sachkultur leisten und unser Verständnis vom jüdischen Leben um wichtige Aspekte erweitern. Neben der in der Mittelalterarchäologie selbstverständlichen Zusammenarbeit mit Historikern spielen Judaisten, die ebenfalls die historischen und lokalen Entwicklungen im Blick haben müssen, bei den Untersuchungen eine wichtige Rolle. Viel stärker als in der Archäologie ohnehin sind daher Netzwerke notwendig, bei denen diese speziellen Fragen überregional und interdisziplinär diskutiert werden können.
Karin Sczech ist Mittelalterarchäologin und nach 20 Jahren als Referentin beim Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Thüringen seit dem vergangenen Jahr Beauftragte für die UNESCO-Bewerbung der Stadt Erfurt mit ihrem mittelalterlichen jüdischen Erbe.
Andreas Lehnertz ist Historiker und PostDoc in der Martin Buber Society of Fellows an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Er schreibt derzeit sein zweites Buch zum Thema "Jüdische Handwerksleute im mittelalterlichen Reichsgebiet".
6.2 Eileen Eckmeier, Renate Gerlach und Mechthild Klamm: Archäologie und Boden? Da geht noch was!
Eigentlich hat die Archäologie einen ganz engen Bezug zum Boden, befinden sich doch die allermeisten archäologischen Befunde und Funde in demselben. Der Boden selbst – ob als Verfüllung im Befund oder "drumherum" – stellt ein hoch bedeutendes Archiv für die Archäologie dar.
Oft sind nur noch Verfärbungen im Boden die einzigen noch interpretierbaren archäologischen Relikte. Die bei oder in einem archäologischen Befund erkennbaren Bodenbildungsphänomene sowie die Laboranalyse von Bodenbestandteilen ermöglichen weitreichende Aussagen bei der Deutung eines archäologischen Befundes oder Fundes. Archäologische Bodenreste geben Hinweise auf das ehemalige Nutzungspotenzial und sind wiederum selbst durch die Nutzung verändert worden. Archäologisches Bodenmaterial ist daher genauso ein Artefakt wie z. B. Keramik.
Die Einwirkung des Menschen auf den Erdboden und die dadurch bewirkten Veränderungen, sei es durch frühere Bewirtschaftungsformen (bspw. Brandwirtschaft, "celtic fields", Plaggenesche), sei es durch das Auslösen von Bodenveränderungen, wie Erosionsprozesse, Bodenaufträge und/oder bodenchemische An- und Abreicherungen, haben teils erhebliche Auswirkungen auf die archäologische Befundsituation, die durch das Beachten der bodenkundlichen Prozesse besser erklärbar sind.
Häufig wird aber in der Archäologie der Erdboden nur als Umverpackung der archäologischen Befunde oder Funde (inklusive organischer Reste) angesehen. Dessen vielfältige und hilfreiche Aussagemöglichkeiten können oftmals nicht erkannt werden, da das nötige Wissen fehlt. Das mag durchaus damit zusammenhängen, dass sich die Archäologie als Geisteswissenschaft versteht und im Studium die Möglichkeit der Beschäftigung mit Naturwissenschaften, zu denen auch die bodenkundliche Forschung zählt, oftmals nicht angeboten und/oder wahrgenommen wird. Dabei sollte das Wissen um den Boden eigentlich zur Basis-Expertise auf Ausgrabungen zählen, stehen diese doch am Beginn der wissenschaftlichen Wertschöpfungskette; was da versäumt wird, ist verloren. Es geht also letztlich auch um Qualitätsstandards.
Daher hat sich die 2010 gegründete AG Boden und Archäologie das Ziel gesetzt, die beiden Wissenschaften näher zusammenzubringen, und bietet ein Forum des Austauschs. Im Rahmen von Grabungsbesuchen werden z. B. vor Ort archäologische und bodenkundliche Phänomene vorgestellt und zusammen mit allen Teilnehmern erörtert. Damit verbunden ist die Hoffnung, dass die archäologische Bodenkunde generell stärker bei den archäologischen Aktivitäten und vor allem auch in der eigenen Ausbildung mehr Berücksichtigung finden sollte. Wir sind der Überzeugung, dass es sinnvoll ist, wenn die Archäologie ihre eigenen "Boden-Experten" ausbildet. Archäologische Bodenkunde sollte also ein Bestandteil des Studiums sein, denn bodenkundliche Expertise ist immer ein Gewinn für die Archäologie und für die umfassende Bewertung von Grabungsbefunden.
Wir meinen, dass man – sehr gerne zusammen mit den Mitgliedern der DGUF – auf diesem Feld noch mehr bewegen kann. Da geht noch was!
Arbeitsgruppe Boden und Archäologie (Deutsche Bodenkundliche Gesellschaft): https://www.dbges.de/de/arbeitsgruppen/boden-und-archaeologie
Prof. Dr. Eileen Eckmeier (
6.3 Peter W. van den Broeke: Turning building deposits into closing deposits
Since long we are familiar with building deposits (Bauopfer) in structures from prehistoric and more recent periods in the greater part of Europe. Recently it has become clear that in the Netherlands closing deposits have been even more "popular", or are at least more recognizable. Not only are they manifest by deposits of secondarily burnt pottery filling-up post-pipes. In some contexts even a single sherd with such firing characteristics may be considered "suspect". Moreover, "rubbish-pits" with a dominance of secondarily burnt inventories and also house floors peppered with burnt artifacts deserve more attention in this respect. Current data suggest that also single pots, unaffected by fire, have been deposited in post-pipes after removal of the posts. This also pertains to a set of vessels standing in a post-pipe of a native-Roman house at Wijster, formerly considered a building deposit. Therefore it is time for a reappraisal – on a European scale – of the data set of objects for which a role as a building deposit was formerly taken for granted.
Dr. Peter W. van den Broeke
6.4 Andrea Zeeb-Lanz: Sekundärbestattung – Zur Überprüfung eines inflationär verwendeten Begriffs
Der Ausdruck "Sekundärbestattung" wird in der prähistorischen Archäologie oft und gerne verwendet, wenn es um Funde von Menschenknochen geht. Dabei handelt es sich dann in der Regel um Skelett-Elemente, die nicht mehr im originalen Verbund vorliegen, also keine reguläre Bestattungshaltung aufweisen; die Knochen sind entweder scheinbar wahllos im Befund verteilt, ohne dass z. B. die Langknochen der Arme noch in der ursprünglichen Stellung im Verhältnis zu Hand- und Fingerknochen liegen, oder ohne dass die Rippen noch im Brustkorbbereich zu finden sind oder der Schädel oben abschließend auf dem letzten Halswirbel ruht. Häufig repräsentieren auch als "Sekundärbestattung" ausgewiesene Befunde nur noch einen Teil der Knochen eines menschlichen Skeletts oder sogar nur isolierte Knochen, Schädel oder Schädelteile.
In vielen Grabungsvorberichten, aber durchaus auch ausführlicheren Publikationen werden menschliche Skelettfunde der oben beschriebenen Arten – und die Aufzählung ließe sich sicherlich um einiges erweitern – als "Sekundärbestattung" bezeichnet, ohne dass näher ausgeführt wird, worauf im Einzelnen diese Klassifizierung beruht. So wie man noch bis vor nicht allzu langer Zeit menschliche Skelettfunde, die in ungewöhnlicher Haltung in Gruben mit Abfallbehältercharakter, Silogruben oder ähnlichen, nicht grabgrubenartigen Befunden lagen, gerne als "Verlochungen" bezeichnete und ihnen ohne nähere Definition und Begründung einen Status als Bestattung absprach, so ist bis heute die Verwendung des Begriffs "Sekundärbestattung" ohne weitere Reflexion der taphonomischen Begleitumstände als geradezu inflationär zu bezeichnen.
Sicherlich trifft es auf eine ganze Reihe der als Sekundärbestattung beschriebenen Befunde sogar zu, dass die darin enthaltenen menschlichen Überreste einen mehrstufigen Prozess durchlaufen haben, bis sie in den Zustand gelangten, in dem sie der Archäologe hunderte oder gar tausende von Jahren später vorfindet. Dennoch ist es dringend an der Zeit, den in der Archäologie allzu freigiebig verwendeten Begriff "Sekundärbestattung" einmal auf "Herz und Nieren" zu prüfen. Es gibt viele ungeklärte Fragen, die sich um diesen Begriff ranken. Und es bedürfte eines ganzen theoretischen und methodischen Kataloges, um eindeutige Kriterien festzulegen, die dazu führen sollten, dass viele verschiedene Archäologen mit gleicher Zunge sprächen, wenn sie den Ausdruck "Sekundärbestattung" verwenden würden.
Die reine Definition des Begriffs ist einfach: Jede Bestattung, die in irgendeiner Weise mehrere Behandlungsstufen oder aufeinanderfolgende Aufenthaltsorte des menschlichen Leichnams aufweist, bevor er an seinem letztlichen Ruheort zu liegen kommt, gehört in die Kategorie der Sekundärbestattung. Aber auf dem Wege zum letzten Ruheort können Körperteile bzw. Skelett-Elemente auch unterschiedliche Behandlungen durchlaufen, sodass am Ende nur Teile des Individuums in dem als Grab anzusehenden Befund zu liegen kommen. Es ist aber nicht damit getan, jedem menschlichen Einzelknochen oder Knochenkonglomerat sowie jedem Skelett, das Besonderheiten aufweist, die es von "regulären" Begrabenen unterscheidet, kurzerhand mit dem Prädikat "sekundär bestattet" zu versehen. Denn es kann die unterschiedlichsten Gründe haben, warum isolierte Knochen oder einzelne Skelettelemente in einem Befund vorhanden sind, oder warum ein menschliches Individuum im Tod eine uns merkwürdig anmutende Haltung einnimmt. Daher braucht es dringend verbindlicher Definitions- und Anhaltspunkte, anhand derer ein Individuum als sekundär bestattet bezeichnet werden darf. Methodisch-theoretische Ansätze zur Einbeziehung soziokultureller Gesichtspunkte ebenso wie verschiedene taphonomische Aspekte sind bei der Einordnung einer Bestattung als sekundär oder in mehreren Schritten begraben zu berücksichtigen. Erst wenn wir uns auf einen möglichst klaren und einheitlichen Kriterienkatalog geeinigt haben, kann die Interpretation eines Befundes als Sekundärbestattung auf festem Grund und Boden stehen.
Es ist hier natürlich keinesfalls der Ort, um einen derartigen Katalog aufzubauen oder auch nur auszugsweise vorzuschlagen. Vielmehr soll dieser kurze Beitrag als gedanklicher Anstoß wirken, einen wichtigen Begriff, der in der Archäologie zurzeit noch eine zu weit gefasste und unklare Verwendung findet, unter die Lupe zu nehmen und diesen Begriff und seine geistigen und kulturellen Hintergründe genauer und klarer zu definieren. Vielleicht könnte so eine ganze Reihe an Befunden, die ohne weitere Erläuterung in die Schublade "Sekundärbestattung" geschoben wurden, neu untersucht, besser erklärt und ggf. auch anders interpretiert werden.
Dr. Andrea Zeeb-Lanz, Archäologin (Forschungsprojekte Neolithikum RLP). Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Direktion Landesarchäologie
6.5 Volker Arnold: "Celtic Fields" – vormittelalterliche Beackerungsspuren: Stiefkinder der (deutschen) Archäologie?
Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts ist die Existenz urgeschichtlicher Ackerspuren unter dem unschönen, aber international verstandenen Begriff "Celtic Fields" in Teilen Niedersachsens und dem Nordosten Schleswig-Holsteins unumstritten und in einigen älteren Arbeiten publiziert.
Die Fülle von überwiegend hochgenauen Geländemodellen, die auf dem Wege sich immer mehr verfeinernder Laserdaten über die Archäologie hereingebrochen ist, hat den Umfang der gefundenen Flurrelikte ungemein erweitert, jedenfalls soweit Verf. sie durchgesehen konnte. So liegen inzwischen aus Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, dem Rheinland, Bayern, Polen und dem Böhmischen Becken zahlreiche vergleichbare Spuren vor, die sich ganz überwiegend in Wäldern erhalten konnten.
Celtic Fields haben, abgesehen von Ausnahmen und bestimmten Leit- und Grenzwällen, erst durch mehrhundertjährige Ackerbewirtschaftung mit dem Ard, einem Hakenpflug, in der Regel seit etwa 1000 v. Chr. ihre schwachen, aber noch heute erkennbaren Parzellengrenzraine ausgebildet. Abhängig von der Geländebeschaffenheit, der Hanglage und den Wasserverhältnissen bildeten sich reguläre, terrassierte oder chaotische Systeme aus, die vor Ort gerade bei ungünstigen Bewuchsverhältnissen oft nicht oder kaum erkennbar sind. Ein häufigeres Brachfallen einzelner Parzellen und ihre Nutzung als Weideland ist anzunehmen, dürfte aber deren Erscheinungsform kaum geändert haben. Solange die erhaltenen (schwachen) Spuren aber undatiert sind, ist zu bedenken, dass sie prinzipiell seit der Einführung des Ards entstanden sein können, falls die Felder nicht nur wenige Jahre oder Jahrzehnte, sondern jahrhundertelang in den gleichen Grenzen bewirtschaftet wurden. So gibt es aus Schleswig-Holstein und Polen begründete Verdachtsfälle für älterbronzezeitliche "Celtic Fields". Und wer weiß, dass vor den Toren Münchens, Frankfurts, Hamburgs und Rostocks riesige Gebiete mit entsprechenden Spuren erhalten sind, bei München sogar auf 10 km2 und einwandfrei geschnitten von einer Römerstraße?
"Celtic Fields" setzen im Norden die zumindest winterliche Stallhaltung des Viehs und den damit verbundenen Düngerauftrag auf die Felder voraus, offenbar ergänzt durch den Auftrag weiteren, anderswo entnommenen Bodenmaterials. Dort gelangten mit dem Dung auch stark zerkleinerte Hausabfälle regelhaft in die Parzellen und sind in den Rainen in Form von Holzkohle und Scherbenbruch oft leicht zu finden. Spätestens im Frühmittelalter setzten sich dann andere Bewirtschaftungsformen wie Langstreifenfluren oder Wölbbeete durch, deren Spuren noch viel häufiger erhalten sind – denen gilt aber dieser Aufruf nicht.
Während in Nachbarländern wie den Niederlanden, Belgien oder Dänemark wenigstens von einzelnen Kolleg*innen jüngst hochrangige Forschungsergebnisse zu den "Celtic Fields" vorgelegt wurden, ist der Forschungsstand in Deutschland erbärmlich veraltet, Detailuntersuchungen und Datierungen fehlen weitestgehend oder sind überholt, und selbst vielen Facharchäologen sind die Spuren nicht einmal ansatzweise bekannt. Dazu trägt natürlich bei, dass man immer noch nur teilweise die Daten frei einsehen kann. Vorbildlich werden die Daten von Sachsen und Nordrhein-Westfalen zur Verfügung gestellt, man kann sie in voller Qualität einsehen und frei herunterladen. Auch Brandenburg gestattet freien Download bei allerdings durch sehr geringen Kontrast eingeschränkter Einsehbarkeit. Freien Datendownload bieten auch Hamburg und Thüringen, wo eine Vorabeinsicht der Daten allerdings nicht möglich ist. In Bayern können die Daten in ziemlich kontrastarmer Form eingesehen werden, sind aber nur gegen kräftiges Entgelt online zu erwerben, allerdings beschränkt sich der Preis auf die tatsächlich angeforderten Flächen. In allen übrigen Bundesländern gibt es (bis auf Hessen) keine oder unzureichende (Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg) Dateneinsicht; es muss jeder angefangene Quadratkilometer bezahlt werden und die Möglichkeiten der Online-Bestellung sind oft noch unterirdisch. Immerhin gewährt Rheinland-Pfalz einen erheblichen Forschungsrabatt.
Im Normalfall stellen die Vermessungsämter die Daten der Bodendenkmalpflege zur Verfügung, denen aber eine Weitergabe strikt untersagt ist. Oft sind Kolleg*innen damit betraut, sie systematisch auf mögliche Kulturdenkmale hin durchzusehen, aber auch dort scheint zu gelten, dass man nicht sieht, was man nicht kennt. Die Reaktion der Bodendenkmalpflege auf Befunde des Autors sind im Allgemeinen, vorsichtig ausgedrückt, sehr verhalten bis teilweise ablehnend. Da wäre bei aller Skepsis mehr Offenheit angebracht, auch wenn die Befunde für die Bodendenkmalpflege lästig sind, immerhin sind es die flächengrößten vermutlich urgeschichtlichen Bodendenkmale – und sie sind nachweislich zunehmend durch Großgeräteeinsatz in der Forstindustrie gefährdet. Verf. wünscht sich sowohl verstärkte Forschung wie auch mal die Präsentation der Ergebnisse z. B. in Museen und hält es mit Dieter Lenzen, Präsident der Uni Hamburg: "Es ist besser, eine unsichere Hypothese zur Diskussion zu bringen, als eine am Ende richtige verschwiegen zu haben."
Website von Volker Arnold "'Celtic Fields' – Stiefkinder der Archäologie": http://www.celtic-fields.com
Volker Arnold: "Menschliche Spuren im Geländerelief von der Urgeschichte bis in die frühe Neuzeit im Kreis Herzogtum Lauenburg" (2020): https://www.academia.edu/44344025/Menschliche_Spuren_im_Gel%C3%A4nderelief_von_der_Urgeschichte_bis_in_die_fr%C3%BChe_Neuzeit_im_Kreis_Herzogtum_Lauenburg
Volker Arnold: "Älter als die Römer: bisher übersehene Spuren einstiger Beackerung unter bayerischen Wäldern" (2020): https://www.academia.edu/44343972/%C3%84lter_als_die_R%C3%B6mer_bisher_%C3%BCbersehene_Spuren_einstiger_Beackerung_unter_bayerischen_W%C3%A4ldern
Dr. Volker Arnold, Heide
6.6 Stefan Hesse: Unsichtbare Regionen
Die folgenden Ausführungen beziehen sich oftmals auf das Bundesland Niedersachsen, können aber in vielen Teilen auch auf andere Regionen übertragen werden.
Niedersachsen wirbt mit dem Slogan "Land der Regionen", was sowohl die landschaftliche als auch die geschichtliche Vielfalt verdeutlichen soll. Diese Wertschätzung der Region ist in zahlreichen Bundesländern mehr oder minder ausgeprägt vorhanden. Für Niedersachsen gilt dies auch für die Organisationsstruktur der Bodendenkmalpflege. Viele Städte, Landkreise oder Landschaften unterhalten eine archäologische Dienststelle. Dort und in vielen regionalgeschichtlichen Museen wird Detailwissen von Sammlern, Heimatforschern, Sondengängern und Hobbyarchäologen über Funde und Fundstellen seit Jahrzehnten gebündelt sowie Objekte mancherorts seit über hundert Jahren gesammelt. Dieser regionale Wissensspeicher wird aber leider bei überregionalen wissenschaftlichen Arbeiten bzw. Ausstellungen nicht immer oder nur in Teilen berücksichtigt. Ein Phänomen, das sich nicht nur auf die Archäologie beschränkt, sondern in graduellen Abstufungen auch auf andere Geschichtswissenschaften übertragen werden kann.
Neben dieser Minderbeachtung regionaler Forschung ist weiterhin zu beobachten, dass sich bei einigen Forschungsinstitutionen Vorranggebiete abzeichnen, die nicht primär durch das Ziel der wissenschaftlichen Erkenntnis, sondern durch andere Faktoren bestimmt sind. Dies wird weniger an den größeren Projekten, sondern vor allem bei der regionalen Schwerpunktsetzung der universitären Abschlussarbeiten deutlich (hier ist auf die aufschlussreiche Zusammenstellung der Lehrveranstaltungen und Abschlussarbeiten durch die Universität Bonn hinzuweisen). Es entstehen somit räumlich oder strukturell "universitätsferne" Regionen. In Niedersachsen kann dieses Phänomen in der Archäologie in Teilen (aber nicht in Gänze) durch kommunale Dienststellen kompensiert werden. Dann greift aber z. T. die oben beschriebene Problematik.
Die geringe Beachtung regionaler Forschung ist wohl in großen Teilen darauf zurückzuführen, dass viele Ergebnisse nur regional veröffentlicht werden – typischerweise in regionalgeschichtlichen Jahrbüchern, die nicht in allen archäologischen Dienststellen verbreitet bzw. bekannt sind. Hinzu kommt, dass auch das Wissen um entsprechende Artikel nicht unbedingt über die großen Bibliothekskataloge oder Publikationsportale erschlossen ist. Manchmal scheint es aber wiederum gerade die Flut an Daten und Publikationen zu sein, die es durchaus attraktiver erscheinen lassen, auf (zumeist ältere) zusammenfassende Werke zurückzugreifen, als in mühsamer Kleinarbeit weit verstreute Einzelartikel zu berücksichtigen. Aus dem Gesichtspunkt der zumeist zeitlich stark begrenzten Forschungsprojekte oder Abschlussarbeiten ist dies durchaus verständlich. Natürlich ist ebenso zu berücksichtigen, dass je größer der Betrachtungsrahmen der Studien gewählt ist, umso weniger die Hauptaussagen durch eine Minderberücksichtigung vereinzelter Regionen abgeschwächt werden. Dennoch bleibt das ärgerliche und vermeidbare Defizit, nicht den tatsächlich vorhandenen Forschungsstand widerzuspiegeln.
Es wäre zu einfach, hier nun ein breiteres und tieferes Recherchieren der jeweiligen Wissenschaftler zu fordern – auch wenn ein Mangel im Einzelfall festzustellen ist. Ebenso wäre die Forderung nach einer generellen Erstpublikation in überregionalen Medien eine Abwertung der vielschichtigen regionalen Publikationslandschaft. Vielmehr muss die vorhandene Information sichtbarer gemacht werden. Regionale oder landesweite Fundchroniken sind dafür hilfreich, aber bisweilen unübersichtlich. Schneller und einfacher geht dies über Online-Datenbanken. Die zentrale niedersächsische Fundstellendatenbank ADABweb ist nicht öffentlich zugänglich und besitzt eine recht heterogene Datenqualität, sodass die Gefahr besteht, die Intensität regionaler Datenerfassung und nicht archäologisches Wissen zu filtern. Ein Blick auf das Kulturerbe Niedersachsen (www.kulturerbe.niedersachsen.de) oder die Deutsche Digitale Bibliothek (www.deutsche-digitale-bibliothek.de) zeigt weiterhin, dass öffentliche Datenbanken zu wenig von der Archäologie genutzt werden (sowohl als Datengeber als auch als Datennehmer). Im Kulturerbe sind neben den Landesmuseen und dem Landesamt lediglich sieben regionale Datengeber mit archäologischen Datensätzen vertreten. Die Abfrage nach dem Stichwort "Absatzbeil" brachte in der bundesweiten DDB nur sieben Treffer! Gerade in Zeiten, in denen die Pandemie die Digitalisierung der Gesellschaft verstärkt in den Fokus bringt, muss auch die Archäologie ihre Erkenntnisse in ihrer ganzen regionalen Breite weiter streuen; sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Bereich der Wissenschaft. Gute Ansätze sind vorhanden, sollten aber noch verstärkt und ausgebaut werden. Notwendig wären mehr Förderprogramme im Bereich Digitalisierung, wie etwa jüngst im Rahmen von "Neustart Kultur" bei der DDB oder die Qualifizierung der ADAB-Daten im Rahmen des Denkmalatlas (www.denkmalatlas.niedersachsen.de).
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass auch beim Blick auf das "große Ganze" nie die Region aus dem Auge verloren werden darf, da ansonsten das Gesamtbild immer unscharf bleiben wird.
Dr. Stefan Hesse ist der Kreisarchäologe von Rotenburg (Wümme), Niedersachsen.
7 Feldarchäologie
7.1 Harald Stäuble: Ein Kommentar zum Thema: "Rettungsgrabungen / Forschungsgrabungen: Graben wir das Richtige? Graben wir zu viel Überflüssiges?"
Bei einem derartigen vorgegebenen polarisierenden und damit freilich auch provozierenden Titel müsste man vorerst definieren, was ist "das Richtige", was könnte "überflüssig" sein. Vor allem muss geklärt sein: für wen! Da man hierfür sowohl die Perspektive des Schreibenden als auch die Zielgruppe stets ändern müsste, um eine allgemeine Aussage darüber treffen zu können, müsste man schon an diesem Punkt "den Stift" zur Seite legen und sich anderen "nützlicheren" Dingen zuwenden.
Doch nehme ich den Ball auf und will auf Polemik und auch auf Gänsefüßchen verzichten, ebenso wie auf Objektivität, denn die persönliche Perspektive war gefragt, und so will ich sowohl aus der Sicht eines ehemaligen Studenten, Magistranden und Doktoranden an einer Universität als auch eines in den Beruf eines Denkmalpflegers getretenen Archäologen schreiben, der angesichts seiner konkreten Aufgabe im Referat "Großprojekte" de facto gar keine Denkmale schützen kann, sondern bloß achten muss, dass diese vor der unweigerlichen Zerstörung durch Bau oder Abbau angemessen dokumentiert werden.
Obwohl es im Zeichen der Zeit steht, sich von strikt binären Systemen zu verabschieden, will ich hier mit der im Titel verankerten vermeintlichen Dichotomie Rettungs-/Forschungsgrabungen beginnen. Doch nicht das Entweder/Oder bringt uns weiter, sondern – wie so oft – das Sowohl/Als auch, denn ohne das Eine geht das Andere auch nicht.
Schon früh musste ich im Rahmen eines von der DFG geförderten Forschungsprojektes an der Universität Frankfurt/Main, an dem ich seinerzeit als Student beteiligt war, erkennen, dass die Auswahl der jährlichen Grabungsflächen nach den zu jenem Zeitpunkt gültigen wissenschaftlichen Kriterien getroffen wurde und man dabei oftmals danebenlag. Das hat mehrere Gründe, die zumindest Feldarchäologen aus dem Stand aufzählen könnten. Das soll hier allerdings nicht thematisiert werden. Zeitgleich hatte die Denkmalpflege ein großes Bauprojekt zu betreuen, in dem zufallsbedingt eine fast idealtypische Siedlung der im Forschungsprojekt untersuchten Kultur großflächig untersucht werden musste. Solche Situationen sind keine Einzelfälle, sondern treten regelhaft auf.
Ausgrabungs- und Dokumentationsmethoden waren hüben wie drüben sicherlich auf der Höhe der Zeit. Dennoch gestaltete sich die Befundauswertung der vielen kleinen Grabungsflächen als schwierig, auch wenn in der Addition der Kampagnen mehrere kleine zu solch‘ Schwindel erregend großen Grabungsflächen von bis zu 7500 m2 zusammenkamen und halbwegs vollständige Siedlungsstrukturen zeigten. Die Probleme bei der Auswertung der Bruchstücke potenzierten sich förmlich mit der Anzahl der Kampagnen, was vor allem an den zeitlichen und personellen Voraussetzungen lag: ständig wechselndes studentisches Personal und die Untersuchung von Befundfragmenten über mehrere Kampagnen hinweg. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: auch bei denkmalpflegerisch bedingten "Rettungsgrabungen" hat man durchaus ähnliche Probleme zu bewältigen – wenngleich meist in einem anderen Maßstab. Das betrifft insbesondere große, über das gesamte Jahr dauernde bzw. über mehrere Jahre durchgehend stattfindende Großprojekte, zu denen sich gelegentlich auch noch andere behindernde Faktoren, wie das Wetter (Stichwort Wintergrabung) gesellen. Die Qualität der Arbeit von meist fachfremden, aber seit Jahrzehnten im Fach Arbeitenden und studentischen Mitarbeiter:innen gegenüberzustellen, verbietet sich ebenso, weil stets Einzelfälle das Pendel in beide Richtungen ausschlagen lassen.
Insoweit gibt es aus heutiger und persönlicher Sicht keinen Grund, eine Trennlinie zwischen Forschungs- und Rettungsgrabung zu ziehen oder gar einen Gegensatz zu sehen. Schließlich kann auch eine Ausgrabung zur Rettung bekannter bzw. vor allem der unbekannten archäologischen Denkmäler, die meist besser erhalten sind, die Kriterien einer Forschungsgrabung durchaus erfüllen, gelegentlich sogar übertreffen, was an den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln liegen kann. Bisweilen mag sich die Auswertung unterscheiden, manchmal auch die Schnelligkeit der Publikation. Diese Unterschiede sind jedoch nicht systemischen Charakters, sondern situationsbedingt. "Rettungsgrabung" als Terminus technicus impliziert daher nicht per se ein minderes Qualitätssiegel, sondern gibt lediglich den Grund der Tätigkeit wieder und sollte daher auch besser mit einer unverfänglicheren "denkmalpflegerisch bedingten Ausgrabung" ersetzt werden.
Ein potenzieller Unterschied bleibt somit nur in der Zielsetzung bestehen. Forschungsprojekte können oder müssen sich auf das beantragte Thema konzentrieren. Dabei muss man sich zwar auf einzelne kleinräumige Aspekte einschränken, kann diese dafür im Detail untersuchen. Inwieweit allerdings ein bestenfalls mosaikhaft angelegtes Untersuchungsraster mit Teilausschnitten eines Befundes, eines Hauses, einer Siedlung als Pars pro Toto gelten kann, sei dahingestellt. Das ist für sich schon ein interessantes wissenschaftliches Thema. Wären wir allerdings in der Forschung nur darauf angewiesen, wir müssten auf vieles verzichten und wüssten noch weniger über unsere Vorfahren. Andererseits sind auch Forschungen kleiner gezielter Ausschnitte von großen Siedlungen – falls man das "Richtige" trifft (s. o.) – mit einer (zumindest für den Zeitpunkt) wichtigen Strategie durchaus für Andere inspirierend, zeigen sie doch oftmals – wenn alle zur Verfügung stehenden Register gezogen werden – was "möglich" oder besser noch was "nötig" ist, um letztendlich die jeweiligen archäologischen Fragestellungen zu beantworten.
Bei großflächigen denkmalpflegerisch bedingten Ausgrabungen hingegen hat man ganz andere Möglichkeiten und Ziele, nämlich die Siedlungen in ihrem Umfeld so großflächig zu untersuchen, wie ansonsten nicht möglich. Dabei erfolgen dann, je nach Interesse der Zuständigen – was schließlich auch für die Universitätsforschung zutrifft –, quasi ebenso "fensterartig" im Detail Beprobungen und Analysen. Die vollständigen Siedlungsflächen derartig detailliert zu untersuchen, geht freilich nicht, das haben Hochrechnungen des dafür notwendigen Zeit- und Geldbudgets immer wieder deutlich gezeigt.
Insofern können und sollten sich die unterschiedlichen Schwerpunkte nur gegenseitig befruchten, was sie im Übrigen schon lange tun.
Soweit zum ersten Teil der Gegenüberstellung im Titel. Was den zweiten Teil betrifft, so habe ich zwar eine Diskussion über "richtig" vs. "überflüssig" abgelehnt, muss das aber dennoch begründen. Wir können nämlich a priori schlichtweg nicht sagen, was sich als "wichtig" herausstellen wird, weder heute noch in der Zukunft. Eher schon muss man darüber sprechen, was vermeidbar ist und was nicht, aber bei unvermeidbaren Eingriffen sollte man die Untersuchungen nicht auch noch nach weiteren Kriterien einschränken, die sich ebenfalls nur im Geiste der Zeit bzw. nach den persönlichen Kenntnissen wie Interessen stellen können. Denn eine weitere Binsenweisheit müssen wir noch bedenken: Der Bestand an archäologischer Materie (Funde wie Befunde) wird immer kleiner bzw. dramatischer ausgedrückt, er verschwindet zunehmend, solange man weder auf die Landwirtschaft verzichten will, noch auf Flächenversiegelungen und Flächenabbau – Optimierungen oder Reduzierungen verschaffen da sicherlich eine kurzfristige Verschnaufpause, lösen aber das Problem nicht grundsätzlich. Insoweit ist es nicht ehrenrührig und man sollte sich nicht schämen müssen, mitunter auch schon mal "nur" für das "Fundmagazin" zu arbeiten – ich wiederhole, es geht hier lediglich um unvermeidbare denkmalpflegerisch bedingte Ausgrabungen, um Flächen, die ohnehin der Zerstörung preisgegeben sind. Es gibt viele Forscher:innen, die Fundarchive – wie es richtiger heißt – schätzen, und es gibt nur wenige, die im Laufe ihres Berufslebens nicht gelegentlich auf Erkenntnisse, Fundstellen und Funde aus der ersten Hälfte des 20. oder gar aus dem 19. Jh. zurückgreifen mussten; denn sie sind da und stehen auch nach mehr als 100 Jahren zur (eventuell auch erneuten) Analyse zur Verfügung.
Was letztendlich wichtig oder gar richtig ist (auch wenn das niemals absolut gelten kann, sondern sich zeitlich ändern wird), erfährt man erst, wenn es bekannt und ausgehoben ist; was wichtig sein könnte, erst in Zukunft. Um potenziell wichtige Siedlungen, Befunde, Funde zu dokumentieren – und das gilt für jede Ausgrabung, egal in welchem Kontext man sie durchführt –, sollte es sich durchaus lohnen, auch das Risiko einzugehen, mitunter auch welche zu sichern, die eventuell niemals über einen Punkt auf der Landkarte hinauswachsen – und nicht einmal dann vollständig überflüssig sind!
Dr. Harald Stäuble ist Referatsleiter Braunkohle und lineare Bauvorhaben am Landesamt für Archäologie Sachsen. Zugleich ist er Gebietsreferent Kreis Leipzig (Altkreis Leipziger Land), Stadt Leipzig (ohne Stadtkern).
7.2 Anonymus: "Fachaufsicht" – Eine babylonische Begriffsverwirrung und gezielte Falschinformation
Regelhaft wird in den Pressemitteilungen der LWL-Archäologie (Westfalen) verbreitet, dass ausführende Fachfirmen unter der Fachaufsicht der LWL-Archäologie stünden: https://www.lwl-archaeologie.de/de/Presse/ (z. B.: 28.1.2021, 25.11.2020, 18.11.2020, 06.10.2020, 29.9.2020, 23.9.2020 usw.).
Wie ist aber das Verhältnis zwischen Fachfirmen und Landschaftsverbänden in Wirklichkeit? Die LWL-Archäologie bezeichnet sich als "unabhängiges Fachamt": https://www.lwl-archaeologie.de/de/ueber-uns/. Das DschG NRW liefert dafür in §22 die Grundlage (https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_bes_detail?sg=0&menu=0&bes_id=4488&anw_nr=2&aufgehoben=N&det_id=375879). In Absatz 3, Satz 4 werden "wissenschaftliche Ausgrabungen, Bergung und Restaurierung von Bodendenkmälern" und die "Überwachung dieser Maßnahmen" als Aufgabe der Landschaftsverbände definiert.
Die Grabungsgenehmigung (erteilt durch die Obere Denkmalbehörde) kann an Auflagen geknüpft sein (DSchG NRW §13, Absatz 3), deren Einhaltung eben überwacht wird. Das Mittel der "Fachaufsicht" greift hier allerdings gar nicht, da dies eine "Form der Überwachung der öffentlichen Verwaltung" ist, "bei der die Aufsichtsbehörde sowohl die Rechtmäßigkeit als auch die Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns überprüft." (https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/fachaufsicht-34607/version-258108). "Fachaufsicht" ist also etwas Verwaltungsinternes, ein Instrument, "um auf eine rechtmäßige Verwaltungspraxis hinzuwirken" (https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/recht-a-z/323903/rechtsaufsicht). Die Fachaufsicht der Behörden ist in DSchG NRW §20 geregelt, die "jeweils höhere übt die Fachaufsicht über die nachgeordnete Behörde aus" (https://denkmalpflege.lvr.de/de/service/zustaendigkeiten_nrw/zustaendigkeiten_denkmalpflege_und_denkmalschutz_in_nrw.html). Damit unterstehen die einzelnen Abteilungen der Landschaftsverbände der Fachaufsicht der zuständigen Ministerien (https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_bes_detail?sg=0&menu=0&bes_id=3934&anw_nr=2&aufgehoben=N&det_id=471195). Die Landschaftsverbände als Kommunalverbände üben selbst somit keine "Fachaufsicht" mehr aus, sondern "beraten und unterstützen die Gemeinden und Kreise in der Denkmalpflege und wirken fachlich bei den Entscheidungen der Denkmalbehörden mit" (DSchG NRW § 22, Absatz 2).
Wir lernen also zwei Dinge: 1. "Fachamt" hat nichts mit "Fachaufsicht" zu tun. 2. Eine "Fachaufsicht" hat außerhalb von Behörden keine Außenwirkung und daher natürlich keine Auswirkungen auf z. B. privatwirtschaftliche Firmen.
Werden nun bei der Überwachung einer Ausgrabung durch die Landschaftsverbände Verstöße gegen die Auflagen der Grabungsgenehmigung festgestellt, so ist das Prozedere, dass dies der Unteren Denkmalbehörde (die die Auflagen gestellt hat) mitgeteilt wird, die daraufhin (unter Einbezug der Beratung der Landschaftsverbände) die Obere Denkmalbehörde sogar zum Entzug der Grabungsgenehmigung auffordern kann. Diese Entscheidung fällt die Oberen Denkmalbehörde, dabei kann sie sich von den Landschaftsverbänden beraten lassen.
Die in den Pressemitteilungen des LWL kolportierte "Fachaufsicht des Landschaftsverbandes über die Grabungsfirmen" ist damit eine Falschinformation und verfolgt die Agenda, die Fachfirmen zum ausführenden, weisungsgebundenen Arm des Fachamtes zu instrumentalisieren, indem den Journalisten und der Öffentlichkeit eine "Zuständigkeit" des Landschaftsverbandes über Grabungsfirmen suggeriert wird.
Wie sehr das System hat, zeigt abschließend der Verweis auf eine kleine Untersuchung des DGUF-Newsletters vom 27.1.2020. Dabei wurden LWL-Pressemeldungen im Hinblick auf die namentliche Nennung der Firmen analysiert, welche die Ausgrabungen durchführen: Diese werden gegenüber Journalisten (und damit gegenüber der Öffentlichkeit) systematisch nicht genannt, was die Pressestelle des LWL auch einräumt. Der LWL enthält, so der DGUF-Newsletter, "Fachfirmen bewusst die ihnen zustehende öffentliche Würdigung vor, um sich selbst mit fremden Federn zu schmücken" (https://www.dguf.de/ausgaben-jan-2020-ff/archive/51-dguf-newsletter-vom-27-01-2020?userid=-&tmpl=raw#_Toc31039434).
7.3 Raimund Karl: Bearbeitungs- und Publikationsrechte an archäologischen Feldforschungsergebnissen
Ein kaum diskutiertes Problemfeld in der Archäologie sind Bearbeitungs- und Publikationsrechte an archäologischen Materialien, die bei Grabungen gewonnen wurden. Zwar liest man gelegentlich innerfachliche Forderungen bzw. ethische Selbstverpflichtungen, dass die Bearbeitungsrechte "des Ausgräbers" – gemeint ist damit gewöhnlich der Grabungsleiter – nach einer gewissen Frist erlöschen und nach Ablauf dieser Frist alle relevanten Unterlagen jedem Kollegen zur Verfügung gestellt werden sollten, der sie auswerten will (z. B. Ehrenkodex "Ethische Grundsätze für archäologische Fächer" von WSVA und DGUF; CIfA Code of Conduct, Rules 4.4-4.5). Darüber hinaus enthalten die meisten deutschsprachigen Denkmalschutzgesetze ein explizites Bearbeitungsrecht des örtlich zuständigen Denkmalamtes für bewegliche Fundgegenstände, die der gesetzlichen Fundmeldepflicht bzw. einem allfällig bestehenden staatlichen Schatzregal unterliegen. Manche Denkmalämter haben sogar in der Vergangenheit auf Basis der zuletzt genannten Bestimmungen behauptet, dass die Bearbeitungs- und Publikationsrechte an bei genehmigten archäologischen Ausgrabungen gewonnenen Funden und Dokumentationsunterlagen beim jeweiligen Denkmalamt liegen und die Ausgräber selbst Grabungsergebnisse nur mit expliziter Zustimmung der Denkmalbehörde bearbeiten und vor allem publizieren dürften. Manche Denkmalämter tun dies angeblich teilweise noch immer.
Tatsächlich unterliegen jedoch wenigstens alle Dokumentationsunterlagen, die bei archäologischen Forschungen angefertigt werden, sowohl in Deutschland als auch in Österreich vollinhaltlich den Bestimmungen des im jeweiligen Land geltenden Urheberrechtsgesetzes: In Deutschland genießen gem. § 2 Abs. 1 Z 1 UrhG alle sprachlichen wissenschaftlichen Werke, gem. Z 5 alle Lichtbildwerke und gem. Z 7 explizit auch alle Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art (wie Zeichnungen, Pläne, Karten, Skizzen, Tabellen und plastische Darstellungen) vollen urheberrechtlichen Schutz. In Österreich werden durch § 2 Abs. 1 und 3 und § 3 Abs. 1 UrhG dieselben Werke ebenfalls urheberrechtlich geschützt. Das bedeutet, dass, sofern das nicht (z. B. durch einen Dienstvertrag mit dem Arbeitgeber) vertraglich anders geregelt wurde, der tatsächliche Urheber – d. h. die natürliche Person, die durch ihre eigenständige geistige Leistung eine archäologische Dokumentationsunterlage angefertigt hat – alle Verwertungsrechte an allen von ihm angefertigten Dokumentationsunterlagen innehat. Vervielfältigungs-, Verbreitungs- und Ausstellungsrecht sowie das Recht auf öffentliche Wiedergabe sind also allesamt jeweils das (auch geldwerte!) geistige Eigentum ihres Urhebers, über die dieser willkürlich verfügen darf.
Daran ändern auch fachliche Ethikkodizes nichts; und auch denkmalrechtliche Fundbearbeitungsrechtsbestimmungen können daran nichts ändern. Selbst ein Denkmalamt kann höchstens darauf bestehen, die beweglichen Kleinfunde zur selbstständigen Bearbeitung durch seine Mitarbeiter (zeitlich befristet) einzuziehen. Letztere bzw. ihr Dienstgeber dürfen dann die Ergebnisse ihrer Bearbeitung selbstverständlich auch verwerten, d. h. die selbst bearbeiteten Funde auch veröffentlichen. Dieses Auswertungsrecht erstreckt sich jedoch nicht auf die zugehörigen Dokumentationsunterlagen, die weiterhin uneingeschränkt geschütztes geistiges Eigentum ihrer Urheber sind und die daher auch die zuständige Denkmalbehörde ohne explizite Zustimmung ihres Urhebers nicht aus- und schon gar nicht verwerten, geschweige denn öffentlich verbreiten darf.
Nachdem aber die Funde ohne die zugehörigen Dokumentationsunterlagen weitgehend bis völlig wertlos sind, bedeutet das, dass die Urheber der Dokumentationsunterlagen – d. h. die Ausgräber bzw. die Grabungsfirmen, wenn sich diese über ihre Dienstverträge die Verwertungsrechte an den dienstlichen Leistungen ihrer MitarbeiterInnen gesichert haben – am längeren Hebel sitzen. Haben sie die beweglichen Kleinfunde auch zeichnerisch bzw. fotografisch dokumentiert, können sie die Ergebnisse ihrer Grabungen selbst wissenschaftlich auswerten und ihre Ergebnisse auch frei veröffentlichen, wie es ihnen gefällt, ohne irgendwen (auch nicht das örtlich zuständige Denkmalamt) um Erlaubnis fragen zu müssen.
Zwar können die Verwertungsrechte vom Urheber an Dritte vertraglich übertragen werden. Diese Übertragung muss aber tatsächlich freiwillig erfolgen. Würden Denkmalämter also die Erteilung einer denkmalrechtlichen Nachforschungsgenehmigung von der (insbesondere exklusiven) Übertragung der Verwertungsrechte an den Grabungsergebnissen an das genehmigungserteilende Amt abhängig machen, dann wäre die für die rechtmäßige Übertragung dieser Verwertungsrechte erforderliche Freiwilligkeit gerade nicht gegeben und daher die entsprechende Vertragsbestimmung nichtig. Vermutlich würde eine solche Verknüpfung von Verwertungsrechtsübertragung ans Amt mit der NFG-Erteilung durch das Amt sogar die Straftatbestände der § 331 Abs. 1 und 240 Abs. 4 Z 2 deutsches bzw. 305 Abs. 1 und 302 Abs. 1 österreichisches Strafgesetzbuch erfüllen.
Die Urheberrechte erlöschen auch nicht – ethische Selbstverpflichtungen hin oder her – nach fünf oder zehn Jahren, wie es fachlich manchmal gefordert wird. Vielmehr bestehen sie sogar über den Tod des Urhebers hinaus fort und gehen auf seine Erben über. Nach derzeitiger Rechtslage werden alle Dokumentationen erst (gem. § 64 deutsches und § 60 Abs. 1 österreichisches UrhG) 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers gemeinfrei.
CIfA Code of Conduct: https://www.archaeologists.net/sites/default/files/CodesofConduct.pdf
Ehrenkodex "Ethische Grundsätze für archäologische Fächer" des WSVA vom 21.5.2007, angenommen von der DGUF am 5.10.2011: https://www.dguf.de/fileadmin/user_upload/partner/Ehrenkodex_Ethische_Grundsaetze_fuer_Archaeologische_Faecher.pdf
Prof. emer. PD Mag. Dr. Raimund Karl FSA FSAScot MCIfA
7.4 Klaus Gerken: Wer rettet das Paläolithikum und das Mesolithikum in Niedersachsen?
Meine folgenden Anmerkungen beziehen sich auf Niedersachsen, können aber vermutlich auch auf andere Bundesländer übertragen werden. In meiner nunmehr 50-jährigen archäologischen Tätigkeit mit eigenen Forschungsgrabungen und Lehrgrabungsveranstaltungen sowie zehnjährigen Zeit mit eigener Grabungsfirma in Niedersachsen, konnte ich mir ein recht gutes Bild von den noch aktiven Studierenden, den jungen Archäologen/innen mit abgeschlossenem Studium und den sog. "alten Hasen", die die jüngeren Kollegen/innen im Gelände schulen, machen.
Dabei musste ich mit Bedauern feststellen, dass die Ausbildung betreffend den vorkeramikzeitlichen Epochen sowohl von theoretischer Seite als auch von praktischer Art im Gelände, momentan als mangelhaft zu bewerten ist. Heute werden die meisten Ausgrabungen im Rahmen des Verursacherprinzips durchgeführt, dabei sind mehrere hundert Fundstellen im Jahr betroffen. Es fällt auf, dass ein absolutes Missverhältnis an erkannten Fundstellen zwischen denen der Keramikzeiten und denen älterer Epochen entsteht, die faktisch fast gegen null gehen. Es wird offensichtlich aus nicht ausreichendem Fachwissen heraus jedes Jahr eine nicht zu beziffernde große Anzahl an mesolithischen und paläolithischen Fundstellen vernichtet. Nur ein Beispiel soll das verdeutlichen:
Drei große lineare Bauprojekte (Gastrassen) haben bei einer Gesamtlänge von ca. 300 km und 30 m Breite in den vergangenen zehn Jahren gerade mal sechs mesolithische und paläolithische Fundstellen ergeben -und diese wurden alle im Zuständigkeitsbereich meiner Firma erkannt und ausgegraben, u. a. die Fundstelle Bierden 30 mit der sog. "Venus von Bierden". Die übrigen Trassenbereiche ...? Fehlanzeige - und das ist kein Zufall!
Regelhaft werden die für diese Zeitschiene empfindlichen Bodenhorizonte (Braunboden etc.) unbeobachtet maschinell entfernt, um evidente Befunde im C-Horizont sichtbar zu machen. Aufgefundene Flintartefakte werden systematisch nur als Streufunde erfasst und, wenn vorhanden, lediglich jüngeren Siedlungsbefunden zugeordnet, nicht aber als eigene latente Befundstrukturen erkannt (eigene zahlreiche Beobachtungen). Somit werden regelmäßig meso-/paläolithische Befunde unerkannt zerstört. Auch das Erkennen von evidenten Befunden der genannten Zeitstellungen wird nicht mal ansatzweise beherrscht, weil sie eine vollkommen andere Ausprägung besitzen. Dass auch bei extrem dichter Befundlage und mächtiger Braunbodenbildung die Dokumentation aller archäologisch relevanten Befunde gleichzeitig erfolgen kann, haben u. a. meine Ausgrabungen in Erichshagen 91, Lkr. Nienburg, belegt.
In absehbarer Zeit baut die Tennet den SuedLink. Sollen weitere hundert bislang unberührte mesolithische und paläolithische Fundstellen verloren gehen? Es ist dringend erforderlich, der undokumentierten Zerstörung solcher Fundstellen infolge fehlender fachlicher Erfahrung heraus Einhalt zu gebieten! Es darf bei den Grabungsfirmen nicht Personen Verantwortung vor dem Bagger übertragen werden, welche sie nicht in der Lage sind, diese erfolgreich zu übernehmen. Dabei sollte nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht das Interesse bestehen, auch solche Befunde zu dokumentieren, sondern auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht. Denn darin liegt großes finanzielles Potenzial, weil solche Befunde aufwendig zu dokumentieren sind.
Die Frage ist: wie kann man das ändern? Es reicht nicht aus, den Studierenden an den Universitäten Theorie zu vermitteln. Das Wissen muss über die Schulung im Gelände vermittelt werden, praxisnah und erfahrungsorientiert. Nur: wer soll das machen, wenn Lehrende keine örtlichen Ausgrabungen/Lehrgrabungen für diese Zeitperiode mehr durchführen? Wobei ein Bachelor-Studium auch kaum Zeit dafür zur Verfügung stellt. Es reicht nicht aus, wenn Studierende ihr Wissen im weiteren Studium aus z. B. Afrika oder dem Nepal mitbringen. Dort lernt man nicht, wie Befunde in heimischen Böden richtig zu lesen sind. Es gibt in anderen Bundesländern Universitäten, bei denen bessere Ausbildungsbedingungen vorhanden sind und auch Grabungsfirmen, die entsprechende Fachkräfte vorhalten.
Lt. den Ergebnissen der DGUF-Umfrage arbeiten heute ca. 50 % der Archäologen/innen bei Grabungsfirmen in der freien Wirtschaft. In Niedersachsen bin ich offensichtlich zurzeit der einzige Freiberufler, der dieses Wissen vor Ort noch vermittelt. Aktuell werde ich regelmäßig von kommunalen und Landesdenkmalämtern angefragt, ob ich Grabungsleitungen übernehmen kann, weil keine der örtlich tätigen Grabungsfirmen das angeforderte Profil/Know-how für diesen Zeitbereich nachweisen kann. Aktuell bin ich noch aktiv, mein Ruhestand steht aber bevor. Also: Wer rettet das Paläolithikum/Mesolithikum in Niedersachsen? Es ist höchste Zeit, darüber nachzudenken.
Klaus Gerken, Die frühmesolithischen Stationen Bierden 30 und 31, Gde. Stadt Achim, Ldkr. Verden (Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte, Beiheft 16, Fundchronik Niedersachsen 2011, 2013):
Klaus Gerken, Erichshagen, FStNr. 91, Gde. Stadt Nienburg (Weser), Ldkr. Nienburg (Weser) (Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte, 2020): https://www.academia.edu/42059496/Erichshagen_FStNr_91_Gde_Stadt_Nienburg_Weser_Ldkr_Nienburg_Weser_
Klaus Gerken, Gerken Archäologie, Neustadt. https://gerken-archaeologie.de
7.5 Henriette Brink-Kloke: needful things. Zur Archäologie der Alltagskultur der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts
Es wird hier bestimmt nicht zum ersten Mal angemahnt - doch gerade das macht es umso bitterer: Wir verlieren gerade die Alltagskultur der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts!
Wir ringen um jede noch so kleine vorgeschichtliche Scherbe. Doch die obersten Fund- und Befundschichten besonders in den kriegszerstörten Innenstädten des Ruhrgebiets - für die ich sprechen kann - mit ihren Teppichresten, Granatsplittern, Emaille- und Porzellanbruch, Flaschenglas und Blumentöpfen räumen wir beiseite, um an die tieferen - vermeintlich wichtigeren, weil älteren - Funde und Befunde heranzukommen.
Das 20. Jahrhundert ist doch Sache der Archive, Museen, Volkskundler - die werden sich kümmern oder sicherlich schon gekümmert haben? Nur unterschwellig nagen an uns Unsicherheiten: Müsste ich nicht doch genauer hinschauen? Doch wo anfangen, was könnte wichtig sein, was aufhebenswert und wohin mit dieser schnell anschwellenden Fundflut - das haben bestimmt schon "die Anderen" aufgehoben, klassifiziert und bestimmt? Und auf der Baustelle muss es weitergehen, die Zeit drängt und das Geld reicht nicht ewig ...
Wer von uns würde in einer mit Trümmerschutt verfüllten Gräfte auf dieses seltsame, verdrückte, mit Holz verbackene, spitzhutähnliche Eisenobjekt mit seinem Haken am Spitzende achten? Schlimmer noch, wer von uns würde diesen Schutt nach wissenschaftlichen Kriterien ausgraben? Verloren wäre dann beispielsweise die kleine Schlachterglocke mit den anhaftenden Resten der Holztüre, jener "Eisenhut" mit dem Haken, ein Zeitzeugnis der Hausschlachtungen bis in die 1960er-Jahre, mit welchem dem Schwein die Borsten abgeschabt und die Klauen ausgerissen wurden.
Spätestens mit der dritten Generation enden immer wieder und immer wieder aufs Neue die persönlichen Erinnerungslinien der Familien, und mit ihnen verschwindet das Wissen um den vergangenen Alltag. Exakt jenem Alltag, den nicht nur wir Archäologen dann anschließend so mühsam versuchen zu rekonstruieren. Es fehlt - immer noch und immer dringender - ein interdisziplinär abgestimmter und bewusster, nicht zufälliger Umgang mit den jüngsten Geschichtszeugnissen.
Natürlich wurden auch moderne Kellerverfüllungen schon nach archäologisch-wissenschaftlichen Kriterien untersucht, auch Relikte des Zweiten Weltkriegs rücken immer stärker in den Fokus der Denkmalämter, und Teile der ältesten Werksanlagen dürfen als "archäologisches Blickfenster" erhalten bleiben. Doch reicht das? Verschwindet nicht derzeit schon die nächste Reliktgeneration?
Gerade in den Innenstädten ist seit einigen Jahren ein erneuter baulicher Umbruch mit - im wörtlichen Sinne - wiederum tiefgreifenden Veränderungen im Gange. Die Städte werden abermals umgebaut und neben den Gebäuden der 1950er- bis 1970er-Jahre verschwinden auch unterirdisch die letzten Vorkriegsjahrzehnte und die Kriegsspuren. In den Außenbezirken fressen der fortgesetzte Flächenverbrauch für Straßen und Neubauten die unscheinbaren Reste von Zwangsarbeiterlagern und unterirdischen Schutzräumen. Alte Werksgelände werden reaktiviert, die verseuchten Böden abgetragen und damit die Bruchstücke der mit Namen gestempelten Radialziegel, Probentiegel und Henkelmänner.
Gerade wir Archäologen sind dem vergangenen Alltag so nahe, wie kaum ein anderer, wie kaum eine Andere. Nicht nur, wenn wir eine bronzezeitliche Urne freilegen, sondern gerade auch dann, wenn vor unseren Augen ineinander gestapelte, von der Brandhitze miteinander verschmolzene Blechtöpfe und Konservendosen mit dem alten Herd auf den LKW geladen werden, stehen wir vor einer Momentaufnahme aus dem Leben unserer Großeltern. Warum wertschätzen wir so wenig, was uns am nächsten ist? Müssen wir die gleichen Fehler immer wieder machen?
Dr. Henriette Brink-Kloke, ehem. Leiterin der Unteren Denkmalbehörde Stadt Dortmund
7.6 Carola Berszin: Anthropolog*innen auf der Ausgrabung – Mehrwert für alle Beteiligten
Vergangenen Sommer durfte die Autorin wiederholt als anthropologische Betreuerin auf einer Ausgrabung eines mittelalterlichen/frühneuzeitlichen Leprosenfriedhofs in Freiburg i. Brsg. teilnehmen. Insgesamt konnten mehr als 250 Bestattungen aus Einfach- und Mehrfachgrablegen dokumentiert und geborgen werden. Bei der Auftragserteilung an die Grabungsfirma AAB gab es seitens des Landesamts für Denkmalpflege Baden-Württemberg die Vorgabe, eine "zertifizierte" Anthropolog*in mit ins Team zu holen. "Ist doch selbstverständlich!" werden wohl Einige beim Lesen denken, aber leider ist die Situation nicht überall gleich. Die Landesämter in Baden-Württemberg und Bayern haben diesen Aspekt bereits seit einigen Jahren im Fokus. Daraufhin reagierten einige wenige archäologische Grabungsfirmen und stellten Anthropolog*innen fest an. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, selbstständige Anthropolog*innen in die Grabungsleitung zu holen, die dann auch die Verantwortung mittragen. Sie können erfolgreich helfen, Zeit zu sparen, indem sie Befundsituationen schneller klären und Arbeitsabläufe optimieren. Dies versucht die Autorin am Beginn einer jeweiligen Ausgrabung in Form einer Fortbildung für das Grabungspersonal zu vermitteln, wobei sie u. a. eine In-situ-Befundung passgenau für die jeweilige Ausgrabung und den Sinn der Probenentnahme für naturwissenschaftliche Untersuchungen erklärt. Bei der begleitenden Ausgrabung kann man den Blick des Ausgrabungsteams für Besonderheiten am Skelett schärfen. Dies war besonders beim Leprosenfriedhof in Freiburg i. Brsg. wichtig, da hier besonderen Wert auf die Blockbergungen der Hand- und Fußskelette sowie des Schädels gelegt wurde. Als Anthropolog*in weiß man, an welchen Knochen sich die krankhaften Veränderungen durch Lepra manifestieren können.
Wo liegen nun die Gründe im noch zögerlichen Einsatz von qualifizierten Anthropolog*innen auf einer Ausgrabung? Neben Kosten sparenden Aspekten ist meiner Meinung nach auch die momentane Ausbildungssituation verantwortlich. Nur wenige Universitäten bilden osteologisch qualifiziertes Fachpersonal aus, das souverän auf einer Ausgrabung leitend zum Einsatz kommen kann. Vielerorts werden Studierende oder Hilfskräfte bei Friedhofsgrabungen eingesetzt, die in ihrem Studium mal mit dem Fach in Berührung gekommen sind. Manchen Verantwortlichen ist aber gar nicht bewusst, dass ein Qualifizierungsnachweis des anthropologischen Personals mit entscheidend ist für die Qualität einer Ausgrabung. Sie haben Bedenken gegenüber "verkopften" Fachwissenschaftler*innen, die zu viel Zeit für die Dokumentation in Anspruch nehmen könnten. Da halten wir es aber mit den Archäolog*innen: "Jede Ausgrabung ist gleichzeitig ihre Zerstörung" und fügen hinzu "Jeder Knochen zählt" – sei es beispielsweise für die Ermittlung der Mindestindividuenzahl, die Erkennung von Nieren- und Blasensteinen und das Erfassen von Neonaten. Meine Arbeit als Anthropologin beschränkt sich nicht nur auf die Ausgrabung. Momentan werden die Skelette bei uns fachgerecht gereinigt und erstbefundet, um das Potenzial für eine spätere wissenschaftliche Auswertung zu erhalten. Einige ausgewählte Skelette vom Leprosenfriedhof Freiburg i. Brsg. haben bereits das Interesse als Themen für Abschlussarbeiten an einer Universität geweckt. Der Mehrwert von Anthropolog*innen auf der Ausgrabung für alle Beteiligten liegt somit in der qualifizierten Ausbildung, dem angewandten Wissen aus Auswertungsprojekten und den Weitblick für die spätere wissenschaftliche Auswertung in der Gräberfeldforschung.
"Zertifizierung freiberuflicher Osteoanthropologinnen und -anthropologen" (Gesellschaft für Anthropologie e. V.): https://gfa-anthropologie.de/ueber-die-gfa/zertifizierung/
Carola Berszin M.A., Anthropologische Dienstleistungen, www.anthropologie-konstanz.de
7.7 Wolf Haio Zimmermann: Quantensprünge in der Entwicklung der Grabungstechnik. Rückschau eines alten Ausgräbers, 79 J.
Rückblickend kann ich nur über die gewaltigen Fortschritte in der Archäologie staunen, so auch die in der Grabungstechnik. Meine Erfahrung? Immerhin habe ich in meinem Leben ca. 36 ha Siedlungsflächen untersucht – viele davon wären heute durch tieferes Pflügen zerstört. Da ich schon mit ca. 7 Jahren wusste, dass ich Archäologe werden will, half ich viel im Oldenburger Museum, vor allem dem Restaurator Fritz Klingbeil. Praktisch: Museum und Gymnasium lagen nebeneinander. Früh besuchte ich auch Grabungen, so ca. 1955 die Grabung meines späteren Instituts auf der Feddersen Wierde. 1958 nahm ich zum ersten Mal aktiv an einer Grabung auf dem Pestruper Gräberfeld teil. Johannes Pätzold war mir dort nicht nur ein guter Lehrmeister, er gab mir auch einen Überblick über die Schwerpunkte der verschiedenen Uni-Institute. So war es klar, dass ich zuerst nach Tübingen zu Wolfgang Kimmig und dann nach Groningen zu H. Tjalling Waterbolk ging. Dass ich letztlich im Niedersächsischen Institut für historische Küstenforschung (NIhK) in Wilhelmshaven arbeiten sollte, von dem mir J. Pätzold so viel vorgeschwärmt hatte, war Glück, wohl aber auch die Folge meines Studiums in Groningen, wo ich intensiv in Grabungstechnik eingeführt worden war. Ich lernte dort viel von Jan Lanting und Harm Praamstra, den erfahrenen Technikern von Albert Egges van Giffen, einmal grub ich auch direkt mit diesem. Diese Erfahrung, schätze ich, machte mich interessant für meine spätere Wirkungsstätte.
Da J. Pätzold mich auch gelehrt hatte, wie wichtig das Vermessen ist, arbeitete ich mehrere Schulferien in der Landesvermessung. Der leitende Geodät nahm mich in die Lehre, und zwar dafür – heute undenkbar –, dass ich statt seiner die vielen üblichen Schnäpse trank; er vertrug keinen. Erstaunlich, nie hat jemand gemerkt, dass nicht er die Schnäpse trank. Mit diesem "Rüstzeug" schaffte ich ab 1971 die ersten neun Jahre selbst alle erforderlichen Vermessungen für meine Grabungen im Landkreis Cuxhaven, hatte dann aber das Glück, einen Vermessungstechniker einstellen zu können. Lange kamen wir mit Messband, Fluchtstangen und – sehr wichtig! – Winkelspiegel aus. Auch später noch mussten Praktikanten anfangs bei mir mit diesen drei Hilfsmitteln arbeiten. So verstanden sie das Prinzip. Als Schüler hatte ich bei der Vermessung Kunststoff-Folie kennen gelernt, auf der die Grabungsbefunde auch bei feuchter Witterung dokumentiert werden konnten. Englische Kollegen lernten das bei mir kennen; sie ließen die Folie dann in England mit Millimeterraster bedrucken, die wir dann reimportierten. Ein Quantensprung war die Einführung des Eichstaedt-Pantographen. Egon Gersbach war mir zwar bitterböse, aber sein Kartomat war zu schwer, zu sperrig, benötigte immer den Einsatz von mehreren Mitarbeitern.
Christian Pescheck, Würzburg, hatte mich früh auf Metallsuchgeräte aufmerksam gemacht, die auch Buntmetall anzeigen. Eine Anfrage bei der Erprobungsstelle der Bundeswehr in Munster (ca. 1970) verlief enttäuschend. Man schrieb mir, als jemand mit Abitur müsse ich wissen, dass so etwas physikalisch unmöglich sei. Ich hatte dann aber die Firma Klaus Ebinger in Köln ausfindig gemacht, so konnten wir ab 1971 die Geräte auf den Grabungen mit Erfolg einsetzen. Natürlich sandte ich diese Erfolgsmeldung gleich nach Munster; seltsam, eine Antwort erhielt ich nie.
Urgeschichtliche Ackerfluren, die sog. Celtic Fields, dokumentierten wir über mehrere Quadratkilometer mit Feinnivellements mit extrem dicht gesetzten Messpunkten. Ein ehrenamtlicher Mitarbeiter und Freund, August Pech, wies mich dann auf einen ungehobenen Schatz in den Vermessungsämtern hin, die sog. Kotenpausen. In den Jahren bis 1960 hatten Geodäten als Grundlage für die Deutsche Grundkarte extrem viele Koten (Höhenpunkte) aufgenommen. Da sage man noch einmal, deutsche Beamte würden nicht arbeiten! Was viel zu genau für den eigentlichen Zweck war, wurde ein Schatz für uns. Der Vorteil gegenüber dem heutigen LiDAR-Laserscanning ist der frühe Zeitpunkt der Aufnahme noch vor den in die Landschaft eingreifenden Flurbereinigungen. Bei den Vorbereitungen für ein Forschungsprojekt bei Sievern (Ldkr. Cuxhaven) in den frühen 1990er-Jahren wollte ich unbedingt auch LiDAR einsetzen; ich hatte es in den Niederlanden schätzen gelernt. Bis auf einen Preis von 70.000 DM konnte ich es herunterhandeln. Das war trotzdem viel zu hoch.
Bei meinen letzten Grabungen 2005/06 setzten wir erfolgreich eine Totalstation ein. Nur so konnten wir in kurzer Zeit viele Hektar Flächen mit sehr vielen Befunden untersuchen. Möglich war das aber nur dank immer wieder geschulter, einsatzfreudiger Grabungstechniker. Wie gerne denke ich zurück an die freundschaftliche Zusammenarbeit mit der gesamten Grabungsmannschaft, die ja über viele Jahre gleich blieb! Heini Meyer blieb 15 Jahre, andere 13 oder 14 Jahre.
Auch schon historisch interessant und zum Verständnis der Grabungspläne s. die Kapitel zur Grabungstechnik in: Zimmermann, W. H. (1992). Die Siedlungen des 1. bis 6. Jahrhunderts nach Christus von Flögeln-Eekhölten, Niedersachsen. Die Bauformen und ihre Funktionen. (Probleme der Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet, 19). Hildesheim: Lax.
Prof. Dr. W. Haio Zimmermann, Bockhorn; ehem. NIhK, Wilhelmshaven
7.8 René Bräunig: Die Zukunft der Feldarchäologie in Mitteleuropa im 21. Jahrhundert – ein Rückblick
Ich bin 52 Jahre alt und Inhaber einer Grabungsfirma, die vom Kap Arkona bis zum Bodensee als archäologischer Dienstleister tätig ist. Seit meinem 13. Lebensjahr bin ich auf archäologischen Grabungen tätig. Meine ersten Erfahrungen konnte ich bei der Sanierung des Benediktinerklosters Chemnitz sammeln. Die Bauphasenkartierung der Kirchenwände erfolgte mittels maßstäblicher Zeichnungen, die bei winterlichen Temperaturen auf wackeligen Baugerüsten in 15m Höhe von Hand erfolgten. Das Licht steuerte ein Flakscheinwerfer bei, der auch als einzige Wärmequelle diente. Feldgrabungen folgten einem ähnlichen Muster. Da ich in Ostdeutschland geboren wurde, waren mir rückwärts fahrende Bagger auf Grabungen bis 1989 völlig unbekannt. Der Oberbodenabtrag erfolgte mittels Kettenraupe, der die Reste des Oberbodens nicht erfasste. Dieser wurde dann von wenigen Mitarbeitern von Hand abgetragen. Die Größe der Grabungsflächen erscheint 2021 geradezu lächerlich. Gleichwohl erbrachten die meist sehr eng und kollegial von Fachwissenschaftlern betreuten Dokumentationen gute Ergebnisse.
Im Westen setzte der Einsatz von Kettenbaggern mit hydropneumatisch gesteuerten Baggerschaufeln ca. Anfang der 1980er-Jahre ein und ermöglichte die Freilegung großer Flächen. Daraus ergab sich ein neuer Engpass im archäologischen Dokumentationsablauf. Seit den 1930er-Jahren hatten sich in der Forschung einige Dokumentationstechniken etabliert, die heute völlig unzeitgemäß erscheinen. Aus Gründen der vermessungstechnischen Zweckmäßigkeit und durch die Vermessungsmethoden limitiert, wurden z. B. Sondageschnitte grundsätzlich parallel angelegt oder in Form von Kreuzschnitten.
Parallel zum Kettenbaggereinsatz etablierte sich aufgrund der Flächengrößen der Einsatz von Tachymetern, die zunächst noch ohne Datenspeicher auskommen mussten. Zur Bedienung bedurfte es intensiver Vermessungskenntnisse in einem Umfang, der durch die universitäre archäologische Ausbildung neben dem fachspezifischen Wissen nicht vermittelt werden konnte. Dadurch etablierte sich innerhalb des archäologischen Fachpersonals eine neue Berufsgruppe, der Grabungstechniker. Sie war und ist sehr heterogen. Zu dieser Gruppe gehören sowohl die inzwischen durch Fachhochschulabschluss abgesicherten Grabungsingenieure, die Absolventen der RGK-Kurse, aber auch Vermessungstechniker, Vermessungsingenieure, Studienabbrecher der Archäologie, aber auch interessierte Quereinsteiger. Der zentrale Wettbewerbsvorsprung dieser Berufsgruppe gegenüber akademisch ausgebildeten Archäologen bestand in den Kenntnissen zur Bedienung des Tachymeters, des Datenauslesens und des Umsetzen der Messergebnisse in AutoCAD-fähige Pläne. Diese teure Softwarelösung hatte sich parallel zum Tachymeter als Notwendigkeit für moderne Großflächengrabungen etabliert. Parallel dazu entstanden Datenbanklösungen, die auf der Basis von Access u. a. Applikationen anboten, die sich zur digitalen Datenerfassung eigneten und gute Auswertungsmöglichkeiten boten. Auch diese Lösungen hatten oft hohe Einstiegskosten. Die Datenbanklösungen haben sich in unterschiedlichem Umfang durchgesetzt und sind heute ebenso wie AutoCAD-fähige Pläne Teil der meisten Grabungsstandards in Deutschland. Durchgesetzt haben sich dabei bei weitem nicht die besten und vollständigsten Datenbanklösungen, sondern mit einer gewissen Nichtsystematik einige der am Markt verfügbaren Angebote. Ursache dafür scheint die fehlende Bereitschaft der zuständigen Denkmalämter zu sein, sich mit den am Markt verfügbaren Lösungen auseinander zu setzen. Um es hier auf den Punkt zu bringen, ist das aus meiner Sicht beste System in Kombination aus Access und AutoCAD die Münchner Lösung "Singularch" von Stefan Biermeier. Entscheidend dafür ist neben der Vollständigkeit der Softwarelösung eines etablierten archäologischen Vollprofis auch der Preis.
Ins Kuriositätenkabinett gehören dann schon Geräte, wie die als teure Einzellösungen hergestellten analogen und digitalen Pantographen. In den Grabungsprojekten der 2020er-Jahre spielen sie keine Rolle mehr. Im Hintergrund vollzog sich parallel dazu eine seltsame Entwicklung. Die Softwarelösung MapInfo etablierte sich in der universitären Forschung, ohne sich in der praktischen Denkmalpflege durchzusetzen. Die nächsten Entwicklungen wurden durch die Etablierung des satellitengestützten Vermessungssystems GPS ausgelöst. Neu war der Einsatz des Rovers mit dem zugehörigen PDA und den installierten Softwarelösungen. Heute lassen sich Vermessungssysteme für Grabungen "auf der grünen Wiese" ohne Unterstützung eines ÖBVI einrichten und betreiben. Die einfache Bedienoberfläche der Roversysteme, die Internetanbindung, der Speicherumfang und die entsprechende installierte Software bewirkten nach ca. 40 ruhigen Jahren das Ende einer etablierten archäologischen Berufsgruppe: Der Grabungstechniker, unabhängig von seinem Ausbildungsgrad, hat 2021 seine Daseinsberechtigung auf jedweder Grabung verloren. Stattdessen sollten neben dem leitenden Archäologen weitere Archäologen die Qualität der Grabungsdokumentation absichern. Dieses System wurde über Jahrzehnte in der dänischen Archäologie etabliert und hat dort zu hervorragenden Grabungsergebnissen geführt.
Auch bei der zur Dokumentation genutzten Datenbank- und Visualierungssoftware fanden am Ende des 2010er-Jahre entscheidende Schritte statt: Angetrieben von Entwicklungen außerhalb der Rettungsarchäologie konnte sich das Dateiformat QGIS sowohl für Datenbanken, als auch für Planerstellungen durchsetzen. Den durch RealityCapture möglichen Verbindungen von SFM-Daten und 3D-Laserscans gehört die Zukunft in der dreidimensionalen Dokumentation und Visualisierung. Die damit mögliche Dreidimensionalität ist ein Quantensprung gegenüber den in den archäologischen Publikationen üblichen Kombinationen von Planumsdarstellung und Profil.
Dipl.-Kfm. René Bräunig M.A. ist Inhaber der Fachfirma "Archäologische Ausgrabungen und Bauprojektbetreuung" (AAB) in Berlin.
7.9 René Bräunig: Die Zukunft der Feldarchäologie in Mitteleuropa im 21. Jahrhundert – ein Ausblick
Was folgt für die Feldarchäologie im nächsten Jahrzehnt? Grabungen ab 2030 werden einem neuen Muster folgen. Die allgemeine Automatisierung wird dazu führen, dass die Grabungsausrüstung durch eine Logistikfirma mittels eines autonom fahrenden LKW angeliefert wird. Roboter ersetzen das bisher vor Ort benötigte Personal ebenso vollständig. Da die vergangenen Jahre in meiner Wahrnehmung ein größeres Verständnis für naturwissenschaftliche archäologische Belange erreicht haben, muss das technische Gerät Sensoren beinhalten, die eine geomagnetische, geoelektrische Messung und Bodenradar standardmäßig ermöglichen. Weitere Module umfassen bodenchemische Sensoren. Manche der Beprobungen werden direkt vor Ort ausgewertet und an einem Dispatcher fernab der Grabung übermittelt. Andere Proben, deren Auswertung eine komplexere Auswertungstechnik benötigt, werden dreidimensional erfasst, in Probenbehältern gesichert und mit einem maschinenlesbaren Code versehen. Die entsprechende Probenliste entsteht automatisiert. Unser Roboter – nennen wir ihn Grabgerät 1 oder GG 1 – lagert die Proben in Transportboxen. Sind diese voll, ruft GG1 eine Drohne der Post, welche die Probenbox abholt. Die Adresse des Labors für die Proben hat GG1 aus einer vorhandenen Datenbank abgerufen und ein dazu passendes maschinenlesbares Postlabel erstellt. In regelmäßigen Abständen startet GG1 eine Drohne, die Fotos des freigelegten Planums an ein Archäologiebüro fernab der Grabung übermittelt. Eine KI-gestützte Bildauswertungssoftware bietet dem Grabungsleiter im Büro Befundgrenzen an, die auf Grund von Farbwert- und Wärmebildunterschieden definiert werden. Der Archäologe entscheidet auf dem interaktiven Bild über den Befundcharakter. Die Software bietet die Lage von Profilschnitten an, die der Grabungsleiter bestätigt oder verändert. GG1 legt diese Profile dann an, nicht ohne bei starken Anomalien die Freilegung zu stoppen und dem Grabungsleiter eine Entscheidungsmöglichkeit anzubieten. Der Aushub aus den Befunden wird im Inneren von GG1 gesiebt, geschlämmt und nach Funden und Proben sortiert. Die enthaltenen Makroreste werden gefriergetrocknet, verpackt und eingeschweißt. Die Probentüten erhalten einen maschinenlesbaren Code, und es entsteht ein Probenliste. Ähnlich werden die Funde behandelt: Hier erkennt eine KI-gestützte Datenbank sowohl Tier-, als auch Menschenknochen, und es entsteht eine nach Materialarten getrennte Liste als Teil einer Datenbank. Die KI erkennt sowohl Gefäßverzierungen, als auch Gefäßformen. Auch für Metallobjekte ist eine automatisierte Erkennung möglich, da sich die Funddatenbanken mit Abbildungen inzwischen sehr weit entwickelt hatten. In Mitteleuropa sind weder Nachweise für neue vorgeschichtliche Kulturen oder besonderes Fundmaterial zu erwarten. Daher bestimmt nur der Vollständigkeitsgrad der Bilddatenbanken den Grad der KI-gestützten Fundauswertung.
Grabungen in mittelalterlichen Innenstädten, vergleichbaren römischen Siedlungen oder Fundplätzen werden noch etwas länger mit den Methoden der Vergangenheit dokumentiert werden.
Welche Rolle spielt dann noch der Archäologe? Nur derjenige, der den Schwerpunkt seiner Ausbildung auf sehr guten Fund- und Befundkenntnissen legt sowie offen für tatsächlich neue Fragestellungen ist, die nicht einfach dem Zeitgeist folgen, wird im Wissenschaftsbetrieb noch eine Rolle spielen. Auch die KI erkennt zunächst nur Bekanntes. Dem Archäologen muss daher das deduktive Herangehen vertraut sein, also das Definieren neuer Fragestellungen und daraus abgeleitet Veränderungen der Grabungsmethodik.
Dipl.-Kfm. René Bräunig M.A. ist Inhaber der Fachfirma "Archäologische Ausgrabungen und Bauprojektbetreuung" (AAB) in Berlin.
7.10 Peter Hinton: We need to talk about robots
Artificial Intelligence (AI) is reshaping our world, and our professions. Some researchers speculate that archaeology is the sixth least likely occupation to be vulnerable to AI (https://www.zdnet.com/pictures/22-safest-jobs-during-the-robot-revolution/6/) – but we are less safe than vets and make-up artists, apparently. At some levels, journalists are already being replaced (https://theconversation.com/robo-journalism-computer-generated-stories-may-be-inevitable-but-its-not-all-bad-news-89473 – don’t tell the editor).
At risk? Vulnerable? These are negative words. We should welcome innovations, not fear them. Yes, as with any technical advance or increase in capacity, some jobs will be "lost" (to technology, or the "wrong" people); but there will be more opportunities to specialise, reskill, leave boring tasks to machines, and use freed-up resources to do more interesting stuff.
Did archaeology suffer from the adoption modern survey equipment? Is LiDAR worse than chopping down trees? If it’s safe enough to let robots drive, is it wrong to let them do archaeology?
Attitudes to fieldwork differ: is it a technical craft or an intellectual discipline? In the UK there has been a long effort to have excavators recognised as specialists, interpreting at the trowel’s edge. Would it weaken that argument to acknowledge that many aspects of recording, and some of excavation, can be done by AI? Or would it strengthen the respect for excavating archaeologists if they were more obviously multi-skilled researchers who use a range of hi-tech equipment to do detailed tasks accurately under their direct, intellectual supervision, applying those tools to the creation of knowledge? Imagine how much more effort would go into interpretation, into turning data into knowledge, if archaeozoologists had cheap DNA protocols to do all the identification of fragments on animal bone (https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0305440301906880). Or if pottery was routinely and accurately identified on line (http://www.archaide.eu/). If sections and plans didn’t need drawing? And so on.
Which innovations will come first and which will be used every day is unclear. But we have a chance to use them not just to create more knowledge but to make knowledge usable. To do what archaeologists should do: explain the past so that people can make sense of the present and shape a better future.
And it’s not just an opportunity; it’s an obligation. Archaeology is a profession, an occupation where skilled practitioners apply their demonstrated competence for the benefit of the societies we serve, in accordance with an ethical code of conduct (https://www.archaeologists.net/mission). Professional skills are a composite of technical and ethical abilities. The Chartered Institute of Archaeologists, like other professional institutes, has found it easier to define, assess and measure technical than ethical standards. Ethical abilities are harder to teach, harder to learn, and harder to apply in complex, challenging situations.
Research shows that ethical skills, the application of moral values anticipating the consequences for others, are much harder for AI. The ethical, professional archaeologist has much to gain from technological innovation; those archaeologists who act only as technicians may find change uncomfortable.
Bowman: "Open the pod bay doors, HAL"
HAL 9000: "I am afraid I can’t do that Dave"
(2001: A Space Odyssey)
Peter Hinton MCIfA, Chief Executive Chartered Institute of Archaeologists (CIfA)
8 Digitalisierung, Daten und Archäoinformatik
8.1 Irmela Herzog: Digitalisierung von Archivdokumenten im Fachamt: Latène ist kein Schreibfehler
Eine besonders wichtige Aufgabe der Landesämter ist die dauerhafte Aufbewahrung der bei archäologischen Maßnahmen erhobenen analogen und digitalen Daten. Für die analogen Daten (in der Regel Papier und Fotos, gelegentlich Folien oder Pergament) gibt es jahrzehntelange Erfahrungswerte und Kenntnisse, wie diese möglichst verlustfrei zu lagern sind. Im LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland (ABR) ist die zusätzliche digitale Sicherung der analogen Daten seit Jahren Alltagsgeschäft. Im Nachhinein erscheinen die Lehren daraus offensichtlich:
- Wenn man Akten oder Fotos von Dritten scannen lässt, erfolgt dabei keine Erfassung der zugehörigen Daten wie Fotografin, Ort oder Datum der Grabung. Auch eine Anbindung des digitalisierten Dokuments an den passenden Datenbankeintrag ist dadurch nicht automatisch gegeben. Nur entsprechende Nacharbeiten erlauben es, das volle Potenzial solcher digitalisierten Altdaten zu nutzen.
- Verzichtet man auf eine Qualitätskontrolle der Scans, muss man sich nicht wundern, wenn die so erzeugten Bilddateien nur Teile des Originaldokuments zeigen oder Texte unleserlich sind.
- Lässt man handschriftliche Dokumente abtippen oder setzt man automatische Texterkennung ein, so ist archäologisch geschultes Personal notwendig; sonst wird aus Latène Laterne, und eine Recherche im Freitext findet solche falsch erkannten Begriffe nicht.
- Wenn digitalisierte Daten aus welchen Gründen auch immer nur auf mobilen Datenträgern zur Verfügung stehen oder beim externen Digitalisierungsdienstleister, dann besteht ein besonders hohes Risiko für den Verlust der digitalisierten Daten.
Das Fazit im ABR ist daher, dass die Sicherung von Altdokumentationen von archäologischem Fachpersonal durchgeführt oder zumindest begleitet wird, soweit es die Personalsituation zulässt. Klar kommunizierte Verantwortlichkeiten helfen, sowohl Qualitätsmängel als auch Datenverlust zu vermeiden.
Doch bei einer vor Ort schlecht analog dokumentierten archäologischen Maßnahme bleiben am Ende einer aufwändigen digitalen Erfassung aller Befunde viele Fragen ungeklärt. Das heißt insbesondere, dass in der Amtsdatenbank die Qualität der Angaben zu den Befunden und archäologischen Maßnahmen sehr heterogen ist – selbst bei gut aufgearbeiteten Dokumentationen. Greift ein Forschungsprojekt unkritisch auf diese Daten zurück, ohne die stark variierende Datenqualität und die Quellenfilter (z. B. Planungsdruck) zu berücksichtigen, kann es leicht zu Fehlschlüssen kommen.
Dipl.-Math. Irmela Herzog, Wissenschaftliche EDV im LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland
8.2 Irmela Herzog: Digital dokumentiert – alles gut?
Durch den Einsatz von digitalen Methoden bei der Geländearbeit wird die Dokumentation und Interpretation der Ergebnisse nicht automatisch besser. Auch heute noch erreichen das LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland (ABR) Grabungsdokumentationen, bei denen die Grabung nicht richtig eingemessen ist oder Befunde zwar im Befundkatalog aufgeführt sind, aber im Gesamtplan fehlen. Software zur Überprüfung der Konsistenz der abgegebenen digitalen Dokumentation ist hilfreich, entdeckt aber nicht alle möglichen Fehler: So können Befunde unerkannt weggebaggert sein oder auch die Datierung von Befunden und Funden in den Abgabelisten von den Angaben im Abschlussbericht deutlich abweichen. Natürlich hilft die seit vielen Jahren praktizierte Fachaufsicht vor Ort, Fehler zu vermeiden. Kaum verhindern lässt sich jedoch, dass Grabungsfirmen wieder schließen und dadurch die Dokumentation der Maßnahmen unvollständig bleibt, deren Nacharbeit noch nicht abgeschlossen ist. Das ABR bemüht sich auch in solchen Fällen, die vorhandene Dokumentation zu erhalten und aufzuarbeiten, manchmal noch Jahrzehnte im Nachhinein.
Doch auch eine perfekte archäologische Maßnahme kann das Fachamt vor erhebliche Probleme stellen, wenn es um die Überprüfung und dauerhafte Aufbewahrung der digital erhobenen dreidimensionalen Daten geht. Nun sind solche 3D-Daten nichts Neues in der Archäologie. Schon vor ca. 30 Jahren konnte man die ersten 3D-Dokumentationen von Grabungen bewundern (z. B. Paul Reilly und Stephen Shennan, 1989) und 3D-Rekonstruktionen von zerstörten Bauwerken. Leider sind diese mit großem Aufwand erstellten 3D-Daten nach dem kurzfristigen Showeffekt heute meist nicht mehr zugreifbar, zu speziell die Datenformate, zu teuer die dauerhafte Speicherung, zu wenig Interesse, diese Daten für die Nachwelt zu erhalten. Das betrifft auch viele 3D-Modelle, die ungefähr seit 2003 auf Grundlage von Laserscanning-Daten erstellt wurden. Diese recht teure Technologie kam und kommt für die Dokumentation von Funden, aber auch auf Grabungen und in geschlossenen Räumen wie Höhlen oder Kellern zum Einsatz. Im Arbeitsgebiet des ABR waren solche Projekte bisher recht selten. Meist speicherte der abgegebene Datenträger neben den Messdaten eine Installationsroutine für einen Viewer, mit dem man die 3D-Modelle aus verschiedenen Winkeln betrachten und Maße nehmen kann. Die Installation solcher Viewer auf einem Computer im ABR ist nicht einfach möglich. Die Dateiformate waren häufig nicht mit alternativen Programmen zu öffnen, solche alternativen Programme sowieso nicht dienstlich zugelassen und die Hardware-Ausstattung nicht ausreichend, um mit den großen Datenmengen umzugehen. Also liegen solche Datenträger häufig noch ohne Sicherung in der einen oder anderen Schublade im Amt. Ungefähr seit 2012 wird die kostengünstigere Technologie Structure from Motion (kurz SfM) auf Grabungen verwendet, bei der die Erstellung von 3D-Modellen auf sich überlappenden Fotos beruht (Reinhard, 2016). Wie beim Laserscanning entstehen dabei große Datenmengen, und die Frage steht im Raum, ob nur das Ergebnis dauerhaft aufzubewahren ist. Im Analogschluss müsste man dann auch alle Planumszeichnungen einer analogen Grabungsdokumentation nach Erstellung des Gesamtplans wegwerfen. Mit zukünftiger, weiter entwickelter Software lassen sich bessere 3D-Modelle erzeugen, aber nur, wenn Ausgangsfotos noch vorhanden sind. Deshalb setze ich mich für die Aufbewahrung der Ausgangsfotos ein.
Aber auch die SfM-3D-Modelle und die mit Laserscanning erhobenen Daten sollen aufbewahrt werden. Das entsprechende Themenblatt der Kommission "Archäologie und Informationssysteme" beim Verband der Landesarchäologen weist noch viele nicht abschließend diskutierte Vorgaben auf. Das IANUS-Projekt hat etwas umfassendere Vorgaben entwickelt. Die Erfahrung zeigt, dass trotz Einhaltung dieser formalen Vorgaben eine Betrachtung der 3D-Modelle auf den Rechnern im Amt insbesondere bei größeren Dateien nicht einfach möglich ist (siehe oben). Es ist eine wichtige Zukunftsaufgabe, dies zu ermöglichen, sodass die Arbeit mit solchen Modellen so einfach wird wie das Betrachten eines jpg-Bildes.
Paul Reilly und Stephen Shennan (1989): Applying Solid Modelling and Animated Three-Dimensional Graphics: https://proceedings.caaconference.org/files/1989/16_Reilly_Shennan_CAA_1989.pdf
Jochen Reinhard (2016): Structure-from-Motion-Photogrammetrie mit Agisoft PhotoScan. Erste Erfahrungen aus der Grabungspraxis: https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/22559
Kommission Archäologie und Informationssysteme im Verband der Landesarchäologen Deutschlands (April 2018): Themenblätter zur Archivierung digitaler Daten – Erhaltungsstrategien 3 – Listen und 3D/VR-Daten: https://landesarchaeologen.de/fileadmin/mediamanager/004-Kommissionen/Archaeologie-und-Informationssysteme/Archivierung/TB_Erhaltungsstrategie3_Listen3D.pdf
Archivierung bei IANUS: https://www.ianus-fdz.de/archivierung
Dipl.-Math. Irmela Herzog, Wissenschaftliche EDV im LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland
8.3 Florian Thiery: Auf neuen Wegen: Durch die Community zum archäologischen Knowledge Graph
Insbesondere durch den Einzug der Prinzipien Open Science und Knowledge Equity sowie digitaler Methoden und Technologien in die archäologische Forschung ist eine Trendwende von Einzelkämpfer*Innen- und Instituts-Inseln hin zu gemeinschaftlicher Arbeit (Community-Arbeit) unausweichlich. Nur durch die Arbeit in der und durch die Community können heutzutage archäoinformatorische Probleme gelöst, für Archäolog*Innen nützliche Tools erzeugt sowie archäologische Daten offen und verknüpft – als "Wissensgraph" – u. a. für Citizen Science sinnvoll zur Verfügung gestellt werden. Community-Arbeit kann man in der Archäologie insbesondere im Bereich der "digitalen Archäologie" beobachten. Da hier Fachwissen und technische Expertise miteinander an einem Strang ziehen müssen, die selten in einer Person vereint sind, muss partnerschaftlich zusammengearbeitet werden.
Ein Beispiel für gemeinschaftliche Arbeit großer archäologischer Institutionen in Zusammenarbeit mit Fachgesellschaften und -verbänden ist die Konsortialinitiative NFDI4Objects, die im Rahmen des Aufbaus einer Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) gemeinsame Standards, Normdaten und Dienste für das Forschungsdatenmanagement in der Archäologie aufbauen möchte. Sie soll damit u. A. zur Verbesserung von digitalen Forschungs- und Arbeitsprozessen innerhalb der Fachcommunities beitragen. Für spezielle Fragen der Archäoinformatik hat sich die Computer Applications and Quantitative Methods in Archaeology (CAA) als eine große internationale Community "digitaler Archäologen" gebildet, in der in Special Interest Groups gemeinsam Problemstellungen erörtert, Lösungswege aufzeigt und diese im interdisziplinären Kontext auf Fachkonferenzen geteilt werden. In der CAA, wie auch in NFDI4Objects, spielen so genannte Linked Open Data (LOD) eine zentrale Rolle. LOD dienen zur semantischen Verknüpfung offen bereitgestellter Wissensbestände. Viele verknüpfte LOD erzeugen die so genannte Linked Open Data Cloud. Diese bildet die Basis für einen semantisch modellierten Wissensgraphen – Knowledge Graph –, der auf einer graphbasierten Datenmodellierung beruht und u. a. dazu dient, verknüpfte Informationen durchsuchbar zu machen und durch Regeln automatisierte Schlussfolgerungen ziehen zu können ("Reasoning"). Besonders gute LOD zeichnen sich dadurch aus, dass darin unterschiedliche Informationen und Sichtweisen verschiedener Communities zusammengetragen werden und dadurch ein mehrdimensionaler Knowledge Graph entsteht. Ein Beispiel für eine interdisziplinäre Community von LOD Enthusiast*Innen, die sich mit der Erzeugung und Publikation von LOD beschäftigt, ist das offene Netzwerk der Research Squirrel Engineers. Gemeinsam erkunden sie Technologien und erzeugen benutzerfreundliche Tools für Nicht-Linked-Open-Data-Expert*Innen, z. B. für QGIS das SPARQLing Unicorn QGIS Plugin. Eine erfolgreiche Community-Arbeit kann jedoch nur durch kollegiale Zusammenarbeit von Wissenschaftler*Innen auf Augenhöhe entstehen.
Wichtig ist zudem, dass die archäologisch-wissenschaftliche Community um Nicht-Archäolog*Innen erweitert wird, Stichwort: Citizen Science, um auch deren Erfahrungen und Wissen im Knowledge Graph abbilden und nutzen zu können. Beispiele dafür sind Citizen-Science-Modellprojekte, z. B. im Rahmen des Fellow Programms Freies Wissen der Wikimedia Deutschland e.V., "Irische ᚑᚌᚆᚐᚋ Steine im Wikimedia Universum" und "Zerschlagenes Geschirr - Archäologische Quellen in Wikidata", in denen der Datenhub "Wikidata" eine zentrale LOD Rolle spielt. Von der Fach- und Nicht-Archäolog*Innen-Community gemeinsam erzeugte und kurierte LOD werden so perspektivisch zu einem multiperspektivischen archäologischen Knowledge Graph führen. Helft mit! Sprecht einfach die für euch passende AG, Netzwerk, Verein oder Verband direkt an. Als aktive Mitglieder der archäologischen Community können wir gemeinsam auf neuen digitalen Wegen das 21. Jahrhundert in der Archäologie gestalten.
Florian Thiery, M.Sc. ORCID: 0000-0002-3246-3531
8.4 Oliver Nakoinz: Quantitative Archäologie und die Kultur reproduzierbarer Forschung
Die hier skizzierte Kultur quantitativen Arbeitens hat ihren Ausgangspunkt bei einer seit etwa 20 Jahren diagnostizierten, fachübergreifenden Krise der Reproduzierbarkeit digitaler Analysen. Dies ist ein substanzielles Problem, da Reproduzierbarkeit als ein wesentliches Kriterium von Wissenschaftlichkeit angesehen wird. Gegenwärtig unterläuft die Quantitative Archäologie einen Kulturwandel hin zu einer reproduzierbaren Arbeitsweise.
Eine reproduzierbare Analysekultur umfasst viele Maßnahmen, die in der digitalen Welt verschwundene Reproduzierbarkeit wieder herzustellen. Dazu gehört das skriptbasierte Arbeiten, das an die Stelle einer vom Nutzer bedienten grafischen Oberfläche ein in einer Skriptsprache wie R, Python oder Julia geschriebenes Skript stellt, das die Durchführung der Analyse steuert und zudem dokumentiert. Zusätzlich ist es erforderlich, dass die Software keine Black Box darstellt, was zur Forderung von Open Source Software führt. Oft wird auch gefordert, dem Leser neben den Daten die Software in Containern wie Docker bereitzustellen, um eine volle Reproduzierbarkeit der Ergebnisse und damit Wissenschaftlichkeit zu erreichen. Hiermit haben wir schon einige Aspekte von Open Sciences angesprochen, zu denen auch Open Access gehört. Zum Standardvorgehen dieser Kultur reproduzierbarer Datenanalyse gehört ein Workflow, der mit Open Data beginnt, die mit "literal Programming" ausgewertet werden. Literal Programming ist eine Technik, die Analyseskripte in einem Dokument mit einer inhaltlichen Beschreibung zu mischen und direkt zu einem publizierbaren Manuskript mit Text und quantitative Analyse zu führen. Hierbei kann beispielsweise RMarkdown zum Einsatz kommen. Dieses Manuskript wird im Open Access publiziert und auf Preprint Servern in der Originalversion bereitgestellt. Ferner werden Daten und Skript z. B. per GitLab, GitHub und Zenodo veröffentlicht. Git-basierte Systeme beinhalten durch ihre Versionskontrolle auch eine transparente Projektdokumentation.
Mit dieser Beschreibung haben wir nur einige Aspekte der technischen Seite thematisiert.
Die genannte Kultur zeitgemäßer Datenanalyse beinhaltet auch inhaltliche Aspekte. So ist eine Abstimmung und Balance von Fragestellung, Daten, Theorie und Methode (FDTM-Balance) notwendig, die erst ein kohärentes Analysekonzept ermöglicht und die über viele Jahrzehnte nicht existiert hat. Die Diskussion der p-Werte, also der Signifikanzwerte in der Statistik, die seit einigen Jahren strittig geführt wird, ist ein Symptom dieses Problems. Wird Statistik ausgelagert und von spezialisierten Statistikern durchgeführt, kommt es oft zu einer unzureichenden Kommunikation zwischen Fachwissenschaftlern und Statistikern, die geforderte Abstimmung bleibt aus. Im Fall der p-Werte von statistischen Tests ist zu Recht deren blauäugige Anwendung, etwa alleine auf Grundlage des naiv interpretierten Schwellenwertes von p < 0,05, den R. A. Fisher willkürlich definiert und als Faustregel intendiert hat, kritisiert worden. Auch wenn die Werte gleich skaliert und damit grundsätzlich vergleichbar sind, muss deren Interpretation doch unbedingt den Kontext der Analyse, wie etwa die Fragestellung, mit einbeziehen. In diesem Sinne spricht man heute gerne von Data Science statt Statistik, um gerade diese Integration hervorzuheben.
Gegenüber Data Mining hat der Begriff Data Science eine stärkere Betonung auf der zielgerichteten und fragestellungsorientierten Arbeitsweise. Data Science beinhaltet auch, dass man Methoden nicht um ihrer Modernität willen, sondern aufgrund der Abstimmung mit Fragestellung und Theorien auswählt. Dies scheint ein marginaler Aspekt unserer neuen Analysekultur zu sein. Sieht man sich aber an, wie viele ältere Methoden abgelehnt werden, einfach weil es neue Methoden gibt, und nicht, weil die neuen Methoden das gestellte Problem besser lösen, so wird deutlich, dass auch hierin ein substanzieller Wandel in der Praxis der quantitativen Archäologie liegt. Jede Methode stellt eine spezifische Transformation der Daten dar und hilft, eine ganz spezifische Frage optimal zu beantworten. Ist diese Frage hinreichend präzise gestellt, so lässt sich die geeignetste Methode auswählen. Neue Methoden beantworten bestimmte Fragen möglicherweise besser als alte Methoden. Das bedeutet nicht, dass die alten Methoden grundsätzlich obsolet sind, sondern dass die alte Methode eine etwas andere Frage beantwortet, die ich noch nicht ausformuliert habe. Aus dieser Perspektive ist der methodische Fortschritt auch als Prozess der Präzisierung der Fragestellungen und der Abstimmung von Frage und Methode zu sehen. Eine zeitgemäße quantitative Analyse und die neue Kultur der Quantitativen Archäologie sind demnach durch die Schlagworte Data Science, Reproduzierbarkeit, Fragestellungsorientierung und Open Science gekennzeichnet.
PD Dr. Oliver Nakoinz, Johanna Mestorf Akademie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
8.5 Oliver Nakoinz: Quantitative Archäologie im Spannungsfeld der Disziplinen
Welche Rolle spielt die Quantitative Archäologie in der Archäologie bzw. im Feld der unterschiedlichen Spielarten von Archäologie? Zunächst müssen wir die Position der Quantitative Archäologie, aber auch der Archäologie im Spannungsfeld zwischen Natur- und Geisteswissenschaften erkunden. Traditionell wird die Quantitative Archäologie eher einer naturwissenschaftlichen Spielart der Archäologie zugerechnet und ist eng mit der New Archaeology beziehungsweise Prozessualen Archäologie verbunden. In postprozessualen Ausrichtungen der Archäologie spielen quantitative Ansätze keine oder zumindest nur eine marginale Rolle. Hierbei scheint sich ein Alternieren zwischen einer naturwissenschaftlichen und einer geisteswissenschaftlichen Prägung abzuzeichnen. Tatsächlich aber liegt es nahe, die Aufgabe der Quantitativen Archäologie nicht so sehr von der Seite vermeintlicher Paradigmen, sondern ausgehend von ihrer praktischen Funktion zu betrachten. Zunächst muss festgehalten werden, dass die Quantitative Archäologie strikt mit einer empirischen Herangehensweise verbunden ist, bei der die in Daten erfasste archäologische Beobachtung den Ausgangspunkt bildet. Die Quantitative Archäologie hat nun die Hauptaufgabe, in den Daten bestimmte Strukturen im Sinne einer Mustererkennung herauszuarbeiten oder sie zu bestätigen. Letztlich ist der Kern der Quantitativen Archäologie eine Transformation der Daten in eine Form, die sich interpretieren lässt. Die Daten müssen hierfür die Eigenschaft aufweisen, Strukturen zu enthalten. Dieses kann dann mit einer Art Mustererkennung im weitesten Sinne erfolgen, die ihrerseits auf Redundanzen und Korrelationen von Daten aufbaut.
Diesen strukturierten Daten stehen Daten gegenüber, die ich hier als individuell bezeichnen möchte, da sie keine Redundanzen aufweisen und sich hier keine Strukturen ableiten lassen. Diese Daten lassen sich nicht mit quantitativen Ansätzen auswerten, aber sie stehen einer hermeneutischen Herangehensweise offen. Hierbei werden diese Daten so in Interpretationen eingebunden, dass sie keine Widersprüche verursachen und in einem iterativen Prozess eine sinnvolle Interpretation ergeben. Die hierfür genutzten Daten (bzw. archäologischen Beobachtungen) sind dabei von Anfang an mit einer Bedeutung aufgeladen, die im Verlauf des Forschungsprozesses - vereinfacht gesagt - korrigiert und kontextualisiert wird. Hiermit haben wir einen zentralen Unterschied der beiden Herangehensweisen erfasst. Die Bearbeitung der individuellen Daten setzt auf eine vorgegebene, wenn auch vielleicht nur hypothetisch gegebene Bedeutung der Beobachtungen, während die Quantitative Archäologie im Rahmen der Mustererkennung eine umfassende Bedeutungszuweisung nach der Analyse vornimmt. Das wird durch die Annahme möglich, dass nicht die Daten, sondern die in ihnen enthaltenen Strukturen bedeutungstragend sind.
Damit haben wir auch den Gegensatz der Naturwissenschaften und der Geisteswissenschaften erreicht, denn letztere geben nach traditionellem Verständnis vor, Bedeutungen zu verhandeln, während erstere Bedeutung, traditionell Naturgesetze, aus den herausgearbeiteten Strukturen ableiten. Für ein modernes Verständnis der Disziplinen und eine realistische Einschätzung der Zusammenhänge müssen wir festhalten, dass dies trotz offensichtlicher Schwerpunkte eine grobe Vereinfachung ist, denn auch in den Geisteswissenschaften spielen strukturierte Daten eine Rolle, während die Naturwissenschaften nicht ohne eine semantische Vorbelegung der empirischen Daten auskommen. In der Praxis sollten wir also eher von einer Dominanz der einen oder anderen Herangehensweise in den Disziplinen sprechen. Diese Dominanz ist von den verfügbaren Daten abhängig, und die Einteilung der Daten hängt wiederum von den theoretischen Grundlagen ab. So können neue Theorien zum Erkennen von Strukturen in zuvor für unstrukturiert gehaltene Daten führen. Oder - um die letzte Datenkategorie anzusprechen: das Rauschen - Theorien können dazu führen, im vormaligen Rauschen sinnvolle Daten zu erkennen.
Wo steht aber die Archäologie in diesem Feld der Disziplinen? Die archäologischen Funde besitzen keine Vorbelegung mit Bedeutung aus ihrem Entstehungskontext, wie es bei entschlüsselten Schriften der Fall wäre. Eine erste Bedeutungszuweisung kann aus einem modernen Kontext erfolgen. Da diese Herangehensweise, die auf Vermutungen beruht, sehr schnell unzureichend wird, etwa wenn wir über plausible Mutmaßungen hinausgehen, ist seit je her das Konzept der Mustererkennung in der Archäologie von großer Bedeutung. Zusammenfassend lässt sich die Archäologie als eine Disziplin beschreiben, die durch die Verwendung und Analyse strukturierter Daten den Naturwissenschaften und durch ihre historischen Fragestellungen und die Verwendung hermeneutischer Ansätze den Geisteswissenschaften nahe steht. Ich möchte die Archäologie deshalb keinem Lager exklusiv zuweisen, sondern sie als Brückenfach bezeichnen, dass fest in beiden Lagern verwurzelt ist. Mit dieser Einschätzung wird die Quantitative Archäologie aber zu einem zentralen Aspekt der Archäologie und gehört zu den archäologischen Kernkompetenzen.
PD Dr. Oliver Nakoinz, Johanna Mestorf Akademie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
8.6 Bernhard Rudnick: Grabungsdokumentation zwischen analog und digital: der Weg zur Digitalisierung im LVR-Archäologischen Park Xanten
Schon vor mehr als zehn Jahren hat der Landschaftsverband Rheinland (LVR) die Weichen gestellt, "rheinisches Kulturerbe" fachbereichübergreifend digital zu sichern und verfügbar zu machen. So können mit Hilfe einer gemeinsamen webbasierten Anwendung nach Schaltung der Zugriffsrechte Daten unterschiedlicher Formate Dienststellen übergreifend oder intern gespeichert werden. Aus dem Fundus wird u. a. die App KuLaDig des LVR gespeist. Zukünftig sollen weitere Daten auch im Internet frei zugänglich werden. Der LVR-Archäologische Park Xanten (LVR-APX) beteiligt sich seit mehreren Jahren an dem Projekt durch die Sicherung der umfangreichen analogen Grabungsdokumentation und der born digitals der archäologischen Ausgrabungen auf dem Gelände der römischen Stadt Colonia Ulpia Traiana (CUT). Ein detaillierter Rahmenplan legte dazu vor Beginn der Digitalisierungsarbeiten fest, welche Dokumente als archivwürdig angesehen werden. Mittlerweile sind mehr als 110.000 Dokumente gespeichert und mit Metadaten versehen. Davon entfallen allein 62.000 Datensätze auf Grabungsfotos (Dia und Digitalbilder). Darüber hinaus sind Grafiken für Publikationen, Luftbilder, Objektfotos, Fundzeichnungen und die Altgrabungen der 1930er Jahre verfügbar. Derzeit wichtigstes Projekt ist die Digitalisierung der ca. 31.000 Feldzeichnungen, von denen 16.000 bereits bearbeitet sind. Die Tagebücher, Fotolisten, Ton- und Filmaufnahmen sowie das mehrere Zehntausend Negative umfassende Konvolut der SW-Bilder werden in den nächsten Jahren nachfolgen. Die Digitalisierung der Feldzeichnungen erfolgt außer Haus, wobei stets nur ein überschaubares Kontingent der unersetzlichen Dokumente herausgegeben wird. Speziell die Feldzeichnungen der 1950–1960er Jahre stellen bei der Digitalisierung oft eine große Herausforderung durch ihre leporelloartige Anstückelung von Zeichnungsteilen dar. Die längste Feldzeichnung maß immerhin 5,8 m! Neben der technischen Seite der Digitalisierung ist die Eingabe von Metadaten Kern der Arbeiten. Dazu kann einerseits auf einen Thesaurus zurückgegriffen werden, der LVR-übergreifend betreut wird. Die spezifischen Begriffe des LVR-APX (z. B. Schnittnummern) werden auf Grundlage eines eigenen, verbindlichen Stichwortkatalogs vergeben, der nach Bedarf erweitert werden kann. Diese Festlegung erleichtert die Eingabe von Einzeldaten, die aus dem Tagesgeschäft resultieren. Bei großen Konvoluten, wie den Grabungsunterlagen, ist darüber hinaus ein jeweils im Vorfeld erstelltes Konzept notwendig, das die speziellen Anforderungen der Vorlagen berücksichtigt und die Vergabe der Metadaten regelt. Durch Stapelverarbeitung können der Workflow erheblich vereinfacht und Fehler vermieden werden. Als Basis für die Bearbeitung der Grabungsdokumentation entstand parallel dazu ein digitaler GIS-Plan der CUT, in den seit 2010 Vermessungsdaten von aktuellen Grabungen einfließen. Das GIS informiert zudem über die Lage und Art von fast 2.000 Grabungsschnitten und weiteren Bodeneingriffen in der CUT. Ein weiterer Ausbau des GIS ist geplant.
Die digitale Sicherung von analogen Daten und ’Born Digitals‘ stellt eine Sisyphos-Arbeit dar, die nicht neben der normalen Arbeitsroutine bewerkstelligt werden kann, sondern zusätzliche personelle und technische Ressourcen erfordert. Dateneingabe und Datenpflege stellen eine langwierige Arbeit dar, denn ein spürbarer Erfolg stellt sich erst nach einiger Zeit mit dem stetig wachsenden Datenbestand ein. Diese Arbeiten sind notwendig. Zum einen stellt die Flut digitaler Grabungsdaten eine besondere Herausforderung in der Handhabung und der Verwaltung dar. Andererseits wird die analoge Grabungsdokumentation zugänglicher und mancher Schatz zum zweiten Mal gehoben.
Die unmittelbaren Vorteile der Digitalisierung werden gerade jetzt in Zeiten der Pandemie deutlich. Bildrecherche und Forschungsvorhaben werden erleichtert. Ein Zugriff auf die Daten ist vom Büro, wie auch im Homeoffice möglich. Damit wird ein Gang ins Archiv immer seltener nötig, und die Originale werden schont.
Dr. Bernhard Rudnick, LVR-Archäologischer Park Xanten
8.7 Rashida Hussein-Oglü: Lust und Leid der Digitalisierung in Museen und Sammlungen
Digitalisierung ist seit (mindestens) zwei Jahrzehnten ein in der öffentlichen Wahrnehmung präsentes Thema, das insbesondere durch den Siegeszug des Smartphones Einzug in nahezu alle Lebensbereiche erhalten hat. Längst ist "die Digitalisierung" auch in Museen und Sammlungen, in Forschung und Lehre, bei Ausgrabungen, Restaurierungsmaßnahmen und Kulturgüterschutz ein immer wichtiger werdender Aspekt der Arbeits- und Alltagsrealität.
Die Sinnhaftigkeit von digitalen Visualisierungs-, Vermessungs-, Analyse- und Erlebnismöglichkeiten sei an dieser Stelle nicht infrage gestellt. Im Netz lassen sich die unterschiedlichsten klugen, spannenden und erkenntnisbringenden Anwendungsbeispiele suchen und finden: von begehbaren 3D-Modellen, Grabungen, die dank SfM-Modell virtuell nachvollzogen werden können, online recherchierbaren Museumsdatenbanken usw. usf. Große Museen werben mit Online-Ausstellungen und interaktiven Nutzungsmöglichkeiten – ein virtueller Lockruf, der kleinere Einrichtungen oft vor nicht zu bewältigende finanzielle, personelle und technische Probleme stellt. Wie funktioniert also die Digitalisierung im Museum, und welchen Unterschied macht "digital" vs. "analog" für uns als Rezipienten aus?
Die Corona-Krise beschleunigt (wenigstens angeblich) den Digitalisierungsprozess, und schon der erste Lockdown führte zu einer beinahe panischen Onlinestellung unterschiedlicher digitaler Formate. Die Aufgabe, "irgendetwas Digitales" zu machen, wurde und wird oftmals auf das jüngere Personal eines Museums übertragen: die wissenschaftlichen Volontäre. Wer es selbst einmal versucht hat, wird schnell merken: Gar so einfach und schnell ist das nicht zu machen. Egal, ob Videobeitrag, virtueller Rundgang, 3D-Modell oder gar eine komplette Onlineausstellung – sie alle erfordern spezielle Kenntnisse, das Wissen um das technisch Machbare, eine Infrastruktur für das Datenmanagement, die passende Software, Web- und Grafikdesign, Webentwicklung … Das ist weit mehr, als eine Volontärsstelle leisten kann, und birgt, trotz allen investierten Engagements, die Gefahr, am Ende ein halbgares Produkt hervorzubringen. Die Frage, ob auf diese Weise das eigentliche Ziel erreicht werden kann, muss spätestens an dieser Stelle gestellt werden. Das virtuell begehbare Museum mag beim ersten Besuch noch aufregend sein, aber lassen sich Inhalte dort tatsächlich vermitteln? Wird der digitale Besuch ein Erlebnis, oder verschwimmen die Inhalte eher zu der konfusen Masse des "habe ich irgendwo im Internet gesehen"?
An Tagen der digitalen Frustration kann ein schönes, analoges Steinbeil eine willkommene Abwechslung sein. Form, Farbe, Haptik, das alles lässt sich am (zu Recht) viel beschworenen Original besser erleben, begreifen. Und stürzt selten ab (falls doch, allerdings mit ggf. schwerwiegenden und irreparablen Folgen). Eine ganze Reihe von Fragen, können wir nur an das analoge Original stellen und nicht mit einem Digitalisat beantworten: Wie schwer wiegt ein Mammutzahn in den Armen? Wie lassen sich verschiedene Keramikwaren erfühlen? Warum verrät der Geruch einem zuweilen, ob ein Fund alt oder rezent ist? Welche spontanen Reaktionen lösen Exponate bei Besuchern aus? Welche Diskussionen entspinnen sich zwanglos zwischen Besuchern vor einer Vitrine? Es sind diese sinnlichen Erfahrungen, die sich nicht digitalisieren lassen, die aber umso wertvoller für uns sind: als Museumsbesucher, als Lernender, Lehrender, Forschender. Insbesondere die emotionale Ebene kann digital kaum angesprochen werden. Dabei geht es nicht zwangsläufig um die beeindruckenden Stücke einer Sammlung (sehr groß oder sehr klein oder sehr golden) – reicht nicht manchmal schon das Fragment einer kleinen Wandscherbe, auf der der Töpfer unversehens seinen Fingerabdruck hinterlassen hat?
In den vergangenen zwei Jahren habe ich mir häufiger die Frage gestellt, ob wir nicht manchmal um der Digitalisierung willen digitalisieren, ob bei allem Nutzen und den vielen technischen Möglichkeiten nicht auch oft genug wichtige Erfahrungshorizonte auf der Strecke bleiben. Vielleicht geht das auch anderen Menschen so, und vielleicht hilft uns die Corona-Krise dabei, demnächst wieder ein wenig mehr "Analoges" zu wagen: die echte Begegnung mit Objekten an einem realen Ort mit realen Menschen. Vielleicht kann das auch der entscheidende Standortfaktor für die kleinen Museen und Sammlungen sein: dass sie ihren Besuchern Originale tatsächlich "nahe bringen", sie "begreifen lassen". Das geht eher nicht mit der originalen Mona Lisa, aber das 20ste Steinbeil ohne Fundortangabe könnte doch, bei gebotener Vorsicht und Anleitung, dem Besucher die entzückende Erfahrung bescheren, ein 5.000 Jahre altes Original in den Händen gehalten zu haben. Es ließe sich ja, vorsichtshalber, auch vorher als 3D-Modell digitalisieren, nur für alle Fälle ...
Studie: Starker Digitalisierungsschub durch Corona-Krise" (RND, 18.5.2020): https://www.rnd.de/digital/digitalisierung-in-deutschland-corona-krise-treibt-laut-studie-fortschritt-voran-auch-bei-jungen-erwachsenen-XG66NF75WE5V3BZXLDJX6QVPAU.html
Rashida Hussein-Oglü M. A. ist wissenschaftliche Volontärin am Stadtmuseum Lippstadt.
9 Publizieren
9.1 Melanie Augstein: Ein Nachruf auf den Sammelband? Zur aktuellen Sicht auf die "Wertigkeit" bestimmter Publikationsformen
Letztens hatte ich eine längere Diskussion mit einem jungen Kollegen, der mitten in seiner Doktorarbeit steckt. Das Gespräch stimmte mich nachdenklich hinsichtlich einer speziellen Entwicklung im Fach – gemeint ist die veränderte Sicht auf die "Wertigkeit" bestimmter Publikationsformen. Welchen Stellenwert hat heute eine Monografie? Wie sieht es aus mit Sammelbänden? Und wie steht es um die anderen Formate? Rezensionen beispielsweise – ein Medium, das vor langer Zeit einmal etwas überspitzt über "Flop oder Top" im Fach entscheiden konnte – können heute je nach Standort nicht einmal mehr angegeben werden, wenn fach- oder fakultätsintern der "Produktivitätsindex" zum Beispiel eines Lehrstuhls oder Instituts bestimmt wird. Das wirft einige Fragen auf. Sind dann Rezensionen überhaupt Publikationen? Etwas augenzwinkernd müsste man doch antworten: offenbar nicht.
Mein Eindruck ist, in diesem System geht es um was Anderes. Es geht um Punkte. Je mehr Punkte, desto mehr – Geld? Je mehr Punkte, desto – klüger? "Klug sein" ist hier im Sinne von (auch oder vor allem?) "strategisch sein" gemeint. Denn bleiben wir bei dem "Produktivitätsindex": Häufig richtet sich die inneruniversitäre Mittelzuweisung – neben eingeworbenen Drittmitteln – nach derart generierten Kennzahlen. Sich da mit einer Herausgabe einzubringen, ist nicht allzu klug – oder tut gar wenig für sein Institut oder seinen Lehrstuhl. Denn Herausgeber*innenschaften bringen, je nach Standort, häufig nicht viele Punkte im Vergleich zu anderen Publikationsformaten. Und: man darf, je nach Standort, keinen weiteren Artikel unter eigener Autor*innenschaft aus angegebenem Band nennen. Hier herrscht offenbar eine Art Eigenlogik vor … Was man lernen kann, ist: Herausgeber*innenschaften lohnen sich nicht – viel Arbeit für nichts (bzw. nicht viel). Was nicht messbar "zählt" im Sinne des Wortes, ist wertlos. Wertlos, so die Einschätzung meines Kollegen, für die Bewerbung auf Stipendien, wertlos für die Bewerbung auf Jobs (vor allem im Ausland), wertlos für die Partizipation in vielen Bereichen des Fachs.
Fühlt sich die Younger Generation also zu Recht getrieben von der Notwendigkeit, "Punkte zu sammeln"? Ganz, wie sie es nach Bologna im Studium gelernt hat? Schnell sein, effektiv sein, bloß richtig entscheiden, sich richtig platzieren, keinen strategischen Fehler machen? Aber "richtig", was ist das überhaupt? Es geht mitnichten darum, als kühl kalkulierende/r Einzelkämpfer*in aufzutreten, sondern gerne in Autor*innenkollektiven. Aber gut wäre schon, wenn eine/r der Autor*innen ein/e renommierte/r Naturwissenschaftler*in ist. Und publizieren? Unbedingt! Aber international, in einem englischsprachigen, high-ranking Journal. Peer reviewed, versteht sich, und double-blind – sonst hat man nichts davon. Vielleicht sollte ich das an dieser Stelle deutlich sagen: Ich will damit auf keinen Fall Sinn und Zweck von Qualitätssicherung bestreiten! Ganz im Gegenteil. Aber ist ein externes Gutachten, double-blind, wirklich per se mehr wert als ein ausführliches, differenziertes internes (Herausgeber*innen-)Feedback? Ich würde nach langjähriger Erfahrung in der Redaktion einer Fachzeitschrift mit Peer Review sagen: Nein. Nicht zwingend. Kann sein. Muss aber nicht. Und ist es wirklich gut, dass man sich in der Konsequenz dieser Tage überlegen sollte, ob man sich noch als Autor*in an einem Sammelband beteiligt? Natürlich ist es schade, wenn thematisch Zusammengehöriges auseinandergerissen wird, aber … wem, so scheint die Frage zu lauten, nützt ein Aufsatz in einem Sammelband? Denkbar wäre – neben der Partizipation an Publikationen in den eigenen Reihen der großen Forschungsverbünde, die aber in der Regel nur für Jene eine Option ist, die dort angestellt sind – höchstens ein "Special Issue" in einer hochrangigen internationalen Fachzeitschrift… Und kann es wirklich sein, dass man ein schlechtes Gewissen haben muss, Kolleg*innen aus den Naturwissenschaften überhaupt zu bitten, sich an einer Publikation an einem Sammelband zu beteiligen? Agiert man da (wiederum überspitzt) nicht unkollegial oder schlimmstenfalls sogar Karriere schädigend?
Ich bin der Meinung, diese Entwicklung – so positiv Internationalisierung und Reichweite ohne Zweifel sind – geht gleichzeitig mit Monopolisierungen und Engführungen und mit Verlusten einher, über die man nachdenken sollte. Der Verlust von Deutsch als Wissenschaftssprache ist vielleicht der geringste. Die Verluste in der Vielfalt von Textformaten und in der Vielfalt der Themen wiegen schwerer.
Dr. Melanie Augstein, Professur für Ur- und Frühgeschichte, Universität Leipzig
9.2 Erwin Cziesla: Der Publikations- und Auswertungsstau bei archäologischen Untersuchungen
Vor gut 25 Jahren äußerte sich der damalige Landesarchäologe von Baden-Württemberg, Dieter Planck, grundsätzlich zur Archäologischen Denkmalpflege und zum Einsatz von Grabungsfirmen. Er umriss die Aufgaben der Amtsarchäologie und fand darin keinen sinnvollen Platz für Grabungsfirmen. Denn er stellte nicht die Ausgrabung, sondern deren wissenschaftliche Veröffentlichung in den Vordergrund, weil "die Auswertung einer archäologischen Ausgrabung … zu den Verpflichtungen der Archäologischen Landesämter [gehört]. Ausgrabung, Aufbereitung des Fundmaterials durch die Restauratoren und den wissenschaftlichen Zeichner bis hin zur wissenschaftlichen Auswertung müssen Hand in Hand gehen unter Regie bzw. Federführung des jeweiligen Amtes. Denn eine beauftragte Grabungsfirma befasst sich ausschließlich mit der Durchführung der Grabung. Die wissenschaftliche Auswertung und alle damit verbundenen Tätigkeiten (Restaurierung, Zeichenarbeiten) unterbleiben. Ein dritter, an der Grabung nicht Beteiligter muss sich dann unter Umständen mit hohem finanziellem Aufwand zunächst einmal in die Materie einarbeiten, um eine brauchbare, für weitere wissenschaftliche Arbeiten geeignete Publikation vorlegen zu können" (Planck 1994, 69).
Heute wird das Thema "Aufarbeitung" erneut diskutiert, und zwar wieder von der Landesarchäologie in Baden-Württemberg. In einem mit der Frage "Was tun gegen den Auswertungs- und Publikationsstau?" betitelten Artikel (Krausse & Spatzier, 2021, 49) heißt es u. a.: "Einerseits können dank des flexiblen Einsatzes von Grabungsfirmen viel mehr archäologische Denkmale vor ihrer Zerstörung fachgerecht dokumentiert werden. Andererseits finden viele Studienabsolventen auch ohne Promotion eine Beschäftigung in der Archäologie. Beides führt jedoch gleichzeitig dazu, dass der Berg an nicht ausgewerteten und unpublizierten Ausgrabungen immer höher wird." Um dies zu verhindern, müsse "die archäologische Denkmalpflege heute Anreize schaffen, damit Doktoranden sich auch zukünftig spannenden landesarchäologischen Themen zuwenden können. Dazu gehören Instrumente der finanziellen Förderung, wie Kooperationsverträge mit Universitäten oder befristete Qualifizierungsstellen, ebenso wie die Unterstützung bei notwendigen naturwissenschaftlichen Untersuchungen, grafischen Arbeiten etc. Zentrales Anliegen muss dabei die Inwertsetzung wissenschaftlich besonders relevanter Fundkomplexe sein, damit diese Schätze nicht im Archiv verstauben."
Immer noch hoffen die Verantwortlichen – wohl in allen bundesrepublikanischen Landesarchäologien – auch künftig darauf verzichten zu können, die Konvention von Malta wie geboten auszuschöpfen und die Verursacher an der primären wissenschaftlichen Berichterstellung zu beteiligen. Kann das gelingen? Ich berichte aus meiner Praxis: Allein die Firma "Wurzel Archäologie und Umwelttechnik GmbH", gegründet 1993, hat in den vergangenen 27 Jahren mehr als 3.000 archäologische Maßnahmen durchgeführt. Wenngleich mehr als 95 % aller Maßnahmen keine weitere Erwähnung über die Lokalgeschichte hinaus wert sind (und folglich auch nicht in den regionalen Jahresbänden erwähnt werden), so sind doch rund 1 bis 2 % aller Maßnahmen von landesgeschichtlicher Bedeutung. Wenn es weniger wären, wäre das Tun auch kaum zu rechtfertigen. Dies sind über rund drei Jahrzehnte etwa 30 bis 60 archäologische Maßnahmen in nur einer Fachfirma. Legen wir noch härtere Auswahlkriterien an und gehen davon aus, dass nur alle zwei Jahre ein wirklich wichtiger Fundplatz angetroffen wird, so wären es immer noch 15 Ausgrabungen, die dringend aufbereitet werden müssen. Übertragen wir diese Berechnung auf das gesamte Bundesland Brandenburg, wo aktuell ca. 20 Grabungsfirmen tätig sind, so stünden seit der Wende rund 300 wissenschaftliche Untersuchungen aus und es kämen jährlich 10 hinzu – ohne jene Großgrabungen mitzuzählen, die das Referat GV beim BLDAM selbst durchführt (und nur sehr selten veröffentlicht). Also allein für Brandenburg jährlich zehn zu finanzierende und zu betreuende Examensarbeiten.
Daher sind die geplanten Maßnahmen zur Verhinderung des Publikations- und Auswertungsstaus, wie sie von Krausse & Spatzier (2021) vom Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg im Regierungspräsidium Stuttgart geschildert werden, sehr beachtenswert. Vielleicht aber ist das Problem nicht so einfach zu lösen, und vermutlich kann man den "Berg an nicht ausgewerteten und unpublizierten Ausgrabungen" auch nicht allein mit Hilfe von Examensarbeiten abtragen. Sind die Ausführungen von Krausse und Spatzier eventuell sogar als naiv zu bezeichnen, vielleicht sogar als fahrlässig? Ich kann mir diese Frage und Wortwahl leisten, denn ich habe in den vergangenen acht Jahren vier Verursachergrabungen in Buchform veröffentlicht, und zwar zum Mesolithikum (2017), zur Bandkeramik (2014), zur Bronze-/Eisenzeit (2019) und zum Mittelalter (2021). Stets habe ich ausführlich auf die damit verbundenen, z. T. erheblichen Probleme hingewiesen. Die Veröffentlichungen waren nur möglich, weil die jeweiligen Grabungsdokumentationen exzellent waren und der Druck dieser Bücher durch "Straßen.NRW"/"RWE Power AG", das Land Brandenburg und die DGUF finanziert wurden. Meine beiden zuletzt genannten Veröffentlichungen erschienen in den "Archäologischen Quellen", die eigens dazu geschaffen wurden, eine schnelle und preiswerte Grabungsvorlage zu ermöglichen, damit die Erträge nicht in den Archiven dauerhaft verschwinden (Siegmund & Scherzler, 2017).
Nutzen wir die neu geschaffenen, kostenlosen Veröffentlichungsmöglichkeiten und verstärken zugleich die Qualität der Grabungsdokumentationen, wird es dann tatsächlich möglich, den Publikations- und Auswertungsstau abzubauen – so, wie es lt. Planck Pflicht der archäologischen Landesämter ist? Ich bin skeptisch, was den Weg über finanzierte Examensarbeiten anbetrifft. Denn nach meiner Erfahrung können nur die Personen die Berichterstattung wirklich schnell, kostengünstig und auf hohem Niveau leisten, die selbst vor Ort waren, d. h. die Grabungsleiter. Daher muss m. E. eine Situation geschaffen werden, die Grabungsleiter finanziell und organisatorisch so zu unterstützen, dass sie unmittelbar nach Grabungsende die primären Berichte erstellen und publizieren können, während parallel dazu das Fundgut restauratorisch wie zeichnerisch aufbereitet wird. Die nötige, im Vergleich zu den Grabungskosten bescheidene Finanzierung könnte z. B. durch eine Stiftung erfolgen, aus der eine zielgerichtete Wertschöpfung erfolgt, vielleicht angebunden z. B. an die DGUF, vielleicht ähnlich dem 2001 gegründeten nationalen "INRAP"-Institut in Frankreich, aktuell mit einem Jahresbudget von fast 200 Millionen Euro.
Wir sollten unser archäologisches Tun und die damit verknüpften historisch-wissenschaftlichen Zielsetzungen grundsätzlich überdenken. Zukünftig sollte das Ziel eine (überwachte und kontrollierte) Partnerschaft von Bodendenkmalpflege und Grabungsfirmen sein – auch unter Einbindung der Uni-Institute – zur Schaffung, Umsetzung und Einhaltung wissenschaftlicher Qualitätsstandards. Nur so bekommen wir die Flut an Grabungen in den Griff. Versäumen wir deren Veröffentlichung, können wir auch das Ausgraben einstellen.
Biel, J. (1996), Vorwort. Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1995, 5-8.
Cziesla, E. (2017). Jühnsdorf 8. Haus und Herd im Mesolithikum in Mitteleuropa. Internationale Archäologie 128. Rahden: Leidorf.
Cziesla, E. (2019), Archäologie auf der Ortsumfahrung Passow (Lkr. Uckermark, Bundesland Brandenburg). (Archäologische Quellen, 3). Kerpen-Loogh: DGUF-Verlag).
Cziesla, E. (2021). Drei Holzkeller aus der Mitte des 15. Jahrhunderts von der Schlosskirchstraße in Cottbus. (Archäologische Quellen, 6). Kerpen-Loogh: DGUF-Verlag (erscheint 2021).
Cziesla, E. & Ibeling Th. (2014). Autobahn 4. Fundplatz der Extraklasse. Archäologie unter der neuen Bundesautobahn bei Arnoldsweiler. Langenweißbach: Baier & Beran.
Krausse, D. & Spatzier, A. (2021). Was tun gegen den Auswertungs- und Publikationsstau? Archäologie in Deutschland 01/2021, 46-49.
Planck, D. (1994). Zum Einsatz privater Grabungsfirmen in der Archäologischen Denkmalpflege. In Verband der Landesarchäologen in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.), Archäologische Denkmalpflege und Grabungsfirmen. Kolloquium im Rahmen der Jahrestagung 1993, Bruchsal, 10.-13. Mai 1993 (Freiburg 1994) 67-69.
Siegmund, F. & Scherzler, D. (2017). Vorwort der Herausgeber. (Archäologische Quellen, 1). (S. I-IV). Kerpen-Loogh: DGUF-Verlag.
Dr. Erwin Cziesla, Wurzel Archäologie und Umwelttechnik GmbH – Stahnsdorf bei Berlin
9.3 Werner Schön und Frank Siegmund: Warum wird eigentlich immer noch in "Lieblos gegen teuer"-Verlagen publiziert?
Die Verfasser dieses Fragesatzes sind, wie viele Andere auch, erfahrene Leser und Nutzer von Aufsätzen und Büchern, und zugleich auch seit einigen Jahrzehnten Autoren, Herausgeber und Verleger – haben also aus den verschiedensten Blickwinkeln und Interessenlagen heraus Erfahrungen im wissenschaftlichen Publikationswesen. Und finden sich immer öfter wie Waldorf und Statler auf dem Balkon in der Muppet Show wieder, als ganz klein wenig ältere Herren kopfschüttelnd und spottend: Warum publizieren einzelne Kollegen eigentlich noch in "Lieblos gegen teuer"-Verlagen? Wobei das Pseudonym für die Strategie einiger allen Kollegen bekannten und durchaus etablierten Verlage steht: Die Bücher werden dort traditionell lieblos gegen teuer Geld gedruckt, kaum annonciert und bekannt gemacht, nie einer Zeitschrift oder Fachkollegen aktiv zur Rezension vorgeschlagen. Sprich: Außer dem Druck leistet der Verlag so gut wie nichts, auf den entsprechend jämmerlichen Verlags-Websites fehlen oft sogar die Klappentexte der mit viel Leidenschaft verfassten Bücher. Dabei gibt es doch rege, wache Fachverlage wie z. B. Sidestone Press (um hier absichtlich ein ausländisches Beispiel zu nennen), die ihre Autoren betreuen, die auch deutschsprachige Bücher verlegen, die Bücher lektorieren und ordentlich drucken, sie frei lesbar ins Internet stellen oder Interessierten zumindest das Cover, einen informativen Klappentext und das Inhaltsverzeichnis offerieren. Die Rezensenten anstandslos ein Leseexemplar zukommen lassen. Doch wer das archäologische Publikationswesen in Deutschland aufmerksam beobachtet, wird weiterhin die oben skizzierten Verlage mit hohen Zahlen an Neuerscheinungen kennen, die gegen herausgeberseitig einzubringendes Geld bereit sind, Papier mit gelehrten Worten zu bedrucken und es dabei auch belassen. Wir rätseln über die Autorinnen und Autoren: Was führt kluge Menschen dazu, eine Ware mit ihrem guten Geld zu bezahlen und dafür bereitwillig eine Minderleistung zu akzeptieren? Was führt Forschungsförderer, die sich in ihren offiziellen Verlautbarungen zum Prinzip Open Access bekannt haben, dazu, in der Praxis weiterhin Closed-Access-Publikationen zu finanzieren, die noch nicht einmal z. B. via Verlags-Website wirksam der Fachöffentlichkeit bekannt gemacht werden? Angesichts der bestehenden Möglichkeiten, es anders zu machen, verstehen wir aber auch Autoren akademischer Abschlussarbeiten nicht, die zwar ihrer Publikationspflicht nachkommen, indem sie ihr Werk auf dem Dokumentenserver ihrer Unibibliothek publizieren. Gewiss: das ist rechtens und es ist gut so, dass dieses Ventil endlich besteht! Doch warum so versteckt? Oder warum lassen sich Autoren von Abschlussarbeiten auf den Warteplatz 98 einer "etablierten" Schriftenreihe setzen, die am Ende – siehe oben – nicht selten im Closed Access "publiziert", statt zu publizieren, eine Arbeit also im Wortsinne "zum öffentlichen allgemeinen Gebrauch herzugeben"? Warum, so fragen wir erweiternd, werden im Fach weiterhin von Generation zu Generation Prestigeskalen von "führenden Zeitschriften" und "wichtigen Reihen" tradiert, die sich angesichts des Ist-Zustandes schlicht überlebt haben? Im Sport geht es da realistischer zu: Der ruhmreiche 1. FC Nürnberg, beispielsweise, im 20. Jahrhundert jahrzehntelang Deutscher Rekordmeister, d. h. die Mannschaft mit den meisten Deutschen Meisterschaften, ist derzeit zweitklassig und keineswegs ein Aufstiegskandidat. Isso. Gewiss, auch Fußballfans hängen gerne mal dem vergangenen Ruhm ihrer Mannschaft nach, aber sie wissen doch zumeist auch die Gegenwart realistisch einzuschätzen. Wann endlich lernen Archäologinnen und Archäologen vom Fußball? Und so sitzen Waldorf und Statler, teils kopfschüttelnd, teils spottend, auf ihrem Balkonplatz und blicken belustigt auf wunderliches Tun.
Weil wir nicht nur die Spötter abgeben, sondern auch zu einer Entscheidungsfindung konstruktiv beitragen wollen: Diese ist einfach, wenn man die Optionen einmal systematisch anhand einer Checkliste für die Publikation seiner geplanten Monografie durchgeht: Gibt es ein Lektorat und eine redaktionelle Autorenbetreuung? Wie lange muss ich auf die Veröffentlichung warten? Wie viel Geld kostet mich die Publikation? (Achtung: Die Arbeit eines Verlags ist Geld wert, aber schauen Sie genau hin, wofür es verlangt wird.) Erfolgt die Veröffentlichung außer im Druck auch online im Open Access? Wie lange ist ggf. die Sperrfrist, bis nach dem Druck auch die Online-Veröffentlichung erfolgt? Bekommt mein Buch auf der Verlagswebsite eine eigene Seite mit einer individuellen URL, mit Inhaltsangabe und Inhaltsverzeichnis? Steht das Buch im Verzeichnis lieferbarer Bücher (VLB)? Wie teuer ist das Buch am Ende für die Käufer? – denn "Mondpreise" sind nicht rezeptions-förderlich. Bemüht sich der Verlag erkennbar darum, dass die Neuerscheinung in guten Fachzeitschriften rezensiert wird? Macht der Verlag seine Neuerscheinungen auch jenseits seiner Verlagswebsite bekannt, und wie? – eher mit gedruckten Prospekten (gähn) oder über reichweitenstarke Social-Media-Kanäle? Mit solch einer Checkliste im Hintergrund lassen sich Veröffentlichungsoptionen objektiv vergleichen und bewerten. Liebe Autoren: Seien Sie selbstbewusst – für Ihr kostbares Werk künftig nur noch das Beste!
Dr. Werner Schön und PD Dr. Frank Siegmund, Herausgeber & Verleger
10 Kulturgutschutz
10.1 Robert Kuhn und Elisabeth Katzy: Von der Geduldigkeit des Papieres … Provenienz und ihre Bedeutung für Wissenschaft und Antikenhandel
Trotz seiner 2016 durchgeführten Novellierung sorgt das Kulturgutschutzgesetz immer noch für große Unzufriedenheit auf Seiten des Handels, der Wissenschaft und Strafverfolgungsbehörden. Besonders wichtig sind dabei die Sorgfaltspflichten, darunter die Angabe der Provenienz (Angaben zur jüngeren Geschichte des Objektes; Vorbesitzer; Objektbiografie). Zwar besteht die Pflicht und somit auch die Notwendigkeit, dies beim Verkauf offenzulegen, doch zeigt der Blick auf das Angebot der renommierten Kunstmessen, Auktionen und vor allem des Online-Handels, dass gerade das nur sehr eingeschränkt geschieht. Neben abgekürzten Namen der Vorbesitzer, sehr grob belassenen Jahreszahlen zu früheren Besitzverhältnissen (z. B. "1980er Jahre") und schwammigen Zuordnungen zu Herkunftsregionen werden die Objekte zudem häufig mit einem negativen Bescheid von Institutionen wie dem Art-Loss-Register (ALR), der Interpoldatenbank oder mit eigenen "Zertifikaten" beworben. Dabei stellt sich die Frage, welche Informationen und Dokumente dem ALR zur Verfügung gestellt bzw. wie diese überprüft werden. Vor allem ist ein Negativbescheid des ALR kein Legalitätsnachweis. Er zeigt nur eines: Es handelt sich um eine Antike, die vom Ursprungsland bislang nicht als gestohlen gemeldet worden ist. Dass die mittlerweile unzählbaren Objekte aus rezenten oder älteren illegalen Raubgrabungen nicht erfasst sein können, versteht sich von selbst. Vielfach werden jedoch auch Diebstähle in den Herkunftsländern aus Scham nicht offiziell angezeigt.
Es mag ein wenig überraschen, dass selbst große Häuser wie die Glyptothek in München oder das Metropolitan Museum of Art in New York auf falsche Provenienzangaben beim Ankauf und der Annahme von Dauerleihgaben von Antiken hereinfallen, doch zeigt es vielmehr, wie wichtig es ist, sich kritisch und sehr genau mit den vorgelegten Provenienzangaben und -dokumenten auseinanderzusetzen. Beispielhaft sei hier ein Marmorkopf der Antonia Minor genannt, der 2017 von der Münchner Glyptothek als Dauerleihgabe angenommen und in der Ausstellung "Charakter-Köpfe" 2017/18 gezeigt worden ist. Das Objekt wurde von einem laut Museum "gut beleumundeten Privatsammler" angeboten, der das Stück wiederum 2011 bei einem Münchener Auktionshaus erworben hatte. Bei seinen Recherchen stieß ein spanischer Archäologe 2018 auf das Stück und konnte nachweisen, dass es 2010 aus einem Provinzmuseum in Südspanien gestohlen worden war. Der Kopf wurde daraufhin von der Polizei beschlagnahmt und 2020 an Spanien restituiert. Die dem Museum gegenüber angegebene Provenienz des Stückes stellte sich als Fälschung heraus.
Ganz ähnlich liegt der Fall bei einem 2017 vom Metropolitan Museum of Art New York erworbenen Goldsarg eines Priesters, der von einer lang zurückreichenden Provenienzlegende und vermeintlich offiziellen Ausfuhrpapieren des Ursprungslandes Ägypten begleitet wurde. Die Ermittlungen von Fachkollegen und der New Yorker Staatsanwaltschaft belegen jedoch, dass die Ausfuhrpapiere gefälscht und die Provenienzlegende ebenfalls unglaubwürdig war. Die dafür vorhandenen Anzeichen haben offensichtlich den Ankaufswillen nicht beeinflusst. Im vergangenen Jahr konnte das Objekt, das bei Raubgrabungen während des Arabischen Frühlings illegal außer Landes gebracht worden war, an Ägypten restituiert werden.
Warum kommt es auch weiterhin zu solchen Fällen, die selbst die großen, international ausgerichteten Museen betreffen? Ein großer Teil an Objekten, der auf dem Markt angeboten wird, stammt leider aus illegalen Grabungen, die in Krisenzeiten wie Kriegen, politischen Unruhen etc. deutlich zunehmen. Dies zeigt sich auch aktuell in der Covid-19-Pandemie, die – gepaart u. a. mit fehlenden Tourismuseinnahmen – als Treiber für Raubgrabungen und Kunstkriminalität angesehen werden muss und derzeit vor allem den Handel im Internet florieren lässt. Das gemahnt uns, die Wissenschaftler und Mitarbeiter an großen Museen, unsere Einstellung zum Thema Kunstankauf und Antikenhandel deutlich zu überdenken. Es bleibt daher nur, an die einzelnen Häuser und Kollegen zu appellieren, Energie und Kraft auf die Provenienzrecherche in den eigenen Sammlungen zu richten und diese, auch im Austausch mit anderen Museen, zu präsentieren; und weniger Energie in den Ankauf neuer Objekte zu legen. Sollte jedoch nach gründlicher Abwägung der Ankauf eines Objektes von besonderer Bedeutung für die Sammlung sein, so muss ein sehr kritischer Blick auf die vorgelegten Papiere erfolgen und eine detaillierte Überprüfung stattfinden. Die hier erwähnten Fallbeispiele verdeutlichen, dass hierbei eine enge Zusammenarbeit mit den Kollegen in den Ursprungsländern nötig ist, zugleich aber intensive Recherchen in Archiven geleistet werden müssen. Von Objekten, die keine Ausfuhrpapiere besitzen und deren Objektgeschichte nicht mit eindeutig nachzuvollziehenden Provenienzstationen belegt werden kann, ist jedoch in jedem Falle dringend abzuraten. Mit dem Kauf solcher Objekte – das sollte jeder unbedingt im Hinterkopf behalten – finanziert man dann mutmaßlich illegale Geschäfte bis hin zu organisierter Kriminalität und terroristischen Gruppierungen, und die Zerstörung der Grundlagen wissenschaftlicher Forschung. Die Nachfrage der Sammler und Museen ist der Motor von Raubgrabungen, Plünderungen und Diebstählen, von unwiederbringlichem Wissensverlust.
Dr. Robert Kuhn, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung zu Berlin - Vorderasiatisches Museum zu Berlin. Dr. Elisabeth Katzy gehört zum DFG-Projekt "Tell Halaf" am Vorderasiatischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin.
11 Berufsleben
11.1 Anonyma: Sechs Monate: Befristet schwanger
"Nun, Frau W., Sie müssen sich klar sein – wenn sich Ihre Schwangerschaft weiterhin auf Ihre Leistungsfähigkeit hier auswirkt, kann ich Sie leider nicht weiterbeschäftigen." Meine Chefin guckte traurig, während sie das sagte.
Was? Mir war ziemlich übel, wie seit ein paar Monaten immerzu, aber nun war mir auch flau.
"Ich riskiere ein Verfahren wegen Vorteilsnahme, wenn ich eine Kollegin weiterbeschäftige, obwohl sie überdurchschnittlich viele Fehltage hat."
Vor rund zehn Jahren riskierte meine damalige Chefin, Referatsleitung in der Bodendenkmalpflege, lieber meine Schwangerschaft als ein Verfahren wegen Vorteilsnahme. Das Risiko ging auf, zu meinen Ungunsten. Dies ist die Geschichte.
Mit Ende 20 wurde ich schwanger. Es war nicht geplant, aber meine Beziehung schien stabil, mein Freund und ich arbeiteten beide nach abgeschlossenem archäologischem Studium im Fach, ich im Innendienst bei der Bodendenkmalpflege, er bei einem Grabungsprojekt. Ich erhielt E 11, er E 8. Beides in Teilzeit, beides nicht viel, beides unterbezahlt, aber es reichte, und wir wollten ja sowieso promovieren, weitermachen, uns profilieren. Befristet waren wir beide, ich im Rhythmus von sechs Monaten. In der Abteilung, in der ich arbeitete (ich wiederhole: bei einer Landesbehörde), war es gängige Praxis, zwei Jahre auf befristeter Anstellung zu arbeiten. Dann wurde man pro forma an eine Zeitarbeitsfirma "weitergereicht". Für diese machte man die gleiche Arbeit für den gleichen Lohn. Einige Kolleg*innen an die zehn Jahre. Halbjährlich befristet. Diese Option war mir früh in Aussicht gestellt worden, ich rechnete fest damit, Alle machten das so. Alles in allem war ich also optimistisch, auch, was die Schwangerschaft anging. Es war ja auch völlig normal: nicht auf Rosen gebettet, aber sicherlich stabiler als für viele Andere.
Nicht so stabil war meine Konstitution. Schwangerschaftsübelkeit gilt als notwendiges Übel, als gutes Zeichen eigentlich ("das Kind nimmt sich, was es braucht. Es ist stark."). Nicht gut ist, an manchen Tagen nicht einmal aus dem Haus zu kommen, weil man von der Garderobe immer wieder zum Klo stürzt. Ich behielt nichts bei mir. Ich lebte tagelang von Pudding oder kleinen Stückchen Geflügel. Entsprechend schwach war ich. Meine Frauenärztin riet mir, zuhause zu bleiben ("Autofahren tun Sie aber nicht bei den Medikamenten, ja!? Eigentlich geht man damit auch nicht mehr arbeiten."). Mir tat die Arbeit aber gut. Zuhause gab es nur mich und den Eimer neben der Couch, der Mann war graben. Auf Arbeit wurde ich manchmal so sehr abgelenkt, dass ich meine Übelkeit vergaß. Außerdem war mein Team nett zu mir. Ich arbeitete langsamer, bedächtiger in diesen vier Monaten. Mein Team glich das aus, ziemlich gut sogar. An den Tagen, an denen ich nicht kam, weil ich es nicht aus dem Haus schaffte, lief es auch, manchmal riefen sie an und fragten nach. Die Strukturen, die ich geschaffen hatte, trugen. Bei allem Elend, und allem, was ich im Kopf hatte, machte mich das ein bisschen stolz.
Dann kam die Drohung: "Wenn sich Ihre Schwangerschaft weiterhin auf Ihre Leistungsfähigkeit hier auswirkt, kann ich Sie leider nicht weiterbeschäftigen." Und das, obwohl mehrere mündliche Zusagen auf Weiterbeschäftigung bestanden. Mein Vertrag lief im 6. Monat der Schwangerschaft aus. Ohne den (zugesagten) Übergang an die Zeitarbeitsfirma, mit der meine Chefin zusammenarbeitete, wäre ich das letzte Drittel der Schwangerschaft arbeitslos gewesen. Ich recherchierte und rechnete nochmal: In diesem Fall, ohne Weiterbeschäftigung bei der Zeitarbeitsfirma, wäre ich bei 600 Euro Elterngeld gelandet. 600 Euro für Essen, Kleidung, eine halbe Miete. Wenn ich Hartz IV zur Aufstockung beantragt hätte, wäre das Amt sicherlich auf den mit mir zusammenlebenden Kindsvater zurückgekommen. Wir hätten zu dritt von einem halben E8-Gehalt leben müssen. Nein, wohl nicht ganz – wir hätten aufstocken können: Mit Wohngeld (damals noch der zweitkomplizierteste Antrag) und Hartz IV. Bis zum zweifachen Hartz-IV-Satz, + ein bisschen was für das Baby. Und Kindergeld. Unsere Wohnung war zu groß für Hartz IV. Die zwingen uns nicht zum Umzug. Oder? Wir wollten nicht von Hartz IV leben. Ich wollte meine Elternzeit mit meinem Baby verbringen, nicht mit Sachbearbeiterinnen und Anträgen. Ich wollte mir und meinem Baby gute Sachen kaufen, Bio-Essen, zertifizierte schadstofffreie Strampler, die besten Windeln, welche auch immer das sein würden und was auch immer sie kosten würden. Ich wollte Geld für einen Termin mit einem Fotografen haben, einem, der zu uns kam, für Baby-Yoga oder Babyschwimmen oder was auch immer dem Kind, seinem Vater und mir gefiel. Wenn das Kind das mitmachte, wollte ich mit ihm Verwandte und Freunde besuchen fahren – bequem, mit Platzkarte und einem guten, hochwertigem Kinderwagen, den ich alleine die Treppen hinauf- und hinuntertragen konnte, oder mit dem Auto. Ich wollte nicht arm sein. Ich bekam richtig Angst um Geld. Ich hatte nie Angst ums Geld gehabt, auch wenn ich phasenweise pleite war. Aber es war ja auch immer nur um mich alleine gegangen. Ich versuchte also weiterzuarbeiten, sodass mir keiner was konnte, und so, wie ich konnte. Aber ich wusste dabei immer, dass ich nicht in der Lage war, zur vollen Zufriedenheit meiner Chefin zu arbeiten. Und dass es keine Garantie auf "Übernahme" gab.
Ich nahm ein paar halbe Tage frei, um mich zu informieren. Etwa zwei Wochen lang eruierte ich meine Möglichkeiten. Ich rief bei der Bundesagentur für Arbeit an, bei der Versicherungsanstalt des Bundes, bei der Rentenkasse. Ich ging zu einer Sozialberatung, fragte im Freundes- und Bekanntenkreis: nach dem Vertraglichen und Juristischen, nach dem Finanziellen und nach Empfehlungen für die Behörden. Ob ich irgendeine Möglichkeit hatte, mich sofort krankschreiben zu lassen, bis zur Niederkunft, ohne arm zu werden. Nach dem Schock der Drohung, mich im sechsten Monat der Armut auszusetzen, wollte ich wirklich nicht mehr zur Arbeit. Die Personalrätin war in Urlaub, mehrere Wochen, eine Vertretung kannte ich nicht. Eine Gleichstellungsbeauftragte fand ich nicht, vielleicht war es auch dieselbe Person. Ich traute mich in dieser Situation auch nicht, offen im Kollegium nachzufragen, wer von Seiten des Denkmalamtes für mich da sein könnte. Und es gab im Kollegium nicht nur die einhellige Meinung, es brächte nichts, mit "denen" zu reden, sondern es galt sogar als riskant.
Außerhalb der Arbeit redete ich in diesen zwei Wochen mit Allen, die etwas wissen könnten, was mich aus dieser Situation brachte. Keiner wusste was. Bei der Elterngeldstelle sagte ich irgendwann: "Ich stehe sehr unter Druck, wissen Sie. Ich mache mir langsam auch Sorgen, was das mit der Schwangerschaft macht, ich habe wirklich Angst. Ich brauche Hilfe." Im Nachhinein war das wohl der lichte Moment, den ich in dieser Zeit hatte. "Na, nun malen Sie mal den Teufel nicht an die Wand", sagte die Dame daraufhin. Sie konnte mir auch nicht helfen.
Ich musste mich entscheiden: Lasse ich mich sofort krankschreiben, lege mich bis zur Niederkunft mit dem Eimer auf die Couch und nehme sehenden Auges drohende Armut in Kauf? Oder reiße ich mich wie bisher zusammen und mache eben weiter; gucke, dass das bisschen Geld zuverlässig weiter kommt, und warte auf den Mutterschutz? Bis dahin waren es nur noch wenige Wochen, davon einige Urlaub, ein paar Feiertage. Ich recherchierte die Zahlen zu Schwangerschaftsverläufen, versuchte, das Risiko abzuschätzen, sprach mit Hebammen und Ärztinnen: Die ersten drei Monate waren überstanden, das waren die riskanten Monate. Dann gab es noch eine riskante Zeit ein paar Wochen vor der Niederkunft, aber der vierte bis sechste, siebte Monat ist sehr stabil. Das Kind war stark, das bewies es nach wie vor durch meine Übelkeit, es verlief eigentlich alles ganz hervorragend, fand meine Ärztin. ich war jung und gesund, es gab kein Risiko in meiner Familie, meine Vorfahrinnen hatten unter ganz anderen Umständen entbunden. Das statistische Risiko ging gegen 0. Nur wegen etwas Stress stirbt kein Kind, sonst wäre die Menschheit wohl ausgestorben. Niemand glaubte, dass die Situation das Kind gefährdete. Auch meine Ärztin sah kein unmittelbares Risiko für das Kind. Für mich sei es natürlich unangenehm, und ich solle überlegen, was ich mir antue, wenn ich mich von meiner Chefin so behandeln lassen müsse. Eine Schwangerschaft soll ja auch ein bisschen schön sein, fand sie. Sie verstand aber auch den wirtschaftlichen Druck. Eine schwierige Entscheidung. Ich traf sie falsch. Ich entschied, noch die paar Wochen weiter zu arbeiten.
"Hättest Du nicht …?" / "Hätten Sie nicht besser …?" wurde ich in den folgenden Jahren oft gefragt, von Leuten, die hinterher schon immer schlauer gewesen waren und niemals Fehler gemacht hatten. Wenige baten anschließend um Entschuldigung, viele begriffen gar nicht, was sie damit sagten ("tja, da ist ja eindeutige Schuld …"). Diejenigen, die ich getroffen habe, die Ähnliches oder Vergleichbares erlebten, nicken und wissen, dass man so eine Situation nie vollständig überblickt.
Dann hatte ich aber erst mal ein paar Wochen Urlaub, das tat mir gut. Nach dem Urlaub ging ich wieder arbeiten, unwillig, mir ging's nicht gut, ich war schwach und natürlich war mir übel. Aber schließlich hatte ich erst mal eine Entscheidung getroffen. Ich wollte auch noch mit der Personalrätin reden, die müsste ja wieder da sein. Der erste Tag: Ich machte langsam, achtete auf mich. Dann war etwas nicht in Ordnung, etwas Ausfluss. Dann noch etwas. Ich rief eine Freundin an, Hebamme. Ob mir was weh täte? Mir tat nichts weh. Wie ich mich sonst fühle? So wie immer. Sicherlich kein Problem, fand die Freundin, aber ich sollte das mal nachgucken lassen. Nur mal vorsichtshalber. Nee, nicht nach der Arbeit, schon jetzt gleich. Damit war mein erster Arbeitstag nach dem Urlaub auch schon wieder zu Ende. Meine Chefin war nicht begeistert. Ich fuhr in die Notaufnahme, denn meine Ärztin hatte Urlaub. Ich blieb dann gleich da. Erst verstand ich nicht, wieso alle so traurig guckten, Liegepflicht war schon in Ordnung, nicht schön, wünscht man ja niemandem. Ich war nicht wild darauf, vom 5. bis zum 9. Monat zu liegen. Aber gut, das Kind macht's mir nicht einfach, das kannte ich von der Kotzerei ja schon (die hatte ich gleichzeitig immer noch). Und immerhin war mir damit die Entscheidung abgenommen worden, ob ich Geld verdiente oder hauptberuflich schwanger war. Es dauerte einige Tage, bis ich begriff, dass wir nicht davon redeten, dass ich bis zum 9. Monat liegen würde. Sondern davon, wie lange mein Kind jetzt noch durchhielt. Und ob vielleicht ein Wunder geschieht. Nun, es geschah kein Wunder. Es dauerte nur sehr lange. Im 6. Monat kam meine Tochter zur Welt, klein, aber äußerlich vollständig, mit meinen Füßen und ihres Vaters Ohren. Mit Zornesfalte und trotzigem Mund. Und tot.
"Kann das vom Stress kommen?", fragte ich die Ärzte, denn man sucht nach Gründen, man braucht Gründe. Ja, sagten sie Alle, das kann vom Stress kommen. Ich erzählte dann von meiner Arbeit. "Arschlöcher!", sagte der Stationschef. Aber, sagten die Ärzte ungefragt, sie könnten das nicht mit Bestimmtheit sagen. Denn nur weil sie keine organische Ursache gefunden haben, heiße das ja nicht, dass es eine solche nicht gab. Schon klar. Und, fügte einer ungefragt hinzu, sie würden mir das nicht schriftlich geben. Offenbar fand er es naheliegend, dass ich jetzt jemanden verklagen wollte. Ich war erst mal irritiert.
Mein Vertrag lief am Tag nach der Geburt aus. Meine Mutter hatte am ersten Tag meines Krankenhausaufenthalts meine Chefin angerufen, eigentlich nur, um mich krank zu melden. Dann hatte sie sie wohl noch gefragt, ob das bedeutete, dass ich meine Stelle verlöre. "Ja", sagte die Chefin. "Sie waren doch aber so zufrieden mit ihr", sagte meine Mutter. "Ja", sagte die Chefin. Sonst hatte sie wohl nichts dazu zu sagen.
Ich schlug mich eine Weile mit Krankengeld durch, alles war ziemlich schwierig. Ein halbes Jahr nach der Beerdigung unserer Tochter verließ mich ihr Vater. Ich musste einen Untermieter finden für die Wohnung. Ich verlor ein, vielleicht zwei Jahre meines Lebens an die Trauer. Ich verlor einen halbwegs graden Berufsweg und viele Kontakte, bei Einigen wohl auch Respekt – Trauer macht dumm. Ich wollte mich keinesfalls wieder in eine abhängige Beschäftigung begeben. Ich arbeitete auf Rechnung, in einem ganz anderen Bereich, und verlor viele Jahre Rentenkasse – gewann allerdings wieder Boden unter den Füßen.
Im Laufe der Jahre habe ich verschiedene Reaktionen auf meine Geschichte erlebt. Häufig erlebe ich Unglauben. So schrieb mir eine Abgeordnete sinngemäß, meine Geschichte könne sich so nicht ereignet haben, es gebe schließlich Mutterschutz. Häufig werde ich gefragt, warum ich nicht auf Wiedereinstellung, auf Geld, oder aus Prinzip, geklagt habe. Ich habe das mit juristischer Hilfe sogar abgeklopft: Meine damalige Chefin handelte völlig legal. Niemand ist verpflichtet, eine befristete Stelle fortzusetzen. Im europäischen Recht gibt es zwar strengere Maßstäbe an Gleichstellung, aber bis dorthin klagt man sich jahrzehntelang durch deutsche Instanzen. Das macht nur Sinn, wenn man einen Präzedenzfall schaffen möchte – und über die notwendigen Mittel verfügt, finanziell und nervlich.
Ein paar Mal ist mir vorgeschlagen worden, das Vorgefallene der Amtsleitung anzuzeigen. Unter Umständen wüsste die Leitung gar nicht so genau, welche Praktiken in einzelnen Abteilungen gängig seien, und was das für Leben bedeuten kann. Ich habe auch das mit einem Anwalt besprochen. Ich habe ihm einen Brief gezeigt, den ich nach mehreren Jahren, als ich mich halbwegs stabil fühlte, an die Leitung schicken wollte, um das anzusprechen. Der Brief war höflich und betr. meiner früheren Vorgesetzten wohlwollend, aber ungeschönt. Der Anwalt riet mir davon ab, den Brief zu schicken. Nach seiner Einschätzung riskierte ich damit eine Klage seitens der Behördenleitung, womit diese verhindern wollen könnte, dass ich öffentlich behaupte, es gebe einen Zusammenhang zwischen dem Tod meiner Tochter und der Landesbehörde. Daher bleibt dieser Text auch anonym und ist so geschrieben, dass keine eindeutigen Rückschlüsse auf die Beteiligten gezogen werden können.
Als Fazit das Wesentliche, das in der Archäologie besprochen werden sollte: Frauen riskieren Enormes, wenn sie als prekäre Angestellte in einem Fach schwanger werden, in dem schon simpelster Arbeitsschutz häufig nicht gewährleistet ist. Im schlimmsten Fall werden Leben zerstört und Leben beschädigt, weil eine Vorgesetzte kein Rückgrat besitzt. Und: hätte ich gewusst und begriffen, dass die berufliche Realität wirklich so ist und man in diesem Fach so hart aufschlagen kann, hätte ich etwas Anderes studiert, selbstverständlich. In der Archäologie gibt es – selbst verglichen mit anderen Geisteswissenschaften – oft einen entsetzlichen Umgang mit Arbeitskräften. Hinzu kommt vielfach ein regelrecht fahrlässiges Verständnis von Arbeitssicherheit, das die körperliche Sicherheit von Mitarbeiter*innen als Nebenproblem betrachtet, einen Luxus, den man gerne erfüllen kann, solange er die Abläufe nicht stört.
11.2 Birthe Haak: Corona verschärft Benachteiligung von Frauen in der Wissenschaft
Die Pandemie verstärkt in vielen gesellschaftlichen Bereichen bestehende Probleme oder macht sie sichtbarer – auch die strukturelle Benachteiligung von Frauen in der Wissenschaft. Messbarer Indikator ist der Gender Publication Gap in der Wissenschaft, d. h. der Abstand der durchschnittlichen Anzahl an Publikationen zwischen Männern und Frauen. Bereits im Mai 2020 wurden in "nature" erste Hinweise veröffentlicht, dass nach Analyse von Preprint-Registern sich der Abstand der Anzahl der von männlichen und weiblichen Autor*innen eingereichten Beiträge vergrößerte. Zudem sank die Anzahl von Frauen neu eingereichter Forschungsprojekte.
Ursachen hierfür liegen u. a. darin, dass auch bei in der Wissenschaft Tätigen der größere Anteil der Familienarbeit von Frauen übernommen wird. Homeschooling und die Schließung von Kindertagesstätten gehen primär zu Lasten von Frauen, während zumindest ein Teil der männlichen Kollegen im Lockdown sogar mehr Ruhe zum Schreiben findet.
Der zusätzliche Aufwand durch die Umstellung auf Online-Lehre trifft zwar alle Geschlechter. Frauen stecken aber tendenziell mehr Aufwand hinein – nicht weil sie sich schwerer tun, sondern weil sie generell höheren Wert auf die Qualität ihrer Lehre legen, auch wenn Publikationen der Karriere förderlicher sind.
Zudem sind Frauen stärker in die emotionale Arbeit mit Studierenden eingebunden, die "akademische Sorgearbeit". Studierende mit Beratungsbedarf wenden sich eher an weibliche Mitarbeiterinnen. Im Online-Semester sind die Betreuungsaufwände für Studierende besonders hoch. Neben rein fachlichen Fragen oder solchen die Prüfungsordnung betreffend sind dies auch existenzielle Sorgen der Studierenden zum weiteren Studienverlauf und sozialen Absicherung.
All diese Faktoren gab es auch schon früher, sie sind unter Pandemie-Bedingungen aber noch stärker wirksam. Mit möglicherweise langfristigen Folgen: Der vergrößerte Gender Publication Gap lässt sich nicht einfach wieder ausgleichen. Damit verschlechtern sich auch die Karrierechancen von Frauen weiter – sofern nicht bei Auswahlverfahren künftig Kriterien wie Qualität der Lehre und Betreuungsleistungen stärker berücksichtigt werden.
Lara Altenstädter, Ute Klammer, Eva Wegrzyn: Corona verschärft die Gender Gaps in Hochschulen (2.2.2021): https://www.boeckler.de/de/context.htm?page=wsi/blog-17857-corona-verschaerft-die-gender-gaps-in-hochschulen-30222.htm
Kendra Briken, Birgit Blättel-Mink und Alexandra Rau: Akademische Sorgearbeit in der Krise (Spektrum FH – Zeitschrift der Verwaltungsfachhochschule in Wiesbaden, 1/2020): https://www.fb03.uni-frankfurt.de/95804758/FINAL_HfPV_spectrum.pdf
Geschlechterpolitik in Zeiten von Corona-Ergebnisse einer Umfrageunter den Frauen-und Gleichstellungsakteur*innen der außeruniversitären Forschungsorganisationen und Hochschulen (Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen e. V., 1.7.2020): https://bukof.de/wp-content/uploads/20-07-01-Ergebnisse-Umfrage-AG-Geschlechterpolitik-in-Zeiten-von-Corona.pdf
Molly M. King und Megan Frederickson: The Pandemic Penalty: The gendered effects of COVID-19 on scientific productivity (EconPapers, 12.9.2020): https://econpapers.repec.org/paper/osfsocarx/8hp7m.htm
Giuliana Viglione: Are women publishing less during the pandemic? Here’s what the data say (Nature News, 581, 365-366; 20.5.2020): https://www.nature.com/articles/d41586-020-01294-9
11.3 Anonyma: Chancengleichheit in der Archäologie? Erfahrungsbericht einer Mutter
Die Entscheidung zur Familiengründung verändert das ganze Leben. Als Frau, die in einer scheinbar gleichberechtigten Gesellschaft aufgewachsen ist, habe ich diese Auswirkungen erheblich unterschätzt. Mein Mann und ich sind beide Archäologen und haben zwei gemeinsame Kinder. Sein beruflicher Werdegang ist durch unsere Entscheidungen weniger beeinträchtigt, oft erhält er sogar besondere Anerkennung für seine Leistungen und dafür, dass er mit Mitte 30 verheiratet und zweifacher Vater ist. Ich hingegen mache seit der Geburt unseres ersten Kindes immer wieder gegenteilige Erfahrungen, die mich nachhaltig beeindrucken und von denen ich ein paar mit Ihnen teilen möchte.
Im ersten Lebensjahr unseres Sohnes etwa fuhr ich auf eine Tagung. Als ich beim Empfang in einer kleinen Runde erwähnte, dass ich einen kleinen Sohn habe, wurde ich als Rabenmutter beschimpft, die zuhause zu bleiben habe. Mein Recht auf höhere Bildung und berufliche Verwirklichung hatte ich in den Augen des mir gegenüberstehenden Archäologen und Familienvaters verloren. Ähnliche, vielleicht nicht ganz so drastische, Aussagen begegnen mir bis heute immer wieder. Manchmal ist es auch nur die Verwunderung darüber, dass mein Mann sich allein um unsere Kinder kümmern kann. Bei der Geburt unseres ersten Kindes stand ich kurz vor dem Abschluss, der sich – bei uns beiden – daraufhin etwas in die Länge zog. Vor allem ich stieß aber häufig auf Unverständnis: ich sei zu langsam, nicht zielstrebig und engagiert genug. Tatsächlich schlief ich in den ersten drei Jahren kaum, engagierte mich neben den familiären Herausforderungen, dem Broterwerb und dem Abschluss vielseitig innerhalb des Fachs. Ich habe mich in dieser Zeit häufig unfair behandelt gefühlt, denn eigentlich hatte ich viel vorzuweisen. Gemessen wurde ich aber eher an dem, was ich nicht noch zusätzlich leisten konnte oder wollte. So erging es mir auch in einem Projekt, in dem ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin beschäftigt war. Meine (kinderlose) Kollegin und ich entschieden uns dagegen, regelhaft unbezahlte Überstunden zu leisten und zusätzliche Arbeitsaufträge mit ins Wochenende zu nehmen. Bei ihr wurde das akzeptiert, mir wurde vorgeworfen und nachgesagt, aufgrund meines Nachwuchses mit der Teilzeitstelle überfordert zu sein.
Nach dem Studienabschluss hatten mein Mann und ich beide den Wunsch zu promovieren. Er konnte zwischen zwei bezahlten Doktorandenstellen auswählen. Ich gönne ihm dies, denn er ist sehr gut in dem, was er tut. Ich konnte leider keine solche Stelle finden. Mir ist bewusst, dass es Vielen so geht, tatsächlich wurde ich in Vorstellungsgesprächen aber häufig gefragt, ob ich z. B. die Betreuung des Kindes bzw. der Kinder gewährleisten könne, und ob ich mir die Vereinbarkeit von Beruf und Familie überhaupt zutraue. Mein Mann wurde bisher nicht gefragt, ob er sich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie gewachsen fühle. In einem Vorstellungsgespräch erwähnte er uns kürzlich mehrfach, ohne dass Rückfragen dazu gestellt wurden. Seit der Geburt unseres zweiten Kindes bin ich gar nicht mehr zu Vorstellungsgesprächen eingeladen worden. Kürzlich wurde vor Ort eine Stelle als Museumspädagogin in Teilzeit ausgeschrieben, eine Einladung bekam ich nicht. Seitdem ist mir bewusst, dass ich trotz guter Qualifizierung kaum Möglichkeiten auf eine Anstellung im Fach oder in angrenzenden Bereichen habe. Während der zweiten Elternzeit habe ich eine museumswissenschaftliche Fortbildung gemacht, wo mir in einem abschließenden Beratungsgespräch empfohlen wurde, die Kinder aus dem Lebenslauf zu streichen. Offenbar wird Frauen also empfohlen, ihre Kinder zu verbergen, während Väter sogar eher noch als bodenständig und zielstrebig eingestuft werden und im beruflichen Umfeld besondere Anerkennung finden. Diese Ungleichheit stellt unsere Partnerschaft und unser Familienleben immer wieder vor Herausforderungen. Für uns beide ist es schwierig, mit Freude und Herzblut im gleichen Fach tätig zu sein, aber nicht ähnlich wertgeschätzt zu werden. Dadurch, dass meinem Mann mehr berufliche Möglichkeiten offenstehen, sehen wir uns zunehmend in alte Rollenbilder gedrängt. Damit sind wir beide nicht glücklich.
11.4 Alexander Veling: Praxistipp für Nachwuchswissenschaftler: Leergutsammeln zur Finanzierung von Lehraufträgen
Mit ein bisschen Geschick und guten Augen sammelt man in einer Großstadt pro Stunde 25 leere Bierflaschen (je 8 Cent), 5 Mehrwegflaschen mit Schraubverschluss (je 15 Cent), 3 Dosen oder PET-Flaschen (je 25 Cent), das macht 3,50 Euro am Pfandautomat. An guten Sommertagen erhöht sich der Ertrag schnell auf 4-6 Euro, vor allem, wenn man hochmobil mit Rucksack unterwegs ist, sich dabei auf PET-Flaschen beschränkt, sein Sammelgebiet kennt und aktiv Leute auf Pfand anspricht.
Für einen Lehrauftrag an einer Uni bekommt man mit ein bisschen Glück um die 1.000 Euro für etwa 14 Termine à 2 h. Wenn man die Konzeption, die Administration, die wöchentliche Vor- und Nachbereitung, die Präsenzzeit, die individuelle Betreuung von Studierenden und die Korrektur und Besprechung von Hausarbeiten zusammennimmt, kann ein Kurs für einen engagierten Nachwuchswissenschaftler mit hoher Motivation, ein gutes, vielseitiges, didaktisch durchdachtes und spannendes Seminar mit aktueller Literatur zu geben, bei dem die Studierenden für Archäologie begeistert werden, bis zu 200 h Arbeit bedeuten. Das ergibt einen Stundenlohn von etwa 5 Euro.
Das ist natürlich eine pessimistische Rechnung. Man könnte die neuere Forschungsliteratur der vergangenen 30 Jahre ignorieren, auf die Vorbereitung vollständig verzichten und den Kurs stattdessen improvisieren, sowie die Korrektur der Hausarbeiten unterlassen und einfach Allen unkommentiert gute Noten geben, in der Hoffnung, dass sich niemand beschwert. Auch lässt sich die Zeit während Referaten der Studierenden effizient nutzen, um E-Mails zu beantworten, an Aufsätzen weiterzuarbeiten, oder seinem Nebenjob nachzugehen, beispielsweise – zugegeben etwas dreist – währenddessen hinten im Seminarraum per Headset ein paar Anrufe im Callcenter entgegenzunehmen oder alte Fahrräder herzurichten.
Wenn man als Nachwuchswissenschaftler vor der Entscheidung steht, Flaschen oder Lehraufträge zu sammeln, muss man also gut kalkulieren. Die eine Tätigkeit findet an der frischen Luft statt, ist mit viel Bewegung verbunden und ermöglicht, die Umgebung kennenzulernen und den sozialen Kompass wieder ein bisschen einzupendeln. Daher empfiehlt sich die Kombination beider Verfahren. Wenn man das Flaschensammeln für sich selbst als Freizeit verbucht und das ersammelte Geld dann dem Lehrauftrag zurechnet, lässt sich ein Lehrauftrag mit gutem Gewissen annehmen. Vielleicht schafft man dadurch sogar, das Niveau des gesetzlichen Mindestlohns zu erreichen. Natürlich vorausgesetzt, man wird überhaupt für seine Lehrtätigkeit bezahlt. Falls nicht, kann man dank ergänzendem Leergutsammeln zumindest das Busticket zur Uni bezahlen oder sich hin und wieder etwas zusammen mit den Studierenden in der Mensa gönnen. Vielleicht sogar irgendwann mal einen Zweitrucksack, der nicht nach Bier und Energydrinks riecht.
Alexander Veling hat Vor- und Frühgeschichte, Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit, Provinzialrömische Archäologie, Soziologie und Geschichte in München, Bamberg, Berlin und Frankfurt a. d. Oder studiert und ist derzeit Doktorand an der FU Berlin.
11.5 Christoph Unglaub: Unbefristet befristet – Reflexionen zur Vertragsrealität von Archäologinnen und Archäologen
Als die Anfrage mich erreichte, einen Beitrag zum Newsletter der DGUF über das in Archäologenkreisen viel diskutierte und auch leidige Thema der befristeten Verträge zu schreiben, schwankte ich längere Zeit. Denn seit einigen Wochen habe ich selbst einen unbefristeten Arbeitsvertrag in einem archäologischen Landesamt. Ich kam mir wie ein Verräter vor, nun aus der sicheren, vertraglich unbefristeten Perspektive auf die Situation derer zu blicken, die sich, wie ich auch lange Zeit (bei mir waren es 13 Jahre), von Vertrag zu Vertrag hangeln. Die im ständigen Bewusstsein leben, demnächst entweder umziehen zu müssen, vielleicht doch noch einen Berufswechsel zu vollziehen, oder einfach arbeitslos zu sein. Die meisten Mobilfunkverträge haben mit 24 Monaten eine längere Vertragslaufzeit als so mancher Arbeitsvertrag von Archäolog*innen, vor allem im öffentlichen Dienst. Weniger oft (für mich) überraschenderweise braucht es Vertragswechsel in der Firmenarchäologie, wie eine kürzliche Datenerhebung der DGUF ergab. Diese ständige, gefühlte Unsicherheit an den Landesämtern zermürbt Viele. Je nach Typ geben Einige auf, Andere zeigen sich unbeeindruckt und reihen weiter erbittert Projekt an Projekt, in der steten Hoffnung, irgendwann in den sicheren Hafen eines unbefristeten Vertrages einzulaufen. Auch Vergleiche untereinander werden gezogen: Wer kann mit den meisten Arbeitsverträgen, den meisten "abgearbeiteten Bundesländern" auftrumpfen? Erst neulich wurde mir in einem Gespräch von einer älteren Kollegin, die ihr ganzes Berufsleben in befristeten Verträgen arbeitete, mitgeteilt, dass ich mit meinen "paar befristeten Jahren" ihr gar nichts zu erzählen brauche, weil sie ja schon viel länger befristet arbeite als ich. Ebenso klingelt mir seit Jahren der Ausspruch eines früheren Vorgesetzten in den Ohren, der zu mir meinte, dass es doch gut sei, für meine persönliche Entwicklung, mal in einem anderen Bundesland zu arbeiten, nachdem er mir kurz vorher eröffnet hatte, dass ich bereits viel zu lange an "seinem" Landesamt gearbeitet hatte, natürlich aus rein arbeitsrechtlichen Gründen. Dieses offensichtliche Versagen der Reglementierung von sachgrundloser Befristung – angewandt auf Menschen, die zumindest von außen betrachtet für eine Gestaltung von Daueraufgaben eingesetzt werden, die allzu oft in Projekte gepresst werden –, diese unsägliche Vertragspraxis hinterlässt negative Spuren an den Menschen. Die wenigsten gehen unbeschadet aus diesen dauerhaften kleinen Enttäuschungen der nicht verlängerten Verträge heraus. Doch Allen, die sich von dem Titel und diesem Text eine Lösung oder einen skizzierten Ausweg aus dem Befristungszirkel erhofft hatten, muss auch ich enttäuschen. Wie so oft gibt es für ein komplexes Problem eben keine einfache Lösung. Ein erster Schritt wäre in meinen Augen aber, darauf hin zu arbeiten, dass die Menschen, die unser Fach mit Begeisterung tragen, sich in einer mitgliederstarken Interessenvertretung wie CIfA Deutschland zusammenfinden, die als Berufsverband Einfluss nehmen kann auf die politischen Kreise, die als Einzige Änderungen an den Beschäftigungsverhältnissen vornehmen können. Nicht nur für die Durchsetzung von besseren Berufsbedingungen wird es helfen, eine gemeinsame starke Stimme zu haben, sondern auch für das Selbstverständnis derer, die sich jetzt als Einzelkämpfer*in durchschlagen. Ihr seid nicht allein!
Christoph Unglaub M.A. war lange Jahre in der Landesarchäologie in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sowie beim Deutschen Archäologischen Institut tätig. Heute arbeitet er beim Landesamt für Denkmalpflege Schleswig-Holstein.
11.6 Sarah Wolff: Die Veränderung bist du. (DU!) Ein Gedicht
Planum putzen, Funde bergen,
Zeichnen bei zu wenig Lohn.
Schuhe, Werkzeug selber kaufen
Handschuhe auch – das geht dann schon.
Vermessung, Doku, Schnitt anlegen,
zu billig ist die Arbeitskraft
ob Sonnenschein, ob Wind und Regen,
ich tu es halt aus Leidenschaft.
Fahrtgeld, ach das wäre schön,
es muss aber auch ohne geh'n.
Im Alter? Besser nicht dran denken.
Die Firma hat nichts zu verschenken.
Gestern für die Firma graben
Heute Job beim Landesamt
Morgen nix zu beißen haben,
Nur die Hoffnung bleibt, verdammt.
Wir nörgeln viel
und ändern nichts
zu müde dann im Feierabend
Wir wurden Sklaven des Verzichts
finden den Job doch überragend.
All die nervigen Probleme
sind uns allen wohlbekannt.
Schließ dich uns an und schweig nicht weiter,
Bei CIfA geh'n wir Hand in Hand
Deine Stimme ist so wichtig
Komm zu uns, wir hören zu.
Gemeinsam werden wir was ändern –
Die Veränderung bist du. (DU!)
Sarah Wolff, M.A. ist Inhaberin der Fachfirma ADW im tauberfränkischen Lauda (Baden-Württemberg) und Beirätin beim Berufsverband CIfA Deutschland.
11.7 Sascha Piffko: Der Traum vom glücklichen Archäologen oder: Die endlose Suche nach Utopia
Wer in die Archäologie einsteigt, ist zumeist ein Idealist, ein Träumer, Abenteurer, ein Begeisterter oder schlichtweg ein Ahnungsloser. Während des Studiums bekommt man schnell Gelegenheit, "dabei" zu sein. Sei es auf der Ausgrabung, bei Feldbegehungen, Vorträgen oder Ausstellungen. Der Neueinsteiger lernt zukünftige Kollegen kennen, bekommt Angebote für Ferienjobs, ehrenamtliche Tätigkeiten, Projektthemen. Wer aktiv mitmacht, fühlt sich schnell gut aufgehoben.
Ich ging immer euphorisch und selbstbewusst meinen Weg durchs Studium. Grabungen für Kommunen, Kreisarchäologie, Vereine und Institutionen, schließlich auch für das DAI und Landesämter. Daneben Tätigkeiten für Museen, Jobs an der Universität, Erfahrungen als Freiberufler. Am Ende meines Studiums stand ich als voll ausgebildeter Archäologe im Berufsleben.
Nach einigen Jahren merkt man dann, dass man weder wirklich mitmacht und auch gar nicht so gut aufgehoben ist. Vielmehr leistet man mehr, als man zurückbekommt. Kritik und Widerworte werden von den Kollegen nicht gut aufgenommen, denn einer der obersten Glaubenssätze der Disziplin lautet: "Es läuft alles gut in der Archäologie. Wer sich beschwert, ist ein Jammerer und undankbar" (interessanterweise lautet ein anderer zentraler Glaubenssatz des Fachs: "Es ist alles fürchterlich in der Archäologie. Ist halt so, da kann man nichts machen.").
Weder an Universitäten, noch in Amtsstrukturen, auch nicht in Museen oder gar Grabungsfirmen wollte irgendjemand etwas hören von besseren Arbeitsbedingungen, Durchsetzung von Arbeitsrecht oder nachhaltiger Organisationsstruktur. Nach erstem verständnisvollem Nicken und tröstenden Worten kommt schnell die Ablehnung, das Achselzucken, das Unverständnis. Und damit auch der Weg in die Beschäftigungslosigkeit dessen, der sich für bessere Zustände einsetzen will.
Als ich 2014/2015 meine eigene Grabungsfirma gründete, wollte ich etwas verändern. Meine Mitarbeiter und ich sollten die Chance bekommen, uns eine eigene Zukunft aufzubauen. Unbefristete Verträge und feste Löhne, sozialversicherte Festanstellung mit einer geregelten Altersversorgung, Krankengeld, bezahltem Urlaub sowie Trennung von Arbeitsplatz und Privatleben mussten doch auch für Archäologen möglich sein! Viele haben nicht daran geglaubt, und viele haben gelacht.
2016 reiste ich das erste Mal zu einer Tagung der DGUF nach Berlin, dort traf ich erstmals Kollegen, die zuhörten und verstanden. Es wurde ernsthaft und kontrovers diskutiert. Studenten, Professoren, Angestellte, Arbeitgeber, Amtsarchäologen und Ehrenamtliche begegneten sich auf Augenhöhe. Wir sprachen Probleme an, nannten auch unangenehme Dinge beim Namen. Das hat gut getan. Und auf der Heimfahrt hatte ich das Gefühl, dass sich nun etwas verändern würde.
Nur zwei Jahre später stand ich vor mehr als 200 Archäologen aus ganz Deutschland und warb für einen Berufsverband. Und ich war nicht mehr alleine.
Inzwischen haben wir mit CIfA Deutschland einen Verband, der alle Archäologen vertreten möchte und für gerechte Arbeitsbedingungen eintritt. Wir sind noch nicht viele, aber ich hoffe, dass wir mehr werden.
Wenn wir den Arbeitsalltag der Archäologen verbessern wollen, dann müssen wir offen und selbstkritisch über die Probleme sprechen können. Das tut manchmal weh. Es sind nicht die Politik, die Ehrenamtlichen, die Medien, die Raubgräber oder die Auftraggeber, die uns das Berufsleben so schwer machen. Es sind wir Archäologen selbst. Diejenigen, die auf den gehobenen Posten sitzen und von den alten Strukturen profitieren, genauso wie jene, die darauf hoffen, durch Schweigen und "Funktionieren" morgen selbst in besserer Position zu sein.
Veränderung beginnt bei jedem selbst. Ein Anfang ist gemacht.
Sascha Piffko, M.A. MCIfA, ist Geschäftsführer und Inhaber der Fachfirma SPAU GmbH in Münzenberg (Hessen) und Beirat beim Berufsverband CIfA Deutschland.
11.8 Anonyma: Für 'n Appel und 'n Ei. Zu Stellenanzeigen und Anforderungsprofilen in der Archäologie
Beim Studieren von Stellenanzeigen in der Archäologie und den darin enthaltenen Anforderungsprofilen schlackern mir regelmäßig die Ohren: Neben einem abgeschlossenen Studium einer archäologischen Disziplin (gerne mit Promotion) werden gute Fremdsprachenkenntnisse, Erfahrungen im Museums-, Ausstellungs- oder Wissenschaftsmanagement, in der Lehre oder vertiefte Kenntnisse von modernen feldarchäologischen Methoden gefordert. Und das Ganze bitte auf Basis langjähriger Tätigkeiten. Der Umgang mit der gängigen Bürosoftware und Geoinformationssystemen ist selbstverständlich.
Wenn Ihnen bis hierhin noch nicht schwindelig geworden ist, dann schnallen Sie sich jetzt an, denn die nächste Fahrt geht rückwärts. Hier kommen die "Soft Skills"! Die Kandidat*innen sollen ein sicheres Auftreten haben, kommunikations-, teamfähig und sozial kompetent sein, Verhandlungsgeschick, Einfühlungsvermögen und Überzeugungskraft besitzen, belastbar und flexibel sein und über Führungsqualitäten, konzeptionelles Denken und Organisationstalent verfügen und … und …. und ... Die Liste ließe sich beliebig erweitern.
Menschen, die eine andere, eher selten gefragte "weiche Kompetenz" besitzen, nämlich die Fähigkeit zur realistischen Einschätzung der Grenzen ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten, müssen hier verzweifeln. (Nota bene: Selbstkritik unterlassen Sie bitte grundsätzlich bei der Stellensuche. Die ist nur hinderlich. Selbstverständlich können Sie das alles aus dem Effeff.)
Es kommen aber noch mehr Herausforderungen hinzu, die nicht in der Ausschreibung thematisiert werden. Der Stellenantritt ist zumeist mit einem Umzug, also mit der Aufgabe des Lebensumfeldes verbunden, die Partnerschaft muss ggf. auf Fernbeziehung umgestellt werden. Eine Menge Einsatz eben, der da verlangt wird.
Und die Gegenleistung? Diese steht häufig im umgekehrt proportionalen Verhältnis: Mal ist die Bezahlung der Stelle per se gering und/oder die Stelle ist nur auf in Teilzeit wahrzunehmen und/oder zeitlich befristet, gelegentlich sogar nur auf Monate. Aber man staunt immer wieder über die große Zahl der Bewerbungen, die eintrudeln. In anderen Branchen würden solche Offerten Stürme der Entrüstung auslösen oder schlicht von der Zielgruppe ignoriert werden. Und in der Archäologie? Kein laues Lüftchen ... Ja, ich kenne die Argumente: Man kann auf dieser Stelle Berufserfahrung sammeln und sich weiter bewerben. Und schließlich gibt es ja nicht viele Stellen. Da hat man keine Wahl. Jedoch sind Archäolog*innen genauso hoch qualifiziert wie etwa Ärzt*innen, Ingenieur*innen oder Jurist*innen. Woher kommt also dieses miserable Selbstwertgefühl bei Archäolog*innen? Woher kommt diese Tendenz zur Selbstausbeutung? Leute, wir müssen reden, über die Äpfel, die Eier und über Selbstwert ...
11.9 Ulf Ickerodt: Ideal und Leben in der Stellenausschreibung: zwischen philosophischem Kopf und Brotgelehrten
Wie konzipiere ich eine Ausschreibung? Wie muss mein idealer Mitarbeiter aussehen? Das Erarbeiten eines Anforderungsprofils ist für jede Stelle eine Herausforderung, die organisatorische, rechtliche aber auch persönliche Aspekte umfasst. Auf der einen Seite wird ein überprüfbarer Maßstab benötigt. Diese Hürde muss auf der anderen Seite auch zu nehmen sein. Daher sollte das Bewerberprofil des zukünftigen Mitarbeiters einerseits arbeitspraktische Ziele und andererseits konkrete Fähigkeiten im Blick haben. Bei der Auswertung aller Bewerbungsunterlagen müssen die Fähigkeiten des Bewerbers erkennbar sein, wenn sie berücksichtigt werden sollen. Das ist der Sinn von Auswahlkriterien: Vergleichbarkeit und Ausschluss. Sie haben also eine selektive Funktion und müssen grundsätzlich rechtlich überprüfbar sein.
Für den Bereich der Bodendenkmalpflege ist die erste Hürde das abgeschlossene Studium im Bereich der Archäologie. Weitere Kriterien sind Studienschwerpunkte, Studiendauer und die Abschlussnote. Vorteilhaft ist, wenn der Fokus z. B. dem zukünftigen Arbeitsgebiet weitgehend entspricht. Weitere förderliche Aspekte sind unterschiedliche Praktika. Und hier fängt die erste Schwierigkeit an. Wo mache ich ein Praktikum? Bei welcher Einrichtung soll ich mich engagieren? Was mache ich, wenn ich keinen Praktikumsplatz bekomme? Bereits durch diese Aspekte – Studienausrichtung und Praktika – hat der Studierende möglicherweise schon so etwas wie die Richtung auf einen zukünftigen Berufsweg eingeschlagen, ohne dieses vielleicht zu merken. Theoretisch kann man zwar noch überall arbeiten, aber insbesondere praktische Vorkenntnis oder ein erfolgreich absolviertes Praktikum oder Projekt sind für zukünftige Arbeitgeber von Vorteil. Man ist bekannt.
Vergleichbares gilt für vorhandene oder zu erwerbende Fähigkeiten. Fremdsprachenkenntnisse sind nicht nur immer gut, sondern auch Grundlage für die eigene akademische und die Reputation des Arbeitgebers in internationalen Gremien und Verbänden. Das Wissen um invasive und nicht-invasive archäologische Feldmethoden sollte im Studium genauso erworben werden, wie die Fähigkeit sich schnell in unterschiedliche Themen einzuarbeiten und sicher schreiben zu können. Der Umgang mit Geodaten und Geoinformationssystemen erweist sich nach dem Studium auch für andere Berufsumfelder als Steigbügel.
Als zukünftiger Mitarbeiter sollte ich mir schon während des Studiums klarmachen, dass nicht nur Sach- und Fachkompetenz gefragt sind. Die sog. Soft Skills sind Aspekte, die mich als Mitarbeiter in meiner Persönlichkeit charakterisieren. Wenn ich mit Investoren verhandeln oder Politik überzeugen muss, benötigt ich eben ein sicheres Auftreten. Berufserfahrung, Fachkompetenz helfen. Zu dieser Fachkompetenz zählen nicht nur archäologische Inhalte, sondern eben auch denkmal- und verwaltungsrechtliche oder organisatorische Kenntnisse. Neben diesem Know-how benötige ich, um selbst Mitarbeiter anleiten und führen oder in schwierigen Akteurskonstellationen bestehen zu können, Teamfähigkeit, soziale Kompetenzen und gelegentlich auch kommunikatives Talent. Wie kann ich das aber als Berufsanfänger in der Bewerbung unter Beweis stellen? Gleiches gilt für Verhandlungsgeschick, Einfühlungsvermögen und Überzeugungskraft einerseits und Belastbarkeit oder Flexibilität sowie Führungsfähigkeiten andererseits. Ein guter akademischer Abschluss ist hier sicherlich nicht aussagekräftig genug.
Wie kann ich das alles vor- und aufbereiten? Der erste Schritt sind natürlich die Bewerbungsunterlagen. Der zweite Schritt ist das fachliche Überzeugen. Hier sind Publikationen, Vorträge, organisierte Veranstaltungen und Fortbildungen ein probates Mittel. Dies erfordert zwei persönliche Entscheidungen: Wie weit bin ich bereit zu geben, um im Fach zu reüssieren? Bin ich philosophischer Kopf oder Brotgelehrter? Die zu erreichenden Häfen reichen von Grabungsfirmen oder private Museen, die vom Markt abhängig sind, über Verwaltung bis in akademische Umfelder. Letztere bieten Tarifverträge. Das kann man richtig finden oder nicht, letztlich stellt sich auch für Ärzte, Juristen und alle anderen akademischen Berufe die Frage: Wie weit bin ich bereit zu gehen, um meinen Berufswunsch zu erreichen.
Dr. Ulf Ickerodt (Schleswig)
11.10 Alfred Falk: Aus dem Nähkästchen. Rückblick auf das Berufsleben in einer Denkmalbehörde
Hätte ich rückblickend im Berufsleben etwas anders gemacht? Nein. Aber manches hätte ich gern schon vorher gewusst bzw. gerne eine Ahnung davon gehabt, dass nach mehrjähriger Materialaufnahme im Magazin ein großer Teil der täglichen Arbeit aus Organisations- und Verwaltungstätigkeiten bestehen würde, dass unendlich viele Sitzungen im eigenen Hause und in verschiedenen Abteilungen der städtischen Verwaltung absolviert werden und für diverse Projekte und Arbeitsbeschaffungs-Maßnahmen immer wieder Vorstellungsgespräche geführt werden müssten, dass sich also, bis auf einen Sonderfall, die aktive Teilnahme an einer Grabung erst einmal erledigt hätte. Das heißt: Wer Teil des Gefüges einer archäologischen Institution ist, hat wenig Spielraum, etwas anders zu machen, weil er Teil der Mannschaft ist, die dafür sorgt, dass der Laden läuft. Dass dann tatsächlich noch Gelegenheit bestand, wissenschaftlich zu arbeiten, Aufsätze zu verfassen, an Tagungen im In- und Ausland teilzunehmen, Vorträge zum eigenen Arbeitsfeld zu halten und den Kontakt zur Kollegenschaft zu pflegen und freundschaftlich auszubauen, wirft ein positives Licht auf die Lübecker Archäologie und ihre Leitung.
Der kurze Rückblick erinnert mich an die Studienzeit und die beiden Studentinnen, die sich eines Tages aus der Archäologie verabschiedeten. Sie meinten, sie wollten es doch mehr mit Menschen zu tun haben als mit Material – verständlich, wir waren gerade dabei, uns mit dem Gerätebestand meso- und neolithischer Kulturen vertraut zu machen. Mit den Erfahrungen des Berufslebens hätte ich ihnen prophezeien können, dass sie als Archäologinnen in ausreichendem Maße Kontakt mit Menschen haben würden – sicher etwas anders, als es von ihnen gemeint war. Wer Archäologie aktiv betreiben will, muss bereit sein, sich mit einer Vielzahl von Menschen unterschiedlicher beruflicher Ausbildung und Interessen auseinanderzusetzen und sich bewusst machen, dass deren Intentionen oft nicht mit den Zielen archäologischer Arbeiten übereinstimmen. Gespräche, Verhandlungen, Aushandeln von Kompromissen sind dann phasenweise Hauptarbeitsfeld der Archäologen und Archäologinnen.
Das o. g. "hätte ich gern schon vorher gewusst" laste ich natürlich nicht der mangelnden Vorbereitung auf den Beruf während des Studiums an. Wer hätte denn wissen sollen, in welche Richtung sich die berufliche Laufbahn wenden würde? Und das gilt für alle Absolventen des Fachs - außer den wenigen, die genau wissen, wohin sie innerhalb der Archäologie wollen, und die das Ziel sogar erreichen. Allen, die sich für die Archäologie entscheiden, muss bewusst sein, dass sie sich in ein weites Arbeitsgebiet begeben, in dem sie höchst vielfältige Betätigungs- und Einsatzmöglichkeiten vorfinden. Die können sie ergreifen, oder sie werden von ihnen ergriffen.
Alfred Falk ist ehemaliger stv. Leiter der Lübecker Stadtarchäologie. Er war Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit (DGAMN) und ist Vorsitzender der Archäologischen Gesellschaft der Hansestadt Lübeck.
11.11 Alexandra Hilgner: Goodbye Wissenschaft? – Hello Management! Alternative Karriereperspektiven für ArchäologInnen
Viele von denen, die sich dazu entschließen, ein archäologisches Fach zu studieren, stellen sich vor, wie sie später in fernen Ländern fremde Kulturen entdecken, knietief in Erde nach "archäologischen Sensationen" buddeln oder spannenden Rätseln der Vergangenheit in Archiven, Bibliotheken und Laboren auf den Grund gehen. Nun, wie so oft im Leben kommt es meistens anders: Die Arbeitsrealität in ständig prekären Beschäftigungsverhältnissen oder als ewiges Volontariat haben sich die Meisten wohl anders vorgestellt. Einfach seinen Forschungsträumen nachgehen, ist für die meisten ArchäologInnen in den klassischen Betätigungsfeldern Denkmalpflege, universitäre Lehre oder Museum kaum bis gar nicht umsetzbar. Eine Ausnahme bilden Projekte, meist durch Drittmittel finanziert, die allerdings immer nur auf eine begrenzte Zeit angelegt sind. Wenn man ausschließlich forschen will (ohne die Verpflichtungen von Lehre oder administrativen Aufgaben), sind Projekte eine gute Wahl. Allerdings muss man dabei auch die ständige finanzielle Unsicherheit ertragen können – was passiert nach Abschluss des Projektes? Wird mein nächster Antrag bewilligt? Werde ich (wieder) einige Zeit arbeitslos sein? Werde ich (wieder) umziehen müssen? Spätestens wenn man eine Familie gründen, sich einfach nur "niederlassen" will oder wegen hilfebedürftiger Eltern immobil wird, passt dieses Arbeitskonzept oft nicht mehr zum Leben.
Was also tun? Die Wissenschaft ganz verlassen? "Aber wohin?" mag man fragen, "man kann doch nix Anderes." Das stimmt nicht ganz: Die erfolgreiche Arbeit an Projekten (auch am eigenen Dissertationsprojekt) erfordert eine Menge an administrativen Zusatzaufgaben – nicht zuletzt eine solide Planung und ein gutes Zeitmanagement. Wenn man rechtzeitig darauf achtet, wichtige Fähigkeiten und Kompetenzen anzusammeln und auszubauen (u. a. aus den Bereichen Koordination, Planung, Controlling, Öffentlichkeitsarbeit), können schnell aus Soft Skills sog. "Hard Skills" werden – für einen Bereich, der ständig wächst: das Wissenschaftsmanagement.
"Ich bin Wissenschaftsmanagerin" – das klingt nicht ganz so glamourös wie "ich bin Archäologin". Aber das hat Perspektive. Und kann auch Spaß machen! Man kommt aus der Wissenschaft, ist ständig von WissenschaftlerInnen umgeben, quasi am Puls der Forschung und, je nach Projekt/Bereich, kann man sich evtl. hin und wieder einen kleinen eigenen Wunsch erfüllen: die Reise zu der Tagung in Bologna, einen kleinen Beitrag aus der eigenen Forschung, die Konzeption einer kleinen Ausstellung usw. Ja, es ist auch harte Arbeit. Und oft viel. Eine gewisse Belastbarkeit muss man schon mitbringen. Dafür kann es sehr erfüllend sein (nicht nur zeitlich), gerade wenn man gerne Struktur ins Chaos bringt, in der Forschung den Blick auf das große Ganze genießt (v. a. auch interdisziplinär), wenn man gerne mit der Öffentlichkeit kommuniziert oder einfach nur mal seinen "inneren Kontrollfreak" befreien möchte. Zwar sind auch hier viele Stellen projektgebunden (und damit zeitlich befristet), aber zum einen werden im Bereich Wissenschaftsmanagement ständig gute Leute gesucht (z. B. als ProjektmanagerInnen oder wissenschaftliche KoordinatorInnen), und zum anderen gibt es hier einen stetig wachsenden Anteil von festen Stellen (z. B. leitende GeschäftsführerInnen, wissenschaftliche ReferentInnen oder speziell in der Öffentlichkeitsarbeit).
Seinen persönlichen archäologischen Traum, den kann man ganz gut im Studium (und ggf. der Promotionszeit) ausleben. Wenn man jedoch zusätzlich darauf achtet, genügend Soft- und v.a. auch Hard Skills aus den einschlägigen Bereichen zu sammeln, existiert danach eine realistische Chance, weiterhin im Wissenschaftsbetrieb zu arbeiten: nicht ganz so glamourös, dafür auch weniger prekär, solide bezahlt und mit guter Zukunftsperspektive: im Wissenschaftsmanagement. Zumindest hat man damit einen Plan B in der Tasche, und das kann bekanntlich nie schaden.
Alexandra Hilgner M. A., Wissenschaftliche Koordinatorin GRK 1876 "Frühe Konzepte von Mensch und Natur" Universität Mainz
12 Privatwirtschaftliche Archäologie
12.1 Felix Fleischer: Wie viele Köche braucht der Brei? Gedanken zu Privatwirtschaft und Archäologie
Die Beteiligung privater Firmen an archäologischen Ausgrabungen ist in Frankreich seit 2003 Alltag. Die Öffnung des Marktes für private Archäologiedienstleister hatte für Bauwirtschaft und Archäologie ohne Zweifel einige positive Effekte. Mehr Firmen bedeuten mehr Fachkräfte, bessere Reaktionszeiten auf Grabungsausschreibungen, neue Innovationen im Grabungsalltag, kurz: Konkurrenz belebt das Geschäft! In Zeiten eines stabilen Marktes mit ausreichend Aufträgen besteht für alle Beteiligten eine Win-Win-Situation. Dieses Gleichgewicht gerät jedoch schon bei kurz- und mittelfristigen Auftragsschwankungen schnell in Schieflage. Die Folge ist zuallererst Preisdumping, die benötigten Einsparungen werden meist durch Kürzungen in der technischen und personellen Ausstattung erzielt, oft mit direkten Auswirkungen auf die Qualität der Ergebnisse.
Als in Frankreich vor einigen Jahren eine solche Verknappung der Auftragslage eintrat, wurden die Auswirkungen einer sich verschärfenden Konkurrenzsituation deutlich. Immer engere Preiskalkulationen mit immer kleiner werdenden Zeitfenstern werden immer mehr auf die Bedürfnisse der Bauherren ausgerichtet, Minimalanforderungen an archäologische Ausgrabungen faktisch zum Goldstandard erhoben. Da die wissenschaftliche Aufarbeitung einer Präventivgrabung in Frankreich Teil des Gesamtprojektes ist, also mit dem Kostenvoranschlag budgetiert wird, betrifft dieser Minimalkonsens sowohl die Ausgrabung als auch die wissenschaftliche Nachbereitung und somit indirekt auch die wissenschaftliche Forschung. Auf Dauer kann dieser rein markwirtschaftlich orientierte Preiskampf selbst große Firmen in Schieflage bringen und das gesamte System Archäologie in Frage stellen, wie der 2015 öffentlich ausgetragene Streit zwischen dem staatlichen Institut national des recherches archéologiques préventives (Inrap) und einigen privaten Grabungsfirmen deutlich machte. Inrap wurde dabei des unlauteren Wettbewerbs beschuldigt, und zwar konkret des Preisdumpings, der durch staatliche Subventionen mitfinanziert wird, da finanzielle Defizite des Instituts letztlich aus Steuermitteln ausgeglichen werden. Die Ursachen dieser Situation sind selbstverständlich deutlich vielschichtiger, und die wenigsten davon der Archäologie selbst anzulasten, aber das Beispiel zeigt, dass es Kontrolle braucht, wenn Wissenschaft und ideelles Erbe auf marktwirtschaftliche Interessen treffen.
Die verstärkte Ansiedlung privater archäologischer Dienstleister, wie sie beispielsweise seit einigen Jahren bei unseren Nachbarn in Baden-Württemberg vorangetrieben wird, ist ein probates Mittel, um dem Druck der Bauwirtschaft auf unser archäologisches Erbe zu begegnen. Sie birgt aber auch, wie eben aufgezeigt, Gefahren in sich. Persönlich begrüße ich die Konkurrenz zwischen privaten Grabungsfirmen und staatlichen Einrichtungen. Sie erzwingt geradezu eine permanente Auseinandersetzung mit Methoden und Abläufen, sich auszutauschen, Ergebnisse zu publizieren, besser zu werden, und macht so die Archäologie auch in der Öffentlichkeit sichtbarer. Es bedarf aber einer handlungsfähigen staatlichen Instanz, in Frankreich der Service Régional de l’Archéologie (SRA), in Deutschland die Denkmalämter, die denkmalpflegerische und wissenschaftliche Standards entwickeln und vor allem durchsetzen müssen, notfalls eben auch gegen wirtschaftliche Interessen. Dies kann jedoch ausschließlich über politischen Willen geschehen, da der Gesetzgeber hier die Rahmenbedingungen vorgibt. Und so spiegeln letztlich die Gesetzgebung bzw. ihre Anwendung auch immer den Stellenwert wider, den die Gesellschaft ihrem archäologischen Erbe entgegenbringt!
Dr. Felix Fleischer, Archéologie Alsace, Responsable de l’unité des Périodes pré- et protohistoriques
12.2 Martin Nagel: Der "schönste Beruf der Welt" ist kein Traumberuf
Ich war 34, als ich meine erste Stelle in der Privatwirtschaft antrat. Heute bin ich 64 und drehe sozusagen die letzte Runde. Viel hat sich geändert in dieser Zeit, eins aber nicht: Die wirtschaftlich-persönliche Situation so vieler Kollegen (* hier und in Folge als generisches Maskulinum) ist immer noch eine Katastrophe, eine Missachtung beruflicher Qualifikationen, ein Ausnutzen prekärer Lebensbedingungen und ein Eingesperrt-Sein in einer Art persönlich-intellektueller Leibeigenschaft. Das klingt wie von einem anderen Stern? Das kann nicht sein, nicht bei uns hier? Doch, ich behaupte, das ist so, und wenn ich mir die bislang publizierten Ergebnisse der DGUF-Umfrage "Evaluation Beruf Archäologie" anschaue, sehe ich mich bestätigt.
Ob ich der Richtige bin, um dies zur Sprache zu bringen, weiß ich nicht, aber es empört mich zutiefst zu beobachten, dass dreißig Jahre deutscher Prosperität nicht gereicht haben, um auch den kleinen Berufsstand der Facharchäologen angemessen daran teilhaben zu lassen. Ich habe es selbst erlebt und am Grundsätzlichen hat sich nichts geändert: Ich konnte mir kein eigenes Auto leisten, um trotz bezahlter Arbeit zu meiner Arbeitsstelle auf dem platten Land zu kommen. Stattdessen war Fahrgemeinschaft oder Zeltübernachtung angesagt. Meine Frau und ich haben lange überlegt, eine Familie zu gründen, weil befristete Arbeitsverträge keine ausreichend verlässliche Basis für die Nachwuchsplanung darstellen. Meine Urlaubszeit verbrachte ich zur Freude der daran Beteiligten mit der Abarbeitung von Publikationsverpflichtungen, weil mir sonst keine Zeit dafür blieb.
Vielleicht sagen Sie, das ist doch alles nicht erheblich, das gibt es immer wieder. Mag sein, und in der von mir überblickbaren Gruppe von Fachkollegen war das auch normal, nicht aber in der Berufswirklichkeit von Freunden und Bekannten, die in anderen akademischen Fächern ihre Abschlüsse machten. Vielleicht sollte man auch mal untersuchen, wie hoch die Anzahl der Gescheiterten in diesem und ähnlichen kleinen Fächern ist, der Geschiedenen oder der Suizide?
Und erwähnenswert, weil eigentlich nur mit Hollywood erklärbar, ist das Paradoxon, dass die Außenwelt meint, wir hätten uns einen der schönsten Berufe der Welt ausgesucht (der Mythos des Indiana Jones überstrahlt offenbar alles. Aber, unter vier Augen, tatsächlich kann keiner, der infiziert ist, völlig loslassen).
Martin Nagel M.A.: Studium der Vor- und Frühgeschichte, Geographie, Bodenkunde, Magister Artium, Örtliche Grabungsleitungen. Industriekaufmann, Betriebswirt, Dozent in der Erwachsenenfortbildung, Controller, Interner Auditor, Qualitätsmanagementbeauftragter, ERP-Berater und -Betreuer. Seit 2003 freiberuflich selbstständig als Beratender Betriebswirt mit Schwerpunkt Betriebsorganisation.
12.3 Uwe Schoenfelder: Fragen über Fragen – Kommerzielle Archäologie in Deutschland
Warum gibt es keine Standesvertretung der kommerziellen Archäologie in Deutschland?
Diese sollte ständiges Mitglied im Deutschen Verband für Archäologie (DVA) sein und Vertretungen in den Bundesländern besitzen. Die bestehenden Verbände stellen sich eher als Kartelle/Karnevalsvereine dar, die nicht ernst zu nehmen sind und beinahe nichts bewirken. Gegründet sollte die Standesvertretung unter Aufsicht/Leitung einer oder mehrerer von den meisten Firmen akzeptierten Person(en) werden, die in der Archäologie und Politik Ansehen genießen und gut vernetzt sind. Da Konkurrenzdenken, Neid und Missgunst in unseren Reihen stark verbreitet sind, ist davon abzuraten, dafür einen Firmenkollegen auszuwählen. Firmen sollten stattdessen Vertreter in einen Beirat wählen, der wiederum die Führung der Standesvertretung kontrolliert.
Warum verdienen kommerzielle Archäologen und das übrige Personal wesentlich schlechter als die Bediensteten im öffentlichen Dienst und teilweise unter dem Durchschnittsgehalt der Bundesbürger? Meine beinahe 30-jährige Berufserfahrung im kommerziellen Bereich der Archäologie sagt mir, dass die Archäologie generell sich einfach schlecht verkauft. Das liegt u. a. daran, dass die staatliche Archäologie in den Medien, aber auch bei fast allen spektakulären Projekten das Sagen hat, und viele dieser lukrativen Projekte immer noch staatlich finanziert werden, d. h. es entstehen den Bauherren nicht so hohe Kosten. Wenn die Bauherren dann mit der kommerziellen Archäologie konfrontiert werden, denken sie leider nach dem Motto: "Alles was nichts kostet, ist auch nichts wert". Dazu kommt ein gnadenloser Wettbewerb, ähnlich wie in der Baubranche. Allerdings haben wir in der Bundesrepublik eine freie Marktwirtschaft und müssen uns halt dem Wettbewerb stellen. Honorarverordnungen oder Ähnliches könnten vielleicht eine Lösung sein, ein Unterfangen der nächsten Firmengeneration! Was ich als heuchlerisch empfinde, dass mehrere Kollegen sich über Dumpinglöhne in Form von Vorträgen oder Publikationen beschweren und sogar Gehaltsvorschriften fordern, aber gleichzeitig Angebotspreise bzw. Löhne dumpen (typisch deutsches Pharisäertum nach dem Motto "Wasser predigen, aber Wein trinken") oder dass in einem Kartellverband intime wirtschaftliche Fragen, die über die Mitgliedschaft entscheiden, gestellt werden.
Warum ist die Ausbildung, aber auch das Verhalten/die Einstellung mancher angehender, aber auch erfahrener Archäologen so schlecht und für die Firmenarchäologen kaum oder nicht zu gebrauchen?
Mit der Einführung des BA-Studiums – und damit renne ich wohl allgemein offene Türen ein – ist die praktische Archäologie bzw. das "normale" Arbeiten einer Führungskraft (z. B. 6.00 Uhr morgens aufstehen, Überstunden, am Wochenende arbeiten etc.) bis zur Unkenntlichkeit verloren gegangen. Da wir Firmen-Chefs keine Autorität bzw. kein Ansehen bei vielen "richtigen" Uni-Wissenschaftlern bzw. bei den "richtigen" Landesarchäologen haben, aber auch unsere Auftraggeber wegen der billigen Kalkulationen uns nicht ernst nehmen, spiegelt sich das Verhalten einiger wissenschaftlicher Mitarbeiter gegenüber der Geschäftsführung dementsprechend wider: kein Respekt, kaum Einsatz, mangelnde Einstellung, am liebsten Archäologie vor der Haustür betreiben, keine Identifikation mit der Firma, asoziales Verhalten wie Diebstahl, Betrug, Beleidigungen etc. Die bei vielen Fachkollegen durch die ungenügende Ausbildung vor allem an den Unis anzutreffende fehlende wissenschaftliche und wirtschaftliche Kompetenz tut ihr Übriges dazu. Das Fazit ist, dass viele der fähigen, motivierten Archäologen entweder auf den spärlichen Stellen im öffentlichen Dienst landen oder eigene Firmen gründen. Für uns gewachsene, größere Firmen ist das ein Super-GAU! Zumal der jetzige Fachkräftemangel auf dem Arbeitsmarkt in allen Bereichen –trotz hoher Arbeitslosigkeit – katastrophal ist.
Warum publizieren Vertreter der Landesämter Ergebnisse/Material von Firmen-Grabungen, teilweise ohne die Erlaubnis der Geschäftsführung einzuholen? Mir ist es bereits des Öfteren vorgekommen, dass entlassene Mitarbeiter oder Mitarbeiter, die gekündigt haben, eine Kopie der Dokumentation der von ihnen durchgeführten Grabungen erstellt und zusammen mit Landesamt-Archäologen ohne mein Wissen/ Einverständnis publiziert haben. Und das, obwohl ich die Staats-Kollegen gebeten habe, dies zu unterlassen. Das Schlimme an diesem Verhalten ist, dass die Ex-Mitarbeiter Ihre eigentliche Nachbearbeitung gemäß den Vorschriften der Ämter absichtlich boykottiert bzw. uns überlassen haben. Dadurch sind immense Zusatzkosten für unsere Firma entstanden.
Warum setzt eine Landesbehörde aus den östlichen Bundesländern – übrigens als einzige in Deutschland – eine Verordnung in die Welt, dass Projekte nur Mitglieder eines regionalen Kartell-Verbandes durchführen dürfen? Aus rechtlicher Sicht ist das natürlich nicht haltbar, wir werden dagegen wohl vorgehen müssen. Aber es wäre natürlich besser, wenn dies ein einheitlicher deutschlandweiter Firmenverband täte.
Warum gibt es Koordinatoren von Großprojekten, die (da sie u. a. von den Auftraggebern bezahlt werden) nicht unabhängig sind? Wir haben des Öfteren erlebt – vor allem von Seiten einer älteren Dame, die bei bislang jeder mündlichen Verhandlung mit großen Energieträgern in Bayern, NRW, Rheinland-Pfalz, Norddeutschland seit über 20 Jahren aus persönlichen Gründen gegen uns argumentierte –, dass Koordinatoren befangen sind und ihre Lieblinge für die Projektdurchführung bevorzugen. Der Auftraggeber verlässt sich dann zumeist auf deren Urteil. So etwas kostete uns bereits Millionen Euro an Umsatz.
Warum gibt es kaum Fachgutachter für Gerichtsprozesse etc. in der Archäologie? Ich habe es schon häufiger erlebt, dass Richter, aber auch Anwälte, sich gerne als kundige Fach-Archäologen aufspielen und das Urteil dementsprechend ausfällt. Eine Interessensvertretung der Archäologie mit Unterstützung von Fachjuristen im archäologischen Bereich könnte auch hier Abhilfe schaffen.
Warum gibt es u. a. wegen des Problems der Scheinselbstständigkeit kaum mehr freiberufliche Archäologen, Techniker, Fachkräfte? Für beide Seiten, sowohl für die Fachfirmen als auch für die selbstständigen Archäologen/Techniker/Fachkräfte, bildete die Selbstständigkeit eine gute Möglichkeit, freie Entscheidungen über Einsatzort oder bestimmte Tätigkeitsbereiche zu treffen. Die gierige Deutsche Rentenversicherung setzt hier, um an weiteres Geld zu kommen, seit etwa zehn Jahren auf einen schwachen, wehrlosen Mittelstand und vor allem eine äußerst unsichere Rechtslage. Auch hier wäre es besser, wenn ein einheitlicher deutschlandweiter Firmenverband sich dieses Problems annehmen würde.
Warum stelle ich eigentlich solche Fragen? Nach vielen bitteren Enttäuschungen und Niederlagen im Reich der "Möchtegern-Schliemänner und -Schliefrauen", aber auch zahlreichen schönen Momenten in "unserem" Fach, möchte ich in meinem letzten Lebensabschnitt meiner Familie, aber auch meinen Mitarbeitern, eine Perspektive geben, dass wir Firmenarchäologen und Firmenmitarbeiter endlich respektiert und ernst genommen werden und dabei auch alle gut verdienen können! Aber das umzusetzen wird Aufgabe einer neuen Fachfirmen-Generation sein.
Dr. Uwe Schoenfelder M.A., Archbau GmbH
12.4 Diane Scherzler: Grabungsfirmen: das kaum bekannte Silicon Valley der Archäologie
Universität / Forschung, Landesarchäologie, Museum: sie standen einst und stehen weiterhin für die erhofften Berufsfelder und Träume der Mehrheit der Studierenden des Fachs UFG & AMANZ. Sich um Arbeitsverträge in diesen Terrains zu bemühen, das legen den Studierenden auch die meisten Hochschullehrer nahe; davon schreiben Berufsberatungsportale. Mehr Alternativen außer "irgendwas mit Marketing, Wissenschaftskommunikation oder Kulturmanagement" scheint es nicht zu geben. Unterschätzt wird das Arbeitsfeld kommunale Archäologie, also die Tätigkeit bei einer Unteren Denkmalschutzbehörde, wo derzeit gemäß der Umfrage EvaBA (Tl. 3, noch unveröffentlicht) die größte Arbeitszufriedenheit herrscht. Doch weit mehr unterschätzt wird die privatwirtschaftliche Archäologie. Die beiden deutschen DISCO-Studien berücksichtigen diesen Bereich zwar, unterschätzten ihn aber quantitativ erheblich. Erst das "DGUF-Monitoring privatwirtschaftliche Archäologie" für die Jahre 2019 und 2020 hat die wahren Mengenverhältnisse offengelegt: ca. 2.000 UFG & AMANZ’ler sind derzeit im staatlichen Bereich der Archäologie berufstätig, d. h. in Bodendenkmalpflege, Museen, Unis und Forschungsinstitutionen. Dem stehen ca. 2.300 privatwirtschaftlich tätige Archäologinnen und Archäologen gegenüber. Während die staatliche Archäologie derzeit einigermaßen stabil ist und weder wächst noch schrumpft, wachsen im Bereich privatwirtschaftliche Archäologie die Grabungsfirmen beträchtlich: plus 6 % Angestellte von 2019 auf 2020, plus 12 % Angestellte von 2020 auf 2021. Könnten beispielsweise die Medien- oder die Automobilbranche ähnliche Wachstumsraten – dazuhin während einer Pandemie! – aufweisen, die Aufmerksamkeit wären ihnen nicht nur im Wirtschaftsteil der Leitmedien sicher. Ja, das Lohnniveau in der privatwirtschaftlichen Archäologie ist vielerorts noch nicht adäquat, manchmal sogar "unterirdisch". Aber blicken wir auf das Thema Karriere und Arbeitsplatzsicherheit: In der Privatwirtschaft locken unbefristete Arbeitsverträge und handfeste Aufstiegschancen; in der staatlichen Archäologie hingegen gibt es weitaus zu viele befristete Verträge, weshalb für viele Beschäftigte dort – oft früher als später – die Sackgasse der Nicht-Verlängerbarkeit erreicht ist. Besserung ist nicht zu erwarten. Demgegenüber ist das Thema Gehalt in der Privatwirtschaft "am Kippen": der seit Jahren anhaltende Auftragsboom verursacht eine starke Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften, was es selbstbewussten guten Arbeitskräften mehr und mehr erlaubt, auch handfeste Lohnforderungen zu stellen. Der Berufsverband CIfA Deutschland erarbeitet derzeit in einer nie dagewesenen Einigkeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern Lohnuntergrenzen, auf die sich bei CIfA organisierte Firmen verständigen werden und welche die bei CIfA organisierten Arbeitnehmer:innen einfordern werden; dies steht in Verbindung mit einem Gütezeichen für Archäologiefirmen, welche die Standards des Berufsverbands erfüllen. Nicht zuletzt könnte der "Spaßfaktor" eine Rolle dafür spielen, seine berufliche Zukunft in einer Grabungsfirma zu suchen: Ist es wirklich attraktiv, sein Archäologen-Leben mit der Begutachtung und Beauflagung von Bauanträgen zu verbringen? Blicken wir auf die in diesem Newsletter auch von anderen Autoren beschriebene starke technische Entwicklung in der Grabungstechnik: Wo wurden und werden neue Technologien zuerst und konsequenter eingesetzt? Wer Spaß am Ausgraben hat, dem bietet die Privatwirtschaft mehr. Gute Chefs und andere Chefs, das gibt es gewiss überall. Aber die Intensität an Bürokratie und Verwaltung ist zwischen Staat und Privatwirtschaft ausnehmend unterschiedlich verteilt. Seit 2017 bietet die DGUF mit der Reihe "Archäologische Quellen" sogar die Option, die eigenen Grabungsberichte zu publizieren, d. h. auch das akademische Verdienst für die wissenschaftliche Arbeit in einer Grabungsfirma zu bekommen und mit etwas Eifer die Länge der Publikationslisten mancher Kolleg:innen aus der staatlichen Archäologie zu toppen. Und wer gerne Chef:in wäre? Der staatliche Sektor weist 18 Landesarchäolog:innen, 25 Uni-Institutsleiter:innen und ein paar wenige Museums-Chef:innen als Karriereziele auf, in Summe etwa 50 bis 60 Top-Positionen in der staatlichen Archäologie Deutschlands. Sicher allesamt spannende Jobs, um die es sich zu bemühen lohnt! Aber dem stehen aktuell 120 Grabungsfirmen gegenüber, und niemand ist gehindert, die 121. zu gründen. Wer weiß: vielleicht geben in einem Jahrzehnt die Grabungsfirmen den Ton hinsichtlich technischer und beruflicher Standards an, aller "heiße Scheiß" könnte zuerst dort passieren oder unternehmerisch denkend entwickelt werden. Nicht mehr als eine Handvoll alternder Ewiggestriger sähe Firmen dann noch immer als "verlängerte Werkbank" der staatlichen Behörden an. – Dem Mutigen gehört die Welt! Neugierige, freiheitsliebende Wissenschaftspioniere wie Georg Forster oder Alexander von Humboldt wären heute Firmenarchäolog:innen.
Siegmund, F. & Scherzler, D. (2020). Grabungsfirmen in Deutschland trotz Pandemie auf Wachstumskurs – DGUF-Monitoring-Report privatwirtschaftliche Archäologie 2020. Archäologische Informationen 43, Early View, online publiziert 31.3.2021. https://www.dguf.de/fileadmin/AI/archinf-ev_siegmund_scherzler.pdf (Ab ca. Juni finden Sie dieses Early View als Beitrag mit den endgültigen Seitenzahlen und DOI im Open Access dort: http://journals.ub.uni-heidelberg.de/arch-inf.)
Die Archäologischen Quellen (Arch. Quellen) sind die 2017 begründete Monografienreihe der DGUF, die der Vorlage von "Quellen" dient, d. h. von Grabungsdokumentationen, Grabungsfunden und ähnlichem, ohne dass deren Publikation von tiefgehenden wissenschaftlichen Analysen begleitet sein muss. Mehr: http://www.archaeologische-quellen.de
Diane Scherzler M. A., Vorsitzende der DGUF
13 Berufsverband und berufliche Selbstorganisation
13.1 Sascha Piffko: Über Gewerkschaften, Kammern etc. und die Wirksamkeit des Berufsverbandes CIfA
Eine Vorbereitungsgruppe rund um die DGUF hatte 2016/17 alle Vereine, Verbände, Gewerkschaften, Gruppierungen in der deutschen Archäologie angeschrieben und eingeladen, im Frühjahr 2017 hatten wir eine mehrmonatige Online-Vortagung mit regen Diskussionen. Inkludierend, alle Gruppen und Optionen einladend, sich dem Thema und uns anzunehmen. Die einzige Institution, die sich dann bereit erklärte, für bessere Arbeitsbedingungen einzutreten, war CIfA. Nach der DGUF-Tagung 2017 "Ein Berufsverband für die Archäologie?" hat CIfA uns dann auch (d. h. seit 2017) finanziell und strukturell unterstützt, damit wir eine deutsche Tochter-Vereinigung mit eigenem Vorstand und bezahlter, hauptamtlicher Geschäftsführung aufbauen können.
Die Diskussion über eine Archäologen-Gewerkschaft als alternativen Ansatz zur Problemlösung verfolge ich seit exakt 1995/96, als ich das erste Mal auf einer Ausgrabung gearbeitet habe, also seit nunmehr 25 Jahren. Die Gründung einer Gewerkschaft aus dem Nichts heraus hat sich dabei als ebenso sinnlos erwiesen wie Einzelanfragen von engagierten Einzelkämpfern bei ver.di, GEW, usw.
Im März/April 2021 war ich aktiv beteiligt an Vorträgen und Diskussionen über die gleichen Themen in Österreich (Uni Wien), wo die Kollegen mit den gleichen Problemen kämpfen wie wir. Vor vielen Jahren hatten sie schon einmal den Vorstoß gewagt und eine Gewerkschaft gegründet. Diese dümpelte kraftlos vor sich hin und ist nun Geschichte. Versuche, erneut zu einem Manteltarifvertrag zu kommen, scheitern weiterhin an Problemen auf beiden Seiten – Arbeitgebern wie Arbeitnehmern. Die österreichischen Kollegen sehen folgerichtig auch in Österreich das Modell CIfA als einen gangbaren Weg, endlich handfeste Verbesserungen für unseren Berufsstand zu erreichen.
Daher meine folgenden Thesen:
Ja, es wäre toll, eine Gewerkschaft zu haben. Ja, es wäre toll, eine Kammer zu haben. Aber als Unternehmer bin ich kein Fan des Konjunktivs, und noch weniger des Wörtchens "irgendwann".
Wir brauchen Änderungen, und wir wollen sie (obwohl wir als Archäologen langmütig sind) nicht in hundert Jahren. Mit der Gründung von CIfA Deutschland besteht die Möglichkeit, einen Berufsverband aufzubauen, in dem sich die deutschen Archäologinnen und Archäologen selbst für bessere Rahmenbedingungen ihres Berufsstandes stark machen – ein offenes Projekt ohne Amtshierarchien, in das sich Jede und Jeder einbringen kann. Ob aus CIfA dann vielleicht auch einmal eine Gewerkschaftsgründung oder -beteiligung hervor-geht und/oder eine Innung/Kammer, das liegt dann in unser aller Hand.
Ob dann auch die britischen Berufsabschlüsse hier anerkannt werden und uns Konkurrenz machen, kann uns vorerst egal sein, denn bei Licht betrachtet haben ja bereits unsere eigenen Berufs- und Studienabschlüsse als Archäologen in unserem eigenen Land kaum einen Wert, da brauchen wir nicht nach Großbritannien schauen.
Ob unsere Beschlüsse, Ziele, Ergebnisse in CIfA Deutschland zu handfesten und erwünschten Ergebnissen führen werden, hängt einzig und allein von der Masse der Beteiligten ab. Das hat die Erfahrung mit CIfA in England / Großbritannien gezeigt. Wenn sich auch in Deutschland mehr als 1.000 Archäologen in CIfA vereinigen, dann wird sich einiges sehr schnell sehr drastisch ändern. Zu 1.000 Mitgliedern kommen wir allein dadurch, dass wir Ziele anstreben und einen Weg anzutreten bereit sind, dessen Verlauf wir noch nicht genau kennen.
Dass 90 % der Grabungsfirmen in Deutschland lieber deutlich unter Mindestlohn zahlen und ihre Mitarbeiter nicht nachhaltig beschäftigen, muss den übrigen 10 % ein Anreiz sein, als gutes Beispiel voranzuschreiten, weil langfristig hoffentlich auch die Arbeitnehmer den Unterschied bemerken – und die "Abstimmung mit den Füßen" machen. Wenn heute eine ostdeutsche Grabungsfirma sagt, die Lohnziele von CIfA seien für sie nicht erreichbar, wegen des Lohngefälles, dann hat sie die Möglichkeit, vorerst auch ohne eine förmliche Mitgliedschaft einfach bei CIfA mitzudiskutieren und mitzugestalten – die Plattform dafür haben wir bei CIfA Deutschland gerade gebildet.
Sollte jemand eine Gewerkschaft / einen Arbeitgeberverband gründen, bin ich der Letzte, der nicht aktiv mitarbeitet. Aber bis dahin sehe ich keine sinnvolle Alternative zu CIfA Deutschland. Auch, weil wir nicht nur das Thema Löhne und Gehälter in Grabungsfirmen lösen müssen, sondern es weitere drängende Themen gibt, z. B.: "Wie sollten Ausschreibungen gestaltet werden?", "Wie führen wir die Gespräche mit Auftraggebern und Landesämtern?", "Wie schaffen wir eine verbesserte Ausbildung?", "Wie machen wir den Beruf Archäologie attraktiv?" etc. Bei all diesem wird uns ver.di oder eine andere Gewerkschaft sicherlich nicht wirksam unterstützen.
Wir müssen mit dem Fakt klarkommen, dass weder Politik noch Gesellschaft sich einen Deut um die Arbeitsbedingungen von Archäologinnen und Archäologen kümmern werden, so lange z. B. Pflegepersonal noch für 1.600,- Euro brutto eine 70-Stunden-Woche absolviert, ohne Überstundenausgleich. Das heißt, die Archäologen müssen die Suppe, die sich selbst versalzen haben, nun auch selbst auslöffeln. Und den einzigen Löffel, den ich derzeit sehe, ist CIfA Deutschland. Mag sein, dass es in der Zukunft bessere Löffel geben wird. Aber ich will JETZT anfangen zu löffeln.
Sascha Piffko, M.A. MCIfA, ist Geschäftsführer und Inhaber der Fachfirma SPAU GmbH in Münzenberg (Hessen) und Beirat beim Berufsverband CIfA Deutschland.
13.2 Christoph Unglaub: Warum man einem Berufsverband beitreten sollte
Was haben wir alle (mich eingeschlossen) schon geklagt und geschimpft! Wie schlecht die Berufsaussichten für Archäolog*innen sind, wie schlimm die Arbeitsbedingungen sich anfühlen und wie weit die, ja nennen wir es beim Namen, (Selbst-)Ausbeutung in manchen archäologischen Arbeitszusammenhängen verbreitet ist. Ein wichtiger und in meinen Augen unumgänglicher Schritt ist jedoch der vom Klagen zum Handeln. Das klingt nach Ratgeberliteratur vom Bahnhofskiosk, dennoch stimmt es eben. Mit diesem Schritt sind Anstrengung und Überwindung verbunden, ich weiß das aus eigener (nicht immer erfolgreicher) Erfahrung. Es ist klar, dass nicht alle Kämpfer*innen sind und bereit sind, sich ohne Rücksicht auf Verluste zu engagieren (was denken meine Arbeitgeber*innen, was sagen die Vorgesetzten, wie reagieren meine Kolleg*innen?). Auch der Mangel an Zeit ist ein guter Grund, sich nicht auf den Weg zu machen; das Leben soll – sagen einige von Euch – auch noch andere Inhalte als den Beruf haben, z. B. die Familie – die überdies auch auf das Einkommen angewiesen ist – Jobverlust ist keine Option! Dafür (geneigte Leser*innen haben es geahnt oder wissen es schon) existiert bereits eine Lösung: es gibt in Deutschland in meinen Augen nur einen Berufsverband, der sich wahrnehmbar für die Belange der im deutschsprachigen Raum tätigen Archäologen einsetzt und das ist CIfA Deutschland. Das Ziel dieses Verbandes sind bessere Arbeitsumstände, faire Verträge und Qualität in der Archäologie. Die einzige wirklich wichtige Aufgabe der einzelnen archäologisch Arbeitenden in diesem Zusammenhang ist es, hier die kritische Masse zu bilden und beizutreten. Dieser Begriff aus der Spieltheorie umschreibt einen bestimmten Schwellwert, eine Menge an Personen, durch die ein gruppendynamischer Prozess in Gang gesetzt werden kann, der bestehende Gewichtungen verschieben kann und der Veränderung schafft. Genau deshalb ist es wichtig, dem Berufsverband CIfA Deutschland nicht beim Aufbau zuzusehen und abzuwarten, sondern jetzt beizutreten. Politisches Gewicht entsteht durch Masse. Ein solches Handeln ist ganz leicht und schnell geschehen. Man muss nicht einmal persönlich kämpfen, Zeit investieren usw. Doch was, wenn man nicht handelt, sondern mit dem Beitritt noch abwartet? Na, dann könnte es passieren, dass der Berufsverband keine kritische Masse erreicht, keine nachhaltigen Veränderungen herbeiführen kann. Dann bleibt im Beruf Archäologie vieles so, wie es ist. Es ist Eure Wahl.
Christoph Unglaub M.A. war lange Jahre in der Landesarchäologie in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sowie beim Deutschen Archäologischen Institut tätig. Heute arbeitet er beim Landesamt für Denkmalpflege Schleswig-Holstein.
13.3 Michaela Schauer und C. Sebastian Sommer: Ein Berufsverband für die Archäologie ist eine historische Chance für Jeden
Seit 2016 reden wir in Deutschland darüber, dass es einen Berufsverband für Archäologie braucht. Eigentlich reden wir viel länger darüber, aber alle Versuche in den Jahren und Jahrzehnten davor endeten wie das Hornberger Schießen: erfolglos. Seit 2017 wissen wir aber, dass es mit CIfA Deutschland einen solchen Berufsverband geben wird. Der erste echte Berufsverband in der deutschen Archäologie seit 1945.
2018 wurden wir offiziell gegründet, als Regionalgruppe des mehr als 3.900 Mitglieder zählenden Berufsverbands "Chartered Institute of Archaeologists" (CIfA), einem der zwei großen Archäologie-Berufsverbände weltweit. Mit starker, auch finanzieller Unterstützung des CIfA-"Mutterverbands". Unser Ziel von Anfang an: Die Archäologie insgesamt auf professionelle Beine stellen, für bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne, bessere Ausbildung – kurz, eine lebenswerte Archäologie einzutreten. Für wen? Für alle in der Archäologie Tätigen, egal in welcher Position, mit welchem Hintergrund, egal welcher Nationalität, Gender etc. Und damit wir diese Ziele erreichen, haben wir in den knapp drei Jahren einiges getan:
Ein Gütezeichen für Archäologie (GZA) wurde entwickelt, das die Firmen und Organisationen auszeichnet, die sowohl fachlich kompetent als auch sozial und nachhaltig arbeiten. Weil wir (als Berufsverband) transparent und nachvollziehbar handeln, haben wir alle in der Archäologie Berufstätigen um Stellungnahme zum Entwurf gebeten, bevor er von unseren Mitgliedern beschlossen wurde.
Durch das GZA und durch die persönliche Akkreditierung, die Personen im Sinne einer Mitgliedschaft verliehen wird, welche nachweislich ethisch und fachlich korrekt handeln, tragen wir dazu bei, dass sich die Wahrnehmung der Archäologie in der Öffentlichkeit ändert. Wir (als Archäologen) sind keine Hobbyisten, sondern ein eigenständiger, ernst zu nehmender Beruf. Damit wir aber so ernst genommen werden, müssen wir uns auch an unsere eigenen Regeln halten.
Wie sehen diese Regeln aus? Die waren bisher nirgends festgeschrieben. Hier haben wir Abhilfe geschaffen. Unser international anerkannter Verhaltenskodex beschreibt klar, was nirgends gelehrt wird: Er definiert, was angemessenes ethisches Verhalten in der Archäologie ist. Wir tragen so dazu bei, dass unser Job sicherer wird, denn mit uns kann man reden, wenn man das Gefühl hat, dass etwas nicht richtig läuft. Wir hören zu – und wenn wir nicht helfen können, nennen wir die richtigen Ansprechpartner.
Und die schlechten Arbeitsbedingungen in der Archäologie, der viele von uns direkt betreffende größte Brennpunkt überhaupt? Wir (als Berufsverband) haben nach umfangreichen Recherchen Handreichungen zu angemessenen Verträgen und Löhnen veröffentlicht. Wir erklären, wie diese gestaltet sein sollten, und geben Beispiele in an die Hand. Unsere Arbeitskreise sind dabei, ein Konzept für die Etablierung einer Lohnuntergrenze zu entwickeln. Es herrscht ein reger Austausch zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Arbeitgeber haben sich außerdem in einem eigenen Arbeitskreis zusammengeschlossen und diskutieren über ihre speziellen Herausforderungen.
Aber auch in der Öffentlichkeit treten wir aktiv auf – diverse Kommentare zu Gesetzesentwürfen sind erfolgt – z. T. auf direkte Einladung aus der Politik. Unser Einfluss wächst, und wir sind zuversichtlich, dass das auch künftig der Fall sein wird.
Was hingegen nicht in dem Maße wächst, in dem wir es uns wünschen würden, ist unsere Mitgliederzahl. Einerseits ist CIfA Deutschland die am schnellsten wachsende Regionalgruppe in der mehr als 30-jährigen Geschichte des internationalen Berufsverbands. Gleichzeitig sind wir, gemessen an der Anzahl der in der Archäologie in Deutschland Tätigen, noch immer sehr wenige. Warum ist das so? Wir (als Autoren) haben das Gefühl, dass wir – für die kurze Zeit, die CIfA Deutschland aktiv ist – einiges auf die Beine gestellt haben … Wäre das nicht eine breitere Unterstützung wert? Wir arbeiten hart daran, die Bedarfe, Wünsche und Forderungen, die Ihr – die deutsche Archäologie – an einen starken Berufsverband formuliert habt, zu erfüllen. Und das tun wir in unserer Freizeit, im Ehrenamt (!). Das gilt nicht nur für den Vorstand, das gilt für Jeden, der seine Energie, sein Engagement und seine Zeit für CIfA Deutschland opfert. Alles, was wir machen, ist gern geschehen, denn es ist uns allen eine Herzenssache, die deutsche Archäologie lebenswerter zu machen – insofern war das bisher kein Opfer.
Also, liebe deutsche Archäologie – wir müssen da mal drüber reden: Wie kann es sein, dass so viel über die Situation in der Archäologie berichtet, geklagt und – ja – auch gejammert wird, aber wenn man Euch fragt, warum Ihr Euch nicht bei uns (im Berufsverband) engagiert oder zumindest Mitglied werdet, dass dann Eure Antwort beispielsweise lautet: "Ich habe im Moment konkret nichts von Euch", "Man kann doch eh nichts ändern" oder "Ihr tut ja nichts für mich". Wie kann das sein?! Gibt es tatsächlich jemanden unter Euch, der von keinem der oben genannten Aspekte profitieren würde? Meistens folgt in einem Gespräch, in dem man Euch das fragt, nachdenkliches Schweigen, oder es kommen Ausflüchte. Und dann? Dann kommt: "Ihr könnt ja erst was bewegen, wenn Ihr größer seid. Vorher seh' ich nicht, dass Ihr wirklich was ändern könnt." Eure Bedarfe und Wünsche habt Ihr aber unverändert: "Für mich wäre dies und das wichtig. Wenn Ihr Euch darum gekümmert habt, werde ich Mitglied." Ehrlich?! Das ist einer der Momente, wo wir nicht wissen, ob wir lachen oder weinen sollen. Das kann nicht Euer Ernst sein, liebe Archäolog*innen in Deutschland! Wie kann es sein, dass das in Großbritannien ansässige Direktorium und der Beirat von CIfA mehr an einen deutschen Berufsverband glauben als Ihr? Ihr dagegen nur so: "Hmm ja, weiß auch nicht …" Ihr wollt, dass wir als Berufsverband etwas bewegen – wozu wir alle wissen, dass es Masse braucht – aber Ihr wollt erst mal abwarten, ob wir etwas bewegen können, und dann erst beitreten? Euch ist klar, dass das Spiel so nicht funktioniert, oder? Ihr wisst auch, dass wenn Ihr noch viel länger zuschaut, wie sich (zu) wenige Menschen für Eure berufliche Zukunft abstrampeln, diese Menschen irgendwann die Kraft verlassen könnte. Dann wärt Ihr wieder da, wo Ihr 2016 wart. Aber es gibt dann niemanden, der mit Wagemut und frischer Energie für Euch nochmal etwas aufbauen würde. Also, was riskiert Ihr? Richtig viel, wenn Ihr nichts tut. Sehr wenig, wenn Ihr aktiv werdet. Ihr müsst ja im Prinzip nicht mal viel investieren, damit der Berufsverband Erfolg hat. Ihr müsst einfach nur Mitglied werden; damit wir eine kritische Masse erreichen und als Berufsverband noch erfolgreicher das tun können, was Ihr Euch als Auftrag denkt! Also: http://www.archaeologists.net/mitglied-werden – wir helfen Euch gerne dabei!
Michaela Schauer M.A., ACIfA, ist die Präsidentin von CIfA Deutschland. Der bayerische Landeskonservator Prof. Dr. C. Sebastian Sommer, MCIfA, ist Schriftführer von CIfA Deutschland.
14 Das Verhältnis von Archäologie und Gesellschaft
14.1 Miriam N. Haidle: Urgeschichte – ein Fach ohne gesellschaftspolitische Relevanz?
Untersuchen wir nur Funde oder erforschen wir materielle Zeugnisse menschlicher Geschichte? Wenn wir nur ersteres tun, dann lasst uns weiterpuzzeln. Wenn wir aber auch letzteres machen, müssen wir die Funde interpretieren und in einen größeren Zusammenhang stellen. Den Deutungsvorsprung unserer Fächer sollten wir nutzen, denn es hat Auswirkungen, wenn wir das nicht tun. Die Urgeschichte fasziniert, und wo sollte man besser nach Ursprüngen heutigen Verhaltens suchen? Sei es, wenn es um Alltägliches wie die Ernährung geht (Stichwort Paläodiät) oder um Zündstoffthemen wie Geschlechterrollen, "Völker" und ihre angestammten Gebiete oder menschliche "Rassen" und ihnen nachgesagte Eigenschaften: die Suche nach "natürlichen" Zuständen (weniger nach Entwicklungen) zieht den Blick in die Urgeschichte. Im Schulunterricht bekommen Kinder einen kleinen, aber prägenden Einblick (Sénécheau, 2008), populäre Medien greifen urgeschichtliche Themen immer wieder auf (Haidle, 2009), und auch andere Wissenschaftsbereiche wie die Evolutionäre Psychologie und Soziobiologie weisen auf Erklärungen aus der menschlichen Entwicklungsgeschichte hin. In vielen Fällen werden alte Wissensstände herangezogen, oft entbehren diese Darstellungen der Vergangenheit jedoch jeder wissenschaftlichen Grundlage. Zwar kann die Archäologie zu vielen der Themen nur wenig beitragen, aber auch das ist eine Aussage, die deutlich gemacht werden sollte (Haidle, 2018). Insbesondere in der heutigen Zeit zunehmender Wissenschaftsskepsis ist es wichtig, Quellenkritik und Grenzen der Interpretation aufzuzeigen. Wir müssen zeigen, dass es nicht DIE Urgeschichte gab, in der sich etwas so oder so verhielt, sondern dass wir es immer mit Entwicklungsprozessen zu tun haben und wir in bestimmten Phasen und Gebieten vorübergehende Phänomene beobachten können. Die Urgeschichte sollte weder dazu dienen, heutige kulturell geformte Gesellschaftsmodelle zu begründen, noch als Science fiction im Wortsinn wahrgenommen werden (wie ich es schon in disziplinübergreifenden Seminaren erlebt habe). Wenn wir uns also zu den geschichtlichen Zusammenhängen auf der Grundlage archäologischer Quellen äußern, dient das zum Einen der Reflexion unserer eigenen impliziten Vorstellungen, zum anderen einer informierteren Auseinandersetzung mit der tiefen Menschheitsgeschichte außerhalb unseres Faches. Und die ist durchaus gesellschaftlich relevant.
Miriam Sénécheau (2008): Archäologie im Schulbuch. Themen der Ur- und Frühgeschichte im Spannungsfeld zwischen Lehrplanforderungen, Fachdiskussion und populären Geschichtsvorstellungen. Schulbücher, Unterrichtsfilme, Kinder- und Jugendliteratur. https://www.freidok.uni-freiburg.de/fedora/objects/freidok:6142/datastreams/FILE1/content
Miriam N. Haidle (2009): Urmenschen unter uns – Wilde Männer, harte Zeiten. https://www.researchgate.net/publication/279446254_Urmenschen_unter_uns_-_Wilde_Manner_harte_Zeiten
Miriam N. Haidle (2018): Schon in der Steinzeit... Über die "Natürlichkeit" menschlicher Geschlechterrollen aus urgeschichtlich-paläoanthropologischer Sicht. https://www.researchgate.net/publication/323399209_Schon_in_der_Steinzeit_Uber_die_Naturlichkeit_menschlicher_Geschlechterrollen_aus_urgeschichtlich-palaoanthropologischer_Sicht
PD Dr. Miriam N. Haidle, Forschungsstelle "The Role of Culture in Early Expansions of Humans" (ROCEEH) der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
14.2 Rainer Schreg: Was bieten wir der Gesellschaft? Was ist sie bereit, uns zu bieten?
Trotz einer erfolgreichen Öffentlichkeitsarbeit vieler Kommunikatoren, die immer mehr Menschen für die Archäologie zu interessieren scheint, hat die Archäologie keine Lobby. Das öffentliche Interesse an der Archäologie, welches einst das Fach getragen und geprägt hat, scheint sich dem wissenschaftlichen Ansatz zu entfremden. Archäologie wird offenbar als interessant, aber letztlich nicht als relevant wahrgenommen. Die Popularisierung der Archäologie führt nicht zu ihrer Stärkung, vielleicht weil wir noch immer mehr die Funde an sich, aber nicht ihre historische Bedeutung vermitteln oder uns der falschen Narrative der Schätze, Abenteuer und Sensationen bedienen?
Ist dieser Eindruck richtig? Wenn ja, sollten wir uns fragen, woran das liegen könnte. Wenn nein – machen wir uns da nicht etwas vor in unserer fachlichen Filterblase? Jedenfalls ist eine weitere Auseinandersetzung mit dem Themenfeld "Archäologie und Öffentlichkeit" notwendig, die zwar längst stattfindet (z. B. DGUF-Tagung "Sharing Heritage 2018"), die aber in den weiteren Kontext einer Reflektion über die Relevanz unserer Wissenschaft treten sollte.
Ein eben erschienener Beitrag in den "Archäologischen Informationen" formuliert einige Gedanken in dieser Richtung als Einwurf in die laufende Diskussion: Schreg, R. (2021). Was bieten wir der Gesellschaft? Was ist sie bereit, uns zu bieten? Archäologische Informationen 44, Early View, online publiziert 4. Mai 2021. https://www.dguf.de/fileadmin/AI/archinf-ev_schreg.pdf
Prof. Dr. Rainer Schreg, Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit, Univ. Bamberg
14.3 Karl-F. Rittershofer: Archäologie, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft
Lasst uns darüber diskutieren, was die Archäologie an positiven Ergebnissen für die heutige Gesellschaft leisten könnte. Nicht nur über die altbekannten Themen wie Tourismusförderung durch attraktive Ausgrabungsstätten, schöne Ausstellungen in den Museen, interessante Artikel in den Feuilletons der Zeitungen, faszinierende Fernseh-Kulturfilme und weiteres derartig Tradiertes.
Als Vorschlag seien im Folgenden drei völlig unterschiedliche Beispiele aufgeführt: (1) Umweltforschung, (2) Identifikation der Menschen mit ihrer regionalen Kulturgeschichte und (3) Umgang mit Migranten auf Augenhöhe.
(1) Die immer stärkere Verbindung von Archäologie und Naturwissenschaften bringt auch immer mehr Ergebnisse, die eben nicht nur zur Ergänzung der mit archäologischen Methoden gewonnenen Erkenntnisse über das frühe Wirken des Menschen dienen. Mithilfe der archäologischen Datierungsmöglichkeiten lassen sich auch vertiefte Einblicke in das Verhältnis Mensch / Umwelt durch die vergangenen Jahrtausende hindurch gewinnen, sowie neues Wissen über Klima- und Umweltentwicklung, Krankheiten, Ernährung und vieles mehr - alles Faktoren, welche die Zukunft der Menschheit existenziell betreffen.
(2) Für das zweite Thema - die Stärkung der regionalen kulturhistorischen Identifikationsmöglichkeiten für Alle - spricht ein ganzes Bündel von Argumenten.
Eine Möglichkeit ist zum Beispiel die positive Darstellung des Wertebegriffs "Heimat" mithilfe der spezifischen archäologischen Entwicklung in einzelnen Regionen. Zielgruppe sind insbesondere die mobilen Menschen in Führungspositionen aus aller Welt, die unsere Wirtschaft besonders in den Ballungsräumen am Laufen halten, deren Familien aber selten nach Deutschland nachziehen, weil die Vielfalt des kulturellen Angebots bei uns viel weniger attraktiv präsentiert wird als in ihrem Heimatland (woran Politiker und Wirtschaftsverbände immer wieder erinnern).
Eine andere Möglichkeit wäre, Alleinstellungsmerkmale für Wirtschaftsunternehmen anzubieten, die ihre Branche an ihrem Wirkungsort bis in vorgeschichtliche Zeit zurückverfolgen können. Es mag ja Zufall sein, wenn einige besonders hochwertige frühkeltische Prunkwagen genau in den Regionen entstanden sind oder entdeckt wurden, in denen heute Luxus-Automarken wie Porsche, Mercedes, Maserati und Ferrari ihre Stammwerke haben. Aber wenn ein Metall verarbeitender Handwerksbetrieb in seiner Region die Patenschaft für eine eisenzeitliche Siedlung übernimmt oder eine Ziegelei das Gleiche für eine Terra-Sigillata-Produktionsstätte am Oberrhein, oder auch eine Großbäckerei für eine neu entdeckte prähistorische Ofenzeile, aus der sich ein ähnliches Handwerk erschließen lässt, wenn eine solche Zusammenarbeit stattfindet, so ist auch in bescheidenerem Rahmen beiden Seiten geholfen.
Das alles ist keineswegs reines Wunschdenken. Denn die seit 2017 bestehende Verpflichtung für alle Unternehmen, einen Bericht über ihre gesellschaftliche Verantwortung zu verfassen (Corporate Social Responsibility / CSR), wird erst ganz allmählich von gemeinnützigen Vereinigungen (NGOs) und noch viel zu wenig von archäologischen Institutionen als zusätzliche Finanzierungsquelle entdeckt. Gemeinnützige Firmenaktivitäten und Übernahme von Verantwortung für Umwelt und Nachhaltigkeit gemeinsam mit ihren Kunden, Mitarbeiter-Engagement zum Zweck von Teambildungsmaßnahmen, Corporate Volunteering und zahllose weitere Möglichkeiten von Firmenkooperationen zugunsten der Archäologie setzen der Fantasie keine Grenzen.
(3) Und nun noch ein ganz anderes Beispiel: Wenn (wie ich es selbst erlebt habe) hoch qualifizierte syrische Flüchtlinge, die heute in zahlreichen Berufen immer häufiger den Nachwuchs ersetzen, der auf dem deutschen Arbeitsmarkt fehlt, bei einem Besuch auf der Saalburg im Hochtaunus, dem einzigen vollständig wieder aufgebauten römischen Kastell am gesamten Limes, erfahren, dass die Vorfahren ihrer syrischen Landsleute im 2. Jh. n. Chr. dort als römische Soldaten (Cohors I Flavia Damascenorum) die Bevölkerung der romanisierten Wetterau gegen die "Barbaren" aus Germanien beschützten, dann wird vielleicht deutlich, dass die heutige Flüchtlingshilfe auch als ein "Zurückgeben" auf Augenhöhe aus historischer Verpflichtung heraus angesehen werden könnte.
Aus diesen - und sicher noch vielen weiteren – Aspekten lässt sich das Bewusstsein gewinnen, dass wir als Archäologen viel mehr auf der gebenden als auf der nehmenden Seite verankert sind, und dass wir diese Leistungen viel stärker in die Öffentlichkeit tragen müssen.
Fazit: Die Archäologie sollte mehr Selbstbewusstsein entwickeln.
Dr. phil. Karl-F. Rittershofer, Rosbach
14.4 Jens Notroff: Aktive Diskursgestaltung: Plädoyer für mehr transparente Wissenschaftskommunikation
Gesellschaften und gesellschaftlichen Wandel über längere Zeiträume, Jahrhunderte, Jahrtausende gar in den Blick nehmen zu können, ist eines der wesentlichen die Archäologie als wissenschaftliche Disziplin auszeichnenden Merkmale. Als Kulturwissenschaft ist sie auch Spiegel gesellschaftlicher Debatten, in denen sie nicht nur selbstverständlich partizipiert, sondern diese gar zu antizipieren sucht - das jedenfalls ist ein oft gehörter Anspruch, wenn es darum geht, Aktualität und Relevanz unseres Fachs geltend zu machen. Aber stimmt das auch? Oder handelt es sich hier um das Selbstbild eines Fachs, das glaubt, seiner öffentlichen Verantwortung damit zu genügen, die eigenen Forschungsfragen an tagesaktuellen Themen auszurichten? Gelingt es uns tatsächlich, "gesellschaftlich relevant" zu sein und eine archäologische Perspektive, den kulturwissenschaftlichen Blick, aktiv in den Diskurs einzubringen? Tatsächlich ist das öffentliche Interesse an archäologischen Themen ungebrochen, finden archäologische Daten immer wieder auch Eingang in aktuelle Nachrichten und Debatten. Allerdings eben oft stark selektiert und nicht selten simplifiziert. Vor allen Dingen aber häufig ohne die Urheber dieser Daten – ohne die archäologisch forschenden Kolleginnen und Kollegen selbst. Wir sind vielleicht der Überzeugung, an gesellschaftlichen Debatten teilzunehmen, fungieren aber oft bestenfalls als Stichwortgeber und überlassen die großen Synthesen, überlassen die Diskussion archäologischer Daten im großen gesellschaftsaktuellen Rahmen anderen Disziplinen und Akteuren. Mit der Folge, dass diese oft fragmentarischen, immer komplexen Daten ohne kritische Einordnung (oder gar Kenntnis) ihres spezifischen Kontexts in allzu stromlinienförmige Narrative eingepasst werden.
Das liegt, müssen wir uns wohl ehrlich eingestehen, zu einem guten Teil auch an den Kommunikationsstrategien im Fach; an der Bereitschaft, die eigene Forschung selbst aktiv in den öffentlichen Diskurs einzubringen – und sie dort sichtbar einzuordnen. Und auch an den verfügbaren Ressourcen: Wissenschaftskommunikation und Öffentlichkeitsarbeit werden erst jüngst in der archäologischen Ausbildung und Lehre thematisiert, in Projektplanung (und damit auch Mittelkalkulation) mitgedacht. Man mag sich argumentativ auf die Position zurückziehen wollen, dass dies in solcher Tiefe schließlich nicht genuin Aufgabe von Wissenschaft und Forschenden sein kann; freilich untergrübe man damit den selbstbehaupteten Anspruch gesellschaftlicher Relevanz. Vor allem aber ist dies ein Trugschluss: Präsentation und Kommunikation sind selbstverständlich wesentlicher Teil wissenschaftlichen Arbeitens – mit dem bloßen Abliefern von Daten sind wir als Wissenschaftler nicht aus der Pflicht entlassen, Einordnung und Kontextualisierung sind ebenso notwendig wie wichtig. Und nicht zuletzt auch strategischer Schwerpunkt z. B. des BMBF-Leitbildes für die Kommunikation über Wissenschaft und Forschung, und zwar nicht nur für die eigene Peer Group, sondern auch und gerade mit der interessierten und allgemeinen Öffentlichkeit. Der Verweis auf die wissenschaftliche Publikationspflicht trifft hier zu kurz, denn trotz jüngst zurecht forcierter Open-Access-Bemühungen sind die Zugangsschwellen zu diesen Publikationen nach wie vor hoch, insbesondere für eine interessierte Öffentlichkeit – die ihre Antworten nicht in Universitätsbibliotheken, sondern im Internet sucht. Und zwar bevorzugt gerade nicht hinter Paywalls und nicht oder nicht ausschließlich in wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Gesellschaftswissenschaft ist eben auch gesellschaftliche Verantwortung. Die ebenso wichtige wie notwendige einordnende Rolle von Wissenschaftskommunikation ist vielleicht in der aktuellen Gesundheitskrise sichtbarer geworden als je in vorangegangenen Diskussionen zuvor. Das kann, das soll nicht nur für MINT-Fächer gelten, sondern auch für die Geisteswissenschaften. Und angesichts der behaupteten Relevanz in aktuellen Diskursen gerade auch für die Geschichts- und Kulturwissenschaften. Denn diese gesellschaftliche Relevanz geht einher mit öffentlicher Aufmerksamkeit und einem Bedarf an Einordnung und Kommunikation durch Wissenschaftler. Wissenschaftskommunikation ist mehr als Wissenschafts-PR, mehr als die Platzierung von Forschung als Marke. Öffentlichkeitsarbeit ist auch Bildungsarbeit, die verständliche Vermittlung von Forschung und Forschungsinhalten. Wissenschaftskommunikation meint deshalb insbesondere auch Vernetzung von Wissenschaft und Gesellschaft. Das gelingt aber nur, wenn Wissenschaftskommunikation, wenn Forschung sich selbst offener und partizipativer inszeniert. Das bedeutet auch, die Öffentlichkeit in Entscheidungsprozesse einzubeziehen, insbesondere aber auch transparent an den Ergebnissen wissenschaftlichen Arbeitens und am Entstehungsprozess dieser Ergebnisse teilhaben zu lassen – nur so kann Archäologie wirklich ein relevanter Teil gesellschaftlicher Debatte sein. Nur so wird sie auch als solcher wahrgenommen werden.
Jens Notroff M. A., Berlin
14.5 Matthias Toplak: Mehr Öffentlichkeit wagen!
Die Faszination für Archäologie und Geschichte ist in der deutschen Öffentlichkeit ungebrochen. Seien es TV-Serien wie "Vikings" oder "Barbaren", Spielfilme wie jüngst "Die Ausgrabung", Sachbücher und historische Romane oder die scheinbar omnipräsenten Geschichtsdokumentationen: Die mediale Auseinandersetzung mit Geschichte ist enorm populär und dringt auch in gesellschaftliche Schichten vor, die Ausstellungen in Museen oftmals nicht erreichen. Dass archäologische Fakten dabei zu oft schlichtweg ignoriert oder aus dramaturgischen Gründen bis zur Unkenntlichkeit verdreht werden und selbst vorgeblich wissenschaftliche Dokumentationen teils sensationsheischend ihren Interviewpartnern krude Behauptungen in den Mund legen, ist schon vielfach und zu Recht kritisiert worden. Als Reaktion darauf hat sich jedoch eine zunehmende Diskrepanz zwischen Fachwelt und Medien bzw. Fachwelt und Öffentlichkeit entwickelt. Immer mehr Fachkollegen wenden sich – oftmals aus Enttäuschung, vielleicht vereinzelt auch aus Desinteresse – von der medialen Rezeption von Archäologie und Geschichte ab. Die Folgen davon sind zum einen, dass die Fachwelt von Teilen der Öffentlichkeit mit dem sprichwörtlichen Elfenbeinturm in Verbindung gebracht wird, und zum anderen, dass auch das Niveau der medialen Aufbereitung von Geschichte mangels engagierter und fachlich versierter Interviewpartner und Beratern sukzessive sinkt. So entsteht in Teilen der Öffentlichkeit ein schiefes Bild von Geschichte, das in einigen Bereichen mehr auf längst überholten Klischees und Wunschvorstellungen beruht, befeuert durch den gegenwärtigen soziopolitischen Diskurs und unterstützt von Serien wie "Vikings", die selbst nie den Anspruch hatten, Geschichte zu vermitteln, aber viel zu oft so verstanden werden.
Es kann aber nicht im Interesse der Fachwelt sein, wenn Forschungsergebnisse nur in akademischen Kreisen kursieren und die gelegentliche Vermittlung an die Öffentlichkeit Zeitungsartikeln und Dokumentationen überlassen wird, deren Produzenten im eigenen Interesse darauf angewiesen sind, Inhalte möglichst spannend und sensationell anzupreisen, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Viel sinnvoller erscheint es doch, aktiv die Öffentlichkeit zu suchen, um nicht nur fachlich über Arbeit und Ergebnisse zu berichten, sondern vor allem das Interesse an und die Faszination für Archäologie und Geschichte zu wecken! Sicherlich ist das oft nicht einfach, wenn man sich neben der eigenen Forschungsarbeit auch den festgefahrenen öffentlichen Ansichten auf der einen und fachlich vielleicht gänzlich uninteressierten und nur an einer sensationellen Story interessierten Redakteuren und Produzenten auf der anderen Seite stellen muss. Man sollte dabei jedoch auf keinen Fall aufgrund einzelner schlechter Erfahrungen alle medialen Darstellungen von Geschichte in Interviews, Reportagen und Dokumentationen von vorneherein ablehnen. Oft nehmen Redakteure und Produzenten dankbar jede fachliche Beratung auf und lassen sich für die Thematik und den wissenschaftlichen Blickwinkel begeistern – die archäologische Realität ist eben doch faszinierender als die endlos rezipierten Klischees.
Der Blick zu unseren Nachbarn im Norden kann da Vorbild sein. Viele skandinavische Museen und Forschungsinstitutionen betreiben nicht nur multimedial hervorragend aufbereitete, barrierefreie Internetseiten, sondern liefern auch in den Sozialen Netzwerken – über Facebook, Twitter und Co. – in Podcasts und kurzen Videoclips ebenso informative wie unterhaltsame Einblicke in ihre Arbeit und die aktuelle Forschung. Die Ansprache erfolgt dabei auf unterschiedlichen Ebenen und richtet sich bspw. in Form von kleinen Spielszenen an Kinder, während für die älteren Gruppen auch die mediale Populärkultur einbezogen wird. Grabungsberichte, Publikationen und andere Informationsmaterialien sind häufig digitalisiert in umfassenden Datenbanken online frei zugänglich und erlauben es dem interessierten Publikum, einen detaillierten Einblick in Arbeitsweisen und Ergebnisse zu erhalten und zudem auf unmittelbarerer Ebene mit der Fachwelt zu kommunizieren. Das Interesse an einem direkten Zugang zu und einer ernsthaften Auseinandersetzung mit Fachpublikationen ist auch in der Öffentlichkeit – bei archäologisch Interessierten oder Leuten aus der Reenactment-Szene – überraschend hoch, wie bspw. der Erfolg von Plattformen wie academia oder scribd nahelegen. So gelingt es, eine breite Gesellschaftsschicht zu erreichen, und Wissen zu Archäologie und Geschichte zu vermitteln.
Es kann für die deutsche Archäologie nur von Vorteil sein, sich aktiver, unmittelbarer, persönlicher und auch individuell erreichbar in den medialen Diskurs über Geschichte und Geschichtsverständnis einzubringen, durch populärwissenschaftliche Veröffentlichungen und den direkten Zugang zu Fachpublikationen, Datenbanken und Informationsmaterial, durch Social Media und auch durch die Bereitschaft, bei aller berechtigten Kritik für Interviews, Berichte und Dokumentationen zur Verfügung zu stehen. Es sollte für uns keine unliebsame Verpflichtung, sondern eine wichtige Herausforderung sein, die Faszination von Archäologie und Geschichte in die Öffentlichkeit zu tragen, Studierende zu gewinnen und nicht zuletzt auch Werbung für unser Fach zu machen und zu legitimieren, warum die Archäologie auch heute noch einen relevanten Aspekt der Kulturwissenschaft ausmacht. Zudem, wenn wir uns nicht um die Vermittlung von Geschichte bemühen, überlassen wir dieses Feld anderen, denen es weniger um Wissen als vielmehr um Klicks und Einschaltquoten geht.
Dr. Matthias Toplak, Sonderforschungsbereich SFB 1070, Eberhard Karls Universität Tübingen
14.6 Monika Irlenbusch: Öffentliche archäologische Präsentation in "Coronazeiten"?
Archäologie wird z. Zt. in Deutschland als nicht systemrelevant eingestuft. Dabei bedingen sich Archäologie und Gesellschaft in verschiedener Weise: soziologisch hinsichtlich unseres geschlechtlichen Rollenverständnisses, hinsichtlich unseres Bildes "vom Fremden", wirtschaftlich, touristisch und vieles mehr. Die heutige Archäologie ist stark vernetzt mit unterschiedlichsten naturwissenschaftlichen Bereichen, die es ermöglichen, das menschlichen Verhaltens facettenreich zu dokumentieren und aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Der Diskurs mit der Archäologie - ein Blick in die Vergangenheit - kann daher zur Lösung aktueller Problematiken beitragen.
Wie könnte eine Vermittlung zu Nicht-Archäologen in Zeiten des Lockdowns aussehen?
Panta rhei : Informationen sollen fließen
Die archäologischen Gesellschaften und Vereine könnten sich – wie z. B. bei der DGUF möglich – für Fachfremde öffnen. Denkbar wäre eine Umsetzung in Form einer (Förder-)Mitgliedschaft mit regelmäßigem Informationserhalt, z. B. in Form eines Newsletters, Exkursionen, Angeboten zur Mithilfe bei diversen Projekten oder Grabungen usw. Vorstellbar wäre auch – ähnlich wie bei manchen Botanischen Gärten oder Schulen – ein "Freundesverein", der eng mit der Mutterorganisation zusammenarbeitet.
Weitere Möglichkeiten:
- Erweiterung der digitalen Nutzung zur Erreichung eines größtmöglichen Publikums, z. B. für Vorträge, Kongresse oder Archäologie-Tage, etc.
- Ähnlich der Verfahrensweise vieler Unis ist eine Art digitaler "Ringvorlesung" denkbar. Zur Nutzung des technischen Know Hows und der organisatorischen Vereinfachung böte sich eine Anlehnung an eine Uni an. Fachleute und Öffentlichkeit könnten nicht nur über aktuelle Projekte und Forschungsergebnisse informiert werden, sondern darüber hinaus über Interessenskonflikte religiöser, ökonomischer oder politischer Art, über Finanzierungsprobleme in der Archäologie oder über archäologisch interessanten Persönlichkeiten.
- Ausweitung der Podcasts, z. B. nach dem Vorbild der "Archäologie online" oder des Archäologischen Museums Hamburg.
- Prägnante Plakataktionen, z. B. die derzeitige Plakataktion des Denkmalschutzes NRW.
- Mit einem Mural / Wandbild ließe sich für Präsenz und Aufmerksamkeit zu einem Thema werben – "Street Art" im öffentlichen Raum: Fassaden an Hauswänden werden meist kostenfrei zur Verfügung gestellt, die Gemälde werden von den Künstler*innen oft gegen geringes Entgelt bemalt (siehe z. B. City Leak Festival; "Street Art" in Köln).
Monika Irlenbusch, Köln
14.7 Thomas Richter: Social Media von Amts wegen: @kreisarchaeologielandshut auf Instagram
Zeitung, Fernsehen, Radio und öffentliche Vorträge. Diese Medien stehen klassischerweise zur Verfügung, wenn die Ergebnisse aktueller archäologischer Ausgrabungen der interessierten Öffentlichkeit präsentiert werden sollen. Dass eine derartige Präsentation archäologischer Forschung eine der elementaren Aufgaben öffentlicher Bodendenkmalpflege ist, dürfte außer Frage stehen. Wie aber kann es uns gelingen, diejenigen Teile der Gesellschaft zu erreichen und im besten Fall auch für die Archäologie zu begeistern, die diese althergebrachten Medien nicht oder nur im beschränkten Umfang nutzen?
Einen Hinweis auf die Antwort zu dieser Frage bekamen wir im Jahr 2019, als wir zusammen mit Schülern der Oberstufe eines Gymnasiums ein P-Seminar "Archäologie" veranstalteten. Obwohl bei den Seminarteilnehmern zwar Interesse an der Archäologie vorausgesetzt werden kann, war von ihnen bisher keiner mit der Berichterstattung über aktuelle Grabungsergebnisse aus dem Landkreis in Berührung gekommen. Eine Befragung ergab, dass sich die Schüler mehrheitlich im Internet, bevorzugt mittels Sozialer Netzwerke, informierten.
Als wir daraufhin im Landratsamt die Idee besprachen, einen eigenen Social-Media-Auftritt zu erstellen, waren Pressestelle und Amtsleitung sofort von der Idee angetan. Im Mai 2019 ging der Instagram Account der Kreisarchäologie Landshut ins Netz. Die Wahl des Netzwerks "Instagram" erfolgte dabei ganz bewusst, da Instagram ein jüngeres Publikum anspricht als beispielsweise Facebook. Zudem basiert es im Wesentlichen auf der Information des Nutzers durch Fotos. Diese Art der Information lässt sich mit der archäologischen Arbeitsweise sehr gut verbinden. Für die Dokumentation archäologischer Grabungen müssen bekanntermaßen Fotos in großer Anzahl angefertigt werden.
Heute, knapp zwei Jahre und rund 140 Beiträge später hat @kreisarchaeologielandshut rund 1.030 Follower. Die einmal wöchentlich veröffentlichten Beiträge erreichen zwischen 500 und 1.100 Nutzer. Anhand der von Instagram angebotenen Nutzerstatistik ist es möglich, einen Eindruck von der Altersverteilung der Follower des Kanals zu bekommen: Je 1/3 der Follower sind 25 – 34 Jahre bzw. 35 – 44 Jahre alt. Damit stellen diese Altersgruppen die Mehrheit der Follower des Accounts. Knapp 10 % der Nutzer sind zwischen 18 und 24, etwa 20 % zwischen 45 und 54. Die übrigen Follower sind 55 Jahre oder älter. Mit knapp 55 % folgen etwas mehr Männer dem Account als Frauen. Und – wenig verwunderlich bei einem Account, auf dem alle Texte auf Deutsch erscheinen – knapp 80 % aller Follower kommen aus Deutschland.
Als Zwischenfazit nach zwei Jahren auf Instagram bleibt aus unserer Sicht festzuhalten, dass der Versuch, mit einer neuen Form der Öffentlichkeitsarbeit eine jüngere Zielgruppe zu erreichen, geglückt ist. Naturgemäß ist es schwer, den Impact eines Internetauftrittes in den Sozialen Medien zu messen. Allerdings legen die steigende Zahl der Follower und die Kommentare unserer Nutzer nahe, dass die von uns gebotenen Informationen auf breites Interesse stoßen.
Der zeitliche Aufwand für den Account ist dabei überschaubar. Für die Erstellung eines Posts sind etwa 30 Minuten Arbeit an Text und Foto einzuplanen. Daneben sollten täglich zehn Minuten für die Pflege der Kommentarsektion einkalkuliert werden.
Nahezu unschätzbar ist der direkte Kontakt, den ein Account in den Sozialen Medien zu den Followern ermöglicht. Er erlaubt, das Spannende und Schöne der Archäologie ungefiltert zu transportieren und so den Nutzern zu zeigen, welche Freude die Erforschung unserer Geschichte macht, oder wie der amerikanische Archäologe K. Flannery es formulierte: "[…] archaeology is still the most fun you can have with your pants on."
Thomas Richter ist Kreisarchäologe des Landkreises Landshut
14.8 Karl Heinz Rieder: Zu den Defiziten bei der öffentlichen Vermittlung von Grabungsergebnissen
Es trifft sich gerade. Ich schreibe einen Artikel für die lokale Presse über meine erste Teilnahme an einer Ausgrabung durch das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege (BLfD) vor genau 50 Jahren. Nach einem ganzen Berufsleben an vorderster Front in der archäologischen Denkmalpflege stimmt eine solche Rückschau nachdenklich von euphorisch bis entsetzt. Es liegt in unserer Natur, nach gewissen Zeitabschnitten Bilanz zu ziehen und zu evaluieren. Für uns Archäologen bedeutet dies vom Grundsatz her, dass wir auf Zwischenbilanzen blicken und uns weiter orientieren.
Meine Tätigkeit war vielfältig ausgerichtet. Fachforschung auf unterschiedlichsten Gebieten, Anwendung innovativer Methoden, Vermittlung der Ergebnisse an das Fach und die Öffentlichkeit durch Information der Presse, von Funk und Fernsehen, durch Bilanzausstellungen, Museumsneugründungen in der Fläche, Museumspädagogik, Experimentelle Archäologie und so weiter. Ein Schritt auf unbekanntes Terrain war der Aufbau und die Etablierung eines gewerblichen Ausgrabungswesens zur Bewältigung des immensen Landverbrauchs im Sinne eines Rettungsdienstes. Die Anwendung eines dazu erforderlichen Verursacherprinzips gelang unter Mithilfe der Politik auf unterschiedlichen Ebenen.
Zu Recht wird im Vorwort des ersten Bandes der "Archäologischen Quellen" der DGUF im Newsletter moniert, dass es im günstigsten Fall ein Jahrzehnt dauern kann, bis Grabungsergebnisse im Fach ankommen. Eine interessierte Öffentlichkeit muss darauf oft Jahrzehnte warten, manchmal reicht ein Jahrhundert nicht. Freilich gibt es erfreuliche Ausnahmen. Selbst habe ich es versucht mit der paläolithischen Freilandstation Speckberg und dem Hohlen Stein bei Schambach. Nach wie vor sind die Vermittlung und die Bereitstellung unserer Quellen hinein in alle Ebenen der Gesellschaft eine primäre Aufgabe der archäologischen Community. Das ist unsere Botschaft.
Läuft doch recht gut, könnte man meinen. Dem ist nicht ganz so, zumindest nur bedingt. Als Kreisheimatpfleger mit Schwerpunkt Archäologische Denkmalpflege mit Vermittlungsauftrag liegt mir sehr an den explizit genannten Zielen. Neben gelungenen Fällen fällt auf, dass über archäologische Notgrabungen in der Lokalpresse heute oft gar nicht mehr berichtet wird oder ein eher dürftiger Zweispalter erscheint. Und zunehmend liest man wieder von den alten Klischees "Archäologen sorgen für Baustopp, das Vorhaben verzögert sich um …, es kostet soundso viel". Und in Fachzeitschriften erfährt eine beschränkte Zahl an Lesern mit Vorwissen in einem Dreiseiter die Quintessenz einer Grabung, illustriert mit drei Scherben.
Das ist zu wenig, finde ich, im Verhältnis zu den investierten Geldbeträgen durch die Verursacher und die Öffentlichkeit. "Terra X" ist nicht immer das Gelbe vom Ei und meist ungeeignet für regional bedeutsame Grabungsergebnisse. Nun braucht man keinen Illusionen nachträumen; es gibt zwar viel Interesse, die Zahl Derjenigen, die sich vertieft begeistern lassen, könnte sich steigen lassen. Aber es werden nicht Scharen von Lokalredakteuren über lokale Grabungen berichten lassen, nur weil uns danach ist. Schließlich ist Journalismus nicht dafür da, uns die Vermittlungsarbeit abzunehmen. Vielleicht wäre es eine dankbare Aufgabe für junge Archäologen in Ausbildung, sich dieser Aufgabe zu stellen Sie könnten sich praxisnah unter Anleitung eines gewaltigen brachliegenden Potenzials zum Nutzen Aller bedienen.
Frank Siegmund, Diane Scherzler: Archäologische Quellen Band 1: Vorwort der Herausgeber (Juni 2017): https://books.ub.uni-heidelberg.de/propylaeum/reader/download/276/276-33-78192-1-10-20170626.pdf
Dr. Karl Heinz Rieder ist Kreisheimatpfleger mit den Fachbereichen Bau- und Bodendenkmäler im Landkreis Eichstätt.
14.9 Gunter Schöbel: Mehr Archäologie in die Schulen!
Ägypten, Römer, Kelten, Germanen – das TV, gleich ob öffentlich oder privat, quillt über davon; die gesellschaftliche Akzeptanz für Geschichtsvermittlung ist anhaltend hoch, quer durch alle Schichten. Doch in den Schulen in Deutschland geraten Urgeschichte und Archäologie immer mehr ins Hintertreffen. Die frühen Zeiten der heimischen Geschichte kommen kaum noch vor. Die Verkürzung der Schulzeit, die Überlastung des Lehrkörpers und Schwerpunkte mit ökonomischem Mehrwert, etwa im MINT-Bereich oder im digitalen Feld, werden als Gründe für Streichungen in den Lehrplänen von der Grundschule bis zur Hochschule genannt. Zudem ist regionale und nationale Geschichtsvermittlung bei Bildungsplanern out. "Das hatten wir schon mit bekannten fatalen Folgen vor 90 Jahren." Zeitgeschichte, Staatenbildungen, Hochkulturen ja; doch das Andere, ohne stichhaltige schriftliche Quellen, manipulierbar wie in der Archäologie, das ist doch eher etwas für den Sandkasten und die frühen, noch analog bespielbaren Altersklassen. So tönt es inzwischen aus vielen der zuständigen Kultusministerien. Ist das ein nationales Problem in Deutschland? Haben wir Schwierigkeiten mit dem Begriff Heimat, der Regionalarchäologie, und flüchten uns daher in eine "Bundesland-Archäologie", die es so in der Menschheitsgeschichte nie gegeben hat. Thors Hammer erscheint auf Bäuchen beim Sturm auf das US-Capitol. Germanen und Wikinger stiften Identität auf Netflix. Es ist Zeit, sich der eigenen Geschichte unter wahrhaftigen, befundgetreuen Vorzeichen wieder mit aller Kraft zu widmen, um die Deutungshoheit über die eigene Geschichte wieder zu erlangen bevor es andere tun. Ziel muss es sein, die multikulturellen Wurzeln unseres europäischen Gemeinwesens an die heranwachsende Bevölkerung zu vermitteln.
Dafür ist jedoch ein Relaunch des Bildungsansatzes in allen 16 Bundesländern, eine stärkere Einbeziehung der frühen Geschichte unter Berücksichtigung bis zu 3 Millionen Jahre alter Bodenurkunden nötig. Klima, Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft müssen intensiv auch rückblickend betrachtet werden, um aus Fehlern menschlicher Gemeinschaften für die Zukunft zu lernen. Eine Berücksichtigung alleine der Schriftquellen reicht dabei nicht aus. Und das betrifft nicht nur das Fach Geschichte, sondern auch verwandte Wissenschaften in den jeweiligen Bildungslandschaften. Die Archäologie ist für interdisziplinäre Ansätze prädestiniert. Grundlage sollten dabei die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 der Vereinten Nationen sein, die inklusive, gerechte, nachhaltige und hochwertige Bildung und die Möglichkeit des lebenslangen Lernens für alle (Bildung für nachhaltige Entwicklung, BNE) fordert. Daran angeschlossen müsste der Forderungskatalog der UNESCO für gute Rahmenbedingungen zur Professionalisierung und Qualifizierung des Bildungspersonals sowie die Nutzung Neuer Medien, etwa der "open educational resources", Berücksichtigung finden.
Städte, Gemeinden, Museen, Verbände und die Denkmalpflege sollten als entscheidende Mitgestalter für das archäologische Lernen in der Fläche und die Konzeption der Lehrplänen stärker politisch unterstützt und bei der Fortschreibung der Bildungsziele einbezogen werden. Das ist der Ruf an die Kultusministerkonferenz und den Deutschen Kulturrat.
Eine bessere Ausbildung von Lehramtskandidat*innen an Hochschulen, außerschulischen Lernorten, Fortbildungszentren, Denkmälern und Erinnerungsorten durch Archäolog*innen zur Verbesserung der allgemeinen Kulturvermittlung ist anzustreben, damit die Bildungspläne sich wieder einer sachgerechten Vermittlung von Geschichtswissen widmen können. Dies gilt den Bildungsbeauftragten der Länder.
Und schließlich sollte die Archäologie selbst für eine qualifiziertere Vermittlung ihrer Erkenntnisse in Richtung der Schulen durch die Lehre an den Instituten, in der Denkmalpflege und in den Museen sorgen. Dies wurde in den vergangenen Jahren vernachlässigt.
Ein Fachausschuss des Deutschen Verbandes für Archäologie hat in Folge des Arbeitskreises der DGUF vor einigen Jahren zum Thema Archäologie und Schule seine Arbeit aufgenommen und sucht noch Unterstützung: https://www.dvarch.de/themen/fachausschuesse/archaeologie-und-schule/
"Quality Education: Sustainable Development Goal #4" (United Nations): https://www.un.org/sustainabledevelopment/education/
"Agenda Bildung 2030" (UNESCO): https://www.unesco.de/bildung/bildungsagenda-2030
Best Practice Beispiele für Lösungen beim Projekt "Archäologie der Zukunft" (Pfahlbaumuseum Unteruhldingen): www.archaeologie-der-zukunft.de
Prof. Dr. Gunter Schöbel, Pfahlbaumuseum Unteruhldingen
15 Citizen Science bzw. ehrenamtliche Archäologie
15.1 Pascal Geiger: Sondengänger – Zum aktuellen Diskussions- und Handlungsbedarf
2016 verfasste ich einen Beitrag für Focus Online zum Thema Korrelation zwischen Sondengängern und Amtsarchäologie (Geiger, 2016). In jenem Artikel beschrieb ich die wesentlichen Reibungspunkte zwischen Amtsarchäologie und Sondengängern und zog insgesamt den Schluss, dass es einer offenen und besseren Kommunikation bedürfe.
Heute, ziemlich genau fünf Jahre später, hat sich an den beschriebenen Reibungspunkten jedoch kaum etwas verändert. Bis heute gibt es einige Bundesländer, die offen und gerne mit Sondengängern zusammenarbeiten und entsprechend eine sog. Nachforschungsgenehmigung unter Einsatz einer Metallsonde ausstellen, während in anderen Bundesländern eine solche Genehmigung für den normalen Laien quasi ausgeschlossen oder nur schwer erreichbar ist.
Besonders spannend ist hierbei zu beobachten, dass die Bundesländer, respektive deren Regierungsbezirke und Ämter für Bodendenkmalpflege, offensichtlich deutlich unterschiedlicher Auffassung über den richtigen Umgang mit Sondengängern sind. Beispielsweise wird in Baden-Württemberg eine Nachforschungsgenehmigung nur dann erteilt, wenn Interessenten zuvor an einer qualifizierenden Schulung teilgenommen haben. Zudem erfolgen Prospektionen unter Einsatz von Metallsonden ausschließlich auf bereits überplanten Flächen und ausschließlich im Auftrag des Landesamtes für Denkmalpflege. In Nordrhein-Westfalen hingegen reicht eine Teilnahme an einem Informationsgespräch aus, um eine Nachforschungsgenehmigung zu beantragen. Und diese wird dann gleich für mehrere Flächen vergeben, welche Sondengänger selbstständig begehen dürfen.
Seltsam, oder? Schreibt doch das baden-württembergische Landesamt für Denkmalpflege ausdrücklich: "Dazu entwickelte die archäologische Denkmalpflege einen Katalog von Maßgaben, unter denen eine Beauftragung von Privatpersonen zur Prospektion mit Metallsonden erfolgen kann. Dabei wurde der Wahrung des öffentlichen Interesses zum Schutz der Denkmalsubstanz höchster Stellenwert eingeräumt". Bedeutet dies im Umkehrschluss, dass das Land Nordrhein-Westfalen mit seinen deutlich offeneren Partizipationsmöglichkeiten diesem Interesse keinen vergleichbaren Stellenwert eingeräumt hat? Solche deutlichen Unterschiede gilt es doch auch fachlich – unabhängig von Zuständigkeiten – zu diskutieren, oder nicht? Ein öffentlich wahrnehmbarer Diskurs findet jedoch nicht statt.
In Deutschland sind geschätzt mehrere Zehntausend Menschen im Besitz einer Metallsonde und mehr oder minder regelmäßig unterwegs. Bereits 2015 konnte man bei ca. 500 namentlich bekannten Besitzern einer Metallsonde und der Annahme, dass man nur jeden fünften Sondengänger kenne, von hypothetisch 2.500 Sondengängern im Zuständigkeitsbereich des LVR-Amtes für Bodendenkmalpflege im Rheinland ausgehen. Das entspricht (Siedlungs-, Verkehrs- und Wasserflächen herausgerechnet) einer Dichte von einem Sondengänger pro 3,5 km² Fläche (Morscheiser-Niebergall, 2015). Wenn die seinerzeit genannte Anzahl von ca. zehn neuen Sondengängern pro Monat sich nicht verändert hat, braucht man es sich nicht im Detail auszurechnen, um festzustellen, dass bei einer solchen Entwicklung das metallhaltige Bodenarchiv in Spatentiefe in wenigen Jahren geleert sein dürfte, ganz gleich ob die tatsächlichen Zahlen möglicherweise geringfügig anders ausfallen.
Trotz der Unterschiede ist allen Denkmalschutzbehörden gemein, dass ihre Hauptaufgabe im Schutz von (Boden-)Denkmälern besteht. Dass ein so differenter Umgang mit Sondengängern existiert, kann aber jenseits topografischer und archäologischer Unterschiedlichkeiten nur bedeuten, dass Schutzkonzepte diesbezüglich nicht evidenzbasiert, sondern nach persönlichen Eindrücken und Erfahrungswerten entwickelt werden.
Das ist angesichts der Sachlage im Interesse des Kulturgutschutzes und vor dem Gedanken einer starken Bürgerwissenschaft nicht mehr hinnehmbar. Es braucht dringend einen länderübergreifenden Diskurs! Dieser sollte beim Verband der Landesarchäologen in der Bundesrepublik Deutschland e. V. (VLA) angesiedelt sein. Es braucht eine Amtsarchäologie, die nicht anhand von Schätzungen oder Erfahrungswerten, sondern bemessen an wissenschaftlichen Erkenntnissen und ihrer bestimmbaren Effektivität Umgangskonzepte mit Sondengängern beschließt.
Ich persönlich bin der Überzeugung, dass dabei jene Konzepte, die gute und breit angelegte Partizipationsmöglichkeiten für Sondengänger bieten, gemäß den Erfolgsmeldungen kooperativ eingestellter Bundesländer, wegweisend sind.
Pascal Geiger: Hobby-Archäologen oder Raubgräber: Die umstrittene Arbeit von Sondengängern (Focus Online, 25.1.2016): https://www.focus.de/wissen/experten/pascal_geiger/auf-der-suche-auf-der-suche-nach-dem-grossen-fund-so-umstritten-sind-sondengaenger-in-deutschland_id_5228075.html
Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart (kein Datum): Metallsondenprospektion im Dienst der archäologischen Denkmalpflege: Das Projekt "Qualifikation und Integration von Sondengängern in die archäologische Denkmalpflege". https://www.denkmalpflege-bw.de/denkmale/projekte/archaeologische-denkmalpflege/metallsondenprospektion/
- Morscheiser-Niebergall (2015): Sondengänger und Raubgräber im Rheinland. (J. Kunow, & Trier, Marcus, Hrsg.) Archäologie im Rheinland 2014, S. 23-25.
15.2 Sonja Nolte: Was könnte in der Zusammenarbeit zwischen Ehrenamt und staatlicher Archäologie noch besser gestaltet werden?
Dem Artikel sei gleich vorweggeschoben, dass Ehrenamt – in welchem Bereich auch immer angesiedelt – niemals hauptamtlich zu leistende, notwendige Inhalte und Tätigkeiten ausgleichen darf, sondern immer nur zusätzlich zum Hauptamt, als sinnstiftende Tätigkeit auf Augenhöhe, eingesetzt werden soll.
Die spannende Entwicklung, die sich innerhalb der letzten wenigen Jahre zwischen der ehrenamtlichen und der staatlichen Archäologie herauskristallisiert hat, wurde insbesondere seitens der an (staatliche) Institutionen gebundenen Vereine aufmerksam beobachtet. So fällt gerade in Niedersachsen, einem der Bundesländer mit über 30 organisierten Vereinen für archäologisch interessierte Laien (s. Niedersächsischer Heimatbund (NHB), Fachgruppe Archäologie – ArchAN-Mitgliederliste) die durch ein großes Handlungsspektrum geprägte Zusammenarbeit ins Auge. Zusätzlich engagieren sich die staatlich bestellten "Ehrenamtlichen Beauftragten" (s. NDSchG § 22) und eine Fülle an Freundeskreisen der archäologischen Museen innerhalb der ehrenamtlichen Archäologie. Die Bandbreite reicht von der lockeren Organisationsmöglichkeit eines jeden Einzelnen innerhalb der vielseitigen Vereinslandschaft von der Nordseeküste bis zum Harz, geht über die ehrenamtliche Mitarbeit bei Ausgrabungen oder Inventarisationsprojekte in Museen oder Kreisarchäologien und reicht bis zur offiziellen Sondengänger-Zertifizierung, die mit einem großen persönlichen Engagement und viel Verantwortung für die Absolventen verbunden ist.
Kurzum – im Land Niedersachsen wird ein positiver Fokus auf die beiderseitig bereichernde Zusammenarbeit zwischen staatlicher und ehrenamtlicher Archäologie gelegt, diese wird durch die Ministerien gefördert und ausgebaut.
Wo finden sich also Verbesserungspotenziale? Diese können in der durch offizielle Stellen dominierten Schere zwischen Planung und Umsetzung, Wille und Wirken gefunden und benannt werden. Wir folgen hier keiner Kant’schen Willensethik, denn nur die auch tatsächlich durch die staatliche Archäologie umgesetzte positive Planung wirkt sich letztendlich auf die Handlungsmöglichkeiten unserer Ehrenamtlichen aus. Als erstes Beispiel hierfür kann gleich auf die obigen Sondengänger verwiesen werden:
Wird zum einen jeder Sondengänger, der die Zertifizierung über die Landesstellen absolviert hat, laut Planung innerhalb der Landkreise auf Begehungsflächen verteilt, stellt es sich doch in der Praxis als eine Herausforderung dar, die schiere Menge an Interessenten in einem engen Zeitrahmen auszubilden und sinnvolle Flächen für diese im Anschluss auszuloten. Hier wird also für den Ehrenamtler die hervorragende Kombination von erfüllendem Hobby und sinnstiftender, hilfreicher Tätigkeit zur Unterstützung der staatlichen Archäologie angeschoben – nur kommt es dann nicht in jedem der Fälle zu einer zügigen adäquaten Umsetzung. Vorausblickend wäre es also für die nächsten Jahre schon jetzt anzudenken, dieses großartige Konzept auszubauen, an die Anfragenmenge anzupassen und die spätere Zusammenarbeit in einem eng verzahnten, regelmäßigen Rahmen zu ermöglichen.
Die konstruktive ehrenamtliche Arbeit zum Zwecke der Selbstverwirklichung sei das zweite hier genannte Beispiel, das wir am ehesten bei den Vereinstätigen aus dem Kreis der wohlverdienten Ruheständler greifen können. So vielseitig die Einsatzfähigkeit und Lust am Engagement bei den betreffenden Personen ist, so schwierig ist es oftmals für die Hauptamtlichen, einen angemessenen Rahmen für die Betreuung, die zur Verfügungstellung von Räumlichkeiten und qualitätvolle Arbeitsinhalte bereitzustellen. Hier machen es interne Prozesse oftmals schier unmöglich, das hervorragende Projekt der Partizipation des Ehrenamtes durch das Hauptamt in bester Praxis umzusetzen.
So müssen wir also als Fazit das Augenmerk von der "Verbesserung der Zusammenarbeit" vielmehr auf die Behebung der operativen Hürden lenken. Denn die in den letzten Jahren losgetretenen guten Initiativen, Projekte und neugeschaffenen Beteiligungsmöglichkeiten für Ehrenamtler scheitern hier selten an der Theorie, sondern leider häufig an der Praxis.
Sonja Nolte M.A., leitet die Fachgruppe Archäologie im Niedersächsischen Heimatbund und arbeitet hauptamtlich am Landesmuseum Hannover.
15.3 Barbara Fritsch und Hartmut Bock: Die Jungen Archäologen der Altmark, ein herausragendes Beispiel für Citizen Science
Am 12. Mai 2002 verlieh die Deutsche Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte auf ihrer Jahrestagung in Neuruppin den "Deutschen Archäologiepreis" an die "Jungen Archäologen der Altmark e. V.". Im kommenden Jahr feiern die "Jungen Archäologen" ihr 50-jähriges Jubiläum; am 18. März 1972 (dem 189. Geburtstag von Johann Friedrich Danneil) gründete Hartmut Bock, damals Geschichtslehrer an der Oberschule in Stöckheim (Altmarkkreis Salzwedel) die Schülerarbeitsgemeinschaft "Junge Historiker", die 1991 mit der AG "Junge Historiker" aus Kleinau fusionierte und sich in "Junge Archäologen der Altmark e.V." umbenannte. In seiner Laudatio erläuterte Henning Hassmann Geschichte, Ziele und Tätigkeiten des Vereins (Arch. Inf. 25, 2002, 9-13).
Die "Jungen Archäologen der Altmark" sind ein herausragendes Beispiel für Citizen Science (Bürgerwissenschaft) in der Archäologie: Das Oxford English Dictionary definiert Citizen Science als "wissenschaftliche Arbeit, die von Mitgliedern der allgemeinen Öffentlichkeit vorgenommen wird, oft in Zusammenarbeit mit oder unter der Führung von professionellen Wissenschaftlern oder wissenschaftlichen Institutionen. … Der Citizen Scientist wird … definiert als Wissenschaftler, dessen Arbeit durch ein Verantwortungsgefühl, dem Interesse der allgemeinen Öffentlichkeit zu dienen, charakterisiert ist oder als ein Mitglied der Gesellschaft, das an wissenschaftlicher Arbeit teilnimmt, oft in Zusammenarbeit oder unter der Führung von professionellen Wissenschaftlern oder wissenschaftlichen Institutionen" (hier zitiert nach: Wikipedia, Citizen Science, abgerufen am 14.3.2021). Auch im Jahr 2021 ist der Verein aktiv; die Kontinuität der ehrenamtlichen Arbeit ist ungebrochen (wenn auch in den vergangenen zwölf Monaten dank Corona gebremst). Die jährlichen, vom LDA auch finanziell unterstützten stattfindenden Ausgrabungen (Zusammenstellung der Ausgrabungen bis 2011 in Bock 2012) werden nach den technischen und wissenschaftlichen Standards des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Halle durchgeführt. Wöchentliche Treffen dienen der Aufarbeitung der Funde und Befunde, die anschließend in das Archiv des LDA überführt werden bzw. deren Ergebnisse in populärer und in wissenschaftlicher Form publiziert werden. Eine Weiterbildung der Vereinsmitglieder findet bei Exkursionen und Tagungsteilnahmen statt. Weitere Tätigkeiten sind die Pflege und Kontrolle von obertägig sichtbaren Denkmalen, in der Altmark insbesondere von Megalithgräbern, aber auch Feldbegehungen.
Darüber hinaus erfolgt über die Arbeit ein Transfer von archäologischen und bodendenkmalpflegerischen Themen in die Gesellschaft: Auch wenn es immer schwieriger wird, Kinder und Jugendliche für eine kontinuierliche Mitarbeit zu begeistern – Jugendarbeit spielt nach wie vor eine große Rolle. Eine intensive Öffentlichkeitsarbeit erfolgt durch Vorträge und zahlreiche Zeitungsartikel, durch Führungen auf Ausgrabungen oder an archäologischen Denkmalen. Die "Jungen Archäologen" dienen als Multiplikatoren, die die Akzeptanz von Archäologie (die ja "Geld kostet" und Baumaßnahmen eventuell verzögert) deutlich erhöht. Kennzeichnend ist zudem die enge Zusammenarbeit mit der hauptamtlichen Bodendenkmalpflege, dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Halle / Saale (LDA). Auch die Kontrolle von Baumaßnahmen und Durchführung von Rettungsgrabungen basieren auf enger Kooperation von Verein und LDA. Jüngstes Beispiel ist die Notbergung eines eisenzeitlichen Friedhofs in der nördlichen Altmark, der – bislang unbekannt – im Bereich eines tief ausgefahrenen Waldweges zutage kam und in bislang zwei Kampagnen untersucht werden konnte. Diese Präsenz führt auch in der Bevölkerung zu einer beispielhaften Akzeptanz von archäologischen Themen.
Fast 50 Jahre nach der Gründung, und trotz zunehmender Digitalisierung der persönlichen Umwelt, gilt nach wie vor die Einschätzung Heiko Meyers, der 1978 als Schüler Mitglied der Schülerarbeitsgemeinschaft wurde und heute als Kassenwart für die Finanzen des Vereins zuständig ist: "Es ist viel persönlicher Einsatz und auch viel Zeit vonnöten, aber es macht Spaß und es ist eine lohnenswerte Aufgabe. Es ist gelungen, Kinder und Jugendliche für die Archäologie zu begeistern und eine langfristig erfolgreich arbeitende Institution in der Altmark auf dem Gebiet der ehrenamtlichen Bodendenkmalpflege aufzubauen" (Meyer 2002, 43).
Hartmut Bock, 40 Jahre Ausgrabungen der Jungen Archäologen der Altmark. Kleine Hefte zur Archäologie in Sachsen-Anhalt 9, Halle/Saale 2012.
Henning Haßmann, Deutscher Archäologiepreis 2002 für die "Jungen Archäologen der Altmark e.V.". Archäologische Informationen, 25, 2002, 9-13. https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/arch-inf/article/view/16800
Heiko Meyer, Schüler werden zu Ausgräbern. Aus dem Vereinsleben der Jungen Archäologen der Altmark e.V. In: Hartmut Bock (Hrsg.), Hünengräber – Siedlungen – Gräberfelder. Archäologie in der Altmark, Band 1. Oschersleben 2002, 36-43.
Dr. Barbara Fritsch, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Halle (Saale); Hartmut Bock, Jübar
15.4 Constanze Röhl und Peter I. Schneider: Zum Umgang mit Raubgrabungen in der Archäologie der Moderne: Fallbeispiel Peenemünde (Mecklenburg-Vorpommern)
Militaria sind ein beliebtes Sammelobjekt, auch von Sondengängern. Daher sind auch Fundstellen der Moderne von ihren Eingriffen betroffen. Die ehemalige Heeresversuchsanstalt (HVA) Peenemünde – ein 2.500 ha umfassendes Areal mit baulichen Relikten und Bodendenkmälern eines ab 1936 auf der Ostseeinsel Usedom erbauten Rüstungskomplexes zur Entwicklung und Produktion von Massenvernichtungswaffen – ist mit dieser Problematik in besonderem Maß konfrontiert. Und das, obwohl das Gelände heutzutage in weiten Teilen Naturschutz-, aber aufgrund von Kampfmittelbelastung auch Sperrgebiet ist. Bereits seit 2015 werden am Historisch-Technischen Museum Peenemünde (HTM) fortlaufend systematisch in einer Datenbank illegale Bodeneingriffe mit Koordinaten und Fotos erfasst. Die Kollegen im Museum haben 104 Fälle dokumentiert und kartiert. In keinem Fall bemühten sich die Sondengänger um einen Austausch mit dem HTM oder den zuständigen Behörden und Institutionen oder machten eine Fundmeldung; es wurden weder Forschungs- noch Betretungsgenehmigungen für den Zugang zum Sperrgebiet erteilt. Teils massiver Vandalismus am dortigen Zaun zeigt, wie sich dennoch Zutritt zum Gelände verschafft wird. Im Gegensatz zur offiziellen Forschung, die Genehmigungen besitzt und nach fachlichen Standards arbeitet, geht es den Raubgräbern offenbar um persönliche Bereicherung oder den Gewinn von NS-Memorabilien. Der illegale Handel mit Artefakten, wie dieser sich für Stücke aus Peenemünde nachvollziehen lässt, findet seinen Höhepunkt im Verkauf von Koordinaten einer Fundstelle aus dem Sperrgebiet auf Ebay. Beobachtet wurden neben vergleichsweise kleinen Bodeneingriffen auch große, aufwändig angelegte Schnitte mit sauber abgestochenen rechtwinkligen Profilen und separat gelagerten Abraumhaufen. Oft laufen kleine Sondagen linear in regelmäßigen Abständen durch das Gelände, in einigen Fällen Bodenmerkmalen oder baulichen Strukturen folgend, um dann in einer groß angelegten Raubgrabung ihren Endpunkt zu finden. All dies legt nahe, dass man sich in dem nicht zu überwachenden bewaldeten Sperrgebiet unbeobachtet fühlt und ohne Zeitdruck vorgeht. Dieser Eindruck verstärkt sich durch die Beobachtung, dass teils sehr große Bauteile bewegt und bekannte Stellen immer wieder aufgesucht werden. In einem durch uns wiederholt durch die Untersuchungsmethode " Structure from Motion" (SfM) dokumentierten Fall wurde derselbe Ort über mehrere Jahre hinweg frequentiert, jedes Mal wurde dabei eine mächtige Betonplatte verlagert. Einer einzelnen Person ist das kaum möglich, sodass von organisierten Kampagnen durch größere Gruppen auszugehen ist. Die Tatsache, dass auch ein extrem schweres Fundstück, der Aufsatz eines Meilerwagens, zum Abtransport aus dem Sperrgebiet vorbereitet wurde, deutet ebenfalls in diese Richtung. Zu den Raubgrabungen zählen weitere Spuren dieser illegalen Abläufe, darunter Kennzeichnungen von Fundstellen (bspw. mittels großer Äste in Pfeilform), aber auch eine "Trassenmarkierung" durch wiederverwendete Bauelemente der HVA auf eine Raubgrabung zuführend. An einigen Stellen finden sich Depots von Funden auf dem Weg zum Zaum um das Sperrgebiet, entweder zum Vorsortieren/Ausschlachten von Artefakten oder aber zur späteren Abholung; eindeutig jedenfalls aus ihrem ursprünglichen Kontext verlagert. Auch an wissenschaftlichen Grabungsschnitten wurden Nachgrabungen vorgenommen, in einem Fall sogar in angepasster Erweiterung der Horizontalstratigrafie. Während natürlich selbst der sorgsam rückverfüllte Schnitt bei Geländekenntnis auffällt, so ist die Tatsache irritierend, dass auch bei sämtlichen durch uns untersuchten bereits bestehenden Aufschlüssen in der Folge Eingriffe zu beobachten waren. Auch die unspektakulärste und im Gelände nicht erkennbare Maßnahme wird augenscheinlich in einschlägigen Kreisen bekannt. Die Grenze zur Illegalität wird im unüberschaubaren Peenemünder Areal im übertragenen und wörtlichen Sinn bewusst übertreten. Ethik spielt in Hinblick auf den Ort und seine Geschichte offenbar keine Rolle. Auch die reell bestehenden Gefahren durch Kampfmittel und Kontaminationen schrecken nicht ab. Eine Erforschung und ein denkmalgerechter Umgang mit dem teils ohnehin schwierigen Erbe der Archäologie der Moderne werden durch illegale Sondengänger massiv gefährdet. Die am HTM vorgenommene sorgfältige und kontinuierliche Dokumentation der illegalen Abläufe wird mittel- bis langfristig hoffentlich zu einer Sensibilisierung von Bevölkerung und Behörden beitragen.
Dr. Constanze Röhl, Dr. Peter I. Schneider, Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg, Fakultät für Architektur, Bauingenieurwesen und Stadtplanung.
15.5 Gerhard Ermischer und Sophie Hüglin: Konventionen des Europarats als Werkzeugkasten der zivilgesellschaftlich-engagierten internationalen Archäologie
Was haben die European Association of Archaeologists (EAA), Europa Nostra, Civilscape, Europarc und Greenpeace gemeinsam? Es sind Organisationen von Archäologen, Kulturschaffenden und Naturschützern, die die Interessen der Zivilgesellschaft vertreten. Sie gehören zu den mehr als 300 internationalen NGOs (INGOs) mit einem partizipativen Status beim Europarat in Straßburg und sind in der Konferenz der Nichtregierungsorganisationen organisiert. Dort können sie thematisch zusammenarbeiten und noch eine viel breitere Wirkung entfalten.
Die Konferenz der INGOs ist seit 1972 das rechtlich einflussreichste zivilgesellschaftliche Gremium von INGOs weltweit. Sie berät den Europarat. Gemeinsam mit anderen internationalen Organisationen haben Archäologen dort in der Vergangenheit schon viel bewegt. Wir müssen nur an die hoch archäologie-relevanten Konventionen wie die von Malta (1992, Schutz des archäologischen Erbes) oder die von Florenz (2000, Landschaftsübereinkommen) denken. Das ist nur ein kleiner Teil der mehr als 170 Europaratsabkommen, die durch die Ratifizierung der Mitgliedstaaten Gültigkeit erlangen. Dieser Schatz an bereits verabschiedeten Abkommen ist wie ein Werkzeugkasten, den es besser kennenzulernen, zu vermitteln und zu nutzen gilt.
Der Europarat ist eine europäische internationale Organisation. Ihm gehören heute 47 Staaten mit 820 Millionen Bürgern an. D. h. wer hier Politik macht, erreicht nicht nur die Länder der Europäischen Union, sondern z. B. auch Großbritannien, die Schweiz, die Türkei und Russland. Nicht zu unterschätzen ist auch die Ausstrahlung der Abkommen auf andere Kontinente. Von Mexiko bis Australien werden die Konventionen von Experten zitiert, dienen als Referenz für die Legislative und als Beispiele des Best Practice in den verschiedenen Themengebieten.
Momentan ist Aufbruchsstimmung bei der Konferenz der INGOs: Nach einer erfolgreichen Reform der Statuten wurde Ende April der gesamte Vorstand neu gewählt, und es wurde über neue thematische Komitees abgestimmt. Die Zusammenarbeit mit dem Europarat wird dadurch künftig enger und thematisch flexibler werden.
Zum Präsidenten der Konferenz der INGOs wurde Gerhard Ermischer, einer der beiden Autoren dieses Beitrags, gewählt. Sein ganz persönliches Statement zum Wahlergebnis: Es war ein langer Weg für einen Archäologen zum Präsidenten der Konferenz der Nichtregierungsorganisationen beim Europarat. Als Archäologe habe ich ein Projekt mit Ehrenamtlichen der Region gestartet, in der ich heute lebe, im Spessart. Über dieses Projekt hat sich der Blickwinkel von der Archäologie und Geschichte zur Landschaft geweitet, dann zu der Beteiligung von Ehrenamtlichen an solchen Projekten und zu den Möglichkeiten von Menschen, sich an der Gestaltung ihrer Landschaft zu beteiligen. Dies hat mich im Jahr 2000 zu der damals gerade neu veröffentlichen Landschaftskonvention des Europarats geführt, und damit zu einer Kooperation mit dem Europarat. In diesem Umfeld war ich dann an der Gründung eines europäischen Dachverbandes für Landschaftsvereine beteiligt (Civilscape), der den partizipativen Status beim Europarat beantragt hat. Und so kam ich dann 2010 auch zur Konferenz der Nichtregierungsorganisationen. Und hier wurde aus dem Engagement für Landschaft und Kulturerbe, für Bürgerbeteiligung und Landschaftsplanung immer mehr ein Engagement für Bürgerrechte, Demokratie und Menschenrechte. In einer Zeit des schrumpfenden Raums für die Zivilgesellschaft, der immer weiter voranschreitenden Tendenz zu autoritären Systemen, im Gebiet des Europarats und sogar innerhalb der Europäischen Union, bin ich mit vielen Menschen zusammengekommen, die Tag für Tag für diese Rechte kämpfen und dabei ihre Freiheit, ihre Gesundheit und sogar ihr Leben riskieren. So wurde aus dem Archäologen ein Aktivist. Aber was ich als Archäologie und Historiker gelernt habe, treibt mich umso mehr in dieser Gegenwart an, für die kulturellen Werte Europas und einer freien, demokratischen und liberalen Gesellschaft einzutreten. Mein Weg hat mich zu einer Position geführt, die ich mir sicher nicht vorstellen hätte können, als ich begonnen habe, mich auf diesen Weg zu machen. Aber andererseits – schon in der DGUF bin ich ja als Reformer einmal zum Vorsitzenden gewählt worden, also bin ich mir doch im gewissen Sinne treu geblieben, auf diesen verschlungenen Pfaden.
Ein Schwerpunkt des Europarates wird in kommenden Jahren die Umwelt und der Klimawandel sein. Diesem Thema will sich das thematische Komitee "Environment, Climate Change, Heritage & Health" unter der Leitung von Carol Ritchie von Europarc widmen. In diesem Komitee engagiert sich Sophie Hüglin als Delegierte der European Association of Archaeologists (EAA) für eine holistische Sicht auf Klimawandel und Umweltschutz. Im Mittelpunkt stehen dabei der Mensch und der Respekt vor dem Natur- und Kulturerbe gleichermaßen.
Liste der Kandidaten für die Vorstandswahlen: https://rm.coe.int/elections-april-2021-candidates-web-en/1680a1e935
"Gerhard Ermischer elected President of the Conference of INGOs" (Europarat, 28.4.): https://www.coe.int/en/web/ingo/-/new-president-of-the-conference-of-ingos
Datenbank der Internationalen NGOs mit partizipativem Status beim Europarat: http://coe-ngo.org:1338/#/ingos
Schwerpunkt "Menschenrechte und Umwelt" beim Europarat: https://www.coe.int/en/web/human-rights-rule-of-law/human-rights-environment
Die beiden Autor*innen engagieren sich, um die genannte Reform zu implementieren: Der ehemalige DGUF-Vorsitzende Dr. Gerhard Ermischer wurde am 28.4.2021 zum Präsidenten der Konferenz der INGOs gewählt. Er hat maßgeblich an den neuen Statuten mitgearbeitet. Ermischer ist seit 2017 Vizepräsident des Demokratie-Komitees an der Konferenz der INGOs und vertritt Civilscape, einen Zusammenschluss von Vereinigungen aus dem Bereich der Landschaftspflege an der Konferenz.
Die frühere DGUF-Beirätin und ehemalige EAA-Vizepräsidentin Dr. Sophie Hüglin MCIfA ist Delegierte der EAA an der Konferenz der INGOs und engagiert sich im thematischen Komitee "Environment, Climate Change, Heritage & Health".
16 (Fach-)Politik
16.1 Diane Scherzler: "Man müsste mal …" – Sieben goldene Tricks, wie Sie an vorderster Front mitmischen, ohne einen Finger dafür krumm machen zu müssen. Schlaglichter aus Erfahrungen als DGUF-Vorstand
Sie sind Archäologe bzw. Archäologin geworden aus Begeisterung. Nach mehr oder weniger Jahren der Arbeit im Fach möchten Sie endlich mal Ihre verdiente ruhige Kugel schieben. Vielleicht möchten Sie sich auf Ihre persönlichen Steckenpferde im Beruf fokussieren. Nicht ständig was verbessern, sich verändern, sich mit endlosen Problemen abgeben. Und dennoch führend, tonangebend, eben "vorn" sein. Wie schaffen Sie das? Hier erfahren Sie, wie Sie als Profi mit diesem ganzen Veränderungskram umgehen, nämlich so, dass für Sie alles gemütlich bleibt, Sie aber richtig aktiv wirken. Ich garantiere Ihnen: Alle Beispiele sind echt und stammen aus unseren Erfahrungen als DGUF-Vorstand.
Die "Man müsste mal"-Technik
Da geistert dieses aktuelle Thema durch die Flure – es kann irgendwas mit Digitalisierung, Prekariat oder Sondengängern sein. Sie haben so gar keine Lust darauf, aber das einzuräumen, ließe Sie irgendwie als Oberschlumpf dastehen. Gehen Sie zum cleveren Gegenangriff über: Hören Sie sich kurz ins Thema hinein und schlagen dann etwas Naheliegendes vor. Beginnen Sie Ihre Ausführungen mit "man müsste mal". Lassen Sie unbedingt offen, mit welchem Zweck wer wann was mal müsste und – eventuell – was man an Aufgaben weglassen sollte, um mal müssen zu können. Genießen Sie die Zustimmung, die Ihnen entgegenschlägt – und ziehen Sie sich dann gleich wieder aus der Sache raus: Umsetzung ist was fürs Fußvolk. Genießen Sie die sich abzeichnende Folgenlosigkeit, denn nun wartet jeder, dass die Anderen den ersten Schritt tun. – Der immense Vorteil an der "Man müsste mal"-Technik: Wenn Sie Ihr Postulat immer und immer wiederholen sowie im Verlauf der Zeit mit leichtem Seufzen einflechten: "Ich schlage das ja schon so lange vor, aber naja …", dann können Sie sogar den Ruf erlangen, ein Wegbereiter und Aktivist der Thematik zu sein.
Die Konfetti-Parade
Eine beliebte Variante der "Man müsste mal"-Technik, die vor allem greift, falls Ihre Kontrahenten clever sind und Sie auf Ihr Engagement festnageln wollen. Dann kombinieren Sie "man müsste mal" mit einer bunten Vision. Möglichst groß, damit sie gut klingt und gleichzeitig nie zustande kommt. Sie leiten das am besten ein mit: "Wir sollten das Thema grundsätzlicher denken" oder "Man muss da nochmal ganz neu herangehen." Mit weiteren Stichworten leicht nachwürzen: "interdisziplinär", "bundesweite Lösung", "wirklich alle an einen Tisch bringen". Damit disqualifizieren Sie alle realistischen Arbeitsansätze als Pillepalle, stehen selbst als Visionär da und verhindern erfolgreich jede Umsetzung.
Die Einen-Fuß-in-der-Tür-haben-Geschichte
Die Welt ist voller Ausschüsse, wirklich sinnvollen – und anderen. Suchen Sie nach einem, der richtig gut klingt. Es darf auch ein Unterausschuss sein oder ein Unterunterausschuss, Hauptsache, der Träger ist/klingt wichtig. Es geht nicht darum, was dort wirklich erreicht wird, sondern es geht um den grandiosen Eindruck, den Sie hinterlassen. Haben Sie den Ausschuss (gerne auch mehrere) identifiziert, welcher diese Kriterien erfüllt, sorgen Sie dafür, dass Sie jemanden dorthinein entsenden können. Das bringt Ihnen zweierlei: Unerfahrene Kollegen werden Sie darum anbetteln, entsandt zu werden. Das macht Sie wichtiger. Und: Sie können Ihren Buddys erzählen, dass dank Ihnen die deutsche Archäologie im Unterausschuss XY vertreten ist und man dort in Zukunft sicher bald, also demnächst irgendwann, Großartiges werde erreichen können. Und überhaupt: Vernetzung ist ja immer super. Ihre eigenen Sitzungen können Sie dann mit länglichen Ausschussberichten bereichern, die Ihnen Ihr ewig dankbarer Kollege bereits fertig zugeliefert hat. Klingt dann, als wären Sie selbst aktiv gewesen. Und wer weiß: Vielleicht findet auch ein blinder Ausschuss mal ein Korn – dann haben Sie eine Top-Meldung zu verkünden!
Der Bericht aus dem Hinterzimmer
Unangenehm wird es, wenn andere – beispielsweise jene DGUF oder andere Widerlinge der deutschen Archäologie – etwas Reales leisten. Leicht fließt hier die kollegiale Bewunderung weg von Ihnen. Das gilt es natürlich zu vermeiden. Brenzlig auch, wenn Sie jemand fragt, was Sie denn konkret gemacht haben. Reagieren Sie auf solche Fragen zunächst mit leicht hochgezogener Augenbraue und irritiertem Blick, um Ihrem Gegenüber unmissverständlich klarzumachen, dass sie oder er von Politik und Verbandsarbeit wohl leider so gar keine Ahnung hat. Dann erläutern Sie, dass man Themen und Prozesse, um die es gerade geht, doch nicht öffentlich thematisiert! Nur Populisten tun das, die ihre Arbeit auf vordergründigen Aktionismus anlegen. Sagen Sie in sonorem Ton: "Da muss man einfach die richtigen Leute kennen und mal telefonieren. Also in der Sache X waren die Aufregung und das Chaos ja groß. Ich habe mich dann persönlich gekümmert, mit Kollege Y telefoniert und mit Z auch. Und dann haben wir uns einfach mal in ganz kleiner Runde zusammengesetzt, das Problem besprochen. Jetzt sollte alles wieder laufen." Damit können Sie auch das erfolgreichste Handeln Anderer entwerten bzw. deren Erfolg sich selbst zuschreiben; denn wirklich wirksam – so Ihre These – sind ja nur die Gespräche im Hinterzimmer. Bei denen bekanntermaßen am Ende Niemand dabei war und über die man offiziell nicht sprechen darf. Übersetzt: die man sehr leicht behaupten und systembedingt nie nachweisen kann.
Maßnahmen statt Ziele!
Wenn Sie irgendwann mal, etwa bei Ihrem Amtsantritt, zugesagt haben, dieses und jenes Ziel zu verfolgen – bitte seien Sie da übrigens unbedingt nicht zu spezifisch: "die Archäologie wieder stärker in der Politik/Gesellschaft verankern" oder so ist perfekt unspezifisch – also: wenn ein solches Ziel bekannt ist, dann ergreifen Sie ja Maßnahmen, um das Ziel zu erreichen. Beispielsweise setzen Sie jemanden in eine Arbeitsgruppe oder schreiben eine Stellungnahme. Jetzt Achtung: Ersetzen Sie kommunikativ nach und nach Ihr Ziel durch die Maßnahme. Verkaufen Sie also den Platz in der Arbeitsgruppe als große Leistung – obwohl die Gruppe vielleicht noch null zuwege gebracht hat und die ganze Leistung in langen Zugreisen und einem Kaffeekränzchen bestand. Verkaufen Sie das Formulieren einer Stellungnahme als Erfolg. Sie brauchen nicht zu überprüfen, ob Ihre Stellungnahme etwas bewirkt hat oder direkt abgeheftet wurde. Auch Nachhaken beim Adressaten wäre übertrieben. Es geht nur darum zu zeigen: Sie haben etwas gemacht. Ob Sie etwas bewirkt haben, ob Sie Ihrem Ziel nähergekommen sind, ist eine andere Frage. Der Unterschied fällt den Meisten gar nicht auf: Kaum jemand merkt, dass "A hat mit B geredet" noch kein Ergebnis erbracht haben muss.
Die Daddy-Masche
Wenn Sie das unerquickliche Handeln jüngerer engagierter Kollegen (sagen wir beispielsweise: rund um einen starken Berufsverband) verhindern wollen, aber so, dass Ihre Spur nur schwer nachvollziehbar ist, haben wir was für Sie: Es gibt einen Typus von Kommunikation, den Sie als persönliches Vier-Augen-Gespräch mit dem Widersacher anlegen, ganz vertraulich. "Schauen Sie, mit ihrem Anliegen xyz haben Sie sich wirklich gänzlich verrannt. Es wäre nicht gut für Sie, wenn Sie das weiterverfolgen. Aber rein persönlich, menschlich haben sie sich heute sehr tapfer präsentiert und eine gute Figur gemacht. Und man sieht doch an ihrer Biografie, dass Sie echt was können. Also, wenn Sie sich z. B. jetzt wieder mehr auf Ihre Diss. konzentrieren würden – spannendes Thema übrigens! – denke ich, haben Sie wirklich eine große Zukunft im Fach. Ich könnte mir gut vorstellen, dass wir sogar in meinem Betrieb eine gute Stelle für Sie hätten." Genial ist: Ihr Gegenüber wird glauben – oft Jahre lang – Sie meinen es einfach nur gut mit ihm, sprächen ganz ehrlich. So mancher wird Ihrem "guten Rat" sogar folgen. Weil das Gespräch ja "mal ganz im Vertrauen" geführt wurde, wird Ihr unbedarftes Gegenüber es nie zitieren oder sich darauf berufen. Manchmal kommt erst anlässlich von 50-Jahr-Feiern heraus, dass es die Daddy-Masche schon seit mindestens 1969 gibt.
Das "Wir haben uns doch alle lieb"-Schema
In der Archäologie darf es keinen internen Dissens geben, der nach Außen sichtbar wird! Die Politiker, die Journalisten und die Bürger da draußen sollen doch nicht durch widersprüchliche Botschaften verwirrt werden. Daher ist es ganz wichtig, mit einer Stimme zu sprechen! Wir Archäologen gemeinsam gegen die Laien da draußen. Klingt das gut? Willkommen beim "Wir haben uns doch alle lieb"-Schema! Was, Sie müssen jetzt alle liebhaben?? Ach Quatsch – natürlich zoffen Sie sich wie immer! Aber mit Ihrer Forderung nach der einen Stimme – die natürlich die Ihre sein sollte, welche sonst? – gelingt es Ihnen, dass Monate, Jahre oder auch Jahrzehnte vergehen, bis der kleinste gemeinsame Nenner einer fachpolitischen Position gefunden wird, auf den sich alle einigen können. Woraus dann nichts folgt, weil die Position mittlerweile so abgeschmirgelt und inhaltsleer ist wie ein vertrocknetes Marshmellow. Oder sie verhindern mit Ihrer Forderung nach der einen Stimme erfolgreich, dass wissenschaftliche Positionen abseits der Ihrigen publiziert werden ("das würde enormen Schaden für die Archäologie anrichten!"). Wenn es um aktuelle Themen geht wie z. B. Open Access oder Digitalisierung können Sie es sogar schaffen, dass die Zeitläufte Ihre "Aktivitäten" überholen. Poff, brauchen Sie gar nichts mehr zu machen! Sie hatten sich in der Sache ja nachweislich stark engagiert, weil Sie ja ganz früh gesagt hatten, man müsste sich mal zusammensetzen. Sollte jemand zwischenzeitlich ausgeschert sein und bereits gehandelt haben, stellen Sie den einfach als nicht konsensfähigen Aktionisten hin, welcher um ein Haar die deutsche Archäologie kaputt gemacht hätte.
Wir hoffen, unter diesen Strategien war einiges, das Sie aufgreifen möchten. Und seien Sie gewiss: Sie sind nicht allein mit Ihrer Art, ruhige und traditionelle Arbeitsweisen hochzuhalten!
Diane Scherzler M. A., Vorsitzende der DGUF
16.2 Frank Siegmund: Wer zu spät kommt – den belohnt die deutsche Wissenschaftsförderung
Deutsche Forschungsförderer finanzieren keine Regel- und Daueraufgaben, z. B. keine Aufgaben, die zum Regelbetrieb von Landesarchäologien gehören. Förderungswürdige Anträge müssen pure Forschung sein, innovativ, "cutting edge" usw. usf. – jeder aufstrebende Jungwissenschaftler kennt die Regularien und die Prosa der Antragstellung, und oft wird man bei der Lektüre demütig und fragt sich stille: "Bin ich / ist mein Vorhaben auch gut genug?" Doch hehre Prinzipien waren schon immer hochgelegte Messlatten, unter die Manche manchmal ganz pragmatisch wegschlüpfen konnten. Blicken wir beispielsweise auf das so wichtige Thema Open Access. Hier bemüht sich das deutsche Konsortium DEAL mit ganzer Kraft (und sehr viel Geld) darum, die großen Wissenschaftsverlage in einen Pseudo-Open-Access hinein zu kaufen. "Pseudo", weil am Ende eben nur den Universitätsangehörigen und Forschungseinrichtungen Deutschlands die erstrebte Offenheit gewährt wird. Open Access im Sinne der Budapester Erklärung (2001) forderte hingegen klar: alle Bürger, weltweit. Weil DEAL so offensichtlich schief operiert, braucht es Feigenblätter. Gibt es, nennt sich "Förderung der Transition", in Insiderkreisen auch "Flipping" genannt, d. h. die Überführung bestehender papierner Closed-Access-Publikationen in den (echten) Open Access. Dafür gibt es seit kurzem Geld, eher tröpfchenweise, aber immerhin. Wer geht bei der Angelegenheit leer aus? All die Pioniere, die – noch bevor die Forschungsförderer wahrgenommen hatten, "wohin der Hase läuft" – bereits frühzeitig in den Open Access gegangen waren. Belohnt werden jetzt die Zögernden und Trägen, die wirklichen Innovatoren sehen sich bestraft. Letztere lassen sich dann kurze Zeit später von den alten und trägen Flaggschiffen erzählen, diese seien nun vornan.
Ein anderer förderungswürdiger Trend ist seit kurzem "Digitalisierung". Zur Erinnerung: der IBM-PC kam 1981 auf den Markt (ja, vor 40 Jahren!), mit ihm endete sehr bald die Ära der damals so genannten Großrechner sowie die Früh- und Bastelphase erster Kleinrechner. Mit ihm zog flächendeckend ein Standard-Arbeitsgerät in die Büros ein. So manche Landesarchäologie, beispielsweise, entwickelte bereits in den 1980er-Jahren ihre Bodendenkmäler-Datenbank, d. h. den Anfang eines geordneten elektronischen Archivwesens, und hat es seitdem voller Engagement und Herzblut stetig gepflegt, weiterentwickelt und ausgebaut. Mitte der 1980er-Jahre kamen E-Mail und WWW hinzu und fanden schnell weite Verbreitung, sodass in den 1990er-Jahren z. B. auch Bodendenkmäler-Datenbanken – zumindest amtsintern – sukzessive via WWW erreichbar waren. Doch – menschlich, allzu menschlich – nicht überall wurde KonMari-artig aufgeräumt und zeitgemäß auf IT umgestellt. Es blieb so mancher analoge "unaufgeräumte Keller/Dachboden" übrig (alias ungeordnete Grabungsdokumentationen, uninventarisierte Funde, analoges Planarchiv, Diasammlung, …). Viele Institutionen nahmen sich im Rahmen ihrer Daueraufgaben nach und nach ihrer aufgeräumten wie unaufgeräumten Analogbestände an und schafften sukzessive Ordnung bei sich, inkl. Digitalisierung aus eigener Kraft. Ein Fehler, erkennt der kühle Rechner und Stratege heute. Denn aktuell (alias: erst jetzt) gibt es viel Förderung für "Digitalisierung" – was es Denjenigen, die noch über reichlich "unaufgeräumte Keller/Dachböden" verfügen, ermöglicht, diese Arbeit nun per üppiger Drittmittelförderung machen zu lassen. Merke: deutsche Wissenschaftsförderung belohnt mit einem Vierteljahrhundert Verzögerung gegenüber den Pionieren nun die Späten, die Zögernden, die "late adaptors", und viele Pressemeldungen über frisch eingeworbene Digitalisierungsprojekte bejubeln sich dafür auch noch.
Wer über die vergangenen Jahre hinweg die Liste der Geförderten verfolgt hat, erkennt zudem, dass die staatliche Wissenschaftsförderung bevorzugt die bereits Geförderten finanziert und dabei nicht zuletzt vor allem ihre eigenen, staatlich finanzierten Forschungsinstitutionen stärkt. Deutlich seltener wird in die wirklich innovativen, riskanten Start-Ups investiert, d. h. in die echten wissenschaftlichen High Potentials mit ihren teilweise wagemutigen Projekten. Die es natürlich auch in der Archäologie gibt! "Aber wir machen damit doch Nachwuchsförderung!" antworten die Institutionen. Gewiss, in den resultierenden Vintage-Projekten werden dann tatsächlich junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler angestellt – aber nicht als unabhängig, frei und innovativ Forschende, sondern ganz früh in ihrer Karriere schon dem Mainstream der Late Adaptors verpflichtet.
PD Dr. Frank Siegmund, WWU Münster
16.3 Ariane Ballmer: Peer Reviewing in der kompetitiven Projektförderung
Gleich wie die anderen Wissenschaften sieht sich auch die Archäologie vermehrt gezwungen, die Grundfinanzierung der Institute mit Projektfinanzierungen zu ergänzen. Eine repräsentative überregionale Erhebung von eingereichten, geförderten und abgelehnten Anträgen aus dem Fach ist derzeit ausstehend. Mit den kompetitiv eingeworbenen Drittmitteln werden nicht nur einfach befristete Forschungsvorhaben an sich ermöglicht, sondern die Drittmittel gelten gleichzeitig auch als Auszeichnung und Qualitätssiegel für Exzellenz – für Individuen wie auch für Institutionen. Der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) nennt in seinem Leitbild als ersten Grundsatz "Qualität. Wir fördern wissenschaftliche Exzellenz". Die "Exzellenzinitiative" bzw. "Exzellenzstrategie" von Bund und Ländern hat zum Ziel, "wissenschaftliche Spitzenleistungen zu fördern". Für die Auszeichnung mit einem Grant des Europäische Forschungsrats (ERC) gilt: "The sole criterion for selection is scientific excellence".
Wissenschaftliche Exzellenz, also außerordentliche Qualität, wird insbesondere auf zwei Arten festgestellt: Anhand der quantitativen Bewertung von Leistung mittels Indikatoren zum einen und anhand qualitativer Expertengutachten (Peer Reviews) zum anderen – abhängig von Förderagentur und -schema mit unterschiedlicher Gewichtung. Während die quantitativen Indikatoren Objektivität suggerieren sollen, wird Peer Reviews eine selbstregulierende Kapazität zugeschrieben und die diskursive Beurteilung des wissenschaftlichen Potenzials. Peer Reviews sind als Entscheidungsgrundlage für Gutachtergruppen oder Kommissionen in jedem Fall zentrale Instrumente bei der Identifizierung von Exzellenz und in der Folge für die Zuweisung von Projektdrittmitteln. Trotz ihrer allgemeinen Glaubwürdigkeit und Bedeutung sind sie auch stark umstritten, wobei als Schwachstellen vor allem Intersubjektivität und Interessenskonflikte genannt werden. Nicht zuletzt geht die Flut der Förderanträge mit einer erhöhten Anzahl von exzellenten Projekten einher, deren Qualität für die Gutachter*innen und die Auswahlgremien kaum noch differenzierbar ist.
Die Prozesse und Faktoren, die in der Auswahl der Besten zusammenspielen, bleiben unheimlich komplex. Qualitätskriterien, Mess- und Beurteilungswerkzeuge, Gutachten- und Auswahlabläufe sind heute selber Evaluationen ausgesetzt, werden laufend neu ausgehandelt und ethischen wie wissenschaftlichen Bedürfnissen angepasst. Schwächen im Exzellenzverständnis und in den Bewertungskriterien wissenschaftlicher Qualität sind nicht abzustreiten. Es besteht die Möglichkeit, sich in den betreffenden Gremien für Reformen zu engagieren. Dahingegen birgt das Peer Review das Potenzial, zwischenzeitlich unmittelbar und wirksam Einfluss zu nehmen. Obschon Peer Reviewer sich dazu verpflichten, bei der Beurteilung einem ganz bestimmten Kriterienkatalog zu folgen, kommt hier die individuelle Expertenmeinung maßgeblich zum Tragen.
Zusätzlich zu den systeminhärenten Problematiken sind spezifisch für die Archäologie vier Faktoren festzuhalten, welche Peer Reviews negativ beeinflussen und sich entsprechend auf die Erfolgschancen von Gesuchen auswirken können: (1) Die Kleinheit des Fachs. Die Übersichtlichkeit der Fachgemeinschaft und die engmaschigen Netzwerke führen zu erhöhter Voreingenommenheit; (2) Die Ressourcenknappheit. Die Anzahl archäologischer Fundstellen und Fundobjekte ist endlich und der Zuwachs an interessantem, zugänglichem Material geringer als die Nachfrage. Es kommt zu einer zusätzlichen Konkurrenzsituation; (3) Der Kritik-Drill. Als Geisteswissenschaftler*innen sind wir mehr denn andere Wissenschaftler*innen darin geschult, systematisch zu kritisieren. Kritisches Denken als grundlegende Praxis und zentrale Kompetenz geht allerdings mit einem Risiko der Unverhältnismäßigkeit einher, gerade dann, wenn keine Debatte stattfindet; (4) Die Multi- und Interdisziplinaritäts-Falle. Wissenschaftliche Exzellenz ist in multi- und interdisziplinär aufgestellten Fachrichtungen wie der Archäologie schwieriger identifizierbar. Der Einsatz passender Expert*innen stellt eine weitere Herausforderung dar. Die Spannung zwischen Multi- und Interdisziplinarität im Projekt auf der einen Seite und spezialisierten Peers auf der anderen führt schnell zu Missverständnissen.
Zahlreiche unter uns bestimmen als Expert*innen über den Erfolg einzelner Projektfinanzierungsansuchen mit und damit auch über die Förderung der Archäologie insgesamt. Der Verzerrungseffekt der genannten Faktoren trägt möglicherweise in nicht zu knappem Masse dazu bei, dass mehr Türen zugeschlagen als Chancen geschaffen werden. Es können nicht alle Besten gewinnen, aber es könnten mehr Beste gewinnen aus der Archäologie. Ein ausgeprägteres Bewusstsein über unser Bewertungsverhalten könnte sich positiv auf die Erfolgschancen von Gesuchen auswirken und dadurch das Fach stärken. Dies soll wohlgemerkt nicht mit Kompromissen in Qualitätsansprüchen einhergehen. Die Archäologie braucht Advokat*innen, und diese sind wir in dem Zusammenhang selber.
https://doi.org/10.1371/journal.pone.0046054; https://allea.org/code-of-conduct/; https://www.wissenschaftsrat.de/download/2020/8694-20.html; https://erc.europa.eu/; https://www.bmbf.de/de/die-exzellenzstrategie-3021.html; https://doi.org/10.1128/mBio.00422-16; https://doi.org/10.1371/journal.pbio.1002010; https://doi.org/10.7554/eLife.58654; https://doi.org/10.1038/520429a; https://doi.org/10.5281/zenodo.1409674; https://doi.org/10.1007/978-3-319-29016-4; https://doi.org/10.1007/978-3-319-29016-4_5; Perrig-Chiello, P. & F. Darbellay (2014). Disziplinäre Exzellenz versus interdisziplinärer Pragmatismus. Überlegungen zur Popularität einer Kontroverse. In B. Engler (Hrsg.) Disziplin/Discipline. Fribourg: Academic Press; Reichert, S. (2013). Jenseits der Leistungsprüfung. Diskussionspapier zur Suche nach einem neuen Umgang mit Qualitätssicherung an Hochschulen. (SWTR Schrift 3/2013). Bern: Schweizer Wissenschafts- und Technologierat; https://sfdora.org/; https://sagw.ch/sagw/aktuell/publikationen/details/news/qualitaets-und-leistungsbeurteilung-in-den-geistes-und-sozialwissenschaften-prinzipien-ansaetze-und/; http://www.snf.ch/; https://doi.org/10.1371/journal.pone.0232327.
Dr. Ariane Ballmer, Institut für Archäologische Wissenschaften und Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR), Universität Bern
16.4 Frank Siegmund: Forschungsförderung umstellen: Lotterie statt Gutachten!
Über Jahrzehnte hinweg hat man an den Universitäten die "Grundfinanzierung" weggespart. Grundfinanzierung? Geld, das ein Institut oder eine Professur "einfach so" jährlich bekommt, um Nötiges zu tun: Bücher kaufen, Geräte fürs Labor oder z. B. für die nächste Lehrgrabung anschaffen. In der neoliberalen Ära galt das Prinzip einer Grundfinanzierung auch in der Academia als nicht "kompetitiv" genug: Geld sollte man sich im Wettbewerb mit anderen verdienen müssen, Wissenschaft sei schließlich nur etwas für die Besten. Also hat man die Grundfinanzierung schrittweise austrocknen lassen (was ja via Inflation und dezenten, periodischen Rasenmäher-Kürzungen nicht schwer ist), damit alle motiviert sind, Drittmittel einzuwerben. So weit, dass heute auch ein Uni-Normalbetrieb ohne Drittmittel kaum mehr möglich ist, man also z. B. ein drittmittelfinanziertes Grabungsprojekt braucht, um endlich das Tachymeter kaufen zu können, das man im Grunde vor allem für die zeitgemäße Lehre einsetzen will. In dieser neoliberalen Welt sind Drittmittel vor allem dann gut (d. h. ein Ausweis, zu den Besten dazuzugehören), wenn sie kompetitiv eingeworben werden, also über Forschungsförderer hereinkommen, bei denen es Wettbewerb, Begutachtungen und eben auch ein Scheitern gibt. Einem guten Kollegen, der auf seinem Feld recht umtriebig und erfolgreich war, kommentierte unser damaliger Rektor dessen Institutsjahresbericht: Seine Drittmittel zählten nicht, die kämen ja für Forschungsaufträge aus der freien Wirtschaft. Richtige Drittmittel seien nur solche, die über ein akademisches Gutachtersystem erlangt worden wären. Nun denn.
Diese Ausrichtung der Uni-Welt betrifft auch das Personal: Wer heute ein gut aufgestelltes Institut fahren will, braucht Drittmittelpersonal, u. a. um in der Lehre etwas mehr als nur den engsten Pflichtkanon anbieten zu können. Die Auswirkungen dieser schleichenden Veränderung der Uni- und Forschungslandschaft spürt heute jeder, der mit der Uni-Generation im Alter ca. 25 – 40 spricht und deren Wege über eine gewisse Zeit hin verfolgt. Das, wovon meistens erzählt wird: man schreibe gerade einen Antrag. Kaum ist ein Projekt für oft zwei oder drei Jahre bewilligt, spaltet sich der Kopf der Erfolgreichen in zwei Aktivitäten: im bewilligten Projekt forschen und publizieren, und zugleich den nächsten Antrag schreiben. Denn selbiger muss ja bewilligt sein, wenn das gerade begonnene Projekt zu Ende ist ("fertig ist" vermeidend). Bei vielen Forschungsförderern liegt die Bewilligungsquote, also das Verhältnis eingegangener zu bewilligten Projekten, bei ca. 20 – 35 %. Übersetzt: unser fiktives Nachwuchstalent schreibt – rein statistisch – ca. drei bis fünf Anträge, damit einer bewilligt wird. Hört man sich bei Betroffenen um, wie viel Arbeitszeit man denn in so einen Antrag stecken müsse, wird oft die Spanne von drei bis sechs Monaten (volle Arbeitszeit) genannt. Rechnen wir defensiv und gehen von einer Hochbegabung aus, wird also während eines bewilligten Drei-Jahres-Projektes ca. ein Jahr Arbeitszeit in die erfolgreiche Beantragung des nächsten Projektes investiert. Krank! Auch können wir sicher sein, dass der Förderer des gerade laufenden Forschungsvorhabens sein Geld nicht dafür hat investieren wollen, dass die Geförderten in dieser Zeit ein anderes Projekt vorbereiten.
Nicht vergessen dürfen wir die etwas Etablierteren, die als erfahrene Antragschreiber inzwischen auch zum Kreis der Gutachter gehören. Das eine Nachwuchstalent, das wir gerade im Auge haben, sondert über zwei bis drei Projekt-Jahre hinweg ca. drei bis fünf neue Anträge aus, die jeweils zwei Fachgutachter benötigen und dann ein Obergutachten, das diese Gutachten vergleicht und einordnet. Sie schütteln mit dem Kopf? Doch, isso. Es geht ja um Wettbewerb, und auch alle sich später als erfolglos erweisenden Anträge gehen durch die Mühle der Begutachtung. Also pro bewilligtem Projekt im Hintergrund inkl. der "Nieten" ca. zehn wissenschaftliche Gutachten durch hochkarätige Fachkräfte. Bei Profis drei volle Arbeitstage für ein Gutachten? Kommt hin, kann durchaus auch mehr werden, weil da noch einiges an Kommunikations- und evtl. Sitzungszeit hinzukommt. Macht (Größenordnung, defensiv geschätzt) etwa 1/10 der Arbeitszeit von Professoren aus, die dann z. B. für die Vorbereitung der Lehre oder eine wirksame Doktorandenbetreuung fehlt. Nicht zu vergessen: die Professoren sollten auch selbst Anträge schreiben …
Hören wir uns weiter in der Szene um, berichtet man uns – naheliegenderweise vor allem von Abgelehnten, aber deswegen nicht unwahr – zudem von (nennen wir es) "Blasen" oder "Netzwerken": Klientel-Systemen zwischenmenschlich guter kollegialer Beziehungen zwischen Antragstellern und Gutachtern, die dazu führen, dass manche Gutachten sehr positiv ausfallen, andere arg kritisch. Eine Welt des "do ut des", von "eine Hand wäscht die andere". Resultierend erkennt man im Satellitenblick, dass in bestimmte Blasen, die bereits wiederholt Finanzierungen erhielten, immer wieder weiteres großes Geld hineinfällt. Klar, es sind halt die Besten! ;-)
Es gibt einen einfachen und seit längerem leise diskutierten Weg, diesem unseligen, sinnfrei Kräfte zehrenden, unwissenschaftlichen und würdelosen Spiel zu entkommen, ohne dass der Staat mehr Geld für die Forschung ausgäbe. (a) Sofort einen (kleineren) Teil der sog. Forschungsmittel wieder dahin zu geben, wo sie dringend gebraucht werden und z. T. eben auch eingesetzt werden: in die Grundfinanzierung der Universitäten. (b) Den größeren Teil gebe man in eine Lotterie! Kein Witz, ernst gemeint. Jeder mit einem erfolgreich abgeschlossenen Fachstudium kann sich einbringen/bewerben, es gibt einen schlanken Check, ob Formalia und transparent deklarierte Randbedingungen eingehalten sind, mehr nicht. Und dann losen. Wir sparen: endlose Antragsvorbereitungen und das damit zusammenhängende Antichambrieren und Katzbuckeln; das gesamte Gutachterwesen. Wir zerschlagen sofort die Blasen und Netzwerke. Wir verbessern die psychische Lage des Nachwuchses, denn in einer Lotterie nicht zu gewinnen, ist für die Seele etwas ganz anderes als nach dem zweiten erfolglosen Antrag nun auch den dritten Antrag abgelehnt zu bekommen. Gewiss: mit einer Lotterie würde auch mancher "Unfug" gefördert werden – aber mal ganz ehrlich: ist das jetzt anders? Ist jenseits der Forschungsinhalte nicht schon die Tatsache, dass ca. ein Drittel der Arbeitszeit für Folgeanträge draufgeht, Unfug in Reinkultur? Und: hie und da würde auch Nicht-Mainstreamiges, Überraschendes, Unkonventionelles eine Chance bekommen – etwas, das im aktuellen System eher seltene Ausnahme ist. Nicht zuletzt: entlastet vom Zwang, dass alles "cutting edge" usw. sein müsse, hätten in der Archäologie auch wieder konventionelle Themen eine faire Chance, die hülfen, den Schatz in den Archiven der Landesarchäologien zu heben, etwas, wofür heute kaum noch Forschungsmittel akquirierbar sind. Gewiss, auch ein Lotto-System lädt zum kreativen Umgang mit ihm ein. Man müsste also an dem Regelwerk etwas feilen, z. B. die Anzahl der Versuche pro Person pro Runde begrenzen, usw. – aber die schweren Mängel des Ist-Zustandes wären sofort behoben.
"Mag ja sein, aber ich kann eh‘ nix ändern"!? Falsch. Die DFG (z. B.) wird aus der Wissenschaft heraus selbst bestimmt, Fachkollegien sind gewählte Vertreter der jeweiligen Disziplinen. Jeder Einzelne hat darauf, wenn er es denn wirklich will, Einfluss und kann dazu beitragen, die Dinge zum Besseren zu wenden.
PD Dr. Frank Siegmund, WWU Münster
16.5 Till Kemper: Das Verbandsklagerecht und warum es für eine starke Archäologie von zentraler Bedeutung ist.
Stellen Sie sich vor, ein archäologischer Befund wird demnächst undokumentiert zerstört; das wurde auch von der zuständigen Landesbehörde bewilligt, aber nach Auffassung der Fachkollegen an den Universitäten und/oder der Zivilgesellschaft ist das grundfalsch. Kann da nicht ein Verein gegen die Entscheidung klagen? Nicht, wenn er nicht selbst davon betroffen ist, was in aller Regel bedeutet: nein. Sich juristisch zu wehren, das geht nur mit dem so genannten Verbandsklagerecht. Damit erlangen Vereine oder Verbände die Befugnis, die Verletzung von Rechten der Allgemeinheit auf dem Klageweg geltend zu machen.
Das Verbandsbeteiligungs- und klagerecht ist für naturschutzfachliche Belange seit langem in naturschutzrechtlichen Reglungen gesetzlich geregelt. Obgleich der (Boden-)Denkmalschutz vom europäischen Umweltbegriff gedeckt ist, hat sich diese rechtliche Institution bislang in den Landesdenkmalschutzgesetzen – zuletzt auch aufgrund des Widerstandes zahlreicher Vertreter von Denkmalschutzbehörden - nicht implementieren lassen.
Die DGUF tritt seit langem für eine Einführung des Verbandsklagerechtes für Denkmalschutzbelange ein, auch im Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz (DNK). Das DNK ist eine Plattform für Themen des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege auf Bundesebene, auf der sich Behördenträger, Fachverbände und politische Gremien zu Fragen des Denkmalschutzes verständigen. Als fachliches und politisches Gremium stellt es eine Schnittstelle zwischen den Regierungen, den Verwaltungen und der Fachebene dar.
Seit ca. anderthalb Jahren beschäftigt sich das DNK verstärkt mit der Einführung eines Verbandsklagerechtes in den jeweiligen Landesdenkmalschutzgesetzen. Die Vorstöße, die die DGUF über lange Jahre und mit Beteiligungen an verschiedenen Gesetzgebungsverfahren stetig unterstütz hat, erhalten immer größere Durchschlagskraft auch auf politischer Ebene. Es herrscht eine größere Befürwortung des Verbandsklagerechtes, z. B., um die Denkmalschutzbehörden auch im Planungsverfahren bei den öffentlichen Konsultationen zu unterstützen. Der größte Streitpunkt bleibt jedoch nach wie vor, welchen Inhalt genau eine Verbandsbeteiligung oder ein Klagerecht haben sollte, was also konkret Gegenstand einer Überprüfung sein kann. Hier stehen selbstverständlich planerische Überlegungen, z. B. die Überplanung von Denkmalen durch Bebauungspläne und Planfeststellungsverfahren, im Vordergrund. Darüber hinaus steht jedoch in Frage, ob die denkmalrechtlichen Genehmigungen, die teilweise in Baugenehmigungen aufgehen, ebenfalls Gegenstand eines Verbandsbeteiligungs- oder Klagerechtes sein sollen. Dies betrifft insbesondere den virulenten Fall der Abrissgenehmigung oder auch der Nachforschungsgenehmigung. Am schwersten tun sich hier die DNK-Mitglieder mit einer Klassifizierung von Denkmalen nach ihrer Bedeutsamkeit. Diese Diskussionen bringen die Erwägungen zum Verbandsklagerecht deutlich zum Stocken. Insofern ist es vielleicht ratsam, ein gestuftes Vorgehen zu verfolgen und sich zunächst auf die Einführung eines Verbandsbeteiligungs- und Klagerechtes im Planungsverfahren zu konzentrieren. Über die weiteren Entwicklungen werden wir berichten.
Rechtsanwalt Dr. Till Kemper M.A. ist DGUF-Beirat für Rechtsfragen und vertritt die DGUF im Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz (DNK).
16.6 Till Kemper: Das neue Baulandmobilisierungsgesetz – neue Gefahren für Bodendenkmale?
Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 12.3.2018 sieht vor, dass die Kommunen bei der Aktivierung von Bauland und der Sicherung bezahlbaren Wohnens unterstützt werden sollen. Hierzu strebt die Bundesregierung an, aufbauend auf den Empfehlungen auf Grundlage der Beratungen in der Kommission für "Nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik" (Baulandkommission) das Bauplanungsrecht weiter zu verbessern. Am 25.2.2021 fand die öffentliche Anhörung des Baulandmobilisierungsgesetzes zur Änderung des Baugesetzbuches statt.
Inhalt des Baulandmobilisierungsgesetzes (BT-Drs 19/24838) ist u. a. die beschleunigte Ausweitung von Wohnungs-Baugebieten im Außenbereich. Es liegt auf der Hand, dass hier zahlreiche Bodendenkmale betroffen sein werden. Sollte sich die Regelung so durchsetzen, können sich die Grabungsfirmen bereits auf eine große Nachfrage freuen.
Daneben ist jedoch zu berücksichtigen, dass nach dem neuen § 135d BauGB-E vorgesehen ist, dass Ausgleichsmaßnahmen für Eingriffe in Natur und Landschaft schlicht durch Geld abgetan werden können. Hier bezog die DGUF Stellung, dass die so erreichten Ersatzgelder auch für den Kulturgüterschutz verwendet werden sollen, indem die Ersatzgelder nicht allein für Natur und Landschaft vorgesehen werden sollen, sondern für den Umweltschutz insgesamt. Dies hätte den Vorteil, dass der europäische Umweltbegriff, wie er auch im Umweltrechtsbehelfsgesetz Anwendung findet, zum Zuge kommt. Von dem Umweltbegriff i. S. des europäischen Rechtes sind auch Bodendenkmäler erfasst. Folglich wäre es so auch möglich, Eingriffe in Bodendenkmale – im Einklang mit dem Verursacherprinzip – zumindest finanziell zu kompensieren.
Rechtsanwalt Dr. Till Kemper M.A. ist DGUF-Beirat für Rechtsfragen und vertritt die DGUF im Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz (DNK).
17 Ausstellungen und Museen
17.1 Wolfgang David: Sind Museen zu eventgetrieben?
Dem Trend zum "Event" können sich Museen nicht entziehen. Dies gilt insbesondere für Sonderausstellungen oder Museumsfeste. An manchen Orten scheint es fast so, als ob die Interessen kommunaler Tourismusverbände oder das Stadtmarketing Einfluss auf die Auswahl der Themen und das Ausmaß der Popularisierung haben. Entscheiden etwa Besucherschlangen vor Kassenhäuschen bzw. überlastete Buchungsserver oder ein Gedränge und Geschiebe vor Vitrinen – vergleichbar mit dem bekannten Treiben in Einkaufszentren in der Vorweihnachtszeit – über den Erfolg und die Nachwirkung einer Ausstellung? In Vor-Pandemie-Zeiten ließ das dreitägige Museumsuferfest in Frankfurt am Main mit einer Besucherzahl von ca. 2,5 Millionen immer weniger erkennen, dass die Stadt "mit diesem Festival seine Museen und seinen Fluss feiert".
Ist es erforderlich, dass Archäologische Museen, die in der öffentlichen Wahrnehmung gegenüber Kunstmuseen oder Historischen Museen zurückstehen, einem drohenden Bedeutungsverlust durch bis zum "Hypen" gesteigertem Marketing und medialer Aufrüstung entgegenzuwirken? Sollen alle finanziellen und personellen Ressourcen in immer aufwendigere Inszenierungen und den entsprechenden Einsatz von Technik investiert werden? Dabei entsteht nicht nur die Gefahr, das Publikum zu überwältigen, sondern auch vom Eigentlichen, dem archäologischen Objekt oder Befund und den zu vermittelnden Inhalten abzulenken. Indem für hohe Kosten virtuelle Welten geschaffen werden, die an die Standards der Spieleindustrie ohnehin nicht herankommen, werden personelle und finanzielle Ressourcen gebunden, die anderer Stelle nicht zur Verfügung stehen: Inventarisierung, Restaurierung, Forschung, Erarbeiten neuer Themen, Pädagogik. Ist wirklich immer eine App notwendig? Oder gar Avatare oder Holografien, die durch ein Museum oder eine Ausstellung führen anstelle von fachkundigen Menschen aus Fleisch und But, die in den Ausstellungsräumen auf die Besucher individuell eingehen können, woraus sich anregende Erfahrungen gewinnen lassen? Insbesondere in großen Museen und Ausstellungshäusern mit entsprechendem Budget ist man gewöhnlich recht weit weg von den meist freien Mitarbeitern im Führungsdienst oder dem meist von Personaldienstleistern gestellten Personal im Besucherservice; man ist weiter davon weg als in kleineren Museen.
Allzu leicht wird vergessen, dass hinter der Forderung nach einer Digitalisierung aller Lebensbereiche auch Geschäftsmodelle stehen. Beruhen die Wünsche nach immer mehr digitaler Technik tatsächlich auf Analysen der Nützlichkeit oder den Wünschen des Publikums? Oder beruhen sie auf Behauptungen von Interessenvertretern mit guter Geschäftsidee, die Zutritt zu den Entscheidern in Politik und Kulturverwaltung haben?
Der durch die Pandemie bewirkte Einschnitt bietet die Chance innezuhalten und die Fixierung auf Besucherzahlen und immer aufwendigere Inszenierungen zu überdenken. Es kann sich durchaus lohnen, abseits der gehypten Trends eigene Wege zu beschreiten. Anstatt spektakuläre, ultimative neueste Erkenntnisse in geradezu apodiktischer Form zu verkünden und verbreiten, sollte die Öffentlichkeit ernst genommen und ihr kritisches Bewusstsein gefördert werden, indem man die Grenzen archäologischer Erkenntnisse transparent darstellt und in einer Ausstellung den Besucherinnen und Besuchern alles Nötige an die Hand gibt, damit diese mitdenken und sich ein eigenes Urteil zu offenen Fragen bilden können. Das Museum als Ort einer öffentlichen Debatte zu kontrovers beurteilten Themen wie "Archäologie – Genetik – Migration" oder beispielsweise der Lesung und Interpretation der "Himmelsscheibe von Nebra" könnte zur Attraktivität und intellektuellen Wertigkeit der Archäologie in der öffentlichen Wahrnehmung beitragen.
Im Sinne von Partizipation, Inklusion und Barrierefreiheit lässt sich gerade auch das Niedrigschwellige der Archäologie zu nutzen, um Zielgruppen möglichst breit gestreut zu erreichen. Zudem eröffnet die Nutzung digitaler Formate neue Möglichkeiten, das Museum in den öffentlichen Raum hinein zu erweitern, auf eine Plattform außerhalb der Museumsmauern. Es gilt, eine Besucherschnittstelle für KI-Anwendungen zu schaffen, um dem Ziel näher zu kommen, der Öffentlichkeit unterschiedliche Sichtweisen auf historisch relevante archäologische Objekte zu ermöglichen, diese miteinander zu assoziieren und mit eigenen Erfahrungen und Assoziationen zu verknüpfen. Die Objekte sollen dann nicht nur im Museum in dem dort physisch festgelegten Ausstellungskontext wahrgenommen werden, sondern der Besucher kann diese virtuell in anderen Kontexten platzieren. So würden dann der jeweilige Erfahrungsschatz und die Ideen der Besucherinnen und Besucher im System abgebildet und mit anderen Besuchern indirekt kommuniziert. Dadurch lernt ein Besucher nicht nur vom Betrachten einzelner Objekte, sondern auch von den Erfahrungen anderer. So dürfte beispielsweise ein aus Syrien stammender Besucher im Archäologischen Museum Frankfurt die archäologischen Zeugnisse der Präsenz einer Eliteeinheit berittener Damaszener Bogenschützen am römischen Limes in der Wetterau gänzlich anders wahrnehmen als alteingesessene, heimatverbundene Bewohner der Region, in der die aus dem Orient stammenden römischen Soldaten einst in Garnison lagen.
Dr. phil. Wolfgang David M.A., Leitender Direktor Archäologisches Museum Frankfurt
17.2 Susanne Jülich: Was in der Dauerausstellung passiert, wenn niemand da ist
Das LWL-Museum für Archäologie hat eine der schönsten Dauerausstellungen, die ich kenne. Das dachte ich bei der Eröffnung des Hauses und das denke ich immer noch, nach nun 18 Jahren. Inzwischen kenne ich die Ausstellung sehr viel besser als damals, da ich nun dafür verantwortlich bin und mich seit Jahren mit ihr beschäftige.
Eine Dauerausstellung benötigt Aufmerksamkeit, genau wie eine Sonderausstellung über ihre Laufzeit dieser bedarf. Es geht dabei nicht um Vitrinen putzen oder Gänge fegen. Es sind die wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen in den Bereichen Archäologie, Forschung und Präsentationsmethoden, es sind neue Erkenntnisse, Rechtschreibreformen, die Einführung von leichter und Gebärdensprache und der Leihverkehr, die mich auf Trab halten. Und natürlich Verschönerungsarbeiten und Reparaturen, Erstellung und Pflege des Inventars, Besucheranfragen, Unterstützung von Kolleg:innen bei Forschungsarbeiten, Kooperationen mit anderen Häusern oder Instituten, die Ausbildung junger Wissenschaftler:innen und Museumsfachleute, Kommunikation im Haus und nach Außen sowie die Planung der kommenden Jahre und Aktivitäten. Was das mit Archäologie zu tun hat? Wir sind ein archäologisches Museum und jede Entscheidung im Haus muss dies berücksichtigen. Die Fachkenntnisse der verschiedenen Wissenschaftler:innen sind die Basis für unsere Entscheidungen. Sie sind verwoben mit Management, Pädagogik und Gestaltung, werden geprüft auf Verständlichkeit und Komplexität, angepasst an Technik und Sprachstil und vieles mehr. Doch sie müssen immer korrekt bleiben. So arbeiten Fachleute aus diversen Studien- und Handwerksbereichen Hand in Hand, um die Ausstellung und deren Exponate zu erhalten, zu verschönern und zu modernisieren, nutzbar zu halten und nach außen zu tragen.
Und was passiert nun tatsächlich in der Dauerausstellung, wenn niemand da ist? Das jüngste große Projekt ist der Kubus zum Thema Zeit, der nun frisch renoviert einen emotionalen Zugang zu der Frage gewährt "Was ist (deine) Zeit?". Inzwischen stehen vier holografische Vitrinen in der Ausstellung, die mit wunderbar ästhetischen Animationen verschiedene hochwertige Handwerkstechniken präsentieren. Eine App lässt dreidimensionale "Geister" in der Ausstellung erscheinen. Texte sind umformuliert und auch in ihrer Anbringung an die neuen Regelungen der Inklusion angepasst. Diverse Exponate sind restauratorisch überarbeitet, Neufunde sind eingebracht, Beleuchtungen verbessert, Alarmanlagen modernisiert und, und, und. Mindestens jeden Montag, meist aber auch früh morgens schon, sind viele Hände in der Halle fleißig. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe stellt als Träger des Hauses die Gelder für diese Arbeiten zur Verfügung, ergänzt durch vielerlei Fördermittel verschiedener Institutionen, Sponsoren, Spender, ehrenamtliche Tätigkeiten. Leider haben nicht alle Museen dieses Glück. Häufig legen Geldgeber ihren Fokus auf die Sonderausstellungen und Veranstaltungen. Soll ich sagen "leider"? Die Dauerausstellungen vieler Museen sind oft Schatzkästchen. Hier und da eingestaubt, oft Kinder ihrer Entstehungszeit, etliche aber auch schon überarbeitet und neu ins Licht der Aufmerksamkeit geschoben. Sie sind die Kontinuität und das wahre Gesicht des Museums und damit jede Aufmerksamkeit wert.
Dr. Susanne Jülich, stv. Leiterin LWL-Museum für Archäologie Herne
17.3 Karina Iwe: Ein Jahr #KulturinZeitenvonCorona: das Digitalangebot der Museen mit archäologischen Sammlungen - und viele Fragen
Seit März 2020 sind die Museen von den coronabedingten Schließungen betroffen. Seit einem Jahr – mit Unterbrechungen – konnten Angebote nicht mehr in alter Gewohnheit von Besucher:innen vor Ort aufgesucht werden. Gleichermaßen eröffneten sich den Museen eine Chance und ein Schub im Bereich der Digitalisierung. Es galt nun, sich auch während der Schließzeit zu präsentieren, neue Besuchergruppen zu gewinnen, und "einfach im Gespräch zu bleiben". So entstanden und entstehen nach wie vor neue Angebote, um das Museum und die Sammlungen sichtbar zu machen. Die anfänglich schnell initiierten Formate laufen inzwischen routiniert, und das digitale Vermittlungsangebot fällt umfangreich und vielfältig aus, bisweilen kreativ und experimentell, und es bietet viel Potential. Die Formate variieren, sie reichen von Führungen mit dem Guide vor Ort im Museum über 360 Grad Rundgänge hin zu Podcasts und Videos. Bemerkenswert sind die Möglichkeiten des Digitalen, eben flexibel zu reagieren, eine rege Interaktion mit dem Publikum im Live-Modus dank der Kommentarleiste zu starten, Nachträge zu liefern und eben auch neue Reichweiten mit den Inhalten anzusteuern.
Das Programm wird den Zuschauer:innen und Zuhörer:innen für zu Hause und vom heimischen Sofa geboten, in vielen Fällen kann man es zu einem individuellen Zeitpunkt abrufen. Trotz aller Verfügbarkeit bleibt doch der Aspekt im Raum stehen, dass manches Format bei Weitem nicht so intensiv wirkt wie etwa "physisch vor Ort im Museum". So ergeben sich eben zu Hause im Heimischen doch schneller Ablenkungen, oder eine unstete technische Internetverbindung führt zu einem jähen Ende der Veranstaltung.
Personal und Mittel sind wichtige Voraussetzungen an den Museen für den Start, die Entwicklung und den Ausbau von digitalen Angeboten. Zudem reicht schon die Unterscheidung zwischen großen und kleinen Einrichtungen, um auch den unterschiedlichen Stand bei den Ausstattungen der jeweiligen Häuser deutlich zu machen. Damit ist das Thema der Digitalangebote eng mit der Frage nach den Ressourcen für technische und strukturelle Voraussetzungen verbunden.
Bei einer solchen Fülle von Angeboten würde man in der Öffentlichkeit nach einem Jahr intensiven Buhlens um Besucher:innen im digitalen Raum auch eine Debatte zur Fehlerkultur der Häuser vermuten. Welche Formate haben sich zu Publikumslieblingen entwickelt? Bei welchen Formaten blieb die Zündung aus? Wurden diese wieder abgesetzt? Welche Formate sind ressourcenschonend? Ein solcher Austausch im Vorfeld wäre manches Mal sinnvoll, um nicht die Fehler anderer zu wiederholen.
Ein Fall für die Gegenwart und Zukunft ist die Besucherforschung. Sie umfasst Fragen wie zum Beispiel: Erreicht das digitale Programm sein Zielpublikum bzw. die verschiedenen anvisierten Zielgruppen? Sind digitale Besucher:innen neu hinzugekommen? Wer ist auf der Strecke geblieben, weil er beispielsweise keine Live-Touren bei Instagram verfolgen kann? Welches Feedback erhalten die Museen vom Publikum? Ab wann gilt ein digitales Angebot als Erfolg(sgeschichte)? Werden diese Besucher:innen mitgezählt, und auch von Entscheidungsakteur:innen anerkannt? Wie reagiert das Stammpublikum, nutzen regelmäßige Museumsgänger:innen aus der Zeit vor März 2020 auch das digitale Angebot?
Und noch weitaus spannender: Wie sieht die Zukunft aus? Was wird von der Phase des Digitalisierungsschubs bleiben? Wie wird sich das (weiter)entwickelte Digitalangebot der Museen mit dem regulären Portfolio, dem analogen Programm, arrangieren? Sind Hybridangebote die Zukunft? Welche Trends sind für übermorgen zu erwarten? Lassen sich digitale Museumsformate (dauerhaft) monetarisieren - fort von der kostenlosen Erwartungshaltung? Werden Ausstellungen zukünftig vermehrt virtuell angeboten werden?
Die Sehnsucht und der Hunger nach Kultur wurden in den vergangenen Monaten mächtig auf die Folter gespannt. Mit der nahenden bzw. bereits erfolgten Wiedereröffnung einiger Museen im März 2021 steigt die Freude auf ein Wiedersehen: mit den analogen Besucher:innen vor Ort im Museum unter Einhaltung von Hygiene-Konzepten – ausgestattet mit einem neuen digitalen Selbstbewusstsein der Häuser.
Dr. Karina Iwe M.A., Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz
17.4 Florian Klimscha: Archäologie während der 3. Wissenschaftlichen Revolution. Die Rolle archäologischer Museen.
Was war früher? Mit dieser Frage startete ich ins Studium der Ur- und Frühgeschichte. Ich erhoffte mir Antworten, fand aber vor allem Fragen. Generationen von Archäolog*innen hatten zwar eine große Menge Fundstoff vorbereitet und geordnet, aber selbst über das "von wann?" herrschte oftmals Uneinigkeit. Seitdem ab Mitte der 1980er-Jahre Radiokohlenstoffdaten anhand von Dendrokurven kalibriert wurden, konnte man zumindest letzteres immer einfacher bestimmen. Kalibrationsprogramme gehörten bald zur Standardausrüstung. Es blieben aber noch immer viele Unschärfen, und prähistorische Modelle mussten oft vage bleiben. Postulierte Wahrheiten erhielten ihre Legitimation vor allem durch die Autorität der Autor*innen: Wie kamen Ackerbau und Viehzucht Mitte des 6. Jahrtausends nach Mitteleuropa? Wie am Ende des 5. Jahrtausends in die norddeutsche Tiefebene? Wie fühlten sich die Träger*innen einer archäologischen Kultur? Dieser zugehörig oder haben sie einfach nur bestimmte Töpfe aus uns nicht mehr erschließbaren Gründen benutzt?
Das hat sich heute grundlegend geändert und in der wissenschaftlichen Diskussion wurde schon von der 3. Wissenschaftlichen Revolution gesprochen (vgl. Kristian Kristiansen, Towards a New Paradigm? The Third Science Revolution and its Possible Consequences on Archaeology. Current Swedish Archaeology 22, 2014, 11-71.). Ich will an dieser Stelle nicht behaupten, dass wir jetzt eine Lösung für all unsere Probleme haben. Durch die massiven Fortschritte in den Archaeological Sciences allerdings können wir Mobilität und Bewegungsmuster, Verwandtschaften, Ernährung, Gesundheit, Provenienzen u. v. m. bestimmen. Es ist möglich geworden, Aussagen über die nähere Umwelt von Siedlungen und den Einfluss des Menschen darauf zu treffen; Wasserqualität lässt sich ebenso bestimmen, wie der Grad der Entwaldung um eine Siedlung. Funde in Museen sind plötzlich wieder im Fokus der Forschung. Nicht-destruktive Methoden wie tragbare XRF-Geräte erlauben zwar nicht die Detailschärfe erprobter Labormethoden, helfen jedoch, in kurzer Zeit Metallobjekte vorzusortieren. Neben den Metallen sind auch Stein- und Keramikartefakte sowie Gläser zu regelrechten Spezialdisziplinen geworden. Selbst undiagnostische Keramikscherben werden u. U. wieder interessant. Chemische Untersuchungen bringen dabei Unerwartetes wie Angenommenes zu Tage. Was wurde darin gespeichert? Lassen sich Faserreste feststellen? Woher stammt der Ton?
Im Ausland hat schon längst eine Spezialisierung einzelner Institute und zugehöriger Labore begonnen. Lehmziegel, Steinbeile und Mikro- und Makroreste von zoologischen wie botanischen Funden bedürfen eines ausgefeilten und stetig weiterentwickelten Instrumentariums. Gebrauchsspuren an Geräten können anhand von Vergleichssammlungen eingeordnet werden und helfen uns, endlich die typologischen Ordnungen mit Funktionsgruppen zu verbinden. Darüber hinaus ist die dauerhafte Vernetzung von Archäolog*innen mit Kollegen aus anderen Wissenschaften ein ebenso wichtiger Fortschritt. In Schwerpunktprogrammen werden übergreifende Themen mit Kolleg*innen aus den Ingenieur- und Geschichtswissenschaften oder der Psychologie diskutiert und fördern so neue Deutungsansätze. Zuletzt zwingen die Digital Humanities zu massivem Umdenken. Big-Data-Projekte, seien sie frei zugänglich wie der Digitale Atlas der Innovationen oder für den internen Gebrauch konzipiert wie die niedersächsische ADABweb, ermöglichen es innerhalb von Sekunden, Kartenbilder oder Fundkataloge zu erstellen.
Ich sehe diese Entwicklungen positiv. Wenn ich auf mein Studium zurückblicke, war "Das ist aber so nicht sicher …" der am häufigsten gehörte Satz. Letztlich mussten archäologische Modelle ohne Korrektiv oder Kontrolle erstellt werden und die populärwissenschaftlichen Verirrungen mancher Idee zeigen auch, wie gefährlich eine unreflektierte Übernahme von durchaus seriösen Interpretationen sein kann, wenn diese in ein neues Gedankengebäude überführt werden. Wir steuern auf eine Zeit zu, in der es immer präziser möglich ist, Aussagen über den Ist-Zustand (bzw. War-Zustand) archäologischer Funde zu machen. Deutungen können analytisch abgesichert über digitale Rechercheinstrumente überprüft werden und werden damit auch relevant für andere Wissenschaften und die Auseinandersetzung mit der modernen Realität. Noch vor wenigen Jahren konnte man lesen, dass es eine moderne und eine vormoderne Welt gab, z. B. beim Wirtschaften oder der Technikentwicklung (vgl. als ein Beispiel unter vielen: Jacques Attali, Die Welt von Morgen (Berlin 2008), bes. 18-30). Aufgrund der konsequenten Anwendung neuer Methoden und Analyseverfahren sind Archäolog*innen heute in der Lage, antike und prähistorische Geschichte(n) zu schreiben.
Während der vergangenen Jahre wurden erhebliche Wissenszuwächse generiert. Diese gilt es zukünftig zu überprüfen, auszubauen und zu erweitern. Museen können als starke Partner Aufgaben übernehmen, für die an anderen Forschungsinstitutionen keine Kapazitäten vorhanden sind. In ihnen lagert enormes Kapital für zukünftige wissenschaftliche Durchbrüche. Dafür muss ihre Rolle nicht nur auf die von Ausstellungshäusern beschränkt bleiben. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass Museen als Schnittstelle zwischen Grundlagenforschung und Vermittlung gewürdigt, aber auch apparativ und personell unterstützt werden. Sie helfen der Archäologie, sich als seriöse Wissenschaft zu positionieren, der interessierten Öffentlichkeit neueste Forschung kritisch und gut lesbar aufbereitet zu präsentieren und daran mitzuwirken, dass die Forschung auch in den nächsten 50 Jahren nicht stehen bleibt.
Digitaler Atlas der Innovationen: https://atlas-innovations.de/en/
ADABweb: https://www.adabweb.niedersachsen.de
Dr. Florian Klimscha, Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, Fachbereich Archäologie & Niedersächsischer Landesverein für Urgeschichte, 1. Vorsitzender
17.5 Florian Klimscha: Quo vadis? Archäologische Museen in einer spezialisierten Welt
Die gewaltigen Fortschritte in den archäologischen Wissenschaften machen profunde Kenntnisse in anderen Wissenschaften immer wichtiger. Neben einer guten Quellenkenntnis müssen Archäolog*innen im heutigen Wissenschaftsbetrieb eine schier unüberschaubare Menge an Methoden zur Datierung und Analyse von Fundkontexten und Funden kennen und in der Lage sein abzuschätzen, welche davon sinnvoll anwendbar sind. Die regionale Spezialisierung wird nicht verschwinden, aber die Vernetzung mit Spezialist*innen und Kenntnisse über deren Arbeitsweisen gewinnt an Bedeutung und bleibt Hauptaufgabe der Universitäten und Forschungsinstitute, an denen junge Archäolog*innen ausgebildet werden. Wenn es aber zu immer feineren Grabungstechniken und Analysemethoden kommt, werden sich auch in Deutschlands Universitäten klare Schwerpunkte abzeichnen müssen. Labore sind teuer, und kaum ein Institut wird in der Lage sein, die volle Bandbreite zufriedenstellend abzudecken – auch wenn das natürlich die Idealvorstellung wäre.
Wo aber bleiben die Museen – die ja auch dem Autor dieser Zeilen als Arbeitsplatz dienen? Wir sind die Archive, in denen gewaltige Mengen archäologischen Fundmaterials darauf warten, mit den neusten Methoden untersucht zu werden. Dazu ist es nötig, dass Stellen für entsprechende Kurator*innen auch in Zukunft eingerichtet bleiben und die wissenschaftliche Qualifikation entscheidend bleibt. Einen Überblick über die Fundmengen in den Magazinen der Stadt-, Kreis- und Landesmuseen zu behalten, ist bereits eine fordernde Aufgabe, aber neben der Prüfung von Forschungsvorhaben, wird es immer wichtiger werden, diese auch aus den Sammlungen heraus zu entwickeln. Steuerzahlende haben für deren Ausgrabung und Bewahrung bezahlt. Sie haben auch ein Recht, dass nicht nur einzelne Pilotprojekte erforscht werden. Museen müssen nicht nur die Ablagekammern der schönen, neuen Welt werden, sondern ihre Rolle als aktive Forschungspartner wahrnehmen. Wenn die Universitäten sich immer weiter spezialisieren müssen, um Up-to-date-Ergebnisse zu produzieren, besteht ein großes Desiderat, das erarbeite Wissen nicht zu verlieren, und die große Chance, typologische, technologische und materialkundliche Studien dauerhaft an Museen zu verankern. Vor allem in Zusammenarbeit mit Kolleg*innen der Restaurierung und aus der Sammlungsverwaltung ergeben sich positive Synergieeffekte. Viele Funde sind nicht oder nur unzureichend vorgelegt. Hier können Museen Grundlagenforschung leisten, die auch für andere Institutionen wichtig ist bzw. Fundkomplexe für die weitergehende Bearbeitung bekannt macht. Damit dies gewährleistet werden kann, sind in Zukunft auch Politik, Geldgeber und Direktor*innen gefragt. Neben den publikumswirksamen Sonderausstellungen müssen Sammlungspflege und Forschungsprojekte wieder verstärkt in den Fokus von Kurator*innen und ihren Teams rücken, sowie eine moderne apparative Grundausstattung gewährleistet werden.
Archäologische Museen verfügen über großes Potenzial für die Selbstreflexion der Forschung. In Museen werden Funde aufbewahrt, die zur Zeit ihrer Ausgrabung oder Auffindung oftmals als unbedeutend abgetan wurden, jetzt aber durch neue Methoden begehrt sind. Knochen und Gewebereste sind selten ausstellungsfähig, liefern nun aber, weil sie in entsprechenden Sammlungen aufbewahrt, katalogisiert und gepflegt wurden, revolutionäre Erkenntnisse. Neben der Unterstützung von externen Forschungsprojekten und als Schnittstelle zu den ausgrabenden Institutionen ist die spannendste Aufgabe der Wissenschaftler*innen eines Museums, derartige Schätze im Magazin aufzustöbern und zu heben. Das gelingt manchmal recht leicht, ist mitunter aber auch sehr mühsam. Handschriftliche Notizen müssen transkribiert, Fund- und Sammlungsgeschichten überprüft werden. Manchmal führt es auch zu unbequemen Erkenntnissen über liebgewonnene Highlights der eigenen Sammlung, und das sorgt dann vielleicht auch für Publicity, die man sich so gar nicht erhofft hatte. Es ist aber nicht nur für weitere Fortschritte in den archäologischen Wissenschaften essenziell, die Beschäftigung mit den Funden niemals aufzugeben, sondern auch für die Vermittlung jenseits des archäologischen Fachhorizontes.
Mit den neuen Methoden haben fast ausgestorben geglaubte Deutungen wie das Invasionsparadigma plötzlich wieder Hochkonjunktur, und es bedarf in den kommenden Jahren einer kritischen Auseinandersetzung, um hier nicht in unterkomplexe und simplifizierende Narrative abzugleiten, die nur allzu leicht politisch missbraucht werden können. Die sich verselbständigenden Deutungen sind ein nicht zu unterschätzendes Problem, das jeder kennt, dessen Bekanntenkreis auch Nicht-Archäolog*innen umfasst, die einen mit scheinbar sicheren Tatsachen beim Abholen der Kinder, in der Kaffee-und-Kuchen-Runde oder beim abendlichen Bier konfrontieren: "Die Ägypter haben schon Opium geraucht." "Die Hälfte aller heute lebenden Menschen stammt von Dschingis Khan ab." "Troja war in Wirklichkeit Atlantis." Hier besteht eine weitere Möglichkeit der Museen, positiv dem Wissenschafts-Chaos entgegenzutreten. Museen haben eine hohe Breitenwirkung und verfügen über spezielle pädagogisch geschulte Teams sowie Schul- und Abendprogramme. Diese sind ideal, um kritisch hinterfragte und sorgfältig kuratierte Informationen zu vermitteln. Ein wichtiges Korrektiv zu stündlichen wechselnden Breaking News. Mit ehrenamtlich tätigen Mitarbeiter*innen und Freundeskreisen verfügen Museen auch über erhebliche Multiplikatoren, die diese Informationen weitertragen. Dauerhaft sind, analog zu den Schwerpunktprogrammen der Universitäten, regelmäßige Arbeitsgruppen mit Kolleg*innen aus anderen Institutionen, in denen wir aktuelle Informationen erarbeiten, wesentlich, um interaktive, digitale und aktuelle Ausstellungen bereitstellen. Diese sollten ein zusätzliches Angebot des Museums sein, das interessierten Laien bei der Orientierung im Wissenschaftsdschungel hilft. Im Gegensatz zur Dauerausstellung ist die Aktualisierung leichter und weniger kostenintensiv. Das Museum bietet hier Kompetenzen in der Vermittlung und Präsentation ebenso wie einen großen Kreis Interessierter, die anderen Institutionen fehlen.
Die Bereitschaft, neue Wege in der Präsentation und Vermittlung zu gehen, muss mit einem Umdenken bei der Rolle von Museen verbunden werden. Museen können als starke Partner Aufgaben übernehmen, für die an anderen Forschungsinstitutionen keine Kapazitäten vorhanden sind. In ihnen lagert enormes Kapital für zukünftige wissenschaftliche Durchbrüche. Dafür muss ihre Rolle aber nicht nur auf die von Ausstellungshäusern und Depots beschränkt bleiben.
Dr. Florian Klimscha, Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, Fachbereich Archäologie & Niedersächsischer Landesverein für Urgeschichte, 1. Vorsitzender
18 Worüber man sonst noch spricht oder dringend sprechen sollte
18.1 Ulf Ickerodt: Archäologie, Ethnologie und die Kunst der Klassischen Moderne
Aus einer forschungsgeschichtlichen Perspektive verbindet diese drei Begriffe ihre gemeinsame Entstehungs- und Etablierungsphase im späten 19. / frühen 20. Jahrhundert. Ihre innere Beziehung entspringt dem und bildet zugleich den Pluralisierungs- und Modernisierungsprozess ab, der zunächst einmal die Moderne Europas und dann die Nordamerikas kennzeichnet. Ihre damaligen Ergebnisse, seien es Publikationen oder Kunstwerke, Methoden und Prämissen oder auch die die Bemühungen dieses Prozesses tragenden Institutionen, Sammlungen oder Museen sind inzwischen zu inspirierenden Geschichtsquellen geworden.
Über ihre Objekte und Erzeugnisse verdeutlichen Archäologie und Ethnologie die bunte Vielfalt der Menschen aller Zeiten und aller Räume. Der ethnografisch beschriebenen und dokumentierten Vielfalt gibt die Archäologie eine zeitliche Tiefe. Die Moderne Kunst fordert dieses alles heraus. Alle drei vereint aber wieder der Prestigecharakter ihrer Objekte oder ein tiefes Fachwissen eben darüber. Im Gegensatz zur Klassischen Moderne bieten Archäologie und Ethnologie ein Gegengewicht zu der als sich beschleunigend erfahrenen Moderne, die sich wiederum in der Entwicklung und Etablierung der Modernen Kunst manifestiert.
Archäologie und Ethnologie sind folglich konstitutive Gegengewichte zu dieser klassischen modernen Kunst, in dem sie die Hoffnung der Wiederherstellung nicht einer, sondern der *eigenen* Vergangenheit befeuern. Ihr Schlüssel- und Leitbegriff ist der der Abstammung.
Während die beiden Wissenschaften Teil des in diesem Fall europäischen Verwissenschaftlichungsprozesses sind, werden dieser Prozess und die ihn tragenden Rahmenvorstellungen und prinzipiellen Annahmen durch die Moderne Kunst reflektiert. Es sind beispielsweise Dada, Futurismus, Konstruktivismus, Primitivismus oder der Surrealismus sowie in Deutschland die Brücke und der Blaue Reiter.
Über diese Umfelder trägt die Moderne Kunst eben auch zur gesellschaftlichen Rezeption der wissenschaftlichen Methodologie oder wissenschaftlicher Erkenntnis bei. Diese drei Bereiche stehen als Produkte begrifflicher Verdichtungsprozesse, seien sie den Wissenschaften oder dem Kunstschaffen zuzuordnen, in dieser Zeit für die Produktion von Bedeutung von gesamtgesellschaftlicher Relevanz. Sowohl Fromms Fortschrittsreligionen als auch die Science Fiction als Produkt der Kulturindustrie wurzeln in dieser Gesamtentwicklung.
Während alle drei auf die eine oder andere Weise für gesellschaftlichen Protest im weitesten Sinne gegen das Bisher stehen und als Gegengewicht zur fortschreitenden, jeweiligen Lebenswirklichkeit anzusehen sind, ermöglichen sie über den Wissenschafts- oder Kunstbetrieb Teilhabe in den damaligen Massengesellschaft an gesamtgesellschaftlichen Umbauprozessen: Sie tragen auf ihre jeweils spezifische Weise zu den entstehenden Identitäten und Mentalitäten bei, indem sie ethische Vorstellungen prägen und die sie tragenden Normen und Werte absichern.
Während sich die Moderne Kunst im Großen und Ganzen ikonoklastisch von der Vergangenheit zu befreien sucht, bieten sowohl Archäologie und Ethnologie über ihre Inhalte ein Gegengewicht, in dem sie die Dimension der Vergangenheit bis in die Naturgeschichte steigern.
Mit dem Schritt in den Kulturbetrieb kommt es zu einer dramatischen Fusion im Sinne der Dialektik der Aufklärung: Während alle drei im Kern alles andere als für Unterhaltung geeignet sind, wird der Bildungsanspruch des Kulturbetriebs durch die Verlockungen der wirtschaftlichen Wertschöpfungen herausgefordert. Wenn der Kulturbetrieb möglicherweise noch nicht Massenprodukt und damit für einen unbeschwerten Konsum geeignet ist, so ist es die Kulturindustrie allemal.
Dr. Ulf Ickerodt (Schleswig)
18.2 Maria Effinger: Szenen aus der Urzeit für die Zukunft
Kaum war 1867 im Schloss von Saint-Germain-en-Laye vor den Toren von Paris das Musée d’Archéologie Nationale eröffnet worden, ergaben sich Probleme der Vermittlung: Das Publikum konnte mit den teils fragmentarischen, teils "unspektakulär" aussehenden, teils in ihrer Funktion unverständlichen Artefakten aus der Urzeit wenig bis gar nichts anfangen. Eine Lösung waren große Wandbilder mit Szenen zum Leben der frühen Menschheit, die daraufhin in Auftrag geben wurden. Welchen Stellenwert diesen Gemälden zukam, lässt sich an den beteiligten Künstlern – etwa dem skandalumwitterten Férnand Cormon (1845-1924) - und dem Umstand ablesen, dass einige der Werke auf dem Pariser Salon 1884 präsentiert wurden.
Fragen der Darstellung, Rekonstruktion und Vermittlung sind seitdem in der Archäologie – und insbesondere auch der Ur- und Frühgeschichtsforschung – zentral geblieben. Als Regel ließe sich behaupten: Je älter ein Artefakt, je weniger von einem historischen Kontext bekannt ist, desto wichtiger werden Visualisierungen als wissenschaftliches Argument wie Instrument der Kommunikation. Digitale Medien und Möglichkeiten eröffnen für diese Bildwerdung der Vor- und Frühgeschichte eine doppelte Chance. Nicht nur erzielen neue Rekonstruktionen einen bislang unerreichten Effekt täuschender Illusion: mit 3D-Fiktionen, teils bewegten, teils interaktiven Bildern. Mindestens so wichtig erscheint aber die digitale Erfassung aller vorausgehenden Rekonstruktionen. Erst diese erlaubt in ganz neuer Weise eine kritische Reflektion unserer heutigen "biases", der unvermeidbaren, zeit- und standpunktbedingten Festlegungen, der notwendigen Hypothesen zu Lücken usw.
Eine entscheidende Chance der aktuellen Bemühungen zum Aufbau einer nachhaltigen, frei zugänglichen Forschungsdaten-Infrastruktur liegt genau in dieser Doppelbewegung zwischen Zukunft und "Urzeit": Nicht nur heutige und zukünftig erarbeitete Materialien und Deutungsvorschläge werden erfasst, sondern die gesamte Tradition des Denkens, Forschens und Visualisierens lassen sich umfassend in den Blick nehmen.
Mary P. Gindhart: A pinacothèque préhistorique for the Musée des Antiquités Nationales in Saint-Germain-en-Laye, in: Journal of the History of Collections, 19, 2007, S. 51–74, https://doi.org/10.1093/jhc/fhm003
Armand Dayot: Salon de 1884: cent planches en photogravure par Goupil et Cie — Paris: Baschet, 1884. https://doi.org/10.11588/diglit.54680#0073
Dr. Maria Effinger, Leiterin der Abteilung "Publikationsdienste" Heidelberg University Publishing (heiUP), Projektleiterin "Propylaeum" und Zentrales Projektmanagement "Kulturelles Erbe und Digital Humanities", Universitätsbibliothek Heidelberg
18.3 Robin Peters: "Der Mensch hat schon immer …" – die ferne Vergangenheit als Projektionsfläche
Der Mensch hat *schon immer* Fleisch gegessen, behaupten die Anhänger der Paläo-Diät, also "entdecken Sie die Diät, die seit tausend Jahren funktioniert" (Audette 1999, Übersetzung vom Autor). Andere sprechen von vegetarischem Essen als eine für den Menschen *artgerechte* Ernährung. Vertreter des "Paleo-Parentings" erklären, dass es *natürlich* sei, wie steinzeitliche Wildbeuter*innen sein Baby viel zu tragen.
Die Vergangenheit – insbesondere die ferne Vergangenheit, die von Prähistoriker*innen untersucht wird, hat Konjunktur – als Projektionsfläche für viele Menschen in unserer urbanen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft. Aber was für eine Vergangenheit ist das, die zur Legitimation von Entscheidungen in so unterschiedlichen Lebensbereichen imaginiert wird? Es ist eigentlich kein Zeitraum, sondern ein Zustand. Ein statischer Urzustand des Menschen, in dem dieser natürlich und "artgerecht" – was auch immer das sei – im Einklang mit seiner Umwelt lebte. Unsere von Technologie geprägte Welt hat sich, dieser Argumentation zufolge, von diesem Naturzustand entfernt. Eine Zeit, in der wir einst selbst jagten, fischten, sammelten und alles, was wir brauchten, selber herstellen, bauen und reparieren konnten. Eine Vergangenheit, in der der Mensch also sehr unabhängig, potent und selbstwirksam war. Nach der Vertreibung aus dem Paradies – was hat das Neolithikum uns eigentlich jemals gebracht? – ist uns der Garten Eden auf immer verschlossen. Zugegebenermaßen ein Topos, der auch im Fach gerne bedient wird.
Die in der Einleitung aufgeführten Behauptungen basieren auf zwei rhetorischen Strategien: auf Traditionsverweisen ("das wurde schon immer so gemacht") und dem Natürlichkeitsargument ("es ist natürlich, daher gut"). Archäolog*innen können den Reduktionismus und Essentialismus dieser Argumente aufzeigen. Es gibt nicht "die Steinzeit". Die Menschheitsgeschichte erstreckt sich über einen sehr langen Zeitraum, in dem unterschiedliche Vertreter der Gattung Homo in allen möglichen Teilen der Erde sehr verschieden gelebt haben, und zwar weder im Hobbesschen "Krieg alle gegen alle" noch als Rousseaus "edle Wilde". Das Leben in der Steinzeit war weder natürlich, ursprünglich und artgerecht noch kultur- und technologiefern.
Das nächste Mal, wenn es heißt: "Der Mensch hat schon immer …", könnte man antworten: "Nein, es ist viel komplizierter UND SPANNENDER!"
Robin Peters, M. A., Prähistoriker aus Köln
18.4 Ulf Ickerodt: Archäologie und das Problem der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit
Die Kehrseite der archäologisch abgesicherten Ursprungs- und Fortschrittsgeschichte der Menschheit und deren Einbindung in Haeckels Naturgeschichte führte im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu verschiedenen Einsichten, die bis heute nachwirken. Es waren vor allem zwischen 1870 und 1900 das Paradigma der Abstammung und der archäologische Nachweis des technisch-gesellschaftlichen Fortschritts der Menschheit, die als soziale Leitgedanken weit über ihre eigentliche wissenschaftliche Bedeutung nachwirkten: vom Einbaum bis zum Jumbojet.
Viele der damaligen Begriffe und Argumente durchdringen prägend bis heute unsere Sprache: Unterschiedliche "Kulturkreise" stehen auf unterschiedlichen Kulturstufen. Es gibt "Natur-" und "Kulturvölker". Gesellschaften haben unterschiedliche soziale "Schichten". Der "Aufstieg der Menschheit" zur "Zivilisation" ist Produkt des "Daseinskampfes". Er umfasst allerdings nicht nur die Technik, sondern auch "Rassen", "Stammesgenossen" und "Völker". Eine durch die gemeinsame Abstammung gewordene Gemeinschaft kann ein "Wirtsvolk" sein, das von "Fremdlingen" bedroht ist. Dahinter steckt immer auch wirtschaftlicher Wettbewerb, der angetrieben von Konkurrenz wirtschaftliche Alleinherrschaft oder zumindest Vorherrschaft anstrebt. Im Kern sind es also Fortschritts- und Ursprungsdenken, die von der entstehenden Ur- und Frühgeschichtsforschung bedient werden und den Glauben an die eigene "rassische Reinheit" befeuern. Mit der Verschiebung von der genealogischen Abkunft zur biologischen Abstammung nach 1859 kommt es zum Bruch in der Selbstwahrnehmung: Die Gesellschaft ist ein lebender Organismus, der nach Verbesserung strebt. Nietzsches Übermensch gestern, Supermann heute.
In eine Phase wachsenden Lenkungsanspruchs wird der Staat zur Instanz, der für die Qualität und die Quantität seiner Bevölkerung sorgen muss, um auch die wirtschaftliche Reproduktion abzusichern. Das Ziel "rassische Reinheit" dient also nicht nur der langfristigen Stabilisierung der NS-Herrschaft.
In dieser Entwicklung erscheint die Ur- und Frühgeschichte als neuer Arbeitsbereich, der speziell ausgebildeter Fachleute bedarf und Berufsaussichten bietet. Ziele sind neben der archäologischen Forschung und Landesaufnahme auch der Denkmalschutz und die Berücksichtigung dieses Wissens zur Herstellung artgemäßer Landschaften. Die sich hierauf beziehenden Weltsichten, Lebensweisen und Anschauungen werden wiederum zur Ausbildung des akademischen Nachwuchses eingesetzt und vulgarisiert: der Sozialdarwinismus.
Es ist also kein Wunder, dass der damalige Rassismus, die heutige gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nicht nur in rechtsextremen oder radikalen Milieus verankert sind. Die Botschaften der kulturellen Regression oder Devolution, also die Angst vor der sozialen Katastrophe oder der Verelendung, sind bis heute Triebfeder genug.
Alle Zitate aus: Herzl, Theodor (1896). Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Wien: M. Breitenstein. https://de.wikisource.org/wiki/Der_Judenstaat
Dr. Ulf Ickerodt (Schleswig)
18.5 Ulrike Sommer und Martin Schmidt: Herzlichen Glückwunsch, Theorie-AG!
Vor 30 Jahren in Lampeter begründet, ist die Theorie-AG nun groß und ziemlich erwachsen geworden. Und schon so alt, dass sich sogar eine AG "Geschichte der AG" konstituiert hat. Aus der Theorie-AG ist mittlerweile die "AG Theorien in der Archäologie" geworden. Auslösende Momente zur Gründung (Jacobs et. al., 1991) waren damals Studienaufenthalte (U. Sommer und S. Wolfram) und regelmäßige Teilnahmen bei TAG in Großbritannien und die Unzufriedenheit mit der Situation in Deutschland-Ost wie -West. Angelika Träger (Leipzig) und Jörn Jacobs (Rostock), damals Mitbegründer, haben das Fach allerdings schon früh und frustriert verlassen. Und auch viele andere Köpfe aus den frühen Tagen haben sich schon lange aus dem Fach verabschiedet oder sind ins Ausland abgewandert.
Nicht unschuldig an der Entstehung der Theorie-AG war sicher die Rezeption der Schriften des Unkeler Kreises. Zu erinnern wäre auch an die Debatte um die Ausbildung in der UFG (siehe Arch. Inf. 1996/1997) und an das Wiedererstarken der Fachschaften und das erste bundesweite Fachschaftstreffen 1989 in Kiel. Dank der großen Mühen Vieler hat sich die AG prächtig entwickelt. Ein Blick auf die Homepage, in die Publikationen und in die seinerzeit noch gedruckten Berichte der Theorie-AG legt Zeugnis davon ab.
Es wäre also zu fragen, was sich in den vergangenen 30 Jahren getan und ggf. verändert hat. Wie ist der Stellenwert der "Theorie" in den Universitäten, den Museen und in der Denkmalpflege? Ist die Archäologie in Deutschland insgesamt theoretischer geworden? Definieren sich Museen und Denkmalpflege eher über prächtige Schätze oder über theoretische Debatten und Erzählweisen? Wie ist der Stellenwert der Theorie in der universitären Forschung und Lehre? Ist es schlimm, dass es außer R. Bernbecks "Theorien in der Archäologie" eigentlich kein weiteres deutschsprachiges methodisches Theoriebuch bzw. keine genuin theoretische Zeitschrift gibt? Natürlich haben wir die "Tübinger Taschenbücher" und anderes nicht vergessen … Haben neoliberale Umtriebe theoretischer (und praktischer) Archäologie geschadet (Sommer & Schmidt, 2016)?
Theoretisch gesehen mal so oder so, aber ehrlich gesagt können wir das praktisch gar nicht beurteilen, weil wir Mitgründer der AG längst in anderen Wassern fahren. Damals bei Gründung der AG waren wir kurz vor dem Studienabschluss, und heute sind wir selber die alten Säcke, von denen auch gar nicht so viel Neues mehr erwartet werden kann. An dieser Stelle sei auch ein besonderes Erlebnis erinnert: Auf einer Verbandstagung damals in Berlin fragte mich Werner Ernst Stöckli, der mich in Köln zwischengeprüft hatte: "Wie alt sind Sie jetzt, Herr Schmidt?" – "30 Jahre." – "Ja, dann kommt von Ihnen auch nichts Neues mehr …" Hoffen wir, dass es der Theorie-AG besser ergeht!
Das wären also viele spannende Fragen für die Theorie-AG, die DGUF, für Abschlussarbeiten oder sogar ein großes DFG-Projekt!
Aber es geht ja nicht nur um die "reine Theorie", sondern auch um solide archäologische Methodik, sinnhafte Verbindung von Natur- und Geisteswissenschaft (Samida & Eggert, 2013), um Theorie und Praxis. Und auch die Dirty Digger muss es geben, wobei auch Ausgraben natürlich nicht theoriefrei ist.
Trotz Wertheimers Bonmot, dass man sich durch monatelange intensive Laborarbeit durchaus vor einigen Stunden intensiver Arbeit in der Bibliothek schützen kann: So ganz schlecht scheint es im Vergleich etwa zu Großbritannien nicht zu sein. In Großbritannien geht es mehr und mehr vor allem um teure Kurse für zahlungskräftige internationale StudentInnen und immer weniger um solide Archäologie. Panta rhei! In Deutschland scheint die Theorie immerhin mit größerer Freude und Lust betrieben zu werden als in anderen Ländern, und das ist schon mal mehr, als es scheint ...
Website der AG Theorien in der Archäologie: http://www.agtida.de/
Jacobs, J., Schmidt, M., Sommer, U., A. Träger, A. und Wolfram, S. (1991). Eine neue Arbeitsgemeinschaft: Die Theorie-AG. Archäologische Informationen, 14(1), 103-105. https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/arch-inf/article/view/21377
Samida, St. & Eggert, M. K. H. (2013). Archäologie als Naturwissenschaft? – Eine Streitschrift. Berlin: Vergangenheitsverlag.
Sommer, U. & Schmidt, M. (2016). Neoliberalism and Archaeology in Germany. In Resco, P. A. (ed.), Archaeology & Neoliberalism. (p. 327-339). Madrid: JAS Arqueología S.L.U.
Martin Schmidt, M.A., Niedersächsisches Landesmuseum Hannover
Prof. Dr. Ulrike Sommer, Institute of Archaeology, University College London
Impressum und Redaktionshinweise
Der Newsletter wird herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte (DGUF). Verantwortlich für den Inhalt des Newsletters: Diane Scherzler.
Wenn Ihnen der Newsletter gefällt und Sie ihn weiterempfehlen möchten: gerne! Auch wer nicht Mitglied der DGUF ist, kann den Newsletter beziehen. Dort geht es zur Anmeldung: Newsletter abonnieren
Den Newsletter gibt es - üblicherweise mit einer Verzögerung von wenigen Stunden bis Tagen - auch formatiert als PDF-Version mit klickbaren Links in unserem Archiv. Dort finden Sie auch alle bisherigen Newsletter: Newsletter-Archiv
Wir freuen uns über Ihre Hinweise auf Veranstaltungen, Tagungen etc. Bitte schicken Sie dazu eine E-Mail an die Redaktion:
Keine Gewähr auf Angaben, die nicht aus der DGUF selbst kommen.
Deutsche Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte e.V.
An der Lay 4
54578 Kerpen-Loogh
Telefon: 06593/9896-42
Fax: 06593/9896-43